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Ein alter Herr.

Der Herbst, vor dem sich die Leute am Flusse so sehr fürchteten, war herangekommen und mit ihm die so heiß ersehnten Regengüsse. Diese hatten zwar das Feuer in den Mooren und in den Wäldern gelöscht, aber auf dem Felde hatten sie nichts mehr ändern können, die Ernte war völlig verloren. So war denn die Stimmung in den Schlössern und in den Gesinden so trübe wie das naßkalte, nebelige Wetter draußen.

An solch' einem kalten und rauhen Herbsttage kam eine mit vier Pferden bespannte städtische Fuhrmannsequipage langsam auf Parkhof zugefahren. Das Wetter war unsäglich melancholisch und langweilig. Es fiel kein eigentlicher Regen, aber die Luft war so feucht, daß sie jedes Kleidungsstück in kürzester Zeit durchnäßte, und von den Spitzen der blattlosen Weiden am Wege fielen einzelne Tropfen mit so großer Regelmäßigkeit zu Boden, als beabsichtigten dieselben durch ihre Stetigkeit einen Stein in Verzweiflung zu bringen und mürbe zu machen. Die alten Schimmel vor dem Wagen trotteten mühsam durch den tiefen Koth, der unter ihnen aufspritzte und sie in Tigerschimmel verwandelte, und der Fuhrmann gähnte ein Mal über das andere und machte dabei den Mund so weit auf, als wollte er die Krähen, die von Zeit zu Zeit verschlafen dahergeflogen kamen, mit Federn und Knochen verschlingen.

Das einzige Wesen, das zu dieser Stunde keinerlei Langeweile oder Schlafanwandlung zu empfinden schien, war der alte Herr, der in dem Wagen, den die vier Tigerschimmel zogen, saß. Es war ein sehr respectabel aussehender alter Herr mit kohlschwarzen, weit hervortretenden Augen und einem sehr behaglichen, ungewöhnlich großen Doppelkinn.

Der alte Herr hatte einen dicken blauen Paletot an, eine warme rothe Decke lag auf seinen Knien, so war ihm denn warm und wohlig. Von Zeit zu Zeit legte er eine große rothe Mappe, die von den vielen Papieren, die sie enthielt, stark aufgebauscht war, neben sich auf den Sitz, fuhr mit einem Zipfel der Kniedecke über das beschlagene Wagenfenster und schaute hinaus in den Nebel draußen. Während er das that, bewegte er die Lippen, als ob ihm ein Speiserest zwischen den Schneidezähnen stecken geblieben wäre und nun durchaus entfernt werden müßte. Dann betrachtete er die Fingerspitzen seiner tadellos sitzenden hellbraunen Handschuhe, nickte mit dem Kopfe und sagte: »Ein sehr schönes, fruchtbares Land, dieses Land, ein sehr einträgliches Land, welches der Herr reich gesegnet hat mit Rossen und Eseln, mit Ochsen und Kameelen. Es würde indessen noch einträglicher sein, wenn die Leute hier mehr Flachs bauten. Der Herr würde es gewiß an seinem Segen nicht fehlen lassen, und der hiesige Flachs steht ohnehin immer etwas höher im Preise als der unsrige, weil man ihn hier, mit Gottes Hilfe, weicht.«

Als der Wagen an dem Parkhöfschen Wohnhause hielt, blieb der alte Herr regungslos sitzen, bis ein Diener den Wagenschlag öffnete. Er blieb eigentlich auch dann noch sitzen, gab aber dem Diener, nachdem dieser seine Frage, ob der junge Herr zu Hause sei, bejaht hatte, seine Karte.

Der Diener brachte sie zu Horace und meldete: »Ein alter Herr.« Horace betrachtete die Karte mit Verwunderung. Es stand darauf: J. H. Graumantel. Wer konnte dieser Herr J. H. Graumantel sein und was konnte er von ihm wollen?

»Sage dem Herrn, ich ließe ihn bitten, einzutreten und führe ihn dann hierher,« befahl Horace endlich.

