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Mancherlei Saat.

Als Heinz am folgenden Morgen nach kurzem Schlafe von schweren Träumen erwachte, blieb er voll Verwunderung liegen und schloß die Augen wieder, denn das, was er sah, erschien ihm wie ein neues, neckendes Traumbild. Aber als er sie wieder öffnete, blieb Alles, wie es gewesen, und er konnte nicht länger daran zweifeln, daß der Mann, der dort am Fenster Heinzens Stiefel einer so sorgfältigen Betrachtung unterzog, Weinthal sei. Diese untersetzte Statur, diese breite Nase, dieses unendlich selbstzufriedene und behagliche Gesicht konnte nur Weinthal angehören.

Heinz schloß die Augen wieder, so daß er nur durch eine ganz schmale Ritze zwischen den Lidern blickte, und beobachtete den alten Freund. Ihm war bei seinem Anblicke unendlich wohl. Da war doch endlich ein Mensch, von welchem er von vornherein wußte, daß derselbe ihn noch ganz so liebte und verehrte, wie früher. Weinthal erschien ihm in diesem Augenblicke wie ein leibhaftiger Gruß, den ihm seine selige Mutter in seine Einsamkeit, in seine Verlassenheit zusendete, und Thränen, die ihm zum Auge drangen, trübten ihm den Blick.

Weinthal betrachtete unterdessen Heinzens Stiefel noch immer mit großer Aufmerksamkeit.

»Er hat ihm genäht, er hat ihm nicht gespeilt,« sagte er endlich nach seiner Gewohnheit halblaut. »Weiß der Deiker, wie er das gemacht hat!« fügte er hinzu.

»Weinthal!« rief Heinz und sprang aus dem Bett, »mein lieber, alter Weinthal!«

Weinthal ließ den Stiefel fallen, stieß einen gurgelnden Ton aus und umarmte den Sohn seines verstorbenen Herrn.

»Mein Jungherrchen,« rief er ein über das andere Mal aus, »Du liebe Seele, mein Jungherrchen!«

Weinthal erwachte zuerst aus dem Freudenrausche und zwar dadurch, daß ihm der Gedanke kam, Heinz könne sich erkälten.

»Du liebe Seele, mein Jungherrchen! Ach, du lieber Gott! Mein Jungherrchen! Gehen Sie rasch in's Bett, gnädiger Herr! Gnädiger Herr werden sich erkälten thun.«

Damit drängte er Heinz in's Bett und beruhigte sich erst, als dieser wieder unter der Decke war.

»Weinthal, erinnern Sie sich damals –« sagte Heinz. Ihm war unsäglich froh zu Muthe.

»Ih, wo werde ich mich denn nicht erinnern! Gnädiger Herr meinen, wo gnädiger Herr noch ein Jungherrchen war und gnädiger Herr hatten ordentlich dicken Kopp und, hast Du mir nicht gesehen, haute er mich vor die Brust. Ach, du mein weißer Tagchen! Ich denke: Ist mein Jungherrchen stark!«

»Setzen Sie sich hierher auf das Bett, Weinthal.«

»Ih, wo werd' ich mir nu auf das Bett setzen thun, gnädiger Herr!«

»Warum denn aber nicht, Weinthal?«

»Ih, wo hab' ich mir denn beim seligen Herrn – daß er sanft ruhe – auf sein Bett gesetzt!«

Heinz lachte. Es war ein glückliches Lachen.

»Wir sind, denke ich, alte Freunde,« sagte er.

