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Ein Bruder in Not.

Ganz anders wie in Europa hatten die Ereignisse dieses Krieges in Australien gewirkt. Dort wußte man, daß dies nicht ein Krieg war, sondern der Krieg, der zugleich über die Zukunft Australiens entscheiden mußte. Vermochte dieser nach Osten gerichtete Mongolensturm auf dem Boden Nordamerikas ein Neuland zu erobern, erlosch auch nur ein Stern im blauen Felde der Unionsflagge, so war damit auch der Kontinent, der dort unten im Schatten Asiens lag, der mongolischen Rasse ausgeliefert.

Die sich überstürzenden Nachrichten vom philippinischen Archipel, von San Franzisco und die niederschmetternde Kunde von der Vernichtung der Pacificflotte fegten wie ein Wirbelsturm durch die Straßen Sidneys, Melbournes, Adelaides und führten in Wellington und Auckland zu gewaltigen Volkskundgebungen. Alle Geschäfte ruhten, man horchte nur auf den aus weiter Ferne herübertönenden Donner der Geschütze und dachte der Zukunft. Riesenhafte Volksversammlungen unter freiem Himmel und zahllose Straßenkundgebungen vor den amerikanischen Konsulaten legten Zeugnis davon ab, auf wessen Seite Australiens Herz schlug. Der fünfte Kontinent heischte jetzt in dieser Entscheidungsstunde seine politische Stellung im Rate der Völker.

In Sidney hatte man dem japanischen Konsul die Fenster eingeworfen. Von London aus, wo man vor jeder feindseligen Stellungnahme gegen das verbündete Japan zitterte, verlangte man kategorisch eine weitgehende Genugtuung: Salutierung der japanischen Flagge auf dem Konsulat durch eine Küstenbatterie usw. Die australische Regierung lehnte dies ab und verstand sich nur zu einer einfachen Erklärung des Bedauerns. Schließlich mußte sich der japanische Konsul in Sidney damit begnügen. In Tokio buchte man aber dies Ergebnis auf der Creditseite und schrieb es von der Dankesschuld für den 10. August 1904 ab, als die englische Flotte hinter Togos Linienschiffen die Wandeldekoration bildete.

Ein großer Teil der in Australien ansässigen Japaner hatte bereits vor Beginn des Krieges das Land verlassen, um sich der Invasionsarmee anzuschließen, und die Zurückbleibenden machten bald die Erfahrung, daß es für sie in der ganzen australischen Inselwelt keine Arbeit mehr gab, und als sie die Folgerung hieraus, den Platz zu räumen, nicht zogen, erinnerten australische Fäuste die Gelben daran, daß die Zeit der allgemeinen englisch-mongolischen Völkerverbrüderung vorüber sei. Hohnlachend verfrachtete man die letzten in Sidney auf einem englischen Dampfer. Sie mochten sehen, wo sie blieben. Auch die Chinesen begannen das Land zu verlassen, und wo sie nicht gutwillig gingen, wurde es ihnen sehr nachdrücklich zu Gemüte geführt, daß der gelbe Mann in Australien seine Rolle ausgespielt habe.

Australien, bisher nur ein Anhängsel der alten Welt, eine Kolonie, die ihr Blut von dem Herzen des britischen Reiches und ihre Gedanken von dem Nervenzentrum in Downingstreet erhalten hatte, Australien, das bis jetzt ein rein vegetatives Sonderdasein an der Peripherie des britischen Weltreiches geführt hatte, begann sich jetzt auf ein eigenes politisches Leben zu besinnen, und diese durch den Ausbruch des mongolischen Gewitters rapid beschleunigte Entwicklung war unaufhaltsam. Die Zeit war eben vorbei, da die europäischen Völker sagen konnten: die Weltgeschichte wird unter uns gemacht, die anderen Völker gehen uns nichts an.