Ihm war bei der Sache gar nicht wohl zu Muthe; er hatte eine unbestimmte Vorstellung, als müsse Herr J. H. Graumantel in irgend welcher Beziehung zu seinen pecuniären Bedrängnissen stehen.

Nach kurzer Zeit trat Herr Graumantel, die rothe Mappe unter dem linken Arme, in Horacens Kabinet. Er hatte schneeweiße, mit Stickereien bedeckte Wäsche an, die von Brillantknöpfen zusammengehalten wurde, und einen schwarzen Anzug vom allerfeinsten englischen Tuche. Ueber seine Weste hing eine schwere goldene Kette herab, seine Handschuhe und sein Hut waren von äußerster Feinheit.

»Habe ich das Vergnügen, mit Herrn von Balteville zu sprechen?« fragte der alte Herr.

Horace verbeugte sich.

»Erlauben Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle. Ich bin J. H. Graumantel, Chef der Ihnen ohne Zweifel bekannten Firma R. J. Graumantel Söhne.«

»Ich habe nicht das Vergnügen; aber bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen?«

Der alte Herr setzte sich und ließ das Doppelkinn zur Ruhe kommen, während die Augen erst noch eine Generalinspection des Zimmers vornehmen mußten. Dann schienen sie auch ein Bedürfniß nach Ruhe zu verspüren, denn sie blieben jetzt fest auf Horacens Augen haften.

Horace erröthete vor Unwillen.

»Welchem Umstande verdanke ich die Ehre?« fragte er und erwartete, daß der alte Herr nun reden würde, allein dieser blieb stumm.

»Ich erlaube mir, Sie zu fragen, welchem Umstande ich die Ehre verdanke, Sie bei mir zu sehen,« sagte Horace mit steigendem Unwillen.

»Ich denke, das wird Ihnen ohne Zweifel bereits bekannt sein, Herr von Balteville.«

»Durchaus nicht, mein Herr. Ich würde sonst nicht darnach fragen.«

»Ich erlaubte mir bereits, Ihnen mitzutheilen, daß ich durch Gottes unverdiente Güte Chef der Firma R. J. Graumantel und Söhne bin.«

»Ganz recht, mein Herr; allein ich vermag durchaus nicht einzusehen, in welchem Zusammenhang ich mit der Firma, die Sie vertreten, stehe.«

Der alte Herr schüttelte verwundert den Kopf und griff statt aller Antwort nach seiner rothen Mappe. Er öffnete sie langsam, kramte bedächtig unter den Papieren, welche sie enthielt, und holte endlich ein halbes Dutzend länglicher Papierstreifen hervor, die er Horace mit einem verbindlichen Lächeln überreichte.

Horace erbleichte. »Hat Herr von Lehmhof,« fragte er stockend, »Ihnen diese Wechsel cedirt?«

»Wenn Sie gütigst erlauben, hat er sie einem unserer Geschäftsfreunde cedirt und von diesem haben wir sie durch notarielle Cession überkommen.«

»Verlangen Sie das Geld jetzt? Die Wechsel sind ja erst nach drei Wochen fällig!«

Etwas wie der Schatten eines Lächelns flog über das glattrasirte Gesicht des alten Herrn und verschwand so schnell, wie es gekommen war.

»Durchaus nicht,« erwiderte er; »allein die hohe Achtung, die wir für den hiesigen Adel hegen, macht es uns zur Pflicht, in Fällen, wo wir das Vergnügen haben, mit Herren, welche diesen Stand zieren, in geschäftliche Beziehungen zu treten, diese Herren vorher persönlich davon in Kenntniß zu setzen, daß wir in der Lage sind, Zahlungen von ihnen beanspruchen zu müssen.«

Horace war in der größten Aufregung und die Hand, in der er die Wechsel hielt, zitterte heftig. Die Wechsel repräsentirten mehr als 20,000 Rubel und waren wirklich in drei Wochen fällig. Seine, in der ganzen Nachbarschaft umherirrenden Gedanken klammerten sich endlich, wie der Ertrinkende an einen Strohhalm, an Otto Schweinsberg.

Es war als ob der alte Herr in Horacens Seele las und ihm diese Hoffnung von vornherein abschneiden wollte.