»Ih nu natürlich, wo werden denn mein gnädiger Herr und sein alter Weinthal nicht gute Freunde sein,« war die Antwort; »aber laß Gott behüten, daß ich mich auf gnädigen Herrn sein Bett setzen thun soll! Da hätte mir den gnädigen Herrn sein gnädiger Herr Vater – Gott geb' ihm süße Ruh' – wohl gut längs die Ohren gebrannt.«

»Nun, Weinthal, ich bin nicht wie der selige Herr.«

»Ih wo werden denn der gnädige Herr nicht sein, wie der gnädige Herr war; der gnädige Herr ist doch des gnädigen Herrn sein Sohn.«

»Nun, so setzen Sie sich doch wenigstens auf den Stuhl da.«

»Ih, wo werde ich mich denn auf den gnädigen Herrn seine Kleider setzen. Ich hab' die Ohren nicht beim Fuß, ich kann schon hören.«

»Nun, wie Sie wollen, Weinthal. Es freut mich ungemein, daß Sie zu mir gekommen sind.«

»Ih, wo werd' ich denn nicht zu meinem gnädigen Herrn kommen.«

»Wie geht es denn, Weinthal?«

»Nu, jetzt, wo der gnädige Herr zurückgekommen sind, geht es natürlich gut. Der gnädige Herr wissen doch, daß ich ein Gesinde aufgenommen habe?«

»Ja, das weiß ich.«

»Und daß ich die Emma geheirathet habe?«

»Das weiß ich auch. Wie geht es Ihrer Frau?«

»Nun, ich danke. Nu, mit die Kinder hat sie natürlich viel Quälungen und mit das Vieh.«

»Denkt sie auch noch manchmal an mich?«

»Ih, wo wird sie denn nicht an den gnädigen Herrn denken! Vorigten Tag ist sie mit drei Gänsen nach der Stadt gewesen. Es war wieder ganz schlecht und ich hab' auch ein schlechtes Herz und denk' ich, wenn Du ein Gläschen eintrinken wirst, wird Dir schon Bißchen besser werden. Nu, also ich nehm' mir das Boot und stoß' mir nach dem Krug herüber. Nu, wie ich nach dem Kruge komme und bei dem Krüger, werf' ich Einen. Da wird mir's schon Bißchen besser. Hernach sagt der Krüger: ›Nu, wirf noch Einen auf eine gute Seele.‹ Nu, werf' ich noch Einen auf eine gute Seele. Da wird ›es‹ mir schon viel besser. Nun, da sitzt so ein figuriger Judchen. ›Nu,‹ sag' ich, ›Judchen, was ist, auf Dein Glück,‹ und werf' noch Einen. Da wurde ›es‹ mir wohl ganz gut. Nu, wie ›es‹ mir nu ganz gut geworden war, stoß' ich mir wieder zurück. Wie ich so längst die Bächkannte nach Hause geh', seh' ich, daß mein Weib schon nach Hause gefahren. Ich steh' bei Pferd und mach' ihm dem Krummholz los, da kommt mein Weib geloffen. ›Wirth,‹ sagt sie, ›ich werd' Dir was sagen.‹ ›Was ist?‹ frag' ich, ›wegen der Gänse?‹ ›Nein, wegen dem Jungherrchen,‹ antwortet sie. ›Daß Gott bewahre! Was ist mit dem Jungherrchen?‹ frag' ich.

»Nun erzählt sie mir, daß der gnädige Herr nach Hause gekommen und Endhof auf Arrende aufgenommen.

»›Daß Du wegstaubst!‹ denke ich. ›Wo wird nu mein Jungherrchen eine Arrende aufnehmen!‹ sag' ich.

»›Wai, wie Du nu wieder bist,‹ antwortet sie mir. ›Wo wird denn die städtische alte Frau sagen, daß der Jungherrchen eine Arrende aufnehmen wird, wenn er nicht eine Arrende aufnimmt!‹

»Wie sie das sagt, laß ich den Krummholz fallen und spring' umher, obgleich ›es‹ wieder anfing, weh zu thun. Das Weib steht und sieht. ›Du bist wohl bißchen angetrunken?‹ sagt sie und lacht. ›Die Beine gehen Dir im Kreuz.‹

»Ach, du Himmelsvater! Wie freute ich mir, wie freute ich mir!«

Man sah Weinthal, als er davon erzählte, noch an, wie sehr er sich gefreut hatte.

