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Admiral Sperrys Schicksal.

Der Funkspruchapparat an Bord von Admiral Sperrys Flaggschiff »Connecticut« knatterte und prasselte, und auf der weißen Papierschlange, die der Morseschreiber langsam von sich gab, erschienen die Worte:

 

»Magdalena-Bai an Geschwader-Chef 7. Mai 8 h 25. Vier Seemeilen NW. ein Kreuzer und zwei Torpedos gesichtet mit Kurs auf Magdalena-Bai, unsicher ob Freund oder Feind. Kapitän Pancoast.«

 

Der Mann am Apparat riß das Duplikat des Streifens ab, klebte es auf den Meldezettel, drückte auf den Knopf der elektrischen Klingelleitung und gab dem eintretenden Signalgast die Meldung. Gleich darauf schrillte der Telephonapparat, und von der Brücke kam der Befehl: »Magdalena-Bai soll sofort durch Funkspruch nach Kreuzer und Torpedos feststellen, ob blaue oder gelbe Partei.«

Hastig tickte der Unteroffizier am Apparat diese Ordre hinüber.

»Das scheint ja böses Wetter zu geben,« sagte er dann, während er auf die Antwort wartete. Die langen Schwingungen des Schiffes ließen stärkeren Seegang erkennen. Ein schwarzer Bleistift, der hinten in dem Winkel zwischen Wand und Tischplatte gelegen hatte, bekam plötzlich Leben und rollte unentschlossen auf der Platte hin und her. Der Unteroffizier ergriff den Bleistift und malte auf ein Blatt Papier die Lage der Magdalena-Bai, wie er sie im Gedächtnis hatte. »Vier Seemeilen,« meinte er, »das müßte man doch schon durchs Glas erkennen können.«

Da begann es im Apparat zu sausen und zu schnarren, und unter dem Pelotonfeuer kleiner elektrischer Entladungen rückte wieder der weiße Papierstreifen unter der kleinen Buchstabenwalze langsam hervor:

 

»Magdalena-Bai an Geschwader-Chef 7. Mai 8 h 53: Ansteuernder Kreuzer, wahrscheinlich gelber Panzerkreuzer »New York«, antwortet auf Funkspruchanruf nicht. Kapitän Pancoast.«

 

Noch hatte der Unteroffizier die Meldung nicht fertig gemacht für die Brücke, als der Apparat von neuem wie rasend zu stottern und zu rasseln begann.

» Take care of Kxj31mpTwB8d...95lSR7..J..« warnte das Papierband in seiner lautlosen Sprache; dann nichts mehr. Völlige Stille.

»Was ist denn das?« sagte der Unteroffizier, »das kann doch nicht alles sein.«

Er klopfte an den Kohärer, wechselte ihn gegen einen neuen aus: nichts. Er nahm einen dritten, einen vierten, er klopfte und schüttelte, der Apparat blieb stumm.

Er fragte mit seinem Morsetaster zurück: »Magdalena-Bai, Meldung wiederholen!«

Nichts.

Er fragte hinüber: »Haben Sie Anfrage verstanden?«

Keine Antwort.

Neben ihm wartete der Signalgast. Er gab ihm den Meldezettel. »Schnell hinauf auf die Brücke!« rief er, und gleichzeitig trat er ans Telephon und drehte die Kurbel: »Hier Funkenstation, Unteroffizier Medlow. Ich erhalte eben von der Magdalena-Bai die nach der Brücke unterwegs befindliche Meldung: » Take care of …« Dann hat der Apparat versagt … Ja bitte, Herr Leutnant.«

Zwei Minuten darauf riß ein aufgeregter Leutnant die Tür auf: »Was ist mit dem Apparat?«

»Der Apparat versagt. Mitten im Satze hat er aufgehört zu arbeiten.«

»Nehmen Sie einen neuen Kohärer!«

»Ich habe schon den vierten versucht.«

Der Unteroffizier klopfte an den Kohärer, der Leutnant klopfte an den Kohärer: wieder nichts. Alle Fragen blieben unbeantwortet. Man telegraphierte anscheinend ins Leere hinaus.

»Wahrscheinlich eine Störung,« sagte der Leutnant naiv.

»Wahrscheinlich eine Störung, Herr Leutnant,« wiederholte der Unteroffizier. Dann war er wieder allein.

*

Der Wachtoffizier auf der vorderen Brücke der »Connecticut« hatte den Kommandanten des Schiffes, Kapitän Farlow, von den letzten Meldungen der Magdalena-Bai benachrichtigt. Als dieser jetzt gleichzeitig mit Admiral Sperry auf der Brücke erschien, hielt ihnen der Wachtoffizier die beiden Meldezettel entgegen, die der Admiral nachdenklich studierte. »New York,« sagte er sinnend, »gehört ja freilich zur gelben Flotte, aber wie kommt der Panzerkreuzer nach der Magdalena-Bai? Admiral Train kann unmöglich mit seinem Geschwader soweit nach Südosten stehen, denn die Meldungen von unserm Vorpostengros lauteten doch so, daß wir eher annehmen müssen, Train will uns von Westen her angreifen.«

»Herr Admiral,« wandte Kapitän Farlow ein, »es könnte doch aber ein Handstreich auf die Magdalena-Bai sein.«

»Könnte gewiß,« versetzte der Admiral lebhaft, »könnte gewiß, aber was soll das? In der Magdalena-Bai liegen nur noch zwei Torpedos, und eine Funkspruchstation zerstören, von der aus nichts mehr zu melden ist, das wäre doch ein schnurriger Einfall eines übereifrigen Schiffskommandanten der gelben Flotte. Außerdem besteht doch die Anweisung von Washington, die Magdalena-Bai möglichst wenig in die Manöveroperationen hineinzuziehen, damit wir keine Weiterungen mit Mexiko haben und das Ausland nicht noch unnötigerweise auf die Bedeutung der Magdalena-Bai im Kriege aufmerksam gemacht wird.«

Ein Leutnant trat an Kapitän Farlow heran und meldete salutierend: »Die Verbindung mit der Magdalena-Bai versagt auf alle Versuche einer Verständigung.«

»Na, dann nicht,« brummte Admiral Sperry, »dann hat uns Train also wahrscheinlich die Magdalena-Bai abgeknöpft. Wird dem Herrn von der »New York« aber einen bösen Rüffel aus Washington eintragen.«

Damit verließ Admiral Sperry die Kommandobrücke wieder, wobei er sich aber wegen des stärker werdenden Seeganges schon vorsichtig an beiden Geländern der Treppe festhalten mußte.

Sausend fuhr der stets frischer werdende Nordost durch die Stahltaue des Takelwerkes. Pfeifend surrte und schnurrte er in den Drähten, fuhr heulend durch alle Öffnungen, schrie seine mißmutigen Laute in die Niedergänge hinein, riß und zerrte an den Überzügen der Geschützrohre und bauschte die langen Kupferdrähte der Funkspruchleitung wie riesige Peitschenschnuren. Hohl brachen sich die blaugrauen Wogen des Ozeans an den Bordwänden der sechs Linienschiffe der »Connecticut«-Klasse, die mit nordwestlichem Kurse in Kiellinie die öde Wasserwüste des Pacific durchfurchten; Marschgeschwindigkeit zehn Seemeilen.

Es lief eine rauhe See. Eine um diese Jahreszeit in diesen sonnigen Breiten ungewöhnliche barometrische Depression hatte unsichtiges schmutziges Wetter gebracht. Nachts hatten gewaltige niederbrechende Regenböen die Decks überschwemmt. Jetzt frischte der Wind auf und fegte tiefhängende Wolken vor sich her. Der scharfe weiße Bug der »Connecticut« pflügte mit dem hinter ihm stehenden Druck einer Stahlmasse von 16 000 Tonnen zwei laut aufbrausende Schaumwellen auf. Die an Steuerbord kämmte der Wind immer glatt ab und trieb einen Sprühregen grauweißen Wassers über das Vorschiff des Panzers, das dadurch wie in eine Dunstwolke gehüllt schien. Die den drei langen Schloten entquellenden dicken schwarzen Rauchfahnen drückte der Wind schräg auf die Wogen nieder und schob sie zu einer breiten Wolkenbank zusammen, die auf eine lange Strecke zusammenhaltend und den westlichen Horizont verschleiernd den Weg des Geschwaders bis weit dahinten erkennen ließ, wo das flatternde, zerzauste Gefieder der Sturmwolken in das wallende Wellenchaos des Pacific einzutauchen schien und mit ihm in eins zusammenfloß.