»Wir stehen auch mit den Herren Baronen von Schweinsberg auf Aarburg und Bachhof in geschäftlicher Beziehung,« sagte er, »und ich werde mir noch heute erlauben, auch diesen Herren meine Aufwartung zu machen.«

Horace war voll Verzweiflung. Ihm ging der Gedanke durch den Kopf, ob die Firma R. J. Graumantel und Söhne sich nicht dazu verstehen würde, die Wechsel zu prolongiren.

»Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit,« begann er stockend, »ich danke Ihnen wirklich sehr. Wir Landwirthe haben in diesem Jahre eine so schlechte Ernte gehabt – oder vielmehr so gar keine Ernte – daß wir Ihnen wirklich sehr dankbar sind.«

Der alte Herr schaute Horace so unverwandt an wie bisher, sprach aber kein Wort.

»Ja, wir haben eine totale Mißernte gehabt,« fuhr Horace fort. »Eine totale. Alle Getreidearten sind gleich sehr mißrathen.«

»Dürfte ich Sie wohl um eine Cigarre ersuchen?« bemerkte der alte Herr, legte seinen Hut auf den Tisch und lehnte sich behaglich in seinen Stuhl zurück.

»Bitte, hier ist eine. Rauchen Sie stark oder schwach?«

»Stark.«

Der alte Herr fing an, sich die Handschuhe auszuziehen.

»Bitte, da ist Feuer. Also, wie gesagt, die Mißernte ist eine vollkommene. Da wird es uns nicht leicht werden, unseren Verbindlichkeiten nachzukommen.«

»So?«

»In der That. Einer solchen Mißernte gegenüber hört eben jede Vorausberechnung auf. Finden Sie das nicht auch?«

»Was geht das uns an?«

Horace wurde durch die Veränderung, die so plötzlich in dem Gebahren des alten Herrn vor sich ging, nur noch mehr verwirrt und erschreckt.

»Wie, mein Herr,« rief er, »geben Sie es nicht zu, daß ein solches Mißjahr – daß ein solcher Nothstand – gewissermaßen –«

»Was geht das uns an? Wir wollen unser Geld haben.«

»Aber, mein Herr, ich versichere Sie, ich kann es Ihnen bei dem besten Willen zum Termine nicht schaffen.«

»Sie müssen es mir zum Termine schaffen. Wir wollen unser Geld haben, unser ehrlich verdientes Geld.«

»Aber, liebster Herr Graumantel, Sie werden mit sich reden lassen.«

»Ich werde gar nicht mit mir reden lassen. Sie sind ein leichtsinniger junger Mensch! Sie sind ein leichtsinniger Schuldenmacher!«

Horace hatte unter dem Einflusse der Blicke und Drohungen des alten Herrn allen Halt verloren.

»Liebster Herr Graumantel,« sagte er, »ich will Ihnen ja Alles bezahlen, aber warten Sie noch drei Monate. In drei Monaten hoffe ich mir das Geld verschaffen zu können.«

»Was da in drei Monaten. Sie werden das Geld nie bezahlen können. Nie, auch nicht in drei Jahren. Sie sind ein leichtsinniger junger Mensch. Wenn wir das Geld nicht pünktlich zum Termine erhalten, so schreiben wir an Ihre Mutter und wenn wir dann nicht umgehend befriedigt werden, so verklagen wir Sie und stecken Sie ein. Verstehen Sie, Herr von Balteville? Bei Gott, wir stecken Sie ein.«

Der alte Herr, der während des Gesprächs die Wechsel wieder in seine rothe Mappe gepackt hatte, ergriff jetzt diese und seinen Hut und ging, ohne sich zu verabschieden, davon.

Als er gegangen war, warf sich Horace in heller Verzweiflung auf das Sopha. Wo sollte er das Geld hernehmen? Dann gerieth er, wie ihm das so zu geschehen pflegte, nachträglich in die äußerste Wuth über das unverschämte Gebahren des alten Herrn und stürzte in's Vorhaus, um ihn dafür zur Rede zu stellen; allein als diese Umwandlung in Horacens Gefühlen vor sich ging, war der alte Herr längst auf und davon.