»Wieviel Kinder haben Sie, Weinthal?« fragte Heinz.

»Stücker zwei,« war die Antwort. »Nu, natürlich, mehr kann ein Wirth nicht haben.«

»Weinthal, was ist das für ein ›es,‹ von dem Sie reden? Leiden Sie an einer Krankheit?«

»Nu, das gerade nicht, eine Krankheit sein, ist ›es‹ nu gerade nicht, aber wehe thut es, sehr wehe.«

»Was ist es denn?«

»Nu, was soll ich Ihnen sagen. Es geht immer von unten nach oben und von oben nach unten. Dann krabbelt es von die Füße herauf, dann schmeißt es sich auf den Kopf, dann drückt es mir in der Mitte, aber am meisten ist es im Magen.«

Weinthal erzählte nun von seiner Wirthschaft. Es ging ihm gut. Er zahlte eine billige Pacht und die letzten Jahre waren gut gewesen. Schließlich erwies sich, daß Weinthal mit Bestimmtheit erwartete, bei Heinz als Wagger in Dienst treten zu können, und obgleich Heinz Alles an Beredtsamkeit aufbot, ihn von diesem Entschlusse abzubringen, weil er fürchtete, daß Weinthal dadurch das eigene Interesse hintansetzen würde, so ließ sich der treue Mensch doch nicht irre machen. Sein Entschluß sei, versicherte er, ein wohlüberlegter und sein Weib wisse um denselben und habe ihm zugestimmt. So fügte er sich denn endlich. Er sah wohl ein, welchen Schatz er an diesem, in der Landwirthschaft nicht unerfahrenen und ihm so ganz ergebenen Manne haben würde. Auch hoffte er, Gelegenheit zu finden, das Opfer, das Weinthal ihm brachte, reichlich zu vergelten.

Während Heinz den alten Freund wiederfand und im Gespräche mit ihm für kurze Zeit Vergangenheit und Gegenwart vergaß, spielte sich in Bachhof eine Scene anderer Art ab.

Dort saß nämlich der alte Baron eben bei seiner zweiten Tasse Kaffee und plauderte mit seiner Frau über die Baltevilles und über das auffallende Verwandtenpaar, als in der Allee Glocken ertönten, welche die Schweinsbergs als Behrslappensche erkannten.

»Was will denn der Lehmhof so früh?« fragte der Baron verwundert und trat an's Fenster. Es war wirklich die Equipage des Behrslappenschen und noch dazu die von dem sparsamen Lehmhof nur höchst selten gebrauchte Kutsche. Diese war gerade kein elegantes Fuhrwerk, aber es war immerhin das beste, das sich in Behrslappen auftreiben ließ, und heute präsentirte es sich gar festlich, denn die Pferde vor dem Wagen trugen außerordentlich blank geputztes Geschirr und auf dem Bocke saß neben dem Kutscher ein Diener. Beide steckten in voller Livree und sahen, aus der Entfernung gesehen, nicht so übel aus.

Als der Wagen vor der Thür hielt, sprang der Diener hinunter und öffnete den Wagenschlag. Alles hatte eine gewisse Feierlichkeit und die Schweinsbergs schauten, eng zusammengedrängt, aus dem Fenster und harrten voll Spannung der Dinge, die da kommen sollten.

Als Lehmhof aus dem Wagen stieg, mußte seine Erscheinung bei den Schweinsbergs die Verwunderung auf's Aeußerste steigern, denn er hatte seinen alten, aus grauem Soldatentuch verfertigten Mantel mit einem eleganten Paletot und seine graue Filzmütze gar mit einem städtischen Cylinderhute vertauscht; seine Hände steckten in hellgelben Handschuhen, auch hatte er reine Wäsche angelegt.

