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Vater und Sohn.

Mr. Horace Hanbury wanderte ruhelos in seinem Arbeitszimmer auf und ab und blieb dann vor der riesigen Karte an der Wand stehen, die langen Linien der Pacificbahnen über das Felsengebirge aufmerksam verfolgend. »Ob Harriman verkaufen wird? Nein, er wird kaufen, selbstverständlich wird er kaufen, gehörte auch sonst ins Irrenhaus. Natürlich wird er kaufen und Gould und Stillman werden auch kaufen. Na, 's wird heute eine schöne Rauferei in Wall Street geben.« Er paffte aus seiner kurzen Pfeife gedankenvoll vor sich hin, dann griff er wieder in den raschelnden Haufen der auf seinem Schreibtisch liegenden Papierschlangen des Ferndruckers mit den letzten Depeschen aus dem Westen und ließ einige noch einmal prüfend durch die Finger gleiten.

»Scheint ja ein ganz verteufelt schlauer Plan von den Gelben zu sein. Alle Bahnen einfach abgegurgelt! Die Kerle imponieren mir, haben doch seit 1904 gelernt.« Er warf sich in den breiten ledernen Klubsessel und studierte noch einmal den Kurszettel von Sonnabend, ging dann wieder an die Karte, markierte einzelne Punkte auf ihr mit Blaustift und verband sie durch eine lange Linie, die die Pacificstaaten Washington, Oregon, Californien vollständig und von Nevada und Arizona große Distrikte nach Osten abschloß. Dann ließ er seine Uhr repetieren und drückte auf einen der elektrischen Knöpfe an seinem Schreibtisch.

Lautlos öffnete sich die Tür, und ein Inder in der bunten, farbenprächtigen Tracht seines Heimatlandes erschien vor Mr. Hanbury mit verschränkten Armen eine tiefe Verbeugung machend. »Wenn Mr. Gerald Hanbury zurückkehrt, sag ihm, ich bäte ihn, sofort hierher zu kommen!« Der Inder verschwand, und Mr. Hanbury setzte sich mitten auf die Platte seines Schreibtisches, verschränkte die Arme unter seinen Knien und baumelte mit den Füßen, dabei den Rauch seiner Pfeife durch die Zähne stoßend. »Wenn mir der Junge mit seinen verrückten Weltbeglückungsideen nur keinen Strich durch die Rechnung macht … Ach, Gerald, da bist Du!«

»Vater, Du hast mich rufen lassen?«

»Setz Dich dahin, mein Junge,« sagte der Alte und deutete auf einen Sessel, blieb aber selbst auf seinem Schreibtisch sitzen.

Der Sohn war vollkommen das Ebenbild seines Vaters, dieselbe schlanke, sehnige Gestalt, dieselben scharf blitzenden Augen, derselbe energische Zug um den Mund.

»Nun, Vater, was sagst Du?«

»Ja, was sage ich? Was sagst Du?«

»Ist es nicht entsetzlich, dieser plötzliche Überfall unsres Landes! Ist es nicht entsetzlich, daß uns dieser Krieg wie ein Dieb über Nacht überrascht und drei Staaten schon in der Hand des Feindes sind?«

»Kriegen wir schon wieder,« sagte der Alte gelassen.

»Hast Du schon den Mobilmachungsbefehl gelesen?«

»Gelesen nicht, brauch ihn auch nicht erst zu lesen.«

»Vor drei Wochen, sagte mir eben Colonel Smiles, wäre es nicht möglich, unser Heer nach Westen zu dirigieren. Von der Flotte ist glücklicherweise ein Geschwader, wohl ein Dutzend Schiffe, an der Westküste und wird die Japaner im Rücken angreifen.«