Nach einer Stunde stand derselbe Herr im Schreibzimmer des Bachhofschen.

»Herr Baron,« begann er, nachdem er sich vorgestellt hatte, »ich bedaure, Ihnen eine vielleicht nicht ganz willkommene Nachricht mittheilen zu müssen. Wir werden leider in die Nothwendigkeit versetzt sein, Ihnen nach drei Wochen einige von Ihnen ausgestellte Wechsel im Betrage von 11,000 Silber-Rubel präsentiren zu müssen.«

Der Baron wurde noch bleicher als vorher Horace.

»Wir haben diese an Herrn von Lehmhof ausgestellten Wechsel durch Vermittelung eines gemeinsamen Geschäftsfreundes überkommen und wir hielten uns für verpflichtet, Sie davon persönlich in Kenntniß zu setzen.«

Der Baron machte eine flüchtige Verbeugung.

»Wir befinden uns,« fuhr der alte Herr fort, »in einer überaus peinlichen Situation. Wir wissen sehr wohl, wie schwer es den Herren Landwirthen werden muß, nach einer so totalen Mißernte ihren Verbindlichkeiten pünktlich nachzukommen und doch befinden wir uns selbst, offen gestanden, durch den Fall des Hauses Piegon & Comp. in Antwerpen in einer so fatalen Lage, daß wir nur durch die äußersten Anstrengungen uns über Wasser halten können.«

Der Baron blickte finster zu Boden. »Ich mag Sie nicht hintergehen,« sagte er endlich, »und ich will nicht weniger offen sein als Sie. Ich bin nicht in der Lage, nach drei Wochen zu zahlen.«

»Herr Baron,« erwiderte der alte Herr, »wir sind Ihnen für Ihre Offenheit unendlich dankbar und wir finden es sehr, sehr natürlich, daß Sie uns unter diesen ganz ungewöhnlichen Umständen im Stiche lassen, allein Noth kennt kein Gebot und wir würden uns eventuell genöthigt sehen, unsere Zuflucht zu den äußersten Mitteln zu nehmen.«

»Was verstehen Sie darunter?«

»Wir verstehen darunter, daß wir, bei aller Hochachtung für Ihre Person und bei aller Theilnahme für die schwere Heimsuchung, die der Herr über Leben und Tod über Sie dadurch ergehen ließe, doch genöthigt wären, darauf anzutragen, Sie Ihrer persönlichen Freiheit zu berauben.«

Der Baron bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen und athmete schwer.

»Mißverstehen Sie uns nicht, Herr Baron,« fuhr der alte Herr fort. »Wenn wir eventuell so energisch vorgehen, so wird das nicht geschehen, weil wir Ihnen nicht trauten oder weil wir fürchteten, daß Sie sich ökonomisch nicht wieder aufrichten könnten – durchaus nicht, allein wir sind es unseren Gläubigern schuldig, daß wir alle Mittel, und wären es auch so harte wie die, von denen ich sprach, anwenden, um uns die Möglichkeit zu schaffen, ihnen gerecht zu werden. Herr Baron, die Ehre unserer Firma steht auf dem Spiele, Sie werden es verstehen, daß der Kaufmann alle Rücksicht fahren läßt, um sie rein zu erhalten.«

Nach diesen Worten des alten Herrn trat eine lange Pause ein, während welcher nichts die Stille unterbrach als das regelmäßige Ticken der Wanduhr. Der Baron hatte den Kopf auf den auf dem Tische ruhenden Arm gelegt, um dem fremden Kaufmanne sein von Sorgen und Schreck entstelltes Gesicht nicht zu zeigen. In rasender Hast musterte er in Gedanken alle ihm befreundeten Personen, die etwa helfen konnten, allein es blieben immer nur zwei Möglichkeiten übrig, die der Baron gleich sehr perhorrescirte: Frau von Balteville und die Brüder seiner Frau.