»Duding,« flüsterte der Baron, athemlos vor verhaltenem Lachen, »bereite Dich darauf vor, Duding, daß der Behrslappensche um Dich anhält.«

Duding lachte laut auf, die Baronin sagte:

»Das ist doch wirklich sonderbar.«

Lehmhof stieg unterdessen mit unendlicher Grandezza die Treppe hinauf. Als Schweinsberg ihm im Vorhause entgegentrat, begrüßte er denselben mit einer bei ihm durchaus ungewöhnlichen Würde.

»Hm, Schweinsberg,« sagte er, »ich habe mit Dir etwas unter vier Augen zu verhandeln. Kann ich wohl in Dein Arbeitszimmer treten?«

»Bitte, natürlich,« war die Antwort.

Dem Bachhöfschen wurde nun, da er sah, daß sein Gläubiger es so ernsthaft nahm, ganz unheimlich zu Muthe, obgleich natürlich gar nicht daran zu denken war, daß er ihm die Tochter unter irgend einer Bedingung geben würde.

Als die beiden Herren das Schreibzimmer des Barons erreicht hatten, verschloß Lehmhof die Thür des Zimmers und setzte sich dann außerordentlich langsam in die Sophaecke.

»Willst Du Dir nicht eine Cigarre anzünden?« fragte Schweinsberg.

»Ich danke Dir. Nachher.«

Sie schwiegen eine Weile. Lehmhof schmatzte dazwischen und fuhr sich mit dem Zeigefinger der Rechten hinter die Binde.

Der Bachhöfsche wurde mittlerweile immer unruhiger. Die Sache konnte doch schlecht ablaufen.

»Du weißt, mein lieber Gustav,« begann Lehmhof endlich, »daß ich ein großer Freund der Principien der Nationalökonomie bin und daß ich mich immer bestrebe, auch mein Leben mit den Grundsätzen dieser Wissenschaft in Uebereinstimmung zu bringen. Nun ist es zweifellos, daß sich der Staat, oder soll ich lieber sagen: Die ganze menschliche Gesellschaft? Ich will lieber sagen, die ganze menschliche Gesellschaft; also, daß sich die ganze menschliche Gesellschaft gewissermaßen auf dem heiligen Principe des matrimonialen Zusammenlebens auferbaut. Nur in ihm wird unsere, an so vielen Schäden krankende Zeit das Rettungsmittel finden, dessen sie so sehr bedarf, und speciell bei uns drängen auch die Agrarverhältnisse, drängt die Knechtswirthschaft in dieser Richtung. Nur unter der Eventualität, daß eine Hausfrau auf dem Gute waltet, wird das Verhältniß zwischen Edelmann und Bauer diejenige Direction annehmen, welche allein als nationalökonomisch wünschenswerth erscheint. Oder bist Du anderer Meinung?«

»Hm,« antwortete der Baron.

»Du weißt ferner,« fuhr Lehmhof fort, »daß ich mich bestrebe, das Gesunde und der Entwickelung Fähige, das in den modernen Ideen liegt, unbefangen anzuerkennen und mit dem guten Alten zu amalgamiren. Ich glaube zum Beispiel, daß es ein gesunder Zustand ist, wenn man heutzutage von der Gefährtin für's Leben erwartet hat, daß sie ihrerseits dazu beiträgt, den Wohlstand des Hauswesens zu vermehren. Du kennst meinen Abscheu gegen das Proletariat. Ich schätze das Geld als den allmächtigen Motor unseres gesammten Lebens, als denjenigen Factor der menschlichen Gesellschaft, der das Latentwerden wahrhaft conservativer Ideen allein möglich macht.«

»Er ist verrückt,« dachte der Baron. »Erst will er Duding und dann will er noch Geld. Er ist offenbar total verrückt.«

»Du wünschtest neulich 500 Rubel zu erhalten,« fuhr Lehmhof fort und griff in seine Brusttasche, »das ist viel Geld, sehr viel Geld, und ich weiß, daß Du es nationalökonomisch unproductiv anwenden willst, aber trotzdem – da hast Du es.«

»Er will mir mein Kind abkaufen,« dachte der Baron und gerieth in gewaltigen Zorn.

