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Eine Spinne und ihr Opfer.

»Lebrecht, mein Sohn,« begann Lehmhof, als sie eine Strecke weit gefahren waren, das Gespräch, »wir wurden heute gemopst.«

»Jawohl, Papa.«

»Du mußt Dir das nicht allzusehr zu Herzen nehmen, Lebrecht. Du mußt Dich darüber nicht grämen, Lebrecht.«

»Ich gräme mich auch nicht, Papa.«

»Das ist gut, Lebrecht, daß Du Dich nicht grämst. Wer sich grämt, der hat schlechten Appetit und wer schlechten Appetit hat, der wird mager.«

»Hat Schweinsberg wieder Geld von Dir geliehen, Papa?«

Der Baron nickte mit dem Kopfe. »Jawohl,« sagte er und schmatzte.

»Wieviel?«

»Er will 500 Rubel haben, ich habe ihm aber gesagt, daß ich sie ihm nur dann geben werde, wenn er mir über das Ganze eine Hypothek ausstellt.«

»Das wird Frau v. Schweinsberg nicht thun.«

»Nein, mein Sohn, das wird sie nicht thun. Das schadet auch nichts, mein Sohn. Ich werde ihm das Geld trotzdem geben. Er ist mir sicher.«

Beide schwiegen eine Weile, dann begann der Vater:

»Das Geld liegt auf der Straße; mein Sohn, das Geld liegt auf der Straße. Man muß es nur aufzuheben wissen. Sieh' Dich um, Lebrecht, sieh auf die Straße.«

Lebrecht streckte wirklich den langen Hals vor und sah so aufmerksam auf die im hellen Mondenschein erglänzende Landstraße, als wäre sie eine Silberbahn.

»Siehst Du da Geld? Nein, Du siehst nichts und doch liegt Geld auf dieser Straße und auf allen Straßen, auf denen Menschen hin und her gehen. Diese Menschen sind Narren. Sieh Dir diesen Otto an, Lebrecht, sieh ihn Dir an. Wirft er nicht das Geld geradezu handvollweise zum Fenster hinaus? Dieser Mensch war reich, so reich, daß er unternehmen konnte, was er wollte. Wenn er gewollt hätte, hätte er eine Eisenbahn bauen und Millionär werden können. Hätte ich von Hause aus auch nur ein Fünftel von dem gehabt, was er hatte – ich wäre jetzt doppelter Millionär. Ich habe aber von Anfang an nichts gehabt, Lebrecht, gar nichts. Als ich von der Universität zurückkam und eine Stelle in der Regierung erhielt mit 300 Rubel Gehalt, da konnte ich mir nicht einmal ein Paar Stühle kaufen und einen Tisch. Ich habe das Brod der Armuth gegessen, und es schmeckt bitter, sag' ich. Sie sagen: arm oder reich ist gleich, man schätzt den Mann nach seinen Thaten. Das ist Schwindel, sag' ich. Der Arme wird überall hintangesetzt und verhöhnt, und das ist nationalökonomisch und ganz richtig, sag' ich, denn die Welt ruht auf zwei Beinen. Das eine Bein ist die gute Geburt, aber das andere Bein, das ist das Geld und wer nur auf einem Beine steht, ist ein Krüppel, sag' ich.

»Ich war damals auf beiden Beinen nicht fest. Das eine Bein war taub und das andere war lahm. Wir sind von Adel, Lebrecht, von altem österreichischen Adel, aber wir gehören noch nicht zum hiesigen und das ist schlimm. Aber wir werden hineinkommen, Lebrecht, wir werden hineinkommen. Du wirst einmal Landesbevollmächtigter werden, Lebrecht! Deine Mutter und Deine Großmutter gehörten dem hiesigen Adel an, Lebrecht. Du wirst einmal Landesbevollmächtigter werden!