»Herr Baron,« begann der alte Herr wieder, »mir, ich kann nicht sagen uns, denn ich weiß nicht, ob die Firma meine Meinung theilen wird, allein mir scheint es, als ließe sich noch ein Ausweg finden. Wenn Ihre Frau Gemahlin sich entschließen könnte, die Wechsel in eine auf Bachhof hypothekarisch haftende sechsprocentige Obligation zu verwandeln, so würden wir uns vielleicht entschließen können, darauf einzugehen. Wir könnten dann unsern Gläubigern die Obligation vorzeigen und so den Beweis führen, daß wir unsererseits Alles gethan haben, was sich unter so ungünstigen Umständen thun ließ. Wie gesagt, ich mache diesen Vorschlag zunächst nur persönlich, allein ich hoffe, daß die Firma sich eventuell mit ihm einverstanden erklären wird.«

Der Baron richtete sich, ohne indessen aufzusehen, empor. Er schüttelte verneinend den Kopf.

»Herr Baron,« fuhr der alte Herr fort, »lassen Sie die Sache vorläufig unentschieden, berathen Sie sich mit Ihrer Frau Gemahlin und Ihren Freunden und geben Sie uns dann Nachricht. Wir unsererseits behalten es uns ja auch noch vor, ob wir auf die von mir persönlich gestellte Bedingung hin, unsere Berechtigung auf Klage nach Wechselrecht aufgeben werden oder nicht. Die Sache ist auch für uns wichtig genug, um sie auch unsererseits sehr sorgfältig in Erwägung zu ziehen, denn selbst wenn Ihre Frau Gemahlin und Sie auf meinen Vorschlag eingingen, so würden wir doch immer nur die dritte Hypothek erhalten. Nein, Herr Baron, wir wollen beiderseitig den von mir flüchtig gemachten Vorschlag nur als eine Grundlage für künftige Verhandlungen ansehen. Wir haben ja noch drei Wochen Zeit.«

Der alte Herr erhob sich, der Baron folgte seinem Beispiele.

»Wie ich mich auch entscheiden möge,« sagte der Letztere, »jedenfalls danke ich Ihnen für Ihr freundliches, humanes Verfahren.«

»Herr Baron,« erwiderte der alte Herr, »ich bedauere, daß ich Sie in einer für uns beide so peinlichen Angelegenheit aufsuchen mußte.«

Der Baron reichte dem alten Herrn die Hand und dieser verneigte sich tief.

Als der Wagen an den stattlichen Nebengebäuden vorüber rollte, murmelte der alte Herr, während er die Fingerspitzen seiner Handschuhe einer erneuten Inspection unterzog: »Wer seinen Acker bauet, wird Brodes genug haben, wer aber Müßiggang nachgeht, wird der Armuth genug haben.«

Als der Wagen des alten Herrn vor den altersgrauen Mauern des schloßartigen Wohnhauses von Aarburg hielt, sprach dieser zu sich: »Da werfen sie den Daniel in die Löwengrube. Der König aber sprach: Der Gott, zu dem Du betest, helfe Dir in dieser Noth.«

Otto Schweinsberg war in der übelsten Laune. Er hatte am Tage vorher bei einem Nachbar eine Jagd mitgemacht, nach der Jagd hatte man scharf getrunken, jetzt hatte er den ganzen Tag über unleidliches Kopfweh gehabt. Das war ihm neu, denn er hatte früher nie etwas von den Nachwirkungen des Trunkes gewußt und so waren ihm denn seine Kopfschmerzen wie eine Mahnung daran erschienen, daß auch der eisenfeste Körperbau schließlich den Ausschweifungen erliegt. Finster und in sich gekehrt lag er auf der chaise longue, als ihm die Karte des alten Herrn gebracht wurde. Ihm, der sich viel in den benachbarten Städten umhertrieb, war die Firma R. J. Graumantel nicht unbekannt. Er wußte, daß diese Firma einzig und allein aus diesem alten Herrn bestand und er war gelegentlich schon einmal in dessen Comptoir gewesen. Das Comptoir befand sich im Vorzimmer zur Wohnung des alten Herrn und das gesammte Comptoir-Personal bestand aus nur einem einzigen, unsäglich vergrämt und verkommen aussehenden Schreiber, der während der Vormittagsstunden an einem wurmstichigen Pulte in diesem Vorzimmer saß, an seiner Feder kaute und zum Fenster hinaussah. Schweinsberg wußte ferner, daß die Firma sich officiell mit überseeischem Handel beschäftigte, während sie in Wirklichkeit Geldgeschäfte machte, das heißt: Wechsel aufkaufte, gegen Wucherzinsen Geld lieh, bei den Torgen mitbot, um sich mit einer Abtragssumme abfinden zu lassen u. s. w. Bei den Advokaten der Stadt war der Name Graumantel vollständig zum Gattungsnamen für Wucherer geworden und wenn sie im Advokatenzimmer zusammen waren, sagten sie wohl zu einander: »Dieser oder Jener ist Dein oder mein Graumantel.« Schweinsberg errieth, warum der Mann kam. »Führe den Menschen herauf,« befahl er. »Noch eins. Sorge dafür, daß, ehe ich klingele, sich Niemand in dieser Etage befinde.« Der Kammerdiener, ein Mann mit einem so unbeweglichen Gesicht, als wäre es aus Stein gehauen, verschwand und nach einigen Augenblicken trat der alte Herr ein.