Man hatte die schmalen Scharten an den Panzerschilden der Geschütze in den Kasematten längst dicht machen müssen, weil die schräg anstürmenden Wogen durch sie schon hineinzuwaschen begonnen hatten, ja selbst bis in die Türme auf dem Oberdeck schlugen einzelne schwere Spritzer hinein und setzten das Innere unter Wasser. Es war ein ungemütliches Wetter.

Kapitän Farlow hatte sich, um besseren Ausblick zu haben, auf den oberen Kommandostand der »Connecticut« begeben und suchte mit dem Glase den Horizont nach vorn ab, der aber durch eine sich entladende Regenwolke fast gänzlich verschleiert war.

»Nichts von unseren Kreuzern zu sehen,« sagte er zu dem Navigationsoffizier des Geschwaders, »ein verdammtes Wetter für Manöverexperimente.«

Dann gab er Auftrag, nach den beiden vorausfahrenden Panzerkreuzern »California« und »Colorado« durch das Ferntelephon hinüber zu fragen, ob sie bei dem trüben Wetter Unterstützung durch zwei kleine Kreuzer brauchten, um genügend gegen die gelbe Flotte sichern zu können.

Ja, der Kommandant des Panzerkreuzers »California« bat, die drei die Spitze bildenden Zerstörer, die in der schweren See kaum Kurs halten konnten und infolgedessen da vorn doch nicht viel nützen konnten, zurückzuziehen und durch zwei Kreuzer zu ersetzen.

Der Admiral holte durch Funkspruchbefehl die drei Zerstörer zurück und ließ sie mit den drei anderen Zerstörern, die nach rückwärts sicherten, die Flankendeckung des Geschwaders nach hinten übernehmen. Gleichzeitig verstärkte er seine Vorpostenlinie durch Vorziehen der Kreuzer »Galveston«, der nach Backbord, und »Chattanooga«, der nach Steuerbord die vordere Flankendeckung gehabt hatten. Das nunmehr aus ihnen und den beiden Panzerkreuzern bestehende Vorpostengros fuhr jetzt in einer flachen Keilformation, während die Kreuzer »Denver« an Steuerbord und »Cleveland« an Backbord, im Abstand von drei Seemeilen vom Geschwader fahrend, die Verbindung zwischen der Spitze und der bei solchem Wetter etwas fragwürdigen Flankendeckung durch die Zerstörer herstellten.

Alsbald sah man »Galveston« und »Chattanooga« unter mächtiger Rauchentwicklung dem Geschwader vorausdampfen.

Kapitän Farlow wanderte in seinem Ölrock ruhelos auf der Kommandobrücke auf und ab. »Der letzte Rest der Frühlingsstürme,« sagte er zu seinem Navigationsoffizier, »aber der Rest meint es wenigstens gut. Wenn wir nicht eine leidliche Marschsicherung hätten, könnte uns die gelbe Flotte bei solchem Wetter leicht einen bösen Streich spielen, wenn sie uns unvermutet angreift.«

»Funkspruch vom Panzerkreuzer »California«,« ein Leutnant übergab dem Kapitän die Meldung:

 

»›Chattanooga‹ und ›Galveston‹ stehen auf dem rechten und linken Flügel der Vorpostenlinie, ›Denver‹ und ›Cleveland‹ haben die Verbindung zwischen dieser und dem Geschwader übernommen. Von der gelben Flotte nichts zu sehen.«

 

Kurz darauf erschien eine Ordonnanz und bat Kapitän Farlow zum Admiral Sperry.

Das Geschwader setzte seinen Weg fort. Unablässig jagte der allmählich zum Sturm anschwellende Nordost drohende Schwarzwolken heran, deren hängende graue Schleppe über die schäumenden Wogen hinfegte, plötzlich alles in flimmerndes Dämmer hüllend. Stürzender Regen prallte rasselnd an die Decksaufbauten, alles floß, strömte, schwamm in klatschenden Fluten. Das herniederrauschende Wasser und der emporschlagende Sprühregen der gegen die Stahlflanken andonnernden Wogen benahm den Leuten auf den Ausguckposten oft jede Möglichkeit, auch nur ein paar Meter weit zu sehen. Dazu die widrige feuchte klebrige Hitze. Unter Deck war es sicherlich gemütlicher.

*

»Was halten Sie von der Geschichte mit der Magdalena-Bai? Die Sache läßt mir keine Ruhe,« sagte der Admiral, als der Kapitän unten die Admiralskajüte betrat.

»Ist eine faustdicke Dummheit vom Kommandanten der »New York«. Solcher Unfug auf einem Terrain, wo wir doch nur ungern geduldete Gäste sind, trotz aller diplomatischen Verbindlichkeiten von Porfirio Diaz! Die Herren drüben in Tokio kontrollieren durch ihre massenhaften Spione in der Bai jede Bewegung, die wir dort machen, und ihr diplomatischer Protest ist stets schußfertig.«

»Gewiß,« sagte der Admiral, »gewiß, lieber Farlow, aber das Manöver soll doch den Krieg widergeben und im Kriege – ganz unter uns – würden wir die Magdalena-Bai doch ebensogut benutzen, als ob sie amerikanischer Boden wäre.«

»Im Kriege, ja,« versetzte der Kapitän eifrig, »aber man läßt sich im Frieden, im Manöver, doch nicht in die Karten sehen. Wenn wir uns heute in der Magdalena-Bai bewegen, als ob sie unser sei, wo uns doch tatsächlich nur das Kohlenlager zugestanden ist und die Funkspruchstation eigentlich wider die Abrede ist, da ist es geradezu unverantwortlich, auf diesen Punkt irgendwelche Manöveroperationen zu richten. Wird das erst bekannt, dann geht in Mexiko das Bohren und Hetzen der Herren Diplomaten los, die sonst dort vor Langerweile fast den Starrkrampf bekommen, und da wir doch nicht behaupten können, an einem Überfluß von guten Freunden zu leiden, müßte jeder Anlaß vermieden werden, durch Manöverdummheiten eine diplomatische Plattform zu schaffen.«

»Dann müßte man,« fügte der Admiral nachdenklich hinzu, »am besten die Sache gleich nach Washington melden und dort anheim geben, in Mexiko den Angriff auf die Magdalena-Bar als Übereifer eines schlecht informierten Schiffskommandanten hinzustellen und zu entschuldigen.«

»Das beste wäre es. Denn wenn einmal die große Abrechnung zwischen uns und den Gelben kommt, …«

Hier schrillte der Telephonapparat in der Admiralskajüte wie wild. Kapitän Farlow sprang auf, hatte aber in seiner Erregung nicht mit den Schlingerbewegungen des Schiffes gerechnet, stolperte auf dem sich ihm entgegenhebenden Fußboden und rutschte dann, als der Kulminationspunkt der Schwingung überwunden war, talabwärts bis zum Telephon. Der Admiral lächelte unwillkürlich, zog aber die Stirn in verdrießliche Falten, als in demselben Moment die Tür der Kajüte sich öffnete und eine Ordonnanz erschien, die gleichfalls Kapitän Farlows Schlittenfahrt beobachtete. Dieser richtete sich schimpfend auf und trat an den Apparat.