»Höre, Lehmhof,« rief er aufspringend, »das ist denn aber doch zu toll!«

»Du meinst, daß ich Deine Absichten in Bezug auf die Schule tadle? Ich kann nicht anders, Schweinsberg, mein nationalökonomisches Gewissen duldet es nicht anders.«

Dem leichtlebigen Barone war der Zorn so rasch verflogen, wie er gekommen war. Das Alles erschien doch gar zu komisch.

»Was willst Du eigentlich?« fragte er lachend und setzte sich wieder.

»Zunächst Dir diese 500 Rubel geben,« fuhr Lehmhof mit unerschütterlicher Ruhe fort. Da sind sie.«

Er legte die Scheine auf den Tisch, schmatzte und sprach dann weiter:

»Du weißt ferner, Schweinsberg, daß ich immer der Meinung gewesen bin, daß man die alten Familien des Landes, auch wenn dieselben nicht dem hiesigen Adel angehören, oder gar überhaupt nicht adelig sind, mehr protegiren müßte, als bisher vielfach geschieht. Zumal in Bezug auf die Ehe. Wir Landwirthe wissen doch am besten, daß man mit fortgesetzter Inzucht nicht weit kommt, daß man dazwischen zur Kreuzung greifen muß. Findest Du das nicht auch?«

Der Angeredete war ganz verwirrt. Was sollte das heißen? War sein Duding nicht von ganz anderem Adel wie Lehmhof? Er half sich wieder mit einem »Hm!« Die Lachlust gewann in ihm immer mehr die Oberhand über die Sorge.

»Schweinsberg, bist Du mein Freund?« fragte Lehmhof plötzlich.

»Jawohl,« schrie Schweinsberg und brach in ein lautes Gelächter aus. Er krümmte sich vor Lachen, während ihm die Thränen in den grauen Bart liefen.

Nun war es an Lehmhof, verwirrt zu sein.

»Sei doch kein Kind,« sagte er ärgerlich.

Der Baron bemühte sich, seiner Lustigkeit Herr zu werden.

»Sei nicht böse,« sagte er; »mir ging ein komischer Gedanke durch den Kopf.«

»So, so. Nun, einerlei, Du weißt jedenfalls, daß ein Vater in erster Reihe ein Pelikan ist, der mit dem eigenen Blute die Seinigen nährt.«

»Natürlich, Lehmhof, Du bist ein Pelikan, ein wahrer Pelikan.«

»Sei kein Thor, Schweinsberg, Du siehst doch, daß ich ernsthaft spreche. Sage mir lieber, ob Du meinen Entschluß billigst.«

»Du hast mir ja noch gar nicht gesagt, welchen Entschluß Du gefaßt hast.«

»Nun, Du wirst mich wohl verstanden haben. Das Mädchen ist ein wenig wild, es ist wahr; aber ich glaube, daß ich ein patriotisches Werk thue, wenn ich das Meinige dazu beitrage, daß zwischen den verschiedenen Ständen des Landes ein freundschaftliches Verhältniß angebahnt wird und daß das Geld im Lande bleibt. Ich bin der Meinung, sag' ich, daß ich damit auch in wahrhaft christlicher Weise handle, sag' ich. Vor dem Christenthume, sag' ich, giebt es weder Freie noch Knechte, weder Edelleute noch Literaten, sag' ich.«

Schweinsberg verstand jetzt endlich, wo sein Gast hinaus wollte. Obgleich sein erster Gedanke der war, daß er ja auf diese Weise die ihm so unsympathische Gouvernante auf gute Art los werde, so widerrieth er doch, allein Lehmhof ließ sich nicht irre machen, und so begab sich denn endlich Schweinsberg zu Adelheid, sie um ein Rendezvous für Lehmhof zu ersuchen.

