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Dunkle Schatten.

So kam der Herbst. Auf dem Kriegsschauplatze herrschte Ruhe. Nur selten kam es zu unbedeutenden Gefechten. Langsam, viel langsamer, als die Ungeduld unseres Volkes es erwartete, wurden die neuen Truppenaufgebote aktionsfähig, und ehe man an eine neue umfassende Offensive denken konnte, wurde es Winter.

Mitte November kamen drei japanische Reiter unter der weißen Parlamentärflagge bei unseren Vorposten an, und einige Tage darauf erfuhr man von Washington aus, daß der Feind Frieden angeboten hatte. Erst allmählich sickerten seine Bedingungen durch, bis man in der Bundeshauptstadt ihren Wortlaut veröffentlichte.

Die Staaten Washington, Oregon, Nevada und Kalifornien sollten japanischer Besitz bleiben, sollten aber gleichzeitig der Union weiter angehören. Sie sollten japanische Garnisonen erhalten und der japanischen Einwanderung offenstehen. Die Stärke der japanischen Garnisonen sollte näherer Vereinbarung überlassen bleiben, in den einzelstaatlichen Legislaturen und in den städtischen Verwaltungskörpern sollte die Hälfte der Mitglieder aus Amerikanern, die andere Hälfte aus Japanern bestehen. Unter diesen Bedingungen wollte Japan auf eine weitere Einwanderung von Japanern in die anderen Staaten der Union verzichten. Die Union habe Japan für die Kriegskosten mit der in Raten zu zahlenden Summe von zwei Milliarden Dollars zu entschädigen, auf welche die bisher in den Pacificstaaten erhobenen Kontributionen nicht anzurechnen seien. San Franzisko sollte der Kriegshafen für die japanische Flotte an der Pacificküste werden, und die dortige Kriegswerft und die Arsenale sollten in japanischen Besitz übergehen. Die Philippinen, Guam und Hawai seien an Japan abzutreten.

Ein allgemeiner Schrei der Entrüstung vom Atlantic bis zum Felsengebirge hin war auf seiten des amerikanischen Volkes die Antwort auf dieses Friedensangebot. Die Niederlage anerkennen, den Feind im Lande behalten, das hieß die Ehre der Vereinigten Staaten mit einem Federstriche vernichten. Nein, um jeden Preis weiterkämpfen! Durch tausende von Volksversammlungen ging dieser Ruf: weiterkämpfen bis zur Vertreibung des Feindes!

Aber was sind Volksstimmungen! Es ist das naive Empfinden der Masse von gestern und heute und vielleicht von übermorgen. Die furchtbaren Opfer dieses Krieges hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Gewiß, für den alteingesessenen amerikanischen Bürger gab es kein Bedenken und ebensowenig für die eingewanderten Deutschen, Skandinavier und Irländer, sie hielten treu zum Sternenbanner. Aber die anderen, die tausende und hunderttausende romanischer und slavischer Abkunft, das italienische und russische Proletariat, und der Abhub der Völker Halbasiens, alle diese Elemente, die in den Vereinigten Staaten einen reichen Gewinn verheißenden Arbeitsmarkt aber keine Heimat sahen, die dachten anders.

Und diese Elemente unsrer Bevölkerung forderten auf Grund eines ihnen nur zu bereitwillig eingeräumten Bürgerrechtes jetzt die Wiederherstellung einer gewinnreichen Arbeitsgelegenheit. Und kaum, daß der erste Entrüstungssturm vorüber war, kamen andere Volksversammlungen, lärmende, stürmische Kundgebungen, die gewöhnlich auf der Straße mit einer Massenprügelei endeten, kamen flammende Aufrufe der sozialistischen Arbeiterführer, die Bedingungen Japans anzunehmen und Frieden zu schließen, damit die Werktagsarbeit wieder beginnen könnte.