»Herr Baron,« sagte er lächelnd, »ich freue mich, Ihnen auf Ihrem Schlosse meine Aufwartung machen zu können.«

Schweinsberg richtete sich ein wenig auf, erwiderte aber den Gruß in keiner Weise und begnügte sich damit, seinen Gast schweigend zu fixiren.

Der alte Herr ließ sich durch den kühlen Empfang nicht irre machen.

Er nahm einen Stuhl, rollte ihn an Schweinsbergs chaise longue und setzte sich. »Herr Baron,« rief er, »ich komme in einer abscheulichen Angelegenheit und ich fürchte, Sie werden mich kopfüber zum Fenster hinauswerfen. Ich will nämlich Geld haben.«

Der alte Herr sieht, wie der Mund seines vis-à-vis sich zum Lachen verzieht, und er fährt also fort:

»Sie werden denken: Wenn ich dem alten Wucherer da mit einem Stuhlbeine den Schädel einschlüge, so thäte ich damit ein gutes Werk. Nicht wahr, Herr Baron, so denken Sie?«

»Bei Gott, ja,« rief Otto und lachte hell auf.

»Nun ja, ich nehme Ihnen das auch nicht übel, an Ihrer Stelle würde ich genau so denken und ich muß zugeben, daß mein Geschäft nichts weniger als sauber ist. Ich weiß, daß die Menschen mich einen Schurken nennen, und ich sehe darin nur eine sehr natürliche Rache, die sie an demjenigen nehmen, der sich von ihrem Herzblut, ihrem Gelde nämlich, nährt. Die Menschen und ich leben auf dem Kriegsfuße. Ich verachte sie und exploitire sie und sie ihrerseits verachten mich und lassen sich von mir exploitiren. Wer dabei der Schlauere ist, liegt auf der Hand.«

»Bravo,« rief Otto, »bravo, Sie sind doch wenigstens ein ehrlicher Schuft. Fahren Sie fort. Sie machen mir wirklich großes Vergnügen.«

»Was ist da fortzufahren. Sie sind auch ein Mensch, folglich lebe ich auch mit Ihnen auf dem Kriegsfuße. Jetzt bin ich mit dieser schweren Batterie hier (der alte Herr wies auf seine Mappe) zu Ihnen gekommen, um Sie ökonomisch nieder zu bombardiren und in den Grund zu bohren.«

»Vorzüglich,« rief Schweinsberg, »vorzüglich!«

»Sehen Sie,« fuhr der alte Herr fort, indem er die rothe Mappe öffnete und ein ganzes Packet Wechsel herausnahm, »hier ist zunächst eine kleine Feldschlange. Sie verpflichten sich in diesem Papier hier, dem Herrn Veitel Adamssohn pünktlich am 1. October 3000 Silberrubel auszuzahlen. Sie haben für dieses Papier nur 500 Rubel bekommen und Sie haben bei Herrn Veitel Adamssohn einen so schlechten Credit, daß er mir diesen Wechsel für nur 600 Rubel verkaufte. Er war ein Narr, denn ich hätte ihm auch 2000 Rubel gegeben, da ich sicher bin, von Ihnen 3000 Rubel zu erpressen.«