Adelheid hatte die ganze Nacht wachend zugebracht. Die Arme über die Brust gekreuzt, die Stirn an das Fensterkreuz gelehnt, so stand sie unbeweglich da, während der Mond seine Bahn im Westen durchzog, bis der zwischen den Bäumen des Gartens aufsteigende Nebel des trüben Herbstmorgens ihn verhüllte und endlich das graue, freudlose Licht des Tages seine Strahlen ersetzte. Aber so unbeweglich ihr Körper war, so rastlos jagten sich ihre Gedanken. Wie leer, wie fad und wie inhaltslos erschien ihr das Leben. Sie hatte es ja nie geliebt, denn sie hatte nie andere Menschen geliebt; sie hatte es ja immer wie eine schwere Last empfunden, denn sie hatte nie für Andere Lasten getragen; sie hatte seinen Zweck ja nie begriffen, denn sie hatte sich nie Anderen unentbehrlich gemacht, aber es war ihr doch erträglich erschienen. Von früh auf war ihr das Dasein vorgekommen wie eine Komödie ohne sonderlich viel Witz, aber sie hatte, seit sie erwachsen war, an der Hoffnung festgehalten, einst an Heinzens Seite in dieser Komödie eine große Rolle zu spielen, und sie hatte sich gedacht, daß da vielleicht, wenn auch nicht ganze Acte, so doch wenigstens einzelne Scenen erträglich amüsant ausfallen würden. Jetzt war auch diese Hoffnung nur ein Traumbild gewesen. Sie hatte Heinz in ihrer Art geliebt, das heißt, sie hatte ihn nicht geliebt, weil die Liebe in ihrem Herzen sie antrieb, Alles, was gut war und edel in ihr, diesem einen Manne entgegenzubringen, Alles, was an Opferfreudigkeit, an Selbstentsagung in ihr lebte, dem Einen gegenüber zu bethätigen – sondern weil ihr Herz ihn für sich verlangte. Sie hatte nicht ihm leben wollen, er sollte nur für sie leben. Der Zug zu ihm beherrschte sie ganz, weil die Selbstsucht sie ganz beherrschte. Und nun sollte sie ihm entsagen? Warum? Weshalb? Er hätte im Zusammenleben mit ihr kein Glück gefunden. Was ging sie sein Glück an? Was war das Leben? Was sollte das Leben? Wo war da irgend ein vernünftiger Zweck? Warum schuf Gott den Menschen? Um ihn glücklich zu machen. War irgend ein Mensch je glücklich? Gab es je einen Menschen, der auf die Frage, ob er es nicht vorgezogen hätte, nicht geboren worden zu sein, eine verneinende Antwort gegeben hätte? Wird nicht der Mensch schon in Schmerzen zu Schmerzen geboren? Sind nicht die Augenblicke wirklichen Glückes, die Weihestunden der Seele, nur ein Tropfen im Meere der trüben Stunden, der körperlichen und geistigen Qualen, der öden, freudlosen Langeweile? Sie sagen: Die wahre Seligkeit werden wir erst finden, wenn wir aus dieser Welt hinübergehen in jene, aus der Zeit in die Ewigkeit. Aber warum schuf uns denn Gott nicht gleich als selige Engel? Er konnte es doch, er ist doch allmächtig.

Was sollte insbesondere Adelheid in der Welt? Wozu war sie da? Welche Freuden warteten ihrer, welches Glück stand ihr noch bevor? Womit sollte sie entschädigt werden für die Jahre, die sie bereits durchlebt, mithin durchlitten hatte? Was für eine Zukunft winkte ihr? Sollte sie zurück in das Haus ihrer Eltern, um diesen durch ihren Eigenwillen, ihre Unfügsamkeit das Leben zu verbittern? Sollte sie es allmälig über sich gewinnen, ihre Tage mit Handarbeit und der ihr so langweiligen Geselligkeit zu verbringen? Aber was sonst? Sollte sie auch fernerhin Gouvernante bleiben, einfältigen Kindern Unterricht ertheilen, ihre Unarten rügen, ihre albernen Fragen beantworten, bis sie darüber alt wurde? Das war unerträglich. Sie fühlte sich so stark, Alles in ihr verlangte nach Bethätigung der Kraft, nach Bewegung, nach Genuß, nach Vergessen – war es ihr möglich, ein dunkles, eintöniges, kampfloses Leben zu führen?