Und diese Stimmung griff weiter um sich, sie wurde zu einer Macht im öffentlichen Leben und in der Presse, und leider verfehlte diese Agitation ihre Wirkung auch nicht auf die noch nicht völlig in ihrem amerikanischen Bürgertum gefestigten Elemente. Mochte man sich noch so sehr über diese feige Fahnenflucht entrüsten, so brachte doch die stete Wiederholung solcher Argumente in immer weiteren Kreisen friedensselige, schwachherzige Erwägungen zum Vorschein.

Nicht mehr der Kampf unserer Truppen auf den Hochplateaus des Felsengebirges war in der öffentlichen Debatte die Hauptsache, die Friedensbedingungen wurden das, worum man sich in den Bars, auf der Straße, in Versammlungen und in der Familie stritt.

Kaum zwei Wochen nach Überreichung der japanischen Friedensbedingungen standen sich in der Union zwei erbitterte Fronten gegenüber: die einen, die sich entschlossen und begeistert um das Banner des Vaterlandes scharten, die unerschüttert treue Fahnenwacht hielten, und die anderen, die gewillt waren, den Dollar auf Buddhas Altar zu opfern.

Und zu dieser täglich größer werdenden Partei kam auch die Negerbevölkerung, damit in den Südstaaten einen neuen, schweren Konflikt schaffend. Was galt dem Neger die Ehre der amerikanischen Flagge, was sagten ihm die in Hunderten von Schlachten tapfer verteidigten Sterne und Streifen! Die Sterne leuchteten ihrem dumpfen Empfinden nicht, und ihr Blut war es nicht, welches das weiße Fahnentuch rot gefärbt hatte.

Und noch andere Kräfte lösten sich aus. In zahllosen Sekten und religiösen Konventikeln standen begeisterte Prediger auf und deuteten aus den geheimnisvollen Traumgesichten des Propheten von Patmos, aus denen jedes Zeitalter seine mystischen Waffen geschmiedet hat, die Gegenwart nach ihrem Sinne. Im Dämmerschein abendlicher Versammlungen sprachen sie von dem »Tier mit den sieben Häuptern«, von dem das Ärgernis kommen soll über die Welt, und fanatisierte Männer und Frauen begannen nach diesen Monaten unendlichen Elends und hoffnungslosen Jammers in dem Manne im Weißen Hause zu Washington den Antichrist zu sehen. Seinem Gebot und Willen zu widerstehen, wurde Pflicht und fanatisches Glaubensgesetz für jene Heiligen der letzten Tage, und ganz allmählich begann auch dieses Predigen auf den Gassen und in den abendlichen Gebetsversammlungen unser Volk zu beeinflussen, sodaß man die japanischen Bedingungen weniger hart zu finden begann, daß man den Frieden ohne Ehre wollte und den Kampf bis zum bitteren Ende nicht mehr wollte. Hatte Gott sich wirklich von uns gewandt?

Während drüben der Feind Gewehr bei Fuß die Wirkung seiner Botschaft abwartete, wurden bei uns die Stimmen immer lauter und lauter, die zur Annahme des Friedens und zum Vertragen mit dem Feinde mahnten. Vergebens waren alle Vernunftgründe, vergebens der entschlossene Kampf vaterlandstreuer Männer gegen diese volksverseuchende Lehre von dem alleinseligmachenden friedlichen, kampflosen Dahinvegetieren. Unsere ganze Vergangenheit, die ganze tatenfrohe Geschichte unseres Volkes schien im Grauen der Nächte zu versinken.

Und während die sozialistischen Agitatoren überall die hungernden Arbeiter aufriefen zum Widerstand gegen die Fortführung des Krieges, während alle Kräfte über und unter der Erde am Werke waren, dem Gott der Schlachten, der auf blutiger Halde über die Schicksale der Völker entscheidet, in den Arm zu fallen, gab es wohl ein Mittel, uns aus dieser schwülen Atmosphäre zu retten: den Kampf. Aber durften wir es noch einmal wagen, den Kampf von neuem zu beginnen, bevor unsere Armeen ganz fertig waren zum Angriff, durften wir noch einmal die Entscheidung wagen, bevor wir des Erfolges ganz sicher waren? Der Tag von Hilgard gab darauf die Antwort. Das Kriegsdepartement sagte nein, sagte schweren Herzens nein; Wochen mußten noch vergehen. Sie mußten ertragen, sie mußten überwunden werden, bis die Offensive begonnen werden konnte.