Einmal schon hatte Australien aktiv in die Politik eingegriffen. Damals, als dem Union Jack Gefahr drohte, als britische Regimenter bei Magersfontein, bei Colenso und bei Graspan vor den Flinten eines Bauernvolkes dahinschmolzen, als Ladysmith belagert wurde und in Downingstreet bange Sorge herrschte um den Bestand des Imperiums, erging in ernster Stunde der Hilferuf an alle die Völker, die unter demselben Union Jack wohnten, an dessen Flaggenmast dort unten eine nervige Bauernfaust rüttelte. Und sie kamen, die kolonialen Hilfstruppen. Auf den Grasfeldern und vor den Kopjes Transvaals erwuchs ein australisches, ein kanadisches Heldentum. Schön sahen sie ja nicht aus, und salonfähig waren sie vielleicht nicht, diese prachtvollen Kerle aus dem australischen Busch, aber England nahm sie als Retter in heißer Not mit offnen Armen auf und – vergaß ihrer. Doch in Australien kann man jene Zeit nicht so bald vergessen. Es laufen dort noch zu viel Leute mit Holzbeinen und mit einem Arme herum. Aber das Gedächtnis der Männer in Downingstreet ist kurz, sie wußten nichts mehr von einer Dankesschuld an die Kolonien.

Um ihrer Kattunballen willen, um ihrer Exportlisten willen und wegen des indischen Besitzes warf die Londoner Regierung alle Traditionen des britischen Weltreiches über Bord und vergaß die Kulturaufgabe Alt-Englands, die Welt der angelsächsischen Rasse zu erobern und zu erhalten. Um der Kaufherren des City willen verriet Alt-England Größer-Britannien, das in den Berechnungen der Londoner Staatsmänner nur eine Zahl, nur ein Begriff war, während die Völker draußen gläubig die Entschlüsse der englischen Politik als das Evangelium britischer Macht Hinnahmen.

England reichte dem japanischen Parvenu die Hand zum Bündnis, denn es brauchte jemand, der ihm den russischen Rivalen bändigte.

Was England der mandschurische Feldzug gekostet hat, läßt sich genau auf Pfund und Schilling ausrechnen; mit ein paar hundert Millionen japanischer Anleihen hatte man den Zusammenbruch Rußlands erkauft, ein glattes Geschäft.

Aber schon redete Charles Dilke dem Volke ins Gewissen: »Noch eine japanische Anleihe« rief er, »heißt unserm schlimmsten handelspolitischen Rivalen ein scharf geschliffenes Dolchmesser in die Hand geben.«

Doch England knüpfte das Bündnis nach dem Kriege noch fester angesichts der japanischen Ameisen, die auch nach Indien heimlich hineinkrochen und dort dem Volke ins Ohr raunten, daß die Herrschaft von ein paar hunderttausend Weißen über 300 Millionen Inder nur von der Legende der Überlegenheit der weißen Rasse lebe, von einer Legende, die Mukden und Tsuschima vernichtend zerrissen hatten.

Schließlich konnte es einerlei sein, welche Politik die City guthieß, aber hier mutete man den Kolonien zu, allein die Kosten zu tragen. Das war der Dank für die Kriegshilfe in Südafrika, das war der Dank dafür, daß man in Ottawa, Kapstadt und Melbourne den englischen Waren Zollvergünstigungen bewilligte. Den Warnungen Sir Wilfried Lauriers, Seddons und Deakins zum Trotze, die die Gefahr greifbar vor Augen sahen, verlangte man in London von den Kolonien die Zulassung der uneingeschränkten japanischen Einwanderung, obgleich Hawais Beispiel zeigte, wie schnell der Kuli-Import eine angelsächsische Kolonie in eine japanische verwandelt.

Auch Südafrika band England mit mongolischen Minenarbeitern eine eiserne Rute, bis das Afrikanertum sich durch einen Akt der Selbsthilfe von dieser gelben Pest befreite.

Aus Rücksicht auf das verbündete Japan verlangte Downingstreet von Kanada und Australien, daß es den gelben Einwanderer als gleichberechtigt mit dem weißen Manne behandeln solle. Neuseelands Premierminister Seddon, dieser eigensinnige, in seiner Größe in Europa vollkommen unerkannte Mann, schlug auf seiner letzten Reise nach London am Beratungstisch der Kolonialkonferenz dröhnend mit der Faust auf die Platte und appellierte an das Gewissen Alt-Englands gegenüber der gelben Gefahr. Vergebens. Wenn er auch für Neuseeland auf den exklusiven Einwanderungsgesetzen bestand, so dauerte es doch noch Jahre bis Australien selber, bis Kanada, durch die hereinflutenden Massen japanischer Kulis an die drohende Gefahr für die Zukunft erinnert, sich zu einem energischen Widerstande aufrafften.