»Damals habe ich mir vorgenommen, einmal ein reicher Mann zu werden und wenn ich das auch noch nicht bin, Lebrecht, so bin ich doch immerhin ein wohlhabender Mann. Ich habe damals klein angefangen, ganz klein. Ich habe angefangen wie ein Buschwächter, Lebrecht, ich habe Hunde dressirt für die reichen Barone. Ich entsinne mich noch des ersten Hundes. Er war von kurischer Race, gelb und weiß, eigentlich zu hell. War er in der Gerste, so sahst Du ihn keine 10 Schritt weit. Es war eine Hündin, hieß Diana. Sie hatte eine Doppelnase und war so ungelehrig, daß es ein halbes Jahr dauerte, bis ich ihr das Apportiren beibrachte. Nachher verkaufte ich sie an Otto's Vater. Sie fiel einmal ein und da schoß er sie auf der Stelle nieder. Nachher hörte ich, daß der M…sche Kalk zur Stadt liefern mußte, übernahm den Transport und machte dabei auch ein kleines Geschäft. Mit dem Bißchen, was ich damals gewann und dem Bißchen Mehr, das ich dem Aarburgschen im Spiel abnahm, fing ich denn an. Als der Aarburgsche sich endlich den Hals brach, – er war ein eben so toller Mensch, wie der Sohn – pachtete ich das Gut und von da an ging es vorwärts. Aber wo wäre ich jetzt, wenn ich von vornherein so viel gehabt hätte, wie der Otto! Noch ist übrigens nicht aller Tage Abend, sag' ich. Ich werde es noch erleben, daß er kopfüber geht und dann nehme ich das Gut wieder in Pacht, und zwar noch billiger als damals, sag' ich. Du wirst noch einmal ein großer Grundherr sein, Lebrecht, Dir werden alle Güter ringsumher gehören, Lebrecht. Ich bedaure, daß Aarburg ein Majorat ist, sonst würde es Dir auch einmal gehören, Lebrecht. Aber wir werden es in Pacht nehmen, in ganz billige Pacht. Ich habe das Aarburg in meiner Hand, Lebrecht, ich habe es für jeden Fall an den Löffeln. Es kann sich nicht losreißen, es mag sich sperkeln wie es will. Bleibt der Otto am Leben, so kann ich ihm die Kehle zuschnüren, sobald ich will, denn ich brauche blos meinen Schreibtisch aufzumachen, so ist er caput; wird er aber todtgeschossen oder kommt er sonst um, was doch früher oder später geschehen muß, so beerbt ihn der Onkel und den hab' ich erst recht im Schreibtische.«

»Warum greifst Du nicht schon jetzt zu, Papa?«

»Weil ich kein Narr bin, Lebrecht. Otto ist ein gewaltthätiger, toller Mensch, Lebrecht, und einmal muß er doch umkommen. Wir sind Edelleute, sag' ich, Lebrecht, und da sind wir in Jedermanns Hand, sag' ich. Er ist ein gewaltthätiger Mensch und er braucht mich nur in's Gesicht zu schlagen, so kann er mich todtschießen, sag' ich. Der Bachhöfsche ist ein ganz anderer Mann. Mit dem kann man verständig verhandeln, aber Otto Schweinsberg – daß Gott erbarm', das ist ein Wahnsinniger!«

Die Landstraße führte immer in einiger Entfernung vom Flusse hin, bis in die Nähe von Parkhof. Hier bog der Weg nach Behrslappen ab und lief zwischen dem Gut und dem Pastorate hin. Im Herrenhause waren alle Zimmer hell; man sah, daß das Haus wieder bewohnt war.

»Wir müssen morgen am Tage in Parkhof Visite machen, Lebrecht,« sagte Lehmhof. »Der junge Balteville wird selbst wirthschaften, – nun, das wird gut werden!«

»Und Markhausen?«

»Nun, Markhausen bleibt vorläufig noch in Aarburg. Markhausen ist aber gefährlich, darum muß er noch hinaus. Markhausen ist ein Mann, der sich bückt, um ein Hufeisen aufzunehmen, das auf der Straße liegt, darum muß Markhausen hinaus. Die Andern habe ich im Schreibtische. Den Bachhöfschen habe ich im Schreibtische, Otto habe ich im Schreibtische, den jungen Balteville werde ich im Schreibtische haben – aber den Markhausen bekomme ich nicht herein und darum muß er hinaus.«

Während Lehmhof und sein Sohn Behrslappen zurasselten, ritten auch der Aarburgsche und der Doctor langsam nach Hause. Der Aarburgsche hatte bald sein Roß gezügelt und sich vom Doctor einholen lassen, und so setzten sie gemeinsam den Ritt fort. Der Mond schien hell und sein Licht erglänzte dort, wo der Fluß hin und wieder sichtbar wurde, wie Silber.