Und Heinz! Wie haßte sie ihn! Gab er ihr doch nicht, was sie von ihm wollte, gab er ihr doch nicht die Liebe, deren sie bedurfte. Sollte er hohnlachend zusehen, wie sie nun, da er sie verschmähte, wieder davonfuhr? Sollten die Verwandten, sollten Schweinsbergs über ihre verfehlten Pläne spotten dürfen?

Wenn Adelheid in ihren Gedanken so weit gekommen war, dann tauchte vor ihrem geistigen Auge Lehmhofs feiste Gestalt auf, wie er sich mit einer linkischen Verbeugung ihr näherte, und sie hörte seine plumpen und ungeschickten Schmeicheleien. Lehmhof war ein Geizhals und ein Narr, das stand fest, aber wenn er auch das Geld ihres Vaters liebte, so liebte er doch auch sie, oder richtiger, so wollte er doch auch ihre Person besitzen, denn wirkliche Liebe gab es ja nicht auf Erden, die war ja nur eine Ausgeburt der Phantasie. Andererseits war Lehmhof offenbar im Grunde ein anständiger Mensch, denn er hatte ja in ihrer Gegenwart mehr als einmal eine gewisse Noblesse gezeigt. Seine Verlogenheit, sein ganzes Gebahren war verächtlich, sein Sohn war abscheulich; aber was in der weiten Welt war denn nicht verächtlich, nicht abscheulich? Er war doch immerhin ein reicher Mann. Als reiche Frau wird sie in einem Kreise von Menschen zu den Ersten gehören, in einem kleinen, von ihr unendlich verachteten Kreise, aber doch in einem Kreise von Menschen. Sie wird endlich Herrin sein, absolute Herrin, denn sie zweifelt nicht daran, daß sie ihn dazu bringen wird, sclavisch zu thun, was sie will. Sie wird Herrin sein, Andere werden ihr blindlings gehorchen, Niemand wird sie beschränken, Niemand wird sich ihr widersetzen. Sie wird, behaglich zurückgelehnt, in glänzender Karosse dahinfahren oder auf schäumendem Rosse dahinjagen und verächtlich herabsehen auf das armselige Volk, das, staubbedeckt, zu Fuße seine Wege wandert oder am Rande der Heerstraße den Pflug lenkt.

So sann Adelheid die lange Nacht hindurch. Als es hell wurde, richtete sie sich auf und schaute sich um. Ihr Zimmer erschien ihr bei dem trüben Halblicht unsäglich ärmlich. Sie trat an den Spiegel, brachte ihn an's Fenster und blickte aufmerksam hinein. Ihr Gesicht war bleich und ihre Züge entstellt, aber sie war doch schön. Sie hatte reiches, schwarzes Haar, sie hatte große, schwarzbraune Augen, eine hohe, schön gewölbte Stirn und eine feine, sanft geschwungene Nase. Sie hob die Oberlippe in die Höhe und sah ihre Zähne schneeweiß schimmern. Sie trat ein paar Schritte zurück und blickte an ihrem Kleide nieder: sie war von tadellosem Wuchse. Sie stellte den Spiegel wieder an seinen Ort, setzte sich an den Tisch und griff nach einem Buche. Sie war mit sich fertig.

Als der Bachhöfsche herauf kam, fand er sie am Schultische. Er bat sie, ihren Unterricht ein wenig zu unterbrechen und auf einen Augenblick mit ihm in Dudings Zimmer zu treten.