Im August 1908 kam dann die amerikanische Flotte. Wie ein Jubelsturm ging es durch die australischen Küstenstädte, und der Empfang der amerikanischen Marinesoldaten gab der Welt den Beweis, daß hier die Herzen zusammenschlugen in banger Sorge um zukünftige Katastrophen. Nie hat das Zusammengehörigkeitsgefühl der weißen Rasse, der angelsächsischen Rasse, solche Feste gefeiert, und als man sich die Hand zum Abschied drückte, wußte man, daß ein Bruder von dannen zog, mit dem man einst Seite an Seite stehen mußte, wenn der Tag der Entscheidung kam, wenn die Würfel darüber fielen, ob der Pacific angelsächsisch oder mongolisch sein sollte.

Nun war alles Wirklichkeit und furchtbares Ereignis geworden, was man damals als noch Jahrzehnte hinausgerückt sich gedacht hatte. Der gemeinsame japanische Feind stand auf dem Boden Nordamerikas. Die amerikanische Herrschaft war im ersten Anlauf von den Philippinen, von Hawai hinweggefegt worden und das große Brudervolk in den Vereinigten Staaten rang um seine Existenz, um sein Völkerdasein und um die Zukunft der weißen Rasse.

Wo war der allbritische Gedanke geblieben, der allbritische Gedanke, für den Australien, Kanada, Neuseeland einst ihre Söhne nach Südafrika geschickt hatten? England, das die hehre Aufgabe hatte, das Palladium angelsächsischer Herrschaft zu wahren, stand in diesem Kampfe abseits.

Nach Ottawa hatte das Kabinett von St. James die Mahnung gerichtet, einen Zuzug kanadischer Freiwilliger nach den Vereinigten Staaten nicht zu dulden, und nach Melbourne und Wellington war dieselbe Weisung ergangen. Aber auf der Werft von Esquimault durften japanische Schiffe ihre Havarien ausbessern und wie in allen Kriegen, wo immer sie geführt werden, machten englische Rhedereien profitable Kohlengeschäfte mit dem Feinde.

Als aber England den Versuch wagte, die europäischen Mächte zu bestimmen, gemeinsam auf Mexiko einen Druck auszuüben, um es zu veranlassen durch eine Zusammenziehung seiner Armee gegenüber El Paso dem fortwährenden Wechseln amerikanischer Freikorps über die Grenze – worüber man von Tokio aus Klage geführt hatte – ein Ende zu machen, da durchkreuzte Deutschland diesen Plan, indem es einfach erklärte, die im Jahre 1903 erfolgte Anerkennung der Monroedoktrin als politischen Grundsatz mache es ihm unmöglich, sich in die politischen Angelegenheiten Amerikas einzumischen. Aber trotz dieses Mißerfolges spielte das Kabinet von St. James die Rolle des internationalen Tugendwächters weiter und benutzte seinen durch die Bündnispolitik früherer Jahre begründeten Einfluß auf die europäischen Regierungen in der Richtung, daß es fortgesetzt vorsichtig jede Verletzung der Neutralität gegenüber Japan zu verhindern suchte.

Natürlich war die Sorge um Indien der Grund, daß der Staat, der sonst immer ganz nach Belieben bald diese bald jene Auffassung von Neutralitätspflichten vertreten hatte, jetzt plötzlich so moralische Anwandlungen bekam.

Sehr peinlich wurde es in London empfunden, als ein kanadisches Blatt im Juli die Unterredung mitteilte, die kurz vor Ausbruch des Krieges zwischen einem japanischen und einem englischen Diplomaten stattgefunden haben sollte. »Was wird im Kriegsfalle Großbritannien tun?« sollte dabei der Japaner gefragt haben, worauf er die vieldeutige Antwort erhielt: »Seine Pflicht.« Dann hatte der Japaner mit der dreisten Offenheit dieses Volkes, sobald er sich auf der Höhe der Situation weiß, erklärt: »Die Auffassung der Londoner Regierung von ihrer politischen Pflicht würde sich darnach richten müssen, daß die englische Herrschaft über Indien davon abhänge, ob in den Drähten, die die möglichen Aufstandsherde in Indien miteinander verbänden, von Tokio aus der Kontakt geschlossen werde oder nicht, und ob England eine Unterstützung der Union mit einem indischen Aufstande erkaufen wolle.

Diese durch eine merkwürdige Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangte und natürlich in London sofort abgeleugnete Unterredung erleuchtete mit einem Schlage Englands politische Situation. Japan verlangte keine direkte Unterstützung durch Kriegshilfe, wozu England nach dem Buchstaben des zweiten Vertrages mit Japan auch gar nicht verpflichtet war, es forderte aber in diesem Entscheidungskampfe von Großbritannien als dem Hüter der mobilen Kräfte des angelsächsischen Weltreiches eine wohlwollende Neutralität, also einen Verrat an der eigenen Rasse um Indiens willen.