»Wenn es dazu noch Zeit findet,« ergänzte der Alte. »Na, kurz und gut, diese Sorge müssen wir anderen Leuten überlassen. Das ist nicht unser Geschäft, das mögen sie in Washington besorgen. Der Krieg ist für die Staaten eine rein finanzielle Frage, und daß wir ihn zehnmal länger aushalten können als die gelben Affen, das liegt doch auf der Hand, und daß wir finanziell alles mobilisieren werden, das bedarf keiner Frage. Der Kongreß wird es hierbei an sich nicht fehlen lassen. Und die Zeichnung auf die Kriegsanleihe wird schon zeigen, daß wir wenigstens auf dem einen Gebiet gerüstet sind. Lassen wir das jetzt. Es handelt sich für uns darum, was werden wir tun. Was denkst Du, was aus unserem Fabrikunternehmen während des Krieges werden soll?«

»Natürlich weiter arbeiten, Vater.«

»Weiter arbeiten, das heißt Überproduktion treiben. Weiter arbeiten heißt auf Lager arbeiten. Weiter arbeiten heißt Werte schaffen, die uns niemand abkaufen wird. Panzerschiffe, Geschütze, Pulver, Uniformen, Gewehre, alles das wird heute gebraucht, auch Schnaps wird gekauft und Brot wird gebacken, auch der Fleischtrust wird immens verdienen. Aber meinst Du, daß uns die Regierung der Vereinigten Staaten unsere Klaviere abkaufen wird, um ihren Soldaten Musik zu machen?«

»Aber unsere Arbeiter?« wandte Gerald ein.

»Ja, die Arbeiter,« sagte der Alte, schnellte sich mit energischem Schwung von der Tischplatte herunter und stellte sich, die Hände in den Taschen, vor seinen Sohn breitbeinig hin: »Unsere Arbeiter, da sind wir ja wieder bei Deinem Lieblingsthema, dem Du Dein ganzes Interesse und Deine ganze Arbeit widmest. Unsre Arbeiter!« Der Alte bugsierte seine Pfeife in den rechten Mundwinkel. »Unsere Arbeiter, mein Junge, die werde ich entlassen und die Bude zumachen, mehr können wir gar nicht verdienen, als wenn wir die Maschinen stoppen. Außerdem braucht unser Staat jetzt Soldaten, aber keine Arbeiter. Mögen Deine lieben Arbeiter die Knarre auf die Schulter nehmen und nach Westen marschieren. Mir hat, als ich noch so jung war wie Du und mit 150 Dollar anfing, auch kein Mensch eine Altersversorgung und Invalidenversorgung und eine Arbeitslosenunterstützung und wie all der neumodische Trödel heißt angeboten. Wir sollen die Energie in den Leuten stärken, aber ihnen keine Schlummerrollen stopfen. Wer ein rechter Kerl ist, frißt sich jetzt auch durch.«

»Vater!« Der junge Mann sprang von seinem Sessel auf und stand dem Alten mit der ganzen idealen Begeisterung der Jugend gegenüber.

»Bitte, willst Du nicht Platz nehmen,« antwortete der Alte kühl, »so etwas macht sich besser im Sitzen.«

»Nein, Vater, dabei kann ich nicht ruhig bleiben. Es handelt sich um die Existenz von 4000 Arbeitern und ihren Familien.«

»Wovon ich 3000 heute mittag entlassen werde,« unterbrach ihn der Alte bestimmt.

»3000 Arbeitern, fleißigen, ruhigen, treuen und zuverlässigen Arbeitern willst Du den Bettelstab in die Hand drücken, Vater! Das ist Barbarei, das ist ein Verbrechen. In guten Zeiten haben die Leute zu uns gehalten. Jetzt, wo der Absatz unserer Fabrikate vielleicht,« er betonte noch einmal, »vielleicht stocken wird, willst Du die Produktion einfach einstellen, willst Du die Maschinen stehen lassen!«