»Was,« rief er dann hinein, »Higgins, was ist das? Mensch, sind Sie denn verrückt? Admiral Trains Flotte, die gelbe Flotte? Das ist ja undenkbar, wir haben ja unsere Marschsicherung nach allen Seiten!«

Dann wandte er sich zum Admiral halb um: »Herr Admiral, der Navigationsoffizier sieht Gespenster, er meldet luvwärts, drei Seemeilen entfernt, Admiral Train, die gelbe Flotte!« und dann wieder ins Telephon: »Higgins, Sie haben wohl etwas stark gefrühstückt … Na, ich komme rauf.« Er eilte nach der Tür, rannte dort aber gegen die Ordonnanz an. »Mensch, was machen Sie denn hier?«

»Meldung vom Navigationsoffizier Leutnant Higgins, daß an Steuerbord, drei Seemeilen voraus, mehrere Schiffe gesichtet sind. Der Herr Leutnant meint …«

»Der Herr Leutnant meint natürlich,« fauchte Farlow ihn an, »daß es Admiral Trains gelbe Flotte ist.«

»Zu Befehl,« antwortete die Ordonnanz, »die gelbe Flotte,« und blickte verdutzt dem davonstürmenden Kommandanten der »Connecticut« nach, der von Admiral Sperry gefolgt die Treppe hinauf balanzierte.

»Ach, mein Ölrock! …« Mit diesem Ausruf erreichte der Kommandant das obere Ende der zur vorderen Kommandobrücke führenden Treppe, wo ihn ein grüngrauer Wassersturz, der Rest eines ausnahmsweise wuchtigen Wogenspritzers, von oben bis unten übergoß.

»Nun, Herr Leutnant,« rief er dann, sich das Wasser aus Augen und Schnurrbart wischend, »wo ist nun die gelbe Flotte?«

Der Navigationsoffizier stand, sich in den Winkel der Steuerbordnock der Kommandobrücke einzwängend, mit dem Glase vor den Augen und starrte hinaus auf die tobende See, über die der Sturm dichte Regenschleier dahintrieb. Heulend brauste er über das Deck der »Connecticut«, das die kochenden Schaumkämme unter donnerndem Tosen mit flutenden Wassergüssen überschütteten. Mit einem harten kratzenden, schnarrenden Laut schlugen die niedergehenden Spritzer gegen die Bordwände und die Decksaufbauten.

Kapitän Farlow brauchte nun nicht mehr zu fragen. Das war allerdings die gelbe Flotte, das war Admiral Train.

Etwa 6000 Yards voraus über Steuerbord der »Connecticut« waren in dem grauen Durcheinander von Regen und Seeschaum die im Wogendrange hin- und herschwankenden Silhouetten von sechs großen Linienschiffen deutlich erkennbar, wie Geisterschiffe plötzlich aus dem brodelnden Chaos des Ozeans emporgestiegen.

»Sofort gefechtsklar!« kommandierte der Kapitän. Der Navigationsoffizier und ein Leutnant eilten an die Telephonapparate auf der Kommandobrücke, rissen die Kurbeln herum und gaben die Befehle nach unten. Der Geschwadernavigationsoffizier stürmte an das Telephon der Funkspruchstation und gab Befehl, dem Geschwader durch das Ferntelephon das Kommando weiterzugeben, sofort mit Briketts auf höchste Dampfspannung zu feuern. Durch Flaggensignale wurde die Ordre sicherheitshalber wiederholt.

Während sie droben auf der Kommandobrücke die grauen Schattenbilder der fremden Panzerflotte noch beobachteten, setzte diese ruhig ihre Fahrt mit Gegenkurs fort. Das Führerschiff wühlte gewaltige Schaummassen wie explodierende Riesenfontänen vor sich auf, die in sich zusammensinkend das Vorschiff mit einem Sprühregen grauer Wasser verhüllten.

In wenigen Minuten begann der stählerne Bau der »Connecticut« von innen heraus Leben zu gewinnen. Gellende Hornsignale, schnarrendes Klingeln und hellläutende Metallglocken, erregte Schreie und trappelndes Hin- und Herlaufen tönte von unten herauf.

Inmitten der über Deck hinströmenden Wasser erschienen die Matrosen in ihren schmutzig-weißen Anzügen und zerrten von den Geschützrohren der Türme die langen, schlauchartigen Zeugüberzüge herunter, und durch das Tosen des Windes und das Poltern der überkommenden Wellenspritzer hörte man aus der Kuppelwölbung der Türme seltsam fremd und hart hallende Kommandorufe. Die Artilleristen eilten an ihre Geschütze.

Dick und schwarz quollen aus den gelbbraunen Schloten mächtige Rauchmassen, die, aber, kaum aus den Schornsteinöffnungen heraus, vom Sturme zerrissen und aufgelöst wurden. Die Reservemannschaften zur Bedienung der Signalapparate auf der Brücke traten an, ebenso die Offiziere der Feuerbeobachtung.

Ein Leutnant kletterte eilig die eiserne Treppe zum Krähennest oben am Vordermast empor. Zwei andere Offiziere und einige Kadetten folgten ihnen bis zur Plattform über dem Kommandoturm, wo sich die Entfernungsmesser der Feuerleitung befanden. Ordonnanzen kamen und meldeten und verschwanden. Alles das war das Werk weniger Minuten. Kapitän Farlow schmunzelte, die Feuerprobe unter den Augen des Admirals war gut bestanden. Jetzt meldeten die anderen Schiffe, daß sie gefechtsklar seien. Gerade als die bunten Wimpel an den Masten emporstiegen, brach die Sonne einen Augenblick durch das finstere Schwarzgewölk. Eine im Sonnenlicht gleißende Welt weißen Eisens, so zogen die sechs mächtigen Schiffe eins hinter dem anderen ihre Bahn. Über ihren im rauschenden Wogendrang auf- und niederwuchtenden schaumüberspülten weißen Leibern die langen gelbbraunen Schornsteine mit wehenden Rauchfahnen und die starren Masten. Die Aufbauten der Decks überspann der kurze Sonnenblick mit einem funkelnden Geschmeide blitzenden Tropfengeriesels. Dann erlosch die Sonne, und das majestätische Bild versank wieder im Grau der heranjagenden Wolken.

»Sollen wir vom Kommandoturme aus …?« fragte der Geschwaderartillerieoffizier den Admiral.

»O nein, bleiben wir hier,« versetzte dieser, der eifrig durch sein Glas die gelbe Flotte beobachtete. »Welches Schiff ist denn das erste?« fragte er dann.

»Ich denke,« sagte der neben ihm stehende Kommandant, »die ›Iowa‹.« Doch der Sturm blies ihm förmlich das Wort vom Munde weg.

»Wie meinen Sie?« schrie der Admiral zurück.

»Iowa,« wiederholte Farlow.

»Gott bewahre, ›Iowa‹ ist viel kleiner, hat auch nur einen Mast. Der drüben hat auch in der Mitte noch einen Turm mehr.«

»Nein, ›Iowa‹ ist's nicht,« bestätigte der Kapitän, »aber zwei Schornsteine … welches Schiff kann es denn sonst …?«

»Die Schiffe sind auch grau gestrichen, nicht weiß wie die unseren. Das ist gar nicht die gelbe Flotte,« unterbrach ihn der Admiral, »das ist, das ist –, ja, mein Gott, was ist denn das nur?«

Er starrte noch einmal hinüber und sah, wie auf dem Führerschiff drüben an den Masten zahllose kleine Flaggen emporkletterten – ein Signal – dann schwang der vordere Panzerturm mit den beiden riesenlangen Rohren langsam nach Steuerbord hinüber, die anderen Türme drehten gleichfalls und dann leckte eine gelbe Flamme aus der Mündung beider Rohre des vorderen Turmes hervor, die Rauchwolke zerstob im Sausen des Sturmes, und drei Sekunden später platzte auf dem Deck der »Connecticut« zwischen der Basis der Kommandobrücke und dem vorderen Geschützturm eine Granate, mit furchtbarem Getöse ihre Splitter bis auf die Kommandobrücke schleudernd, von denen einer dem Leutnant bei den Signalapparaten den Kopf wegriß. Das zweite Geschoß schlug dicht über den Scharten der beiden zwölfzölligen Geschütze des vorderen Turmes ein, in der Panzerdecke ein großes Loch mit ausgezackten Rändern zurücklassend, aus dem ein von Flammenblitzen durchzuckter schwarzer Rauchstoß hervorquoll, den der Wind in lange Streifen zerblies. Ein gellender Schrei aus dem Innern folgte dieser Explosion der neben den Geschützen bereitliegenden Kartuschen. Der vordere Turm war außer Gefecht gesetzt.