Dieser politische Fechterkniff der japanischen Regierung war die Rache des gelben Mannes dafür, daß England mit halben Versprechungen Japan in den Krieg mit Rußland hineingetrieben hatte, aber nach dessen Ausbruch anstatt der erwarteten Kriegshilfe nur magere Sympathiekundgebungen bereit hatte.

Englands Verhängnis erfüllte sich jetzt: lockerer wurden die Fäden, die von Ottawa, Kapstadt, Melbourne und Wellington nach Downingstreet hinüberführten, gelockert nicht durch einen Schwerthieb, sondern durch die englische Politik selber.

War innerhalb des Imperiums aber kein Platz mehr für eine weiße Politik, nun so mußte Australien, so mußte Kanada die lästigen Fesseln zerreißen, die den weißen Mann unter dem Union Jack dem Mongolentum gebunden zu überliefern drohten.

Solcher Entschluß war nicht leicht, und Monate dauerte es, bis man sich zu ihm durchrang. Ende August forderte eines Tages die gesamte australische Presse zur Anwerbung von Freiwilligen für die amerikanische Armee auf. Tausende meldeten sich, und die reichen Geldmittel, nach deren Herkunft niemand fragte, genügten vollauf zur Ausrüstung und Uniformierung dieser Leute.

Ein energischer japanischer Protest über London, wurde dahin beantwortet, daß die australische Regierung offiziell keine Kenntnis von der Anwerbung von Freiwilligen für die Union besitze, und daß sie infolgedessen auch nicht in der Lage sei, in eine solche Bewegung einzugreifen.

Es herrschte eine fröhliche Zuversicht unter den Freiwilligen. Man zog ins Feld, um dem großen Bruder, der langsam zu verbluten drohte, in seiner Not zu helfen. Das Rassengefühl des weißen Mannes war erwacht und war unwiderstehlich gegenüber jedem Mongolensturm. Im Oktober bereits gingen die ersten Dampfer voll Freiwilliger ab. Da es keine japanischen und chinesischen Spione mehr gab, und da der gesamte Depeschen- und Nachrichtendienst von der Regierung streng überwacht wurde, blieb die Abfahrt der Dampfer dem Feinde verborgen. Aus Rücksicht auf die bei der Magalhaensstraße kreuzenden japanischen Schiffe wählte man den Weg über Suez, und unbelästigt trafen die Dampfer in Hampton Roads ein.

Überall, wo das Gewissen der angelsächsischen Rasse nicht in Kattunballen und nicht in Börsenpapieren steckte, überall, wo das Solidaritätsgefühl der Angelsachsen noch den Willen hatte, in das Rad der Geschichte mit kräftiger Faust einzugreifen, regte es sich. Ungehört verklang der Widerspruch der Londoner Regierung.

Was galten dem Kanadier, was galten dem Bürger von Columbia, der unter der gelben Invasion wirtschaftlich ebenso zu leiden hatte wie der Bürger der Vereinigten Staaten, was galten ihm, der, wenn der Sieg den Gelben blieb, sicher der nächste war, der der Gefahr zum Opfer fallen mußte, die Rücksichten der Downingsstreet auf Indien.

In dieser Entscheidungsstunde der Weltgeschichte hatte England versagt, England, das unauflöslich an Japan gefesselt war. Mit demselben Rechte, mit dem Washington einst die Fahne erhoben hatte, mit demselben Rechte strömten ungezählte Scharen aus Kanada und Columbia über die Grenze, mit demselben Rechte verlangte man von Ottawa aus kategorisch die Verweisung der japanischen Kriegsschiffe aus dem Hafen von Esquimault. »Entweder die Flagge streichen und abrüsten, oder abfahren!« so schrieb die kanadische Presse, so klang es wider in dem von dem kanadischen Staatssekretär William Mackenzie nach London gerichteten Protest, und dieser elementaren Begeisterung gegenüber versagte das Drohwort der Londoner City. England hatte verspielt.

Die kanadischen und australischen Regimenter fochten Seite an Seite mit ihren amerikanischen Brüdern. Das prahlerische Wort der amerikanischen Presse zu Beginn des Krieges: »Wir werden die Gelben in den Pacific treiben«, jetzt, da der vereinigte Wille zweier Weltteile hinter ihm stand, jetzt konnte es Wahrheit werden.


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