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Winstanley.

Kapitän Winstanley schlug die Augen auf und sah nach der Decke der niedrigen Schiffskabine, wo die durch das Bullauge ein fallenden Sonnenstrahlen auf dem weißen Ölfarbenanstrich zitternde Kreise und schwankende Reflexlinien malten. Langsam sammelten sich die Gedanken wieder. War das nur ein wüster Traum, waren das Fieberphantasien gewesen? Winstanley versuchte sich auf seinem Lager aufzurichten, zuckte aber vor einem jähen Schmerz zusammen und sank wieder zurück. Der Schmerz war Wirklichkeit. Was war nur vorgegangen? Tanzende Kreise, schwankende Linien malte das zitternde Licht oben auf der Decke der engen Schiffskabine.

Winstanley schaute verstört um sich. Doch Wirklichkeit? Doch schreckliche Wirklichkeit? Da saß sein Freund Longstreet von der »Nebraska«, mit dem Rücken gegen die Wand der Kabine gelehnt, in triefend nasser Uniform und schlief.

»Longstreet!«

Der erwachte und sah ihn erstaunt an.

»Longstreet, ist das alles Wirklichkeit gewesen, oder habe ich geträumt?«

Keine Antwort.

»Longstreet,« begann er wieder eindringlicher, »sag mir die Wahrheit, sind wir geschlagen, ist das Wirklichkeit?«

»Longstreet nickte stumm, unfähig ein Wort zu sprechen.

»Unser armes, armes Land,« flüsterte Winstanley.

»Die ›Nebraska‹ sank um 6 Uhr ungefähr,« unterbrach Longstreet nach langer Pause ganz unvermittelt das Schweigen.

»Die ›Georgia‹ wohl kurz vorher,« sagte Winstanley, »aber wo sind wir, wie bin ich hierher gekommen?«

»Uns hat das Torpedoboot »Farragut« nach dem Kampfe aufgefischt. Wir sind an Bord des Lazarettschiffes »Ontario« mit etwa 500 Überlebenden von unserer Flotte.«

»Und was ist aus dem Rest unseres Geschwaders geworden?« fragte Winstanley zaghaft. Longstreet zuckte stumm die Achseln.

Beide dämmerten wieder still vor sich hin und lauschten auf das Plätschern und Gluckern der Wellen an der Schiffswand draußen und auf das dumpfe, regelmäßige Stampfen der Maschine, deren gleichmäßiger Taktschlag sich in Winstanleys von Fieberphantasien durchglühtem Hirn zu sinnlosen Worten gestaltete, die wie mit scharfen Geierschnäbeln auf die schmerzenden Gedanken einhackten: … Woll'n Sie nicht mal rüber kommen … hob und senkte sich ölig die Melodie der auf- und niedersteigenden Kurbelstangen unten in der Maschine … Woll'n Sie nicht mal rüber kommen … sagten die Bordwände, klirrte die Wasserkaraffe drüben in ihrem Holzgestell … Winstanley flüsterte die Worte nach in ewiger, dumpfer Wiederholung.

Longstreet sah ihn mitleidig an. »Schon wieder ein Fieberanfall.« Er stand auf, beugte sich über den Kameraden und blickte hinaus durch das Bullauge.

Wasser, nichts als funkelndes, glitzerndes Wasser, breite rauschende blaue Wogen bis weit hinten zum klaren Horizont. Nirgends ein Schiff.

»Woll'n Sie nicht mal rüber kommen,« wiederholte Longstreet, apathisch selber in den Rhythmus der Maschine verfallend. Dann reckte er sich und sank wieder auf seinen Stuhl zurück, in halbwachem Hindämmern die Ereignisse der Nacht noch einmal überdenkend.

Das also war der Rest der pacifischen Flotte, ein Hospitalschiff mit ein paar Hundert todwunden Offizieren und Matrosen, der Rest von Admiral Trains Flotte, die Admiral Kamimura, nachdem Togo Sperrys Geschwader vernichtet hatte, in der Nacht zum 8. Mai, 3 Uhr früh mit den Torpedobooten angegriffen hatte.