Sekundenlang war alles auf der Kommandobrücke wie betäubt. Die Gedanken jagten sich mit Blitzesschnelle.

Ein Zufall …? Unmöglich, denn in demselben Moment, wo die beiden scharfen Schüsse des Führerschiffes fielen, begann die gesamte Flotte drüben zu feuern und Admiral Sperrys Geschwader mit Geschossen aus allen Kalibern zu überschütten. Der Admiral ergriff in sinnloser Wut Kapitän Farlows Arm und schüttelte ihn hin und her.

»Das ist,« schrie er, »das ist … Mensch, das sind die Japaner. Das ist der Feind, der uns überfällt, mitten im Frieden. Aber nun, Herrgott, gieb mir klare Gedanken! Kopf hoch! Seien wir amerikanische Männer!« Kaum hörte er noch, wie ihm der Geschwaderartillerieoffizier zurief: »Das ist die japanische ›Satsuma‹, das ist Togos ›Satsuma‹!«

Der Admiral war mit einem Satze an den Signalapparaten, griff in die Kurbeln und brüllte in das Telephon der Artillerieleitung hinein: »Feindlicher Angriff! … Japaner! … Scharfe Munition an alle Geschütze! Wir sind überfallen!« Und dann zu den Offizieren auf der Brücke: »Auf die Stationen, meine Herren! In den Kommandoturm! Schnell, schnell!«

Und es war in der Tat die höchste Zeit. Kaum hatte der Admiral, über die Leiche eines Signalmaaten hinstolpernd, den Kommandoturm erreicht, so fegte auch schon der prasselnde Hagelschlag feindlicher Kleinkaliber über die Kommandobrücke hin, auf der kein Lebender zurückblieb.

Da kein Offizier in der Nähe war, ging Kapitän Farlow an die Signalleitung, um die Befehle des Admirals nach unten weiterzugeben. Nach todesbangen endlosen Minuten erst kamen zwei Leutnants durch den Panzerschacht in den Turm herauf. Der eine trat an das Dampfruder.

Die »Connecticut«, die einen Moment ohne Führung gewesen war, da der Mann am Ruder auf der Brücke durch eine berstende Granate getötet und sein Körper förmlich durch die Speichen des Rades hindurchgetrieben war, schwankte unter den schweren Stößen auftreffender feindlicher Panzergranaten wie betrunken hin und her. Jetzt hatte sie wieder Kurs. Ruhig und bestimmt gab der Kommandant seine Befehle.

»Endlich, endlich!« rief der Admiral, als ein paar vereinzelte Schüsse von der »Connecticut« dem Feinde antworteten. Aber es waren nur die wirkungslos verpuffenden Ladungen der Manöverkartuschen, die noch in den Rohren gesteckt hatten.

Hatte schon auf der Brücke der Beginn des feindlichen Feuers seine momentan jede Willensenergie lähmende Wirkung auf den Kommandanten und die Offiziere der »Connecticut« ausgeübt, so war das in ganz anderm Maße bei der Mannschaft der Fall. Das Krachen der in die Decksaufbauten einschlagenden schweren Stahlgeschosse, die Explosion im vorderen Geschützturme und mehrere rasch aufeinanderfolgende Treffer durch die ungepanzerte Steuerbordwand des Vorschiffes – Sprenggranaten, die dort gräßliche Verwüstungen anrichteten und alle Räume mit den giftigen Gasen des Schimose-Pulver erfüllten, – dazu die auf allen Alarmstationen unablässig schrillenden Klingelsignale raubten den Leuten unter Deck die Besinnung und jede Überlegung.

Im ersten Augenblick dachte man an ein Unglück, und ohne ein Signal von oben abzuwarten, wurden sofort die Feuerlöscheinrichtungen klar gemacht. Die Glocken an allen Signalstationen lärmten unablässig weiter, und das schmetternde Krachen, das den Schiffskörper fortwährend erschütterte, wurde immer stärker, und dann kam die schier unfaßbare Kunde, daß man unvorbereitet dem Feinde, einer japanischen Flotte, gegenüberstand.

Alles das vollzog sich mit Sekundenschnelle und brach rascher herein, als daß es menschliche Nerven erfassen und zu klaren Gedanken verarbeiten konnten. Die Detonationen der feindlichen Sprenggranaten, das dumpfe polternde Krachen gegen die Panzerwände der Kasematten und Türme wuchs zu einem Höllenlärm an, in den die menschliche Stimme einfach unterging. Blasses Entsetzen spiegelte sich auf allen Gesichtern wider. Man mußte erst das beklemmende, atemraubende Gefühl niederkämpfen, daß man mitten aus einer friedlichen Manöverfahrt ahnungslos in den blutigen Ernst des Krieges überging. Man kann wohl Maschinen durch einen Hebeldruck in einer Sekunde von rückwärts auf vorwärts umsteuern, aber keine Menschen.

Wohl hörte man die Befehle, wohl faßte der Geist nach einigen Sekunden der Besinnung die furchtbare Wahrheit, aber die Glieder versagten den Dienst. Das kam zu rasch, es war einfach unmöglich, so schnell wie des Feindes Stahlgeschosse die Decksbauten demolierten, so schnell klaren Sinnes der Situation Herr zu werden und die Befehlsworte in Taten umzusetzen. Viele von den Mannschaften standen einfach wie angewurzelt und starrten dumpf vor sich hin. Einige lachten oder schrien, andere taten ganz sinnlose Dinge, drehten an den Ventilrädchen der Heizdampfleitungen, schleppten ganz unnötige Gegenstände hin und her, und erst das kräftige Zupacken der Offiziere und Unteroffiziere brachte die Leute wieder zur Besinnung.

Man rief nach den Schlüsseln zu den Munitionskammern, man suchte den Artillerieoffizier und jagte ihm durch die von giftigen Schimosedämpfen durchwehten Gänge nach, man lief dahin, wo jemand rief, er habe eben den Artillerieoffizier gesehen. Der lag längst auf der vorderen Kommandobrücke von feindlichen Geschossen zu einer unkenntlichen Masse zerrissen.

Schließlich stürmte ein junger Leutnant, dem das Blut in hellroten Streifen über das Gesicht rann, in die Kajüte des Kommandanten, erbrach mit einem Seitengewehr den Wandschrank neben dem Schreibtisch und entnahm ihm die Schlüssel zu den Munitionsräumen. Und nun hinunter über die Treppen und durch die engen Löcher der Schotten, wo das Getöse der einschlagenden feindlichen Geschosse allmählich dumpfer klang. Da endlich die Tür der Granatkammer für die Achtzöller des vorderen Steuerbordturmes.

Drinnen rasten und hämmerten die Klingeln, vergebens nach Geschossen rufend. Immer noch schwiegen die Geschütze der »Connecticut«.

Der seinen drei Leuten vorauseilende Unteroffizier stand jetzt am Telephon.

»Panzergranaten, schnell!« kam von oben der eindringliche Befehl. Mit kräftigen Armen zupackend hoben, da die offenbar nicht an den elektrischen Strom angeschlossene Hebevorrichtung versagte, die beiden Matrosen die über zwei Zentner schwere Granate in das Gestell des Geschoßaufzuges. Automatisch setzte sich dieser in Bewegung.

»Gott sei Dank!« sagte der den Turm kommandierende Leutnant, als die erste Granate aus dem dunklen Schacht des Aufzuges auf der Ladeschale erschien. Hinein damit in das Ladeloch des Rohrs, hinterher die beiden Kartuschen. Als der Leutnant seinen Posten als Kommandant des Turmes am Fernrohrvisier unter der mittleren der drei die Turmdecke überragenden Zielhauben einnahm, um von dort aus den beiden Geschützen die Seitenrichtung zu geben, kam aus der Kommandozentrale die Anweisung, das Vorschiff des feindlichen Führerschiffes »Satsuma« unter Feuer zu nehmen. Entfernung 2800 Yards. So nahe war der Feind schon heran. Auf diese lächerlich geringe, allen Regeln der Theorie gröblich widersprechende Entfernung eröffneten die Amerikaner das Feuer.