»Fräulein Eichenstamm,« sagte er hier, »mein Freund, Herr von Lehmhof, hat mich beauftragt, Sie um ein Gespräch unter vier Augen zu bitten. Ich glaube, daß ich verpflichtet bin, Ihnen mitzutheilen, daß mein Freund die Absicht hat, um Ihre Hand anzuhalten.«

Adelheid stand da und hörte den Baron an, wie eine Königin und zwar, wie eine hochmüthige, den Bericht eines Kammerherrn empfängt.

»Ich werde Herrn von Lehmhof empfangen,« sagte sie.

Schweinsberg war innerlich über ihre hochmüthige Art auf's Aeußerste ergrimmt, aber er beherrschte sich und sagte:

»In diesem Falle wird Herr von Lehmhof Sie im Kaminzimmer erwarten.«

Adelheid verneigte sich; der Baron ging wieder hinunter. Als er fort war, gab sie den Kindern erst noch eine längere Aufgabe, die sie lösen sollten, während sie unten sei, und ging dann hinunter in das Kaminzimmer, in welchem Lehmhof sie erwartete.

Als die Beiden dasselbe nach fast einer Stunde verließen, waren sie Brautleute und empfingen die Glückwünsche der Hausgenossen.

Die Verlobung erregte natürlich in der ganzen Gegend das größte Aufsehen; zumal Alles, was den Namen Eichenstamm trug, gerieth in die größte Aufregung. Die Familie mußte ja auch in der That arge Dinge erleben: Ein Sohn des Geschlechts wurde, ohne seine Studien zu beenden, Landwirth; eine Tochter heirathete einen Mann von schlechtem Rufe. Es war doch nicht nur Familienhochmuth; man glaubte in beiden Fällen ein trauriges Ende voraussehen zu müssen und man hatte ein gewisses Recht dazu. Uebrigens waren die Beiden, um deren Wohl und Wehe die Eichenstamms und die ihnen verschwägerten Familien sich sorgten, jedem Einflusse von Seiten ihres Geschlechts unzugänglich. Der Eine hatte allen Verkehr abgebrochen, die Andere reiste unmittelbar nach ihrer Verlobung zu ihren Eltern, deren Einwilligung sie, nicht ohne leidenschaftliche Scenen, ertrotzte.

Am meisten Theilnahme fand Adelheids Verlobung bei Heinz. Er ahnte ungefähr den Zusammenhang der Dinge und er war darüber voll Trauer. Er kam sich vor, wie er zu Adelheid gesagt, wie ein Unseliger, der überall hin Unglück brachte und Verderben. Er dachte wohl daran, sich das Leben zu nehmen und so mit eigener Hand die Sühne für Anna's Tod und Adelheids Fall zu erlangen, nach der sein Gewissen verlangte; aber seiner Mutter Bild wich in solchen Augenblicken höchster Verzweiflung nicht von ihm und seiner Mutter Stimme rief ihm zu, ein einsames, arbeitsvolles Leben dem ersehnten Tode vorzuziehen.

So lebte er denn, aber es war ein hartes, freudloses Leben. Wie Schuppen fiel es von seinen Augen: wo er bisher einen glänzenden Geist gesehen hatte, da sah er jetzt ein oberflächliches, leichtsinniges, wenn auch begabtes Geschöpf; wo er bisher reiche Energie und gerechtes Selbstbewußtsein gesehen hatte, da sah er jetzt ein unstätes Schwanken und thörichte Selbstüberhebung; wo er bisher einen fertigen, reifen Mann gesehen hatte, da sah er jetzt einen unreifen, schwankenden Jüngling.

Nach außen trug er den Kopf hoch und war nur noch kälter und abweisender, aber in seinem Innern war er gedemüthigt und zerschlagen. Der Herr riß mit eiserner Pflugschaar den harten Boden auf, daß der Acker fertig sei, seine Saat aufzunehmen.


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