Eine grauenvolle Überraschung. Der Feind mußte die Funksprüche zwischen dem Geschwader und den Vorposten abgefangen haben. Da die Japaner selber keine Funksprüche verwendeten, hatte keiner der amerikanischen Kreuzer der Aufklärungsgruppe irgend etwas Verdächtiges bemerkt. Dann war plötzlich Unordnung in die Funkspruchmeldungen gekommen, man verstand sich gegenseitig nicht mehr, und einige Minuten darauf dann die ersten Torpedoexplosionen, aufspritzende Schaumfontänen, blendendes Licht der Scheinwerfer, Feuerblitze einschlagender Granaten, keine scharfe Munition auf amerikanischer Seite. Erst viel, viel später konnte man das feindliche Feuer erwidern, aber dann war schon eigentlich alles vorüber. Als das fahle Morgendämmern die Meeresfläche erhellte, beleuchtete sie nur noch einige treibende, sinkende Wracks, die unkenntlichen Ruinen von Admiral Trains stolzem Geschwader, denen die feindlichen Torpedos dann den Rest gaben.

Kamimura war mit seinen Schiffen schon am Horizont verschwunden, mit den Trümmern hielt der Feind sich nicht mehr auf.

»Woll'n Sie nicht mal rüber kommen,« jammerte und stöhnte die Maschine plötzlich ganz laut, als eine Tür zum Maschinenraum draußen geöffnet wurde. Longstreet fuhr erschreckt auf und stieg jetzt müde und schwerfällig langsam nach oben. Das ganze Deck war zu einem Krankenlager hergerichtet und die wenigen Ärzte waren eifrig um die Verwundeten bemüht.

Longstreet trat zu einem Leutnant in zerrissener Uniform, der, den Kopf in die Hände gestützt, über die Reeling in die Wellen starrte. »Wohin gehen wir, Henry?«

»Ich weiß nicht, ist ja auch ganz einerlei, irgendwohin.«

Longstreet stieg auf die Kommandobrücke, wechselte mit ein paar Kameraden stumm einen Händedruck und fragte den Kapitän der »Ontario«: »Wohin gehen wir?«

»Wenn wir ran kommen, nach San Franzisco. Aber ich fürchte, die Japaner werden dort bereits die Küstenbatterien angreifen, und der dort drüben,« er deutete nach Backbord, »scheint uns schon bemerkt zu haben.«

Longstreet folgte dem ausgestreckten Arme des Kapitäns, ein grauer Kreuzer mit drei hohen Schornsteinen ging mit direktem Kurs auf die »Ontario« los, kurz darauf trat ein Signalgast mit einer Funkspruchmeldung an den Kapitän heran: »Der Kreuzer da drüben fragt nach dem Namen des Schiffes und wohin es wolle.«

»Vereinigter Staaten Lazarettschiff »Ontario«, Kurs auf San Franzisco,« ließ der Kapitän hinüberantworten. Dumpf donnerte von drüben ein Schuß über die Wogen; die »Ontario« setzte ihre Fahrt fort.

Da blitzte es an einem der vorderen Geschütze des Kreuzers auf, eine Granate platschte ungefähr hundert Yards vor der »Ontario« aufs Wasser und zerplatzte mit scharfem Krachen.

Einen Moment zögerte der Kapitän, dann ließ er die Maschine stoppen, übergab das Kommando auf der Brücke dem ersten Offizier und ging selber an den Funkspruchapparat:

»Hospitalschiff der Vereinigten Staaten, »Ontario«, mit 500 Verwundeten an Bord, rechnet auf den Schutz der Sanitätsflagge.«

Eine Viertelstunde später stoppte der japanische Panzerkreuzer »Idzumo« dicht neben der »Ontario« und gab eine Pinasse von Bord, die mehrere japanische Offiziere und zwei Ärzte nach der »Ontario« hinüberbrachte.