»Ein merkwürdiger Mensch, der Herr von Lehmhof,« begann der Doctor. »Ein höchst merkwürdiger Mensch.«

»Ein höchst merkwürdiger Schuft,« bemerkte der Baron.

»Wie? Was? Was sagten Sie?«

»Ich sagte, daß Lehmhof ein höchst merkwürdiger Schuft sei.«

»Was? Herr von Lehmhof ein Schuft? O, Sie scherzen.«

»Ich scherze gar nicht. Lehmhof ist ein Schuft, eine Bestie.«

»Wie? O nein, Sie urtheilen zu hart, Herr von Schweinsberg. O, nicht doch! Er ist ein Sonderling. Das ist wahr, natürlich. Er ist ein Bißchen komisch, ja, ein Bißchen sonderbar, aber ein Schuft. O, nein, nein! Natürlich.«

»Hören Sie, Doctorchen,« sagte Otto gutmüthig, »Sie sind wirklich ein impertinent guter Mensch.«

»Ich, wie so? Nein, gar nicht. Aber ich bitte Sie, – Sie verkehren mit ihm.«

»Haben Sie mich wirklich je in Verdacht gehabt, eine Vorliebe für den Verkehr mit anständigen Menschen zu haben, Doctor? Einen so groben Irrthum möchte ich Ihnen nicht zutrauen. Bei Gott nicht.«

Der Doctor lachte herzlich.

»O, sehr gut!« rief er, »das ist sehr gut. Bravo! O, das ist famos. Keine Vorliebe für den Verkehr mit anständigen Menschen gehabt! O, sehr gut! Natürlich.«

Des Doctors Lachen steckte auch den Baron an.

»Nein, im Ernste,« sagte er dann, »ich habe von Jugend auf eine Abneigung gegen den Verkehr mit anständigen Leuten gehabt. Ich habe immer gefunden, daß die anständigen Leute höllisch langweilig sind. Ich hatte es schon als Knabe heraus, daß meines Onkels Stallknechte und meiner Tante Jungfern viel amüsanter waren, als mein Onkel und meine Tante selbst.«

»O, nicht doch! Natürlich.«

»Nun, gewiß. Sie z. B. sind doch gewiß ein anständiger Mensch und dabei natürlich auch unerträglich langweilig.«

Der Doctor wollte sich ausschütten vor Lachen.

»Ich habe,« fuhr der Baron fort, »mein Lebtag immer eine ausgesprochene Vorliebe für Juden, Zigeuner, Dirnen und anderes loses Volk gehabt. Von der seßhaften Bevölkerung sind mir solche Kerle wie der Lehmhof immer noch die liebsten gewesen. Es ist die reine, unverfälschte Bestie und hat als solche einen entschiedenen Vorzug vor der gebändigten. Man kann an dem Subjecte die Schlechtigkeit als solche studiren.«

»O, nicht doch, so ist Herr von Lehmhof gar nicht. O, nicht doch!«

»Lassen Sie sich begraben, Doctor. Im Ernst. Sie sind zu Schade für diese Welt.«

Der Doctor krümmte sich wieder vor Lachen. Man konnte sich keinen dankbareren Zuhörer denken, als ihn.