Die japanischen Friedensbedingungen waren als unannehmbar abgelehnt worden. Auf dem Kriegsschauplatz nahm der Kleinkrieg seinen Fortgang, die Soldaten froren in ihren dünnen Mänteln, und in den Truppenlagern wurde emsig gearbeitet.

*

Auf den Straßen in Washington wurden Extrablätter verkauft, die von einem Seegefecht an der argentinischen Küste berichteten. Sie wurden eifrig gekauft, aber niemand glaubte die Nachricht, wir hatten das Hoffen und Glauben verlernt. Vor dem Kriegs- und Marineamt staute sich eine erregte Menge, die dort genauere Nachrichten zu erhalten hoffte. Niemand wußte Auskunft zu geben. Vor dem Südportal des langen Gebäudes, dem Eingang zum Ministerium des Auswärtigen, fuhr ein Automobil vor.

Der Staatssekretär des Auswärtigen, der den Präsidenten im Weißen Hause telephonisch nicht hatte erreichen können, aber erfahren hatte, daß er sich in der Marinekaserne befände, hatte beschlossen, ihn dort aufzusuchen. Kaum bestieg er sein Automobil, als er sich von Hunderten bestürmt sah, ihnen zu sagen, was an der Nachricht aus Buenos Aires wahres sei. Er wisse nicht mehr als das eben ausgegebene Extrablatt, versicherte er immer wieder. Einerlei, man glaubte ihm nicht; er müsse es doch wissen. Ein paar Polizisten machten dem geräuschvoll vor sich hinkochenden Automobil den Weg frei. Fauchend und ratternd setzte es sich in Bewegung. Ein paar Straßen weiter mußte der Chauffeur wieder Halt machen.

Aus einer Seitenstraße drängte eine dichte Menschenmasse heran. Sie hatte dort in der Redaktion eines sozialdemokratischen Blattes die Fenster eingeworfen, weil es jene Meldung unter der Überschrift »Ein neuer patriotischer Schwindel« mit hämischen Glossen versehen hatte.

Der Staatssekretär gab dem Chauffeur die Weisung, einen andern Weg nach der Marinekaserne zu nehmen. Das rettete ihm sein Leben, denn in dem Moment, da er sich vorbeugte, wurde er von dem Luftdruck einer Explosion gegen den Sitz des Führers geschleudert. Ein blendend weißer Blitz flammte hinter ihm auf. Eine Bombe war auf dem oberen Rande des Rücksitzes geplatzt. Der Staatssekretär, dessen Rock nur von einigen Glassplittern zerfetzt war, richtete sich auf und blickte über die menschengefüllte Straße.

»Ein Attentat, ein Attentat,« heulte die Menge, »wo ist der Halunke?« Und schon sah der Staatssekretär, wie man einen verkommen aussehenden Menschen ergriff, ihn fortschubste und mit Fäusten bearbeitete. Bald versank er im Gewühl, wurde wieder emporgerissen, und schließlich, als der Chauffeur sein Fahrzeug rückwärts durch die Menschenmenge steuerte, hörte der Staatssekretär neben sich rufen: »Gott sei Dank, der Kerl ist am Laternenpfahl.« Das Volk hatte schnelle Justiz geübt.

Völlig erschöpft von der Aufregung langte der Staatssekretär wieder im Ministerium an. Er gab sofort Anweisung, den Präsidenten von dem Vorgefallenen zu benachrichtigen.

Kaum hatte der Diener das Arbeitszimmer des Staatssekretärs verlassen, so trat dessen Gattin ein.