Während ein höherer japanischer Offizier vom Kapitän in seiner Kajüte empfangen wurde und mit ihm das weitere über die Unterbringung der Verwundeten verhandelte, ging Longstreet wieder hinunter zu Winstanley.

»Winstanley, alter Freund, wie geht's?«

»Schlecht, Longstreet, was wird aus uns?

Longstreet zögerte.

»Sag es mir, Longstreet, sag mir die Wahrheit, wohin gehen wir, was wird aus uns?«

»Wir gehen nach San Franzisco,« versetzte Longstreet ausweichend.

»Und der Feind?«

Longstreet schwieg.

»Der Feind, Longstreet! Wo ist der Feind? Wir dürfen nicht in seine Hände fallen.«

»Winstanley,« sagte Longstreet, »sei ein Mann, wir sind in den Händen der Japaner.«

Winstanley fuhr auf von seinem Lager, sank aber unter der Gewalt des Schmerzes in seinem zerschossenen rechten Arm wieder ohnmächtig zurück.

»Nein, nicht in die Hände der Japaner! Lieber über Bord, es hat ja doch keinen Sinn, es ist ja alles aus.«

»Longstreet,« rief er mit fieberglühenden Augen, »Longstreet, das eine versprich mir, nicht in die Hände der Japaner, dann wirf mich lieber über Bord.«

»Nein, Winstanley, nein, denk an unser Vaterland, daß es Männer braucht, Männer, die den Streifen und Sternen wieder zu Ehren verhelfen, die den Feind vertreiben und besiegen sollen.«

In diesem Moment ging die Tür der Kajüte auf, und ein japanischer Leutnant mit einem Notizbuch in der Hand trat mit kurzem militärischem Gruß ein.

Winstanley schrie auf: »Longstreet, gib mir eine Waffe, der Kerl …«

Der Japaner griff an die Mütze: »Meine Herren, ich bedaure die Umstände, unter denen ich gezwungen bin, Sie um Angabe Ihrer Namen und Chargen zu ersuchen. Seien Sie sicher, daß verwundete Feinde stets auf japanische Ritterlichkeit rechnen dürfen. Wenn Sie, wie alle anderen Offiziere, Ihr Ehrenwort geben, nicht zu entweichen, so werden Sie in San Franzisco, ohne belästigende Bewachung, im Lazarett alle nötige Pflege finden. Darf ich um Ihre Namen bitten?«

»Leutnant Longstreet von der ›Nebraska‹.«

»Ich danke.«

»Kapitän Winstanley, Kommandant der ›Georgia‹,« ergänzte Longstreet für Winstanley.

»Darf ich um Ihr Ehrenwort bitten?« Longstreet gab es. Winstanley schüttelte den Kopf: »Ich gebe kein Ehrenwort, macht mit mir, was Ihr wollt.«

Der Japaner zuckte die Achseln und verschwand.

»Longstreet, in San Franzisco verpflegt werden …, hat der Japaner gesagt? Dann ist San Franzisco bereits in den Händen des Feindes,« und ein krampfhaftes Schluchzen durchschüttelte den Körper des verwundeten Kapitäns der »Georgia«, der in wirren Fieberphantasien sich jetzt wieder an Bord seines Schiffes befand und dem vorderen Turm mit den Zwölfzöllern Befehl gab, auf ein feindliches Schiff zu feuern. Longstreet hielt die Hand seines armen Freundes in der seinen und blickte stumm nach oben, wo die tanzenden Sonnenstrahlen auf der weißen Decke zitternde Linien und leuchtende Kreise malten.

Um 1 Uhr mittags kam die »Ontario« in Sicht des Goldenen Tores, wo über allen Küstenwerken bereits das weiße Banner mit dem roten Sonnenball flatterte.