»2800 Yards, rechts unterhalb des ersten Geschützturmes der ›Satsuma‹,« rief der Leutnant den beiden Geschützführern zu. Die nahmen die Höhenrichtung und warteten jetzt den letzten Teil der Schwingung des sich unter dem Druck der Wogen nach Backbord überneigenden Schiffskörpers der »Connecticut« ab, nun war der Höhepunkt erreicht, es ging wieder abwärts. Zerfetzte Wolken huschten über das Gesichtsfeld des Visierfernrohres. Da der helle Sonnenfleck über dem Horizont. Dunkelbrauner Rauch! Jetzt wuchs der Vordermast der »Satsuma« mit den bunten Farbenflecken seiner Signalflaggen in das Sehfeld hinein … Eine letzte rasche Korrektur der Höhenrichtung … Ein Druck auf die Pistole des elektrischen Abzuges. Feuer! Die von den sprühenden Blitzen des Geschützfeuers durchzuckte graue Silhouette der »Satsuma« stieg schnell über den runden Lichtkreis empor, dann stürzende schäumende Wellen, hoch aufgepeitschte Wassersäulen einfallender Granaten …

Der laut hallende Donner des Schusses, des ersten scharfen Schusses auf amerikanischer Seite, ward überall wie eine nervenbefreiende Entlastung von unerträglichem Druck empfunden.

Während das rechte Rohr wieder geladen wurde und aus dem geöffneten Verschluß stinkende Pulvergase den engen Raum des Turmes erfüllten, suchte der Leutnant drüben nach einer Wirkung des Schusses. Der Sturm pfiff sausend durch den Sehschlitz und blies dem Leutnant schmerzend in die Augen. Drüben war keine Verletzung an der »Satsuma« zu bemerken. Das da vorn waren nur die an der Bordwand emporstiebenden Schaumspritzer.

»Zweihundertfünfzig Yards zu weit,« kam es durch das Telephon, und auf der durch den Schein der elektrischen Lampe schwach beleuchteten Glasplatte des Entfernungsanzeigers erschien die Zahl 2650.

»2650 Yards!« wiederholte der Leutnant zu dem Geschützführer des linken Rohres und gab selbst die Seitenrichtung. Jetzt neigte sich die »Connecticut« wieder nach Backbord. Dumpf rollte der Donner des Schusses über die heranjagenden Wogen des Pacific.

»Diese Hunde, diese Hunde!« schrie der Leutnant, »die Granate platzt ja schon auf tausend Yards! … Was sind denn das für jammervolle Zünder?«

»Schlechter Schuß,« klang es vorwurfsvoll aus dem Telephon, »nehmen Sie Aufschlagszünder!«

»Sind Aufschlagszünder, aber sie versagen, taugen nichts!« brüllte der Leutnant in den Schalltrichter hinein, stieg in den Turm hinab und untersuchte die neue Granate auf der Ladeschale, bevor sie in das Rohr eingeführt wurde.

»Ist in Ordnung, ganz richtig,« sagte er laut und fügte für sich einen Fluch hinabwürgend hinzu: »Um Himmelswillen, nur das die Leute nicht merken lassen!«

Wieder ein Schuß, wieder platzte die Granate ein paar hundert Yards von der »Connecticut«, den Rand einer heranschäumenden Woge zerreißend.

»Verdammte Gesellschaft, betrügen den eigenen Staat! Das sollen Aufschlagszünder sein! Mit solchen Geschossen sind wir einfach verraten und verkauft,« heulte der Leutnant in ohnmächtiger Wut vor sich hin.

Wieder kam die Mahnung von oben: »Schlechter Schuß, Aufschlagszünder!«

»Sind Aufschlagszünder,« rief der Leutnant in fürchterlichster Erregung zurück, »die Granaten taugen nichts, die verdammten Lieferanten haben uns wieder betrogen.«

»Mit Sprenggranaten auf das Vorschiff der ›Satsuma‹!« erklang jetzt der Befehl aus der Wand.

»Sprenggranaten von unten!« kommandierte der Leutnant, und »Sprenggranaten von unten!« wiederholte der Mann am Aufzug in das Telephon zur Munitionskammer.

Immer noch förderte der Aufzug die blauen Panzergranaten. Fünfmal noch, dann hielt der Aufzug.

Bei einer sekundenlangen Pause im Feuer diesseits und jenseits hörte man deutlich das Surren und Schnurren des elektrischen Antriebes des Aufzuges. Dann hob er sich wieder und jetzt erschien eine rote Sprenggranate.

»Vorschiff der ›Satsuma‹, 1950 Yards!«

Schwer legte sich die »Connecticut« nach Steuerbord über, rauschend schlugen die Wasser über die Reeling, in strömenden Sturzbächen zwischen den Panzertürmen durchschießend, dann ging es nach der anderen Seite. Der Schuß krachte.

»Endlich,« rief der Leutnant mit stolzer Freude und zeigte durch den Seeschlitz hinüber. Oben in der Reeling der »Satsuma« dicht vor dem kleinen 12 cm fehlte ein Stück, als die Rauchwolke der platzenden Brisanzgranate zerflatterte.

»Guter Schuß,« kam es von oben, »weiter mit Sprenggranaten feuern!«

1850 sagte lautlos die Zahlenreihe des Entfernungsanzeigers. Helles betäubendes Krachen von unten, ein scharfes knirschendes Klingen von zerreißendem Eisen. Eine feindliche Granate war schräg unterhalb des Turmes in das Vorschiff der »Connecticut« gefahren. Wallender schwarzer Qualm benahm jeden Ausblick durch die Sehschlitze.

»Vier Grad höhere Elevation!« kommandierte der Geschützführer.

»Noch nicht,« knurrte er unwirsch, »noch drei Grad höher!«

Er wartete wieder die Schwingung der »Connecticut« nach Backbord ab.

»Was ist denn das?«

»Höhere Elevation in den Türmen nehmen! ›Connecticut‹ hat Schlagseite nach Steuerbord, Wassereinbruch in die Schotten,« sagte das Telephon. »Drei Grad höher!« kommandierte der Geschützführer.

Das linke Rohr feuerte.

»Famos,« rief der Leutnant, »der war vorzüglich, ganz famos! Aber tiefer, tiefer! Wir schießen ihnen da oben nur das Blech entzwei,« und der Turm fuhr fort zu feuern.

Die Türme an der Steuerbordseite erhielten Treffer über Treffer, mit lautem Krachen explodierten die feindlichen Projektile an den Panzerwänden. Wie von elektrischen Entladungen getroffen wurden die Kanoniere von den dröhnenden Wänden zurückgeworfen. Fast taub waren die Leute durch den furchtbaren Lärm. Jedes Kommando mußte gebrüllt werden.

Der rasende Sturm und der hohe Seegang behinderte zudem die Amerikaner am Gebrauche eines Teiles ihrer Geschütze. Während die Sprenggranaten der schweren feindlichen Mittelartillerie die Decksbauten der Amerikaner demolierten und durch die ungeschützten Teile der Bordwände glatt hindurchfuhren, im Innern grauenhafte Zerstörungen anrichtend und die Besatzung schnell dezimierend, mußte die leichte amerikanische Mittelartillerie schweigen.