»Höre mal, mein Junge, ich bin keine Volksversammlung. Solche Redensarten mögen sich auf der Rednertribüne ganz hübsch machen; wo wir hier aber unter uns sind, bitte keine Volksreden! Hier handelt es sich darum, sollen wir dran glauben, oder sollen die dran glauben. Da bin ich denn doch mehr dafür, daß die dran glauben. Meinst Du, ich habe mein Leben lang geschafft und mich abgerackert, um jetzt aus unserer Fabrik ein Arbeiterversorgungsheim zu machen. Nee, mein Junge, diese Liebhaberei kann ich mit Dir nicht teilen.«

»Aber Vater, Kapital und Arbeit …«

»Lassen wir doch diese dummen Phrasen,« fiel ihm der Alte, jetzt ärgerlich werdend, ins Wort, »Dein Karl Marx und Henry George, und wie die Leute alle heißen, mögen drüben in Deiner Bibliothek, mögen sich ja ganz gut auf dem Bücherbrett ausnehmen, aber im praktischen Leben wollen wir die Sachen doch nach meiner Erfahrung und nicht nach Deinen Büchern regeln. Ich erkläre Dir als Leiter und Inhaber unseres Unternehmens, daß ich heute mittag um 12 Uhr in der Fabrik bekannt machen lasse, daß wir infolge des unverhofften Krieges … nun und dann ein paar Redensarten von Verteidigung des heiligen Bodens und patriotischen Interessen … daß wir da gezwungen sind, 3000 Arbeiter zu entlassen. Der Lohn wird noch, na, sagen wir zwei Wochen, weiter gezahlt, dann raus mit der Bagage, Bude zugemacht und die letzten tausend mögen den Kram, das heißt, die vorliegenden Aufträge noch erledigen und was noch einläuft. Und kommt nichts mehr, dann stehen alle Räder still. Inzwischen werde ich 100 000 Dollar auf die Kriegsanleihe zeichnen und dann für Deine Mutter, Deine beiden Schwestern, für mich und hoffentlich auch für Dich einen Platz auf einem Lloyddampfer belegen, Extrakabinen mit allen möglichen Chikanen, und dann gondeln wir ab, nach dem alten Europa hinüber. Riviera – nein, da waren wir schon, ist auch jetzt zu heiß, na, sagen wir Norwegen oder Tirol. Jedenfalls raus aus diesem im übrigen außerordentlich angenehmen Lande. Wollen uns doch die Sache lieber von der Rückseite besehen. Ich hoffe, wie gesagt, sehr bestimmt, daß sich mein einziger Sohn und späterer Erbe dem Transport anschließen wird, wenn er nicht etwa Lust hat, als Leutnant unserer glorreichen Armee den Säbel gegen den Feind zu ziehen. Das ist mein fester Entschluß und mein letztes Wort, oder glaubst Du, daß einer unserer Freunde aus der Hochfinanz etwas Besseres weiß?«

»Vater, ich hätte nie gedacht, daß Du so hart über Menschenschicksale denken kannst, daß Du mit einem Federstrich die Existenz von Tausenden vernichten würdest. Ich stehe Deiner Auffassung von Zusammenhalten zwischen Fabrikherrn und Arbeitern vollkommen verständnislos gegenüber, das soziale Gewissen …«