*

Während in der Morgenfrühe des 7. Mai der japanische Angriff auf San Franzisco erfolgte, befand sich die japanische Flotte in der Höhe von San Diego auf der Suche nach den beiden amerikanischen Manöverflotten. Man wußte aus den aufgefangenen Befehlen des Marinedepartements, daß Admiral Sperry mit seinem aus den sechs Panzern der »Connecticut«-Klasse bestehenden blauen Geschwader den Befehl hatte, San Franzisco und die Häfen und Flottenstationen an der Pacificküste anzugreifen, und daß das gelbe Geschwader Admiral Trains deren mobile Verteidigung darstellte. Am 2. Mai hatte Admiral Train sein Geschwader vor San Franzisco formiert, und am 5. Mai hatte Admiral Sperry die Magdalena-Bai verlassen. Alle Funkspruchmeldungen wurden fortan von harmlosen japanischen Handelsdampfern unter englischer Flagge gelesen.

Am Morgen des 7. galt es zunächst die Magdalena-Bai unschädlich zu machen, um jede Möglichkeit, den Schiffen draußen von der weitentfernten Funkspruchstation eine Warnung zukommen zu lassen, abzuschneiden. Ein Handstreich brachte die Station in den Besitz des Feindes. Es waren auch hier japanische Händler, die mit ihren Stores am Ufer der Magdalena-Bai stets gute Geschäfte machten. In der Morgenfrühe des Sonntags verwandelten sich die betriebsamen gelben Handelsleute in eine Truppenabteilung, die die schwache Besatzung der Funkspruchstation ohne Mühe überrumpelte. Der von Norden herandampfende japanische Kreuzer »Jakumo« hatte für dieses Unternehmen den hellleuchtenden weißen Anstrich eines amerikanischen Kreuzers erhalten, weshalb er auf der Funkspruchstation, wie wir wissen, für den tatsächlich in San Franzisco liegenden, zur gelben Flotte Admiral Trains gehörenden Panzerkreuzer »New York« gehalten wurde. Die »Jakumo« sollte ein Entwischen der beiden in der Magdalena-Bai unter Dampf liegenden Zerstörer »Hull« und »Hopkins« verhüten. Beide Boote wurden bei der Flucht aus der Magdalena-Bai schnell zusammengeschossen. Damit war die Manöverflotte hoffnungslos isoliert.

Um 8 Uhr morgens machte Togos Geschwader, das aus den Schiffen »Satsuma« (Admiralsschiff), »Aki«, »Katori«, »Kaschima«, »Mikasa« und »Asahi« bestehend, den Kern der japanischen Schlachtflotte bildete, bereits den ungefähren Aufenthaltsort von Admiral Sperrys Geschwader durch die aufgefangenen Funksprüche aus. Selber verwendete der Feind die drahtlose Telegraphie nicht, um die amerikanischen Geschwader nicht aufmerksam zu machen. Um 9 Uhr erfuhr Togo durch die letzte unvollständige Meldung der Magdalena-Bai, daß dort der Überfall geglückt sei, und kurz darauf ließ die befohlene Verstärkung der amerikanischen Vorpostenlinie auf demselben Wege genau die Stellung der Kreuzergruppe und der Seitensicherung erkennen. Da man somit wußte, daß man es bei Admiral Sperrys Flotte nur noch mit einer schwachen Seitensicherung zu tun hatte, detachierte Togo seine vier Panzerkreuzer, die neuen riesigen 25 Seemeilen laufenden Schiffe »Tokio« und »Osaka« und die »Ibuki« und »Kurama«, um das amerikanische Vorpostengros zu vernichten, was auch nach kurzem Kampfe gleichzeitig mit dem Angriff auf Sperrys Panzerschiffe gelang.