»Famos,« schrie Schweinsberg, »ganz famos! Diese Bestie ist unbezahlbar!«

»Natürlich, Sie nennen mich eine Bestie. Das hat, wenn es ohne Zeugen geschieht, nichts auf sich. Hier diesen zweiten Wechsel können wir als schweres Belagerungs-Geschütz charakterisiren. Sie verpflichten sich in demselben, am 1. October dieses Jahres 10,000 Silberrubel an die Firma Leopardenstein Gebrüder zu zahlen. Wieviel Sie dafür bekommen haben, weiß ich nicht, mir hat er 7500 Rubel gekostet.«

Otto krümmte sich vor Lachen. »Bei Gott, Kerl, Sie müssen auf's Theater. Sie müssen in eine Posse. Wenn der Hund von Schauspieler Sie dann auch nur einigermaßen erträglich copirt, so muß im Parterre und auf der Gallerie ein Beifallsgebrüll entstehen, daß die Decke einstürzt.«

Der alte Herr lachte laut auf. »Ja, das wäre spaßhaft,« sagte er.

»Nun, und Sie bilden sich wirklich ein, daß ich alle diese Wechsel zu voll acceptiren werde?«

»Ja wohl.«

»Sind Sie denn ganz verrückt?«

»Ich bin gar nicht verrückt. Wenn Sie nicht zahlen werden, werde ich Sie einstecken lassen.«

Einen Augenblick schien es, als ob Otto die gute Laune ausgehen wolle, und der alte Herr erbebte innerlich, aber der Frohsinn hielt vor. Die Frechheit des alten Herrn war doch gar zu amüsant.

»Also ich werde eingesteckt werden. Famos, aber wissen Sie denn nicht, daß ich Sie nicht bezahlen werde, weil ich nichts habe, und daß Sie in Folge dessen mich können sitzen lassen bis an meinen Tod, ohne deshalb auch nur einen Kopeken zu bekommen?«

»Das weiß ich sehr wohl, allein ich weiß, daß solch' ein Aufenthalt im Schuldthurm einem Manne von Ihrem Temperament außerordentlich fatal wäre.«

»Charmant, mein Kerlchen; allein was sollte ich denn, Ihrer Meinung nach, dazu thun, um besagten Aufenthalt abzukürzen?«

»Sie werden gar nicht hinein kommen.«

»Warum nicht?«

»Sie werden vorher reich heirathen und mich dann bis auf den letzten Kopeken bezahlen.«

»Reizend, mein Kerlchen, reizend. Wissen Sie auch wen? Haben Sie ein Töchterlein, Edelster?«

»Nein, ich habe weder eine Tochter, noch würde ich sie, wenn ich eine hätte, Ihnen geben. Aber die Parkhöfsche Frau hat eine Tochter und sie wird sie Ihnen geben.«

Während der alte Herr diese Worte sprach, war er in seiner Seele wieder voll Furcht, zu weit gegangen zu sein, denn er wußte wohl, daß er sich auf einem Pfade befand, auf dem ein jeder Fehltritt ihm verderblich werden mußte, allein der alte Herr wußte sich auch ganz schwindelfrei und so schritt er denn muthig vorwärts.

»Hören Sie, Väterchen, ich fange an zu glauben, daß Sie glatt verrückt sind.«

»Warum?«

»Wissen Sie denn auch, bei wem Sie sind?«

»Ich bin beim wilden Schweinsberg.«

»Wissen Sie auch, daß sich außer Ihnen und mir kein Mensch in dieser Etage befindet?«

»Ich zweifle nicht daran.«

»Wissen Sie auch, daß mich Niemand daran verhindern könnte, jetzt über Sie herzufallen und Sie so zu zerbläuen, wie Sie es verdienen? Oder Sie zum Fenster hinaus zu werfen? Wissen Sie das?«

»Nein, das weiß ich gar nicht.«

»Warum bezweifeln Sie diese Möglichkeiten?«

»Weil ein Schweinsberg, und zumal der wilde Schweinsberg, es nicht fertig bekommt, sich dadurch seiner Gläubiger zu entledigen, daß er sie, während sie seine Gäste sind, mißhandelt oder zum Fenster hinauswirft.«

Der Baron lachte. »Sie wissen mit mir umzugehen, Sie Erzschelm,« sagte er lachend.