Zwar hatte man versucht, die siebenzölligen Geschütze der Steuerbordkasematte ins Feuer zu bringen, aber vergebens. Wohl standen die Artilleristen an ihren Geschützen, bereit ihre Granaten zum Feinde hinüberzusenden, aber es war unmöglich. Kaum hatte man das Ziel gefaßt, so verschwand es, verschwanden die feindlichen Schiffe stets in demselben grünglasigen, schäumenden Nichts der sich an der Schiffswand brechenden Wogen. Das Wasser drang mit der Gewalt eines Pumpenstrahles durch die Scharten der Schutzschilde und füllte die Kasematte, sodaß die Geschützbedienung bis an die Brust im Wasser stand. Schließlich ließ man die Türen des Panzerschotts hinter den Geschützen auf, um des Wassers Herr zu werden, tauschte dafür aber den Nachteil ein, daß das nach Backbord abfließende Wasser beim nächsten Überholen des Schiffes von rückwärts wieder hereinschoß und sich in dem von der Außenwand und dem Deck gebildeten Winkel schräg anstaute, und in diesem steten Kampf mit den Wogen dort draußen und dem hin- und herschwappenden Wasser im Innern war ein Zielen und demzufolge ein irgendwie erfolgreiches Eingreifen der Kasematte in den Kampf ausgeschlossen. So ließ man das Feuer hier stoppen, ließ die Artilleristen abtreten und benutzte sie ebenso wie die Mannschaften der übrigens schon gänzlich demolierten Kleinartillerie auf dem Oberdeck als Ablösung für die Turmgeschütze, eine Maßnahme, die sich bei den großen Verlusten durch das feindliche Feuer sehr bald als notwendig erwies.

Somit hatten auf unserer Seite lediglich die Zwölf- und Achtzöller in den Türmen den Kampf zu führen, während der Feind seine sämtlichen Breitseiten an Steuerbord, die durch überkommende Seen in keiner Weise beeinträchtigt wurden, im Feuer hatte. Und dieses Übergewicht hatte sich in den ersten elf Minuten der Schlacht, bevor die überraschten Amerikaner antworten konnten, so furchtbar geltend gemacht, daß die Decks der amerikanischen Schiffe, insbesondere des Admiralschiffes, schon einer wilden Trümmerstätte glichen, ehe der erste Schuß fiel. In das wüste Gewirr zerschossener Brücken, aufgerissener Decksaufbauten, auf die Bootsbarrings mit ihren durch explodierende Granaten in Brand gesetzten Booten, in dieses qualmende Chaos stürzten jetzt die riesigen Schornsteine, fielen von oben herabgeschossene Teile der stählernen Masten. Die vielfach auf den Decks entstandenen Brände wurden freilich durch das in die Räume einströmende Wasser meistens wieder gelöscht, dennoch brannte das Achterschiff der »Vermont«, und durch die klaffenden Schußlöcher konnte man im Innern die Flammen wüten sehen.

In dem dumpfen, engen Raume des Kommandoturmes verfolgte Admiral Sperry mit dem Kommandanten und den Offizieren des Stabes den Gang der Schlacht. Die von Offizieren kaltblütig bedienten Entfernungsmesser gaben die Zahlen der Distanz vom feindlichen Geschwader in die Türme und Kasematten weiter, und der Leutnant auf dem Feuerbeobachtungsstande oberhalb des Kommandoturmes meldete lakonisch die Resultate der eigenen Artillerie und gab die nötigen Korrekturen, die dann durchs Telephon den einzelnen Türmen zugerufen wurden. Das Überholen der Schiffskörper in den anrollenden Seen gebot ganz von selbst gewisse Feuerpausen.

Die Meldung des vorderen achtzölligen Turmes, daß eine Serie Granaten unzuverlässige Zünder habe, löste auch im Kommandoturme ein heiliges Donnerwetter von Flüchen aus über die Kommission, die solch unbrauchbares Zeug abgenommen habe. Aber sofort machte sich eine andere viel ernstere Sorge geltend.

Noch vor Beginn des amerikanischen Feuers hatten japanische Granaten hinter dem Vordersteven der »Connecticut« ein paar mächtige Löcher in die ungeschützte Steuerbordwand über dem schmalen Panzergürtel gerissen, durch die die Wogen rauschend einströmten und alle inneren Räume völlig überschwemmten. Da die Panzergrätings über den nach unten führenden Niedergängen gleichfalls zertrümmert oder noch nicht geschlossen gewesen waren, füllten sich mehrere Abteilungen des Vorschiffes mit Wasser. Ein Betreten der Räume unter dem Panzerdeck und ein Schließen der Niedergänge war wegen der durch die riesigen Schußlöcher ständig hereinflutenden Wassermassen unmöglich. Die Pumpen waren machtlos, aber glücklicherweise hielten die nächsten Schottwände dicht. Trotzdem steckte die »Connecticut« die Nase tief in die See und bot somit den herandrängenden Wogen einen immer größeren Widerstand. Kapitän Farlow gab deshalb Befehl, einige wasserdichte Abteilungen des Achterschiffes gleichfalls volllaufen zu lassen, um der »Connecticut« die Gleichgewichtslage wieder zu geben. Übrigens herrschten, wie sich aus den Meldungen ergab, auf drei anderen Schiffen dieselben Zustände.

Aber kaum hatte man diese Havarie leidlich wieder ausgeglichen, so wurde ein neues Unglück gemeldet. Zwei japanische Granaten durchschlugen, nebeneinander auftreffend, beim Überholen des Schiffes nach Backbord unterhalb des Panzergürtels die ungeschützte Flanke unmittelbar vor den Kesselräumen, die nächsten Schotten konnten dem ungeheueren Druck des einströmenden Wassers nicht widerstehen, brachen durch, und die »Connecticut« erhielt nunmehr eine schwere Schlagseite nach Steuerbord, und da die Geschütze infolgedessen nicht mehr die nötige Elevation erhalten konnten, mußte man ebenfalls einige Backbordabteilungen mit Wasser füllen. Dadurch sank der Schiffskörper immer tiefer ein und der Panzergürtel geriet völlig unter die ideelle Wasserlinie. Das durch die Schußlöcher einströmende Wasser stand bereits in den Gängen oberhalb des Panzerdecks. Das Herumtappen in diesen klatschend hin- und herschießenden Wasserfluten, die fortwährend einschlagenden feindlichen Geschosse, das Jammern und Stöhnen der Verwundeten und die vergeblichen Versuche, nach Steuerbord Kollisionsmatten auszubringen, Vorkehrungen, die schon mehr Rettungsarbeiten glichen und große Menschenverluste kosteten, begannen bereits die Widerstandskraft der Besatzung zu erschüttern.

Da die Meldungen von unten immer trüber lauteten, schickte Kapitän Farlow den Leutnant Kaiser mit dem Auftrage hinunter, ihm über den Zustand der Räume über dem Panzerdeck Bericht zu erstatten. Der Leutnant wollte seinen Posten am Telephon seinem Kameraden Curtis übergeben, aber der antwortete auf den Anruf nicht mehr. Zwischen zwei tote Signalgäste eingeklemmt lehnte er zwar immer noch über sein Telephon gebückt, aber ein eingedrungenes Sprengstück hatte ihm die vordere Gesichtshälfte weggerissen … Der Leutnant Kaiser wandte sich vor Entsetzen fröstelnd ab, ein Midshipman trat an seine Stelle, und er verließ den von sausenden Granatsplittern umklirrten Kommandoturm.

Unten überall dasselbe Bild, rauschende an den Wänden hochspritzende Wasserfluten in allen Gängen, Verwundetentransporte, die sich mit Mühe ihren Weg schafften. Unweit des Niederganges zum Lazarett lag der blutjunge Midshipman Malion zusammengekrümmt in einer Ecke, hielt mit beiden Händen die aus einer klaffenden Unterleibswunde hervorquellenden Eingeweide zurück und jammerte herzzerreißend, man möchte ihn durch eine Kugel erlösen. Herrgott, was war aus dem frischen, lustigen Jungen geworden. Aber nur nicht denken! Nur immer weiter! Nicht um Menschenqual und Menschenjammer ging es hier, sondern darum, ob die Stahlwände hielten, ob die Maschinen ausdauerten.

»Schießt mich nieder, erlöst mich!« verklang das Schreien des sterbenden Freundes hinter dem Leutnant. Dort kauerte der Matrose Ralling, der damals in Newport News noch mit der Gig gesiegt hatte, ein braver Bursche aus Maryland; er starrte blöde vor sich hin, blutigen Schaum vor dem Munde. Lungenschuß wohl, dachte der Leutnant. Aber weiter, nur nicht stehen bleiben, weiter, weiter! Nur nicht denken!

Das schwarze Wasser gurgelte und quirlte um die Füße des Davoneilenden, schluchzte hohl auf, wenn es beim Überholen des Schiffes gegen die Wand des Ganges anschlug und flutete dann rauschend zurück.