In leidenschaftlicher Erregung schloß sie ihren Mann in ihre Arme. »Laß nur, Edith,« wehrte er, »diesmal ging's vorüber.«

»Aber sie werden Dich ein andermal treffen,« schluchzte sie.

»Einerlei, Edith, einerlei, ob ich hier auf dem Straßenpflaster falle oder dort drüben im Kugelregen des Feindes, wir sterben alle auf unserm Posten. Jeden Tag kann uns das Schicksal hier wie dort treffen, aber«, und er machte sich aus den Armen seiner Gattin los und trat an seinen Schreibtisch, über dem als einziger Schmuck das Brustbild Abraham Lincolns hing, »wenn ich wie dieser falle,« und er deutete auf das Bild, »so stehen Hunderte hinter mir, die bereit sind, ohne viel Worte, mit demselben Pflichtgefühl, meinen Platz einzunehmen.«

Ein Diener trat ein und überbrachte die Meldung, der Botschafter Großbritanniens bitte um die Ehre, vom Staatssekretär empfangen zu werden. »Einen Moment,« sagte dieser, »lassen Sie Se. Exzellenz bitten, einen Moment zu warten.«

Von draußen von der Straße drang brausendes Stimmengemurmel herein. Der Staatssekretär trat an das Fenster.

»Sieh,« sagte er zu seiner Gattin, »doch wenigstens etwas, ein paar Leute, die sich freuen, daß die Bombe ihr Ziel verfehlt hat.«

Das Erscheinen des Staatssekretärs löste draußen stürmische cheers-Rufe aus.

Der Staatssekretär hielt die Hand seines treuen Weibes in der seinen. »Edith,« sagte er, »ich weiß, wir sind auf dem richtigen Wege. Unsern Weg dürfen wir nur in den Sternen lesen, die wir in unserm Banner führen. Es gibt nur eine Zukunft für die Vereinigten Staaten, nur eine: die unter den Streifen und Sternen, und kein Stern darf fehlen, nicht der von Washington, nicht der von Oregon und nicht der von Kalifornien. Wir haben unser Land erobert in heißen Kämpfen, und die Erbschaft, die unsere Väter uns hinterlassen haben, sie muß unser Heiligtum, unsere Ehre, unser Gewissen bleiben. Durch ein unerbittliches nationales Pflichtgefühl haben die Gelben sich ihre Stellung in der Welt erkämpft. Nur mit denselben Waffen können wir sie besiegen. Ich kenne den Einsatz in diesem Kampfe und ich übernehme die Verantwortung vor mir und vor meinem Gewissen und vor unserm Volke für jedes Leben, das vor dem Feinde verblutet. Ich bin nur einer und wenn ich falle, so bin ich gefallen im Bewußtsein, meine Pflicht getan zu haben. Laß die heulende Meute über meine Leiche hingehen, mir tut es nichts und auch dem nichts, der nach mir kommt und meinen Platz einnimmt, wenn er nur mit fester Hand die sinkende Fahne unseres Vaterlandes ergreift. Volksgunst ist von gestern und von heute, sie darf uns nicht beirren. Die Verblendeten, die den elenden Kerl aufgestachelt haben, an mir die Dynamitprobe zu vollziehen, sie sitzen uns, die wir auf verantwortlichen Posten stehen, doch nur mit denselben Gefühlen gegenüber wie dem Tierbändiger, der in den Löwenkäfig geht. Kommt er wieder heraus, nun dann ist's gut, dann haben sie ihre Wette gewonnen, und wird er zerrissen und hat er seine Tollkühnheit mit zerfetzten Gliedern zu bezahlen, so ist es auch gut; morgen steht ein anderer an der Stelle, so oder so. Die Fahnenflucht in unsern eigenen Reihen zu besiegen, das amerikanische Bürgertum gegen die hergelaufenen Elemente zu schützen, die kein Vaterland haben, und denen die Streifen und Sterne nichts sind als ein Lappen Tuch, das ist meine Pflicht, mit der ich stehe und falle.«

