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Schluß

Ein echter Novembersturm tobte durch die Straßen der alten Stadt. Er rüttelte an den Schornsteinen und Balkonen, er zerrte an den Ladenschildern, er drängte sich unter die Blechplatten auf den Dächern der Häuser, so daß sie dumpf aufschlugen. Mit wildem Ansturm warf er sich auf die Fensterscheiben, heulend und sausend fuhr er in die Oefen und Kamine hernieder. Er kam von Westen her und stauete die Wasser des mächtigen Stromes so hoch auf, daß sie in wilden Wogen hin und her schwankten und schäumend an das Bohlwerk schlugen. Beim Scheine des eben aufgegangenen Mondes sah man die Masten der Schiffe sich neigen und diese selbst mit stromabwärts gekehrtem Bugspriete wie angsterfüllt an ihren Ankerketten zerren.

Lelia verließ von Zeit zu Zeit ihren behaglichen Sitz auf dem Sopha und ging unruhig an's Fenster. Der Kukuk hatte schon sieben Mal gerufen und noch immer war Heinz nicht zurück. Endlich, endlich schellte es und sie erkannte seinen Schritt.

»Kommst Du jetzt erst aus der Versammlung?« fragte sie.

»Ja. Das war ein heißer Tag! Unsere Gegner haben gekämpft wie Männer, aber wir haben doch gesiegt. Gymnasium und Damm, beide sind durchgesetzt.«

»Mein armer Heinz, Du mußt ja entsetzlich hungrig sein.«

»Das bin ich. Man betheiligt sich nicht ungestraft an einer sechs Stunden währenden Debatte. Aber es war doch hochinteressant. Was sich nur irgend für die realistische und gegen die classische Bildung sagen läßt, wurde vorgebracht und die Realschule mit Geist und Feuer vertheidigt, aber wir haben trotzdem gesiegt. Du glaubst nicht, wie froh ich darüber bin. In unserer Stadt, in welcher der Kaufmannsstand so ganz vorwiegt, kommt Alles darauf an, daß der junge Mann von vornherein eine Bildung erhält, welche das Ideale ihm so fest in's Herz drückt, daß der auf das Praktische und Reale gerichtete spätere Beruf es nicht aus seinem Herzen zu reißen vermag. Nur dann können wir hoffen, daß sich allmälig und mit der Zeit unter unseren Kaufleuten immer mehr die Ueberzeugung Bahn brechen wird, daß die Universität die beste Vorbereitung auch für das Comptoir ist, und daß das Ideal eines deutschen Kaufmannes nicht der millionensammelnde Krämer Amerikas ist, sondern der mit der ganzen Bildung seiner Zeit ausgerüstete deutsche Kaufherr des sechszehnten Jahrhunderts.«

»Nun, und was hatte man gegen den neuen Damm?«

»Er fand nur sehr unbedeutende Gegner, aber er fand doch welche, und es wurden gegen ihn all' die bekannten Argumente in's Feld geführt, mit denen die menschliche Trägheit sich gegen das Neue aufzulehnen pflegt. Er sollte nicht nöthig sein, wir sollten ihn nicht bezahlen können, er sollte auf den Eisgang schädlich wirken u. s. w. Es war eitel dummes Zeug.«

Nach Tisch setzten sich Beide an den Kamin und Heinz zündete sich eine Cigarre an.

»Ich habe eine frohe Nachricht für Dich,« sagte Lelia.

»Nun, was ist es?«

»Madeleine ist Braut.«

Heinz sprang auf.

»Von Markhausen?« fragte er.

»Ja, von Markhausen.«

Heinz beugte sich zu seinem Weibe nieder und küßte sie herzlich.