»Was war das?« – Der Leutnant hatte die Gegend der Offiziersmesse erreicht – Musik? Wahrhaftig Musik! Der Leutnant riß die Tür auf und mußte an eine Spukerscheinung glauben. Da saß sein Freund, sein Crewkamerad Leutnant Besser am Klavier und hämmerte wie wild auf den Tasten. Derselbe Jonny Besser, den sie wegen seiner theologischen Liebhabereien den Reverend nannten, derselbe Jonny Besser, der nach Mitternacht noch über die verzwicktesten Probleme der heiligen Schrift diskutieren konnte, derselbe Jonny Besser, der jeden Tropfen Whisky verschmähte. Der Leutnant sprang empört auf seinen Kameraden zu, packte ihn am Arm und schrie ihn an: »Jonny, was machst Du hier? Bist Du betrunken?«

Jonny schlug weiter auf den Tasten ein und begann mit fremder unheimlicher Stimme das alte Matrosenlied zu singen:

Tom Brown's mother she likes Whiskey in her tea
As we go rolling home
Glory, Glory Hallelujah.

Und Glory, Glory Hallelujah antworteten gröhlend zwei Neger der Besatzung, die anscheinend schwer betrunken, Whiskyflaschen, denen die Hälse abgeschlagen waren, in den Händen schwingend, zwischen den umgefallenen Stühlen der Messe wild herumhopsten.

Dem Leutnant grauste. Er wollte Jonny vom Klavier wegzerren. Aber der Widerstand, den der Geistesgestörte leistete, war zu kräftig.

Tow Brown's mother she likes Whiskey in her tea

klang es von neuem. Die Nigger tanzten und brüllten. Der Leutnant versetzte dem nächsten einen Faustschlag ins Gesicht, der andere warf eine Whiskyflasche nach ihm, die splitternd an der Schiffswand zerplatzte. Draußen heulte das Toben der Seeschlacht. Von Grauen geschüttelt warf Leutnant Kaiser die Tür der Messe hinter sich zu.

Glory, Glory Hallelujah

Dann eilte er nach oben. Wie er Jonny, dem die Schrecken der Schlacht den Verstand geraubt hatten, dort unten getroffen hatte, behielt er für sich.

Als der Leutnant wieder im Kommandoturm anlangte und dem Kommandanten von dem, was er gesehen, Bericht erstattete, hatten sich inzwischen beide Flotten passiert und waren auf parallelem Kurse aneinander vorbeigelaufen. Mit der Gewalt eines Orkanes fegten die feindlichen Granaten über die Decks der »Connecticut«. Längst hatte man die Artilleristen der Backbordartillerie zur Ausfüllung der Lücken in den Türmen an Steuerbord heranholen müssen. Nur wo die Toten den Raum beengten, wurden die Leichen noch fortgeschafft. Auch die Verwundeten ließ man schon liegen, wo sie lagen.

Da die beim Einschlagen feindlicher Granaten umherstiebenden Trümmerstücke der brennenden Boote an Deck gefährlich wurden, versuchte man diese mit den Krähnen über Bord zu schaffen. Aber nur auf der Backbordseite gelang es. Der Steuerbordkrahn wurde, als er gerade eine Barkasse zu heben begann, durch eine japanische Brisanzgranate, die auch den dahinterstehenden dritten Schornstein mit über Bord nahm, zerschmettert. Als Togos letztes Schiff die »Connecticut« hinter sich gelassen hatte, ragte über dem ein wildes Durcheinander zerschossenen und verbogenen Eisenwerks darstellenden Deck des Admiralschiffes nur noch ein Schornstein mit weitklaffenden Löchern und der halbe hintere Mast auf. Aus den Ruinen der Decksaufbauten schlugen die Flammen der Kesselfeuerungen und dicke Qualmwolken hoch empor.

Die japanischen Schiffe schienen in ihren vitalen Teilen unverwundbar zu sein. Wohl fehlte der »Satsuma« ein Schornstein, wohl waren beide Masten der »Kaschima« weggebrochen, aber außer einigen Schußlöchern über den hohen Panzergürteln und ein paar außer Gefecht gesetzten Geschützen, die ihre langen Rohre hilflos hoch in die Luft streckten, wies der Feind keine nennenswerten Verletzungen auf. Die elf Minuten, während welcher die japanischen Artilleristen allein das Feld beherrschten, hatten dem Feinde ein Übergewicht gegeben, das keine Tapferkeit und keine noch so entschlossene Energie mehr ausgleichen konnte. Dazu begannen die Teleskopsvisiere in vielen Türmen der amerikanischen Schiffe zu versagen. In fester Verbindung mit den Turmdecken verbogen sie sich, wenn auftreffende Granaten die Panzerwände erschütterten. So wurde das ohnehin durch den hohen Seegang und den vom Winde den Amerikanern entgegengetriebenen Rauch der feindlichen Geschütze behinderte Zielen vollends unsicher. Wohl hatte man beim Passieren des Feindes auf amerikanischer Seite auch die Torpedos klar gemacht, aber die blanken Metallfische wurden durch die heranstürmenden Wogen aus der Kursrichtung geworfen, und um durch die auf den Wogen treibenden Torpedos nicht die eigenen Schiffe zu gefährden, ließ Admiral Sperry durch Winkspruch schleunigst die weitere Verwendung dieser Waffe untersagen.

Dagegen trafen mehrere feindliche Torpedos. Seitwärts der sich gerade nach Backbord überlegenden »Kansas« erhob sich eine sprudelnde Gischtmasse, worauf aus allen Decksöffnungen, aus den Schußlöchern der Bordwände und aus den Türmen lohende Feuerstrahlen und schwarze Qualmwolken hervorbrachen. Schwer pendelte die »Kansas« nach Steuerbord zurück und versank dann augenblicklich in den Wellen. Der explodierende Torpedo mußte eine Munitionskammer getroffen haben. Auf der brennenden »Vermont« schien der Steuermechanismus zu versagen. Der Panzer schor scharf nach Backbord aus und bot dem Feinde sein von Rauchwolken umwirbeltes Heck, das sofort von japanischen Granaten zerfetzt und aufgerissen wurde. Die »Minnesota« trieb in hilfloser Lage, die Steuerbord-Reeling schon tief unter Wasser, während aus der Backbordseite die dicken Wasserstrahlen der Lenzpumpen quollen. Der Panzer blieb langsam zurück, worauf die schließende »New-Hampshire« ihn in feuerluv passierte, einen Moment ihren zerschossenen Körper deckte, sich dann aber den beiden einzigen noch leidlich intakten Schiffen Admiral Sperrys, der »Connecticut« und der »Louisiana« anschloß.

Als die feindliche Flotte allmählich nach hinten zurückblieb – die Schlacht hatte bis jetzt kaum eine halbe Stunde gedauert –, schöpfte Admiral Sperry einen Moment schon die Hoffnung, durch eine Schwenkung seiner drei Schiffe nach Steuerbord dem Feinde die Windseite abgewinnen und somit seine fast noch intakte Backbordartillerie ins Feuer bringen zu können. Doch bevor er noch den Befehl geben konnte, sah er die sechs feindlichen Panzer eine Wendung nach Backbord machen, eine Dwarslinie bilden und aus dieser wieder auf Gegenkurs zurückgehen, worauf sie unter gewaltiger Rauchentwicklung mit größter Geschwindigkeit den Amerikanern wieder aufdampften. Um das Unglück voll zu machen, meldete die »New-Hampshire« in diesem Augenblick eine schwere Kesselhavarie. Wollte der Admiral das Schiff nicht einfach seinem Schicksal überlassen, so mußte er mit den beiden anderen Schiffen ebenfalls auf sechs Seemeilen Fahrt herabgehen. Damit war alles entschieden.