Tosende cheers-Rufe von draußen ließen den Staatssekretär das Fenster öffnen. Von Tausenden gesungen klang ihm das » star spangled banner« machtvoll entgegen. Da berührte seine Gattin ihn am Arm, »James, eine Depesche.«

Jäh aus seinen Gedanken auffahrend, wandte sich der Staatssekretär und riß seinem Sekretär eine soeben dechiffrierte Depesche aus der Hand. Er überflog sie, dann atmete er tief auf. Und während ihm die Augen feucht wurden ob der schier unfaßbaren Kunde, sagte er leise zu seiner Gattin: »Das rettet uns aus all dem dumpfen Jammer der Verzagtheit.«

Dann trat er wieder ans Fenster, aber die innere Erregung erstickte die Worte; er machte eine Handbewegung nach draußen, und allmählich flaute das dumpfe Tosen der Volksmenge ab, es trat eine Stille ein.

»Bürger der Vereinigten Staaten«, begann der Staatssekretär, »Ich erhalte in diesem Augenblick …« Stürmische cheers unterbrachen ihn. Andere verwiesen die Schreier zur Ruhe und mit weithin vernehmbarer Stimme las der Staatssekretär folgende Meldung vor:

 

Bahia Blanca 8. Dezember: Der heute morgen im Hafen eingetroffene Torpedozerstörer »Paul Jones« überbringt von Admiral Dayton folgende Meldung: »Ich habe am 4. Dezember im Hafen von Port Stanley (Falklands-Inseln) die japanischen Kreuzer ›Adzuma‹ und ›Asama‹ nebst drei Zerstörern Kohlen nehmend angetroffen, habe die britische Hafenbehörde aufgefordert, die japanischen Schiffe umgehend zum Verlassen des Hafens zu zwingen, widrigenfalls ich sie am 5. Dezember morgens im Hafen angreifen würde. Am 4. Nachmittags die japanischen Schiffe vier Seemeilen vor Port Stanley angegriffen. Nach einstündigem Gefecht alle fünf japanischen Schiffe gesunken. Unsererseits Zerstörer ›Dale‹ gesunken. Verlust insgesamt 180 Mann. Havarierter Kreuzer ›Maryland‹ nach Buenos Aires gesandt. Am 6. Dezember morgens die japanischen Kreuzer ›Idzumo‹, ›Tokiwa‹, ›Jakumo‹ und vier Zerstörer vor dem Eingang der Magelhaensstraße gesichtet, mit der gesamten Flotte die Verfolgung aufgenommen. Mittags Kampf mit ›Idzumo‹ und ›Tokiwa‹. ›Idzumo‹ gesunken. Beim Erscheinen zweier feindlicher Linienschiffe Gefecht vorläufig abgebrochen. Die Zerstörer halten Fühlung mit dem japanischen Geschwader.

Admiral Dayton.«

 

Lautlose Stille folgte diesen Worten, man schien die Kunde von einem Siege der amerikanischen Waffen kaum noch glauben zu wollen, die erste frohe Nachricht nach fast dreiviertel Jahren unablässiger Niederlagen. Aber dann brach es los wie ein tobender Orkan, der alles vor sich niederbricht. Bald begannen die hinteren Reihen der Menge sich aufzulösen, man eilte davon, um die Siegesbotschaft weiter zu verkünden. Aber von allen Seiten drängten sich immer neue Massen hinzu, die die Siegesdepesche noch einmal hören wollten.

Jetzt stieg auf der andern Seite der 17. Straße auf dem Dache des Winders Building am kahlen Flaggenmaste plötzlich das Sternenbanner empor, sich rauschend im frischen Winde entfaltend. Der Staatssekretär deutete nach oben, und brausend setzte die begeisterte Volksmenge noch einmal ein: » star spangled banner«.