Der »Denver« und der »Chattanooga« bliesen ein paar zwölfzöllige Granaten, die die gänzlich ungeschützten Seiten der Kreuzer zerfetzten, schnell das Lebenslicht aus, und die fünf Zerstörer, die in dem hohen Seegang schwer arbeiteten und von ihrer Torpedowaffe keinen Gebrauch machen konnten, waren gleichfalls bald abgetan.

Durch eine niederbrechende Regenboe gedeckt, kam Togo in Sicht der amerikanischen Schiffe, als die Schußweite nur noch 5500 Meter betrug.

In dem Augenblicke als Admiral Sperrys Schiffe aus dem trüben Regendunst auftauchten, erschien am Vordermast der »Satsuma« ein Signal, Admiral Togos Geschwaderbefehl, mit dem er den Kampf eröffnete. Jubelnd und unter lauten Bansai-Rufen wurde er auf allen Schiffen entziffert. Er lautete:

 

Heute sei die Vergeltung für Kanagawa. Wie damals Kommodore Perry mit seinem Degengriff an die Pforte Nippons pochte, sprengen wir heute San Franziscos Goldenes Tor. Der amerikanische Kommodore Perry erzwang mit nur acht Schiffen im Jahre 1854 durch den bekannten Gewaltstreich den Vertrag von Kanagawa, der dem amerikanischen Handel die ersten Häfen in Japan öffnete.

 

Dann begann der Kampf, und als die Sonne im Zenit stand, war Admiral Sperrys Geschwader in den Wogen des Pacific verschwunden. Die ersten elf Minuten der Überraschung, bevor die amerikanischen Geschütze antworteten, hatten bereits alles entschieden. Wohl hatten die gleich durch die ersten Schüsse verursachten schweren Verletzungen des ungeschützten Vorschiffes dreier amerikanischer Schiffe, wohl hatte ihr allzuschmaler Gürtelpanzer und die dadurch verursachten mächtigen Wassereinbrüche, die dann eintretende Schlagseite, und die dadurch nötig gewordene Füllung anderer Schotten, um die Gleichgewichtslage wieder zu erreichen, die Entscheidung beschleunigt; aber auch von solchen Konstruktionsfehlern der amerikanischen Schiffe abgesehen, gab diese Schlacht in letzter Linie allen Marinen die Lehre, daß mit wenigen Ausnahmen alle modernen Kriegsschiffe nur »Schönwetterschiffe« sind, deren Wasserlinienpanzer nur dann die vitalen Teile schützt, wenn die See so freundlich ist, die vorschriftsmäßige gerade Wasserlinie zu bilden, wie sie auf unsern Marinebildern eingezeichnet ist. Aber was kann ein zwei Meter breiter Streifen schützen, wenn bald die Reeling in den schäumenden Wogen versinkt, bald das nach der andren Seite überholende Schiff seine ganze Flanke bis zu den Schlingerkielen hinab der feindlichen Artillerie als Ziel bietet!

Wieder verschreiben jetzt die gelehrten Herren in allen Marineressorts ihren Schiffen neue Pflaster. Wie immer, wenn die Geschütze in der Schlacht alle Theorien und alle sorgsam errechneten Konstruktionen über den Haufen geschossen haben. Wir müssen immer wieder von neuem anfangen.

Weniger Glück hatte anfangs Admiral Kamimura mit dem zweiten Geschwader. Durch einige falsch gelesene Funkspruchmeldungen irre geführt, konnte er Admiral Trains Flotte erst gegen Abend in Sicht bekommen. Ein Angriff war jetzt nicht ratsam, da Gefahr vorlag, daß die Amerikaner im Schutze der Dunkelheit entkämen. Deshalb beschloß Kamimura, die Amerikaner kurz nach Mitternacht mit seinen acht Zerstörern anzugreifen und mit seiner schweren Artillerie dann das Werk zu vollenden.