»Nein wirklich, Sie sind zu Schade für diese schlechte Welt. Sehen Sie, Doctor, dieser Lehmhof ist die Spinne, und mein Onkel und ich sind die Fliegen. Er leiht uns zunächst Geld und nimmt es uns dann im Spiele wieder ab. Er ist mit dem Leihen außerordentlich rasch bei der Hand, genau so rasch wie wir mit dem Spielen. Weiß er doch, daß jeder neue Wechsel, den wir ihm ausstellen, ein neuer Faden in seinem Netz ist. Sind wir erst ganz umsponnen, so saugt er uns eines Tages das Blut aus – und hat, was er will.«

Der Doctor sah verwundert zum Baron hinüber. War das nun wieder Scherz oder Ernst?

»Ich bin eigentlich schon gefangen,« fuhr der Baron ganz ruhig fort, »und er würde sich schon längst herangewagt haben, wenn er sich nicht vor meiner Reitgerte fürchtete.«

»Sprechen Sie im Ernste, Herr von Schweinsberg?«

»Jawohl.«

»Und warum gehen Sie denn in's Netz?«

»Warum? Nun, wäre er es nicht, so wär' es ein Anderer und er ist wirklich die Schlechtigkeit in Person. Es giebt nichts Amüsanteres, als so einen recht schlechten Kerl zu durchschauen, ganz zu durchschauen und ihn dann doch gewähren zu lassen. Ich sagte Ihnen schon, daß das Gemeine für mich immer eine besondere Anziehungskraft gehabt hat. Haben Sie einmal irgend eine Darstellung des jüngsten Gerichts gesehen, Doctor? Nicht? Nun, wenn Sie einmal ein solches Bild gesehen hätten, so würden Sie bemerkt haben, daß die Teufelseite immer viel interessanter ist, als die Engelseite.«

»Aber lieber Herr von Schweinsberg,« rief der Doctor ernsthaft erschreckt, »Sie sprechen von einer Möglichkeit, die, wenn sie sich bewahrheiten sollte, sicherer Untergang wäre und Sie reden davon in einem Tone, als ob es sich um die gleichgültigste Sache handelte.«

Der Baron, der auf der rechten, der Schattenseite ritt, schaute spöttisch zum Doctor hinüber.

»Doctorchen,« sagte er, »Sie ereifern sich wirklich ganz unnützerweise. Ich wiederhole Ihnen, wäre es nicht Lehmhof, so wäre es ein Anderer und dieser Andere wäre schwerlich so amüsant wie der Behrslappensche und sein Sohn Lebrecht.«

Der Doctor drang nun mit großem Eifer in den Baron, entweder seine Meinung über Lehmhof zu berichtigen, oder aber sich von ihm loszumachen und wurde dabei ganz warm.

Als er endlich schwieg, sagte der Baron in einem Tone, als ob er das Gespräch fortsetze:

»Ihren Braunen müssen Sie aber trotzdem verkaufen. Sie, der Sie bei jedem Weg und Wetter hinaus müssen, können sich sonst noch einmal Hals und Bein brechen.«

Der Doctor schwieg einen Augenblick verwirrt, blieb aber dann doch bei dem bisherigen Thema. Der Baron ritt schweigend neben ihm her, aber als der Doctor geendet, sagte er:

»Markhausen schickt Dienstag nach Lithauen, da sollten Sie den Braunen mitgeben. Wenn Sie noch 50 Rubel zuzahlen, können Sie dafür einen guten Gaul haben.«

Der Doctor ging nun, obgleich ihm der Sinn ganz verwirrt war, auf den Vorschlag ein und der Baron gab einige interessante Notizen über den Hahnentritt zum Besten.

So erreichten sie den Kreuzweg. Der Baron schüttelte dem Doctor, der hier rechts abbog, die Hand, bat ihn, sich die Sache mit dem Braunen noch einmal zu überlegen und ritt dann, wie bisher, im Schritte davon. Er war bald so tief in Gedanken versunken, daß ihn sein vor einem über den Weg huschenden Wiesel scheuendes Pferd fast abgeworfen hätte. »Spaßhaft wäre es,« murmelte er, während er das Thier wieder zur Ruhe brachte, »spaßhaft wäre es!«

Der Weg lief am linken Flußufer hin und wenn der Baron nach Hause wollte, so mußte er jetzt rechts abbiegen und das steile Ufer hinab zur Fähre reiten, er setzte aber statt dessen sein Roß in Trab und eilte im raschen Tempo die Straße hinab, bis er Parkhof erreicht hatte, das ein paar Werst weit unter Aarburg gelegen war.