»Hör mal, mein Junge,« sagte der Alte, trat an seinen Sohn heran und legte ihm begütigend die Hand auf die Schulter: »Ich habe Dir stets volle Freiheit gelassen mit all Deinen Ideen, und Du weißt, wie weit wir in unserm Unternehmen mit allen möglichen Dingen den Arbeitern entgegengekommen sind, jetzt heißt es aber: wir oder sie. In Friedenszeiten sind solche hübschen sozialen Ideen, wie Du sie in Deinem Garten ziehst, ganz famos, geben dem Mann ein gewisses Ansehen, man redet von ihm. Netter Kerl, versteht die Forderungen seiner Zeit. Aber das hat alles seine Grenze. Der eine hat die Liebhaberei und der andere die. Der eine hält sich Rennpferde, der andere hat eine Dampfjacht, der wieder geht im Polo oder Cricket auf, aber das darf alles nicht ausarten. Wenn der Rennstallbesitzer zum Jockey wird, so ist er kein Geschäftsmann mehr und wenn einer, der eine Rennjacht hat, nur noch am Start lebt, ist er auch kein Geschäftsmann mehr, und schließlich vom Geschäft will man ja leben. Du hast Dir Deine Arbeiter als Sport ausgesucht, auch das hat eine Grenze. Wenn wir nämlich unsere mühsam erworbenen Millionen heute in sozialen Ideen verputzen, da können wir nach zwei Jahren wieder von vorne anfangen. Ob mein Genie dann noch ausreicht, wieder einen neuen Klavierhammer zu erfinden, weiß ich nicht, und ob Du mit Deinen Ideen irgend eine Weltbeglückungsgeschichte erfindest, bei der Du reicher anstatt ärmer wirst, weiß ich auch nicht. Ergo machen wir die Bude zu. Zum Abschied bei Hoboken » Yankee doodle« und bei der Freiheitsstatue » star spangled banner« und dann hinaus! Läßt sich nachher die Sache absehen, können wir ja immer wieder kommen, aber vorläufig ist das mein letztes Wort: Heute mittag hängt an den Toren unserer Fabrik und in allen Sälen der Anschlag: 3000 Arbeiter sind entlassen, Lohn wird noch zwei Wochen weiter gezahlt und dann Schluß. Apropos, kommst Du heute auf die Börse?«

»Vater, mir ist nicht nach Börse zumute. Wenn das Dein letztes Wort ist, so ist mein letztes – ich bin Teilhaber in Deiner Fabrik.«

»Ja, Gott sei's geklagt,« sagte der Alte.

»– und verfüge demzufolge heute über meinen Anteil an unserm Unternehmen. Ich erkläre Dir hiermit, daß ich heute aus meinem mir einst zufallenden Erbteil die Summe beanspruche, um vorläufig ein Jahr lang den Arbeitern, die Du entlassen willst, ihren bisherigen Lohn weiterzuzahlen, soweit die unverheirateten Arbeiter nicht in die Armee eintreten.«

»Nee, mein Junge, das machen wir nicht, ich bin der Leiter des Unternehmens. Nach unserem Vertrage bei Deiner Großjährigkeit kannst Du, sobald Du aus unserm Unternehmen ausscheidest, die Summe von einer Million verlangen. Die steht Dir heute mittag bei unserm Bankhause zur Verfügung, mehr nicht. Was Du damit anfängst, ist mir gleichgültig, aber wenn man Geld zum Fenster hinaus wirft, will man es wenigstens klappern hören.«

»Vater, das kann nicht Dein letztes Wort sein, sonst sind wir geschiedene Leute.«

»Gut, mein Junge, scheiden wir bis zum Diner. Ich hoffe Dich heute abend bei besserer Stimmung im Familienkreise wiederzufinden. Was inzwischen in unserer Fabrik geschieht, habe ich Dir ja gesagt, das weitere wegen unserer Abreise können wir heute abend mit der Mutter besprechen. Nun laß mich allein, ich habe mich für Wall Street zu rüsten!«

Lautlos fiel hinter Mr. Hanbury junior die Tür ins Schloß. »Verteufelter Junge,« sagte der Alte, »imponieren tut er mir doch. Vor dreißig Jahren hatte ich auch solche Ideen, aber wo sind die geblieben!« Er sann einen Augenblick nach, strich sich über die Stirn, raffte sich dann plötzlich auf und sagte kurz: »Nun ans Geschäft!« Er drückte auf einen Knopf an seinem Schreibtisch, sein Prokurist trat herein, und die Unterredung, die die beiden alten Herren nunmehr führten, gehörte ausschließlich der kommenden Schicksalsstunde in Wall Street.


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