Admiral Trains Geschwader bestand aus sechs Panzern: aus den drei neuen Linienschiffen »Virginia«, »Nebraska«, »Georgia«; den beiden älteren »Kearsage« und »Kentucky«, deren Panzerung die Wasserlinie nur sehr unzureichend schützte, und schließlich der noch unzureichender gepanzerten alten »Iowa«. Dazu kamen die Panzerkreuzer »St. Louis« und »Milwaukee«, die nur eine schwach gepanzerte Zitadelle hatten, und die ungeschützten Kreuzer »Takoma« und »Des Moines«, die wegen ihrer Geschwindigkeit von 16,5 Seemeilen und wegen des Mangels jeden Panzers als Kreuzer sowenig brauchbar waren wie ihre Schwesterschiffe bei Admiral Sperrys Geschwader. Ein einziger Volltreffer genügte, um sie kampfunfähig zu machen.

Furchtbar war die Überraschung, als die japanischen Zerstörer unter dem Schutze der Nacht angriffen. Erst im Morgendämmern bekamen die Amerikaner ihren Feind wirklich zu Gesicht, als Kamimura mit seinen sechs Linienschiffen, die kaum eine Beschädigung aufwiesen, den Kampfplatz mit den sinkenden amerikanischen Schiffen in der Richtung nach Südosten verließ, um sich mit Togos Flotte zu vereinigen, der er bereits die Siegeskunde mitgeteilt hatte. Die Aufräumungsarbeiten überließ man den Zerstörern, die die totwunden Amerikaner mit ihren Torpedoschüssen versenkten. Das dem gelben Geschwader beigegebene Lazarettschiff »Ontario« und ein Torpedoboot fischten die Überlebenden dieser kurzen Schlacht auf. Dann nahm die »Ontario« Kurs auf San Franzisco, während der leckgeschossene »Farragut« zurückblieb.

Mit ziemlicher Sicherheit erkannte man auf amerikanischer Seite, daß sich Kamimuras Geschwader aus der »Schikischima« und den einst den Russen abgenommenen Panzern »Iwami« ( ex Orel), »Sagami« ( ex Peresvjet) und »Suwo« ( ex Pobjeda) und den neuen Panzerkreuzern »Ikoma« und »Tsukuba« zusammensetzte. Dazu kamen zwei mächtige Panzer, die aus der japanischen Flottenliste nicht bekannt waren, und die beiden nach japanischen Berichten noch auf Stapel stehenden Riesenkreuzer »Yokohama« und »Schimonoseki«, die aber längst fertig und der Flotte eingereiht waren.

Mit jenen beiden Panzern hatte es eine eigene Bewandtnis. Im Jahre 1906 hieß es zuerst, China wolle sich eine neue Flotte bauen, und zwar habe es zwei große Panzerschiffe auf der Werft in Yokosuka in Auftrag gegeben. Sowohl von Peking wie von Tokio aus wurde das damals bestritten. Man fragte bei uns, man fragte in Europa, wer diese Schiffe denn bezahlen solle. Wir haben überhaupt immer viel unnützes Zeug gefragt. Tatsächlich wurden die Schiffe 1908 auf Stapel gelegt, wenn man die Welt außerhalb der Umfassungsmauern jener japanischen Werft auch glauben machen wollte, es handle sich nur um den Bau von Kanonenbooten. Wissen wir nicht mehr, wie damals ein deutsches Blatt darauf aufmerksam machte, daß sowohl diese beiden Panzerschiffe – vom Typ des englischen »Dreadnought« – wie die in Kure für China im Bau befindlichen beiden Panzerkreuzer voraussichtlich nie unter dem gelben Drachenbanner fahren würden, sondern von Japan im Falle eines Krieges entweder einfach seiner eignen Flotte eingereiht, oder von China zurückgekauft werden würden? In der Tat wurde kurz vor Ausbruch des Krieges auf beiden Panzern in aller Stille das Sonnenbanner gehißt, sie erhielten die Namen »Nippon« und »Hokkaido«, und sie fehlten nur in der offiziellen japanischen Schiffsliste und in unserer Berechnung. Wie man sich zwischen Peking und Tokio über diese Schiffe auseinandergesetzt hat, ist eins der vielen Geheimnisse der ostasiatischen Politik geblieben. Der politische Glaubenssatz, daß China finanziell nicht stark genug sei, um eine neue Flotte zu bauen, und daß Japan, das am Rande des Bankerotts hintaumelnde Japan, unmöglich sein post-bellum-Programm einhalten könne, sind nichts als leere Phrasen gewesen, mit denen die Presse diesseits wie jenseits des Meeres ihre politischen Artikel aufputzen konnte. Wann haben wir es denn jemals in der Geschichte erlebt, daß ein Krieg nicht geführt worden ist, weil kein Geld in der Staatskasse war? Nach dieser Theorie hätte auch Preußen, das wie eine Zitrone ausgepreßte Preußen, vor hundert Jahren keinen Krieg gegen Napoleon führen dürfen.