Vergebens war es, daß Admiral Sperry mit seinen drei Schiffen nach Steuerbord schwenkte. Dank seiner überlegenen Geschwindigkeit konnte ihm der Feind, stets auf parallelem Kurse laufend, immer an Steuerbord bleiben. Ein Turm nach dem anderen wurde außer Gefecht gesetzt. Was half es jetzt, daß nun endlich doch noch die Kasematte mit ihren drei intakten Siebenzöllern an der Leeseite eingreifen konnte. Die Panzergranaten des Feindes zerrissen bei der kurzen Entfernung die Stahlwände der Kasematte und zerschmetterten die Lafetten. Die Feuerleitung versagte, die Drähte und Sprachrohre waren zerstört, jedes Geschütz war nur auf sich selbst angewiesen. Auf der »Louisiana« war die elektrische Leitung gänzlich außer Betrieb, da eine durch das Panzerdeck dringende Granate die Dynamos zerstört hatte. Da infolgedessen kein Turm mehr gedreht werden konnte und die Munitionsaufzüge stillstanden, war die »Louisiana« damit ein wehrloses Wrack geworden. Um 11 Uhr 15 versank sie in den Wellen, kurz darauf kenterte die »New-Hampshire«, die durch das über dem Panzerdeck stehende Wasser schwere Schlagseite nach Steuerbord erhalten hatte. Gegen 12 Uhr 30 war die »Connecticut« allein. Sie feuerte noch mit den beiden Zwölfzöllern aus dem Achterdeckturm und den beiden achtzölligen Türmen an Steuerbord.

Jetzt keilte sich ein großes Sprengstück in den Sehschlitz des Kommandoturmes und brach dessen schwere Panzerdecke aus den Fugen. Der nächste Treffer konnte vernichtend wirken. Admiral Sperry mußte seinen tapfer behaupteten Platz räumen. Unter dem klirrenden Hagel der Granatsplitter erreichte er – der Panzerschacht im Innern des Turmes war durch die dort eingezwängten Leichen zweier Signalgäste verstopft – die von der Brücke nach unten führende vom Blute der Gefallenen glitschig gewordene Treppe. Die vier letzten Stufen fehlten. An dem zu einem Reifen gebogenen Geländer ließ sich der Admiral vorsichtig hinab. Da zerriß, während die »Connecticut« sich tief nach Backbord neigte, eine Granate den auf der untersten Stufe der Treppe stehenden Kapitän Farlow. Der Admiral fing den blutüberströmten Körper seines treuen Gefährten in seinen Armen auf und lehnte ihn vorsichtig gegen die von dem Brandsatz der feindlichen Geschosse gelb gefärbte Wand des Gefechtsmastes.

Qualmende Trümmerhaufen überkletternd erreichte der Admiral durch die mit Sterbenden und Verwundeten gefüllten Treppen und durch die Gänge, in denen das eingedrungene Wasser die Leichen der Gefallenen hin- und herspülte, den Kommandostand unter dem Panzerdeck.

Hier liefen jetzt die Meldungen vom Feuerbeobachtungsstande des hinteren Mastes und aus den letzten noch besetzten Gefechtsstationen zusammen. Es war ein trostloses Bild, das der Admiral hier vom Zustand der »Connecticut« erhielt. Das dumpfe Tosen der Schlacht, das Poltern und Krachen der einschlagenden feindlichen Granaten, der erstickende Brandrauch, der durch alle Gänge sich ziehend bis hier nach unten drang, das taktmäßige stöhnende Arbeiten der Maschine und das Abrufen neuer Wassereinbrüche durch die Schottenposten vereinigte sich hier zu einer grausen Symphonie. Die Ventilatoren hatte man abstellen müssen, da sie anstatt Luft nur beißenden Qualm aus den Brandherden an Deck nach unten förderten. Furchtbar war die Anspannung der Nerven; sie waren auf dem Punkt, wo einem alles gleichgültig wird, wo man die Vernichtung als eine Erlösung erhofft.

Wer sagte da neben dem Admiral, neben dem Führer des Geschwaders, dem die Ehre des Sternenbanners anvertraut war, wer sagte da neben ihm etwas von der weißen Flagge? Es war ein schwerverwundeter Unteroffizier, der in wilden Fieberphantasien dumpf vor sich hinmurmelte. Um Gotteswillen, nur das nicht! Der Admiral wandte sich kurz um und schrie in die Leitung, die nach dem noch feuernden Achterturm ging: »Wacht über der Flagge, sie darf nicht herunter!«

Niemand antwortete, totes Eisen, totes Metall, kein Menschenlaut drang mehr in diese stählerne Gruft. Jetzt erlosch plötzlich ein Teil der elektrischen Lichter. Nein, nur nicht in dieser rauchigen Stahlschachtel hier unten sterben, nicht wie eine Maus in der Falle ersaufen! Hier war ja auch doch nichts mehr zu tun, da die meisten Leitungen nach oben versagten. Admiral Sperry übergab die Führung der »Connecticut« einem jungen Leutnant. »Lassen Sie feuern, was noch feuern kann!« Sinn hat es ja doch nicht mehr, setzte er leise für sich hinzu. Und dann kroch er durch einen niedrigen Schottendurchlaß, fühlte sich im Dunkeln an eine Treppe heran und tastete sich Stufe um Stufe empor. Jetzt griff er in etwas Weiches, Warmes, das laut aufstöhnte. Herrgott, ein Matrose, der seinen zerfetzten Körper in diesen Winkel geschleppt hatte. »Armer Kerl,« sagte der Admiral, der jetzt einsam und allein zum Deck seines verlorenen Schiffes hinaufstieg. Lauter und lauter donnerte das Tosen der Schlacht an sein Ohr, so, nun noch ein Deck. Jetzt war er oben unter der hinteren Kommandobrücke. Ein schwer verwundeter Signalgast lehnte an einem stehen gebliebenen Stück der Reeling, wie verloren mit dämmerndem Blick den Admiral anstarrend. »Signalleine noch klar?« fragte Sperry. »Ja,« sagte der Mann matt.

»Machen Sie Signal drei Hurras fürs Vaterland!« Blitzschnell flogen die bunten Fähnchen an der zur Gaffel führenden Leine empor, und stille ward es auf der »Connecticut«.

Die letzte Granate, die letzte Kartusche flog in das Ladeloch, noch einmal donnerten die heißen Rohre dem Feinde entgegen, dann ward es ruhig, und nur das Einschlagen der feindlichen Geschosse, das Knistern der Flammen und das Sausen des Windes war hörbar. Drüben verstummte jetzt ebenfalls das Feuer. Voran »Satsuma« und »Aki«, dann die vier anderen Schiffe, so rauschte des Feindes Geschwader heran, umflort von einem leichten Rauchschleier.

Hoch flatterte das zerfetzte Sternenbanner am Heck der »Connecticut«. Die paar Artilleristen, die noch an den Geschützen gestanden hatten, sie krochen hervor aus den Türmen, arbeiteten sich über zerschossene Treppen nach oben, 57 Mann, der Rest des stolzen Geschwaders. Drei Hurras für das Vaterland schollen aus den trockenen Kehlen der letzten Helden der »Connecticut«. »Drei Hurras für das Vaterland!« Admiral Sperry zog den Säbel und »hurra!« klang es noch einmal über die Wogen hin zu den Schiffen unter der blutig aufgehenden Sonne im weißen Felde. Und auch drüben mochten sich Erinnerungen an die alte Ritterzeit der Samurai regen, ein Signal erschien am Achtertop der »Satsuma« und am Heck aller sechs feindlichen Panzer senkten sich die Flaggen als letzter Gruß für einen tapferen Feind.

Dann legte sich die »Connecticut« mächtig nach Steuerbord über. Die nächste Woge vermochte den schweren, mit tausend Wunden klaffenden Schiffskörper nicht mehr zu heben, er sank und sank, und während Admiral Sperry sich an ein übrig gebliebenes Stück eines Geländers anklammerte und mit feuchten Augen dem Untergang entgegensah, klangen von dem in die Wogen eintauchenden Deck der »Connecticut« die in manchen Sturmestos und in manche Todesnot schon hinausgesungenen Worte des alten Siegesliedes: » Hail Columbia«. Dann verschwand das Admiralsschiff mit wehender Flagge langsam in den Wellen, im Wasser einen blutigen Schimmer zurücklassend. Das war das Ende.


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