»Das ist heute ein herrlicher Tag,« rief er. »Erst bringen wir das classische Gymnasium durch und den neuen Damm und dann noch diese Freudenbotschaft.«

»Soll ich Dir Madeleine's Brief vorlesen?«

»Thue das, aber Du mußt während dessen neben mir sitzen bleiben.«

Lelia nahm den Brief aus der Tasche und las beim flackernden Kaminfeuer:

 

Meine liebe, theure Lelia!

Ich bin nun seit fast sechs Jahren so daran gewöhnt, in Freud' und Leid zuerst an Dich zu denken, daß ich nicht zu Bette gehen kann, ohne Dir wenigstens ganz kurz zu melden, daß ich seit ein paar Stunden – Braut bin. Ich brauche Dir nicht zu sagen, wer mein Bräutigam ist. O Lelia, wie bin ich so unsäglich glücklich! Wenn ich mich darüber einem Gottesurtheile unterziehen müßte, ob ich ihn auch nur mit ganzer Seele liebte, so könnte ich getrost durch eine brennende Prairie gehen, ohne mir dabei ein Haar zu versengen.

Mir ist das Herz voll zum Zerspringen und ich bin unendlich froh, daß ich Adelheid hier habe. Sie nimmt an meinem Glücke so ganz Theil und ihre Gegenwart ist mir so sehr viel werth. Seit nun schon drei Jahren, da sie Wittwe wurde und ich Waise, ist sie mir eine rechte Mutter gewesen. Sie grüßt Dich herzlich!

Gute Nacht, meine theure, gute Lelia. Grüße Deinen lieben Mann und entschuldige die Kürze meines Briefes mit dem Umstande, daß ich noch an Horace und die Schwägerin schreiben muß. Gute Nacht! Gute Nacht! Ich weiß nicht, wie ich schlafen werde! Das Leben ist so köstlich, wer kann da schlafen! Dich küßt Deine

überglückliche
Madeleine.

 

»Der Brief ist doch aus Stuttgart?«

»Ja, Heinz. Ach, ich bin so froh, so glücklich. Die Beiden werden trefflich zusammenpassen.«

»Gewiß, Lelia, gewiß. Sie werden so trefflich zusammenpassen und so glücklich sein wie wir.«

»Das gebe Gott, Heinz,« sagte Lelia und umschlang den Hals ihres Mannes. »Das ist das Beste, was wir den Lieben wünschen können.«

Sie schwiegen eine Weile und schauten nachdenklich in das Kohlenfeuer im Kamine.

»Wie bin ich glücklich,« sagte Heinz endlich und blickte seine Frau zärtlich an. »Die höchsten Güter sind mein: Ein liebendes Weib und ein treuer Freund. Da schafft sich's leicht und aus dem Vollen.«

»Mein Herzensheinz!«

»Ich bin noch reicher, Lelia. Ich habe einen Beruf, dem ich mit Freudigkeit leben kann, ich wirke unter vielen Mitbürgern und ich weiß, daß mein Wirken ihnen nicht zum Schaden gereicht. Wäre ich ein Heide, mir bangte vor dem Neide der Götter.«

»Gottlob, daß wir keine Heiden sind, Heinz. Unser Gott ist ein Gott der Liebe, er kennt keinen Neid.«

»Ja, Lelia, er ist ein Gott der Liebe. Er führt uns oft wunderbar, aber seine Liebe wacht darüber, daß wir doch endlich an's Ziel gelangen.«

»Gewiß, Heinz. So können wir denn unserer Thätigkeit und unseres Glückes ganz froh werden.«

»Sieh', Lelia,« sagte Heinz und wies mit der Hand in das Kohlenfeuer, »als ich jung war, da glaubte ich, ich sei ein Diamant und ich war sehr unglücklich; jetzt, da ich weiß, daß ich nur eine Kohle bin unter den vielen andern, und da ich zufrieden bin, gemeinsam mit den vielen beizutragen zur belebenden Wärme – jetzt bin ich glücklich, sehr, sehr glücklich!«


Druck der F. priv. Hofbuchdruckerei in Rudolstadt.


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