Bei der Neuverteilung unserer maritimen Streitkräfte auf den Atlantic und den Pacific nach der Rückkehr der Flotte von ihrer Weltumsegelung hatte man in Washington so gerechnet: Japan hat fünfzehn Panzerschiffe, sechs große neue und neun ältere; dazu sechs große neue und acht ältere Panzerkreuzer. Wir haben in Manila einen Panzerkreuzer und drei Kreuzer; darauf sind mindestens fünf japanische Panzerkreuzer abzurechnen. Bleiben für einen Angriff fünfzehn japanische Linienschiffe und neun Panzerkreuzer. Halten wir nun zwei Geschwader zu je sechs Linienschiffen – dazu die »Texas« – und sechs Panzerkreuzer auf der pacifischen Seite, so ergibt das zusammen mit den Küstenforts, den Minen und Unterseebooten eine solche maritime Machtsumme, daß der Feind uns nie und nimmermehr angreifen kann.

In Japan rechnete man: Zwei Geschwader von je sechs Linienschiffen, darunter sechs Panzer, die jedem amerikanischen Schiff überlegen sind, ergibt mit den neun Panzerkreuzern, das Moment der Überraschung hinzugezählt, eine solche Übermacht, daß wir nichts zu fürchten haben. Als Reserve bleiben vor San Franzisco: die Panzer »Hizen« ( ex Retvisan), »Tango« ( ex Poltawa), »Iki« ( ex Nicolai) und die Panzerkreuzer »Azuma«, »Idzumo«, »Asama«, »Tokiwa« und »Jakumo«. Außerdem die beiden Divisionen der Mörserboote und die auf Seattle dirigierten Kreuzer. Der Panzerkreuzer »Iwate« mit zwei Zerstörern war nach der Magdalena-Bai detachiert. In der Heimat blieb nur das aus den alten einst den Russen abgenommenen Panzern formierte vierte Geschwader und die bei den Philippinen alsbald freiwerdende Kreuzerdivision.

Die Rechnung des Feindes stimmte, unsere nicht. Tatsächlich waren beide Schlachten des 7./8. Mai in den ersten zehn Minuten entschieden, bevor noch der erste Schuß auf unserer Seite fiel. Hätte die japanische Rechnung auch gestimmt, wenn Sperry Togo oder Train Kamimura geschlagen hätte? Sicherlich. Sperry und Train hätten am 8. Mai mit ihren in der Schlacht arg zerzausten Geschwadern nicht einen einzigen Kriegshafen, nicht eine Kohlenstation, nicht eine Reparaturwerft mehr an unserer pacifischen Küste zur Verfügung gehabt. Dagegen hätte der Rest unserer Flotte alle japanischen Schlachtschiffe, alle Panzerkreuzer und eine Wolke von Torpedos stets auf Fersen gehabt, wäre von neuem zur Schlacht gezwungen und wäre ohne jede Operationsbasis einfach aufgerieben worden.