»Ja wohl. Sie haben bei mir einen unbeschränkten Credit, Herr Baron, und wenn ich Ihre Wechsel nicht billiger bekomme, nehme ich sie auch für voll an. Sie haben eine Zukunft, Baron. Der Knabe in Parkhof da hat gar keine Zukunft. So lange die Mutter ihn unter den Flügeln behält, wird er sich halten; wenn sie stirbt, wird er in ein paar Jahren fertig sein. Ihr Herr Onkel in Bachhof hat auch keine Zukunft, denn er ist ein schwer kranker Mann. Die Frau kann ihn noch eine Weile am Leben erhalten, aber sobald ihr die Medicin ausgeht, ist er fertig. Sie haben eine Zukunft. Wenn Sie reich heirathen und zu Kapital kommen, werden Sie als steinreicher Mann sterben, denn in Ihnen steckt genug Menschenverachtung und Entschlossenheit, um vorwärts zu kommen. Der neue Ministerpräsident da drüben in Preußen, der Herr von Bismarck, soll auch einmal in seiner Jugend ähnlich gewesen sein wie Sie und ›der wilde Bismarck‹ geheißen haben. Der Mann hat auch eine Zukunft.«

Otto lachte laut auf und schellte. »Imbiß und Rüdesheimer,« befahl er, als der Kammerdiener erschien.

»Also, Sie meinen, ich könnte noch einmal ein reicher Mann werden?« fuhr er fort.

»Gewiß. Wenn Sie zu Kapital kommen und nur erst die Süßigkeit des Erwerbens geschmeckt haben werden, wird es Ihnen bald als der größte Genuß erscheinen, den man sich in diesem Jammerthale bereiten kann. Die Zeit ist darnach. Ueberall kommen die großen Herren von ihren Schlössern herab und treten in die Comptoirs, die sie dann ihrerseits wieder in Schlösser verwandeln. Die Kaltblütigkeit, die Verwegenheit, die sie sich auf den Fuchsjagden und in ihren Duellen erwarben, verwerthen sie nun vortrefflich im Börsenspiel und in Actienunternehmungen. Was die eigene Gewandtheit nicht thut, das thut der vornehme Name – wer wird einem vornehmen Namen nicht Credit geben!«

»Bei Gott, Graumantel, das ist eine Idee.«

»Ja, das ist eine, und darum sage ich Ihnen: Ich werde Sie am 1. October nicht bedrängen. Im Gegentheil, ich komme zu Ihnen, um ihnen noch mehr Geld anzubieten, natürlich nur unter der Voraussetzung, daß Sie die Tochter der Parkhöfschen Frau heirathen.«

»Nun, und bis wann müßte das geschehen?«

»Ich bin zufrieden, wenn Sie sich vor Weihnachten verloben. Bis dahin behalte ich die Wechsel in der Mappe.«

»Hören Sie, Graumantel, Sie dürfen das aber nicht als eine Verpflichtung meinerseits ansehen.«

»Durchaus nicht. Sie sind ganz ungebunden. Lassen Sie sich einzig und allein von Ihrem eigenen Interesse leiten!«

»Topp! Wie ist es mit dem Gelde, das Sie mir geben wollten?«

»Wie viel brauchen Sie?«

»Nun, ich will es billig machen. Geben Sie mir 3000 Rubel.«

Als der alte Herr spät Abends davon fuhr, glättete er behaglich die Decke auf seinen Knieen und sagte: »Ich werde mit diesem Baron ein vorzügliches Geschäft machen. Gott hat mir recht geholfen. Wenn das Geschäft ganz so gut wird, wie ich hoffe, soll unser Waisenhaus 1000 Rubel bekommen.«


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