»Das war ein Tag,« sagte der Staatssekretär seiner Gattin die Hand reichend, »den unser Land nie vergessen darf. Doch nun die Geschäfte, und dann zum Präsidenten.«

Während seine Gattin das Zimmer verließ, drückte der Staatssekretär auf die Klingel: »Ich bitte Se. Exzellenz, den Botschafter seiner großbritannischen Majestät.«

Lautlos verschwand der Diener. Der englische Botschafter trat herein.

»Exzellenz,« begrüßte ihn der Staatssekretär, ihm mit ein paar Schritten entgegengehend, »ich bitte freundlichst entschuldigen zu wollen, daß ich Sie warten ließ. Ich verdanke die Ehre Ihres Besuches …?

»Ich komme nur, um auf die Reklamation der Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika wegen der Benutzung des Hafens von Esquimault durch japanische Schiffe zu antworten, daß die großbritannische Regierung die Beschwerde der Regierung der Vereinigten Staaten als berechtigt anerkennt. Die Regierung meines Landes hat bereits Vorsorge getroffen, daß in Esquimault ausschließlich Havarien, die die Seefähigkeit eines Schiffes betreffen, repariert werden dürfen, und daß anderen Schiffen der Aufenthalt im Hafen untersagt bleiben soll. Die großbritannische Regierung steht auf dem Standpunkte striktester Neutralität und ist gesonnen, jedes Mittel zu deren Aufrechterhaltung zu ergreifen.«

»Ich danke, Exzellenz,« sagte der Staatssekretär, »ich erkenne die Bemühungen der englischen Regierung vollauf an und bedaure nur, daß diese Einsicht erst etwas spät kommt. Dieser Auffassung der Neutralitätspflichten von seiten der englischen Regierung würde es auch sicherlich nicht entsprechen, wenn ein japanisches Geschwader einen englischen Hafen als Operationsbasis benützt …«

»Sicherlich nicht,« versetzte der Botschafter eifrig, »das ist auch niemals geschehen.«

»Wirklich nicht?« antwortete der Staatssekretär ernst, »unsere Nachrichten lauten anders. Darf ich Eure Exzellenz bitten, von dieser Depesche Kenntnis zu nehmen?«

Er reichte dem Botschafter das Telegramm aus Bahia Blanca.

Der las es und gab es dem Staatssekretär zurück.

Beide Männer sahen sich einen Moment wortlos an. Der Botschafter senkte den Blick: »Ich bin ohne Instruktionen über diesen Fall. Er überrascht mich,« sagte er, »wirklich, er überrascht mich völlig,« und dann die Hand des Staatssekretärs ergreifend: »Ich erlaube mir Ihnen meinen aufrichtigen, vorläufig nur privaten Glückwunsch zu solchem Erfolge auszusprechen.«

»Ich danke, Exzellenz«, sagte der Staatssekretär, »die Vereinigten Staaten haben in den letzten Monaten gelernt, zwischen korrekten und freundschaftlichen Beziehungen zu fremden Mächten zu unterscheiden. Die englische Regierung hat an den militärischen Erfolgen ihres japanischen Verbündeten aufrichtigen und herzlichen Anteil zu nehmen gewußt, wie es der Bündnisvertrag vorzuschreiben scheint. Wir bedauern, der englischen Regierung jetzt den Schmerz bereitet zu haben, aus einem englischen Hafen japanische Schiffe ausräuchern zu müssen. Vielleicht dürfen wir, wenn es uns gelingen sollte die Oberhand zu gewinnen, auf dieselben freundnachbarlichen Vergünstigungen rechnen, wie sie dem siegreichen Japan von seiten der englischen Regierung so reichlich zuteil geworden sind.«

»Das,« versetzte der Botschafter etwas unsicher, »hängt davon ab, wie die Neutralität damit gewahrt wird.«

»Ach,« sagte der Staatssekretär mit verbindlichem Lächeln, »auf dem Gebiet so feiner Unterscheidungen hat die englische Regierung ja inzwischen Übung erlangt.«

In diesem Moment wurde der Präsident gemeldet, der Botschafter verabschiedete sich.


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