Unsre Seeminen fielen in den Arsenalen und unsre drei Unterseeboote in San Franzisco fielen an der Werft von Mare Island dem Feinde sozusagen auf trockenem Wege in die Hände. Daß die Japaner ihr in England gebautes Transportschiff für Unterseeboote mit nach San Franzisco brachten, war vollständig überflüssig.

Nur den Ruhm hatten wir, daß nicht ein einziges unserer Schiffe vom Feinde genommen worden war, daß alle mit wehender Flagge gesunken sind. Es war doch ein Unterschied, mit der verlotterten Flotte des Zaren oder mit Schiffen unter den Sternen und Streifen zu kämpfen. Auf den Wogen des Pacific retteten unsere blauen Jungens die Ehre der weißen Rasse den Gelben gegenüber. Vorläufig hatten sie zwar dem Feinde nur zeigen können, wie tapfere amerikanische Seeleute zu sterben wissen. Schwerer als der Untergang der Schiffe aber wog für uns fast noch der Verlust von mehr als der Hälfte unserer Seeoffiziere und der ausgebildeten Marinemannschaften. Das ließ sich nicht von heut auf morgen wieder schaffen. Dazu gehörten Monate; Monate fleißiger unermüdlicher Arbeit und neue Geschwader. Aber woher diese nehmen?

Nur ein einziges Fahrzeug der pacifischen Flotte entkam der Schlacht und den nachspürenden japanischen Kreuzern: der Torpedozerstörer »Barry« unter dem Kommando des Leutnant-Kommanders Dayton, der die Torpedodivision bei Admiral Sperrys Geschwader befehligt hatte. Zweimal hatte er während der Schlacht versucht, kühn gegen den Sturm andampfend, der »Satsuma« einen Torpedo zu lanzieren. Vergebens, die hohe See warf den Torpedo aus seiner Richtung.

Am 11. Mai traf der arg zerschossene Zerstörer, gejagt von der vor Panama kreuzenden japanischen »Iwate« im Hafen von Buenaventura an der Küste von Columbia ein. Zähneknirschend mußte Dayton es mit ansehen, wie ein columbischer Offizier in goldstrotzender, zerlumpter Uniform, der gewöhnlich von einer Hafenkneipe aus sein winziges Kanonenboot uralten Datums kommandierte, an Bord des »Barry« kam, dort die Verschlüsse der Geschütze und die Maschinenventile entfernen ließ und die Waffen der Mannschaften einforderte. Der Japaner draußen vor dem Hafen hatte das kategorisch von der Regierung in Bogota gefordert. Diese erniedrigende Schaustellung vor all dem Gesindel auf dem Hafenkai, vor all diesen faulen Tagedieben, vor den massenhaft sich herbeidrängenden chinesischen und japanischen Kulis, denen es ein Hochgenuß war, den weißen Mann von einer Handvoll sogenannter Marinesoldaten vergewaltigt zu sehen, die alle zusammen nicht einen einzigen amerikanischen Seemann aufwogen; dieses Letzte war fast schlimmer als alle die Tage des Kampfes zusammen. Und noch heute, da Admiral Daytons Ruhm über alle Meere reicht, da kein Seemann auf der Welt den Namen James Dayton je vergessen wird, der unseres Volkes Retter wurde, noch heute weiß er in stillen Stunden davon zu erzählen, wie damals, als er mit seinem Kreuzergeschwader vor der Magalhaensstraße die japanischen Schiffe im ersten Anlauf überrannte und dem Sternenbanner wieder zu Ehren verhalf, wie damals mitten im Tosen der Seeschlacht die Galerie höhnisch grinsender Gesichter am Hafenkai von Buenaventura ihm wieder vor Augen erschien, die schadenfroh der Entwaffnung eines zerschossenen amerikanischen Torpedobootes zusahen. Ja nur Männer, die unseren Zusammenbruch bis zum bitteren Ende durchgekostet hatten, nur sie konnten unsere Retter werden: Dayton und Winstanley.


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