Der Baron ritt mitten auf den grünen Rasenplatz vor dem Hause, hielt dort und schaute aufmerksam zu den erleuchteten Fenstern hinauf, während ein Paar große Wolfshunde (Frau Amanda hatte eine ausgesprochene Passion für diese Race) ihn wie toll anbellten. Ihr Lärmen rief nach einiger Zeit den Wächter herbei, der, als er den Reiter erblickte, ihm, indem er eilig auf ihn zuhumpelte, schon von Weitem zurief, er möge augenblicklich aus den Blumenbeeten herausreiten. Erst als er ganz nahe heran war, erkannte er den Baron und wurde nun die Höflichkeit selbst, indem er zunächst die Hunde beruhigte.

»Verzeihen Sie, gnädiger Herr,« sagte er dann, indem er die Mütze abnahm und den Baron auf das Bein küßte, »ich erkannte Sie nicht.«

»Wann sind die Herrschaften angekommen?«

»Heute Mittag, Herr Baron.«

»Wer?«

»Die gnädige Frau, das gnädige Fräulein, der junge Herr und des Pastors Brudersohn.«

»Gut, Du kannst gehen.«

Der Alte lockte die Hunde an sich und humpelte wieder in den Schatten, froh, so leichten Kaufes davon gekommen zu sein.

Der Baron hielt noch eine Weile still, dann wandte er sein Thier, ritt denselben Weg wieder zurück, den er gekommen war und bog dann zur Fähre ab, wo der Fährmann ihn erwartete. Auf derselben stieg er ab, ließ den Fährmann das Pferd halten und zog selbst die Fähre hinüber. Während er so mit weit ausgebreiteten Armen das Tau umfaßt hielt, indessen er mit den Füßen die Fähre unter sich fortbewegte, fiel sein Blick auf sein Spiegelbild in dem vom Monde beleuchteten Wasser. Er war doch eine sehr stattliche Erscheinung.

»Spaßhaft wäre es,« murmelte er wieder, »außerordentlich spaßhaft!«

»Herr,« sagte der greise Fährmann plötzlich, »Herr, wer hat Euer armes Pferd so schändlich zugerichtet?«

»Ich selbst,« war die trockene Antwort.

»Daß Gott bewahre, Herr!«

Der Baron, der gerade eine besonders starke Bewegung machte, blickte auf sein Spiegelbild und sagte behaglich:

»Ja, wo ich hinschlage, da wächst kein Gras.«

»Ganz wie der Vater, ganz wie der Vater!«

»Findest Du, Alter?«

»Der selige Herr Baron hatte auch den Teufel im Leibe,« fuhr der Alte fort. Er war der einzige Mensch, von dem sich Schweinsberg solche Dinge sagen ließ, und er machte davon einen keineswegs spärlichen Gebrauch.

»Wie Sie das arme Thier zugerichtet haben,« sagte er kopfschüttelnd und betrachtete den Kopf des Pferdes von allen Seiten.

»Warum gehorcht das Vieh nicht, Alter! Wer mir nicht gehorcht, macht schlechte Geschäfte. Was?«

»Ja, ja, so seid Ihr,« war die Antwort; »Mensch oder Thier oder ein Stück Holz, das ist Euch alles einerlei.«

»Jawohl, Alter, ganz einerlei.«

Der Baron stemmte den Fuß gegen den Balken, durch dessen Spalte das Tau lief, zog mächtig an und schaute wieder zu seinem Spiegelbilde hinab. Die Fähre glitt schnell dem andern Ufer zu.

»Alter!«

»Ja, Herr.«

»Was meinst Du? Wenn Du hier eines Tages meine Leiche aus dem Wasser zögest? Was?«

»Das wäre nichts Wunderbares, Herr.«

»Oder wenn Du mich eines Tages hier übersetzen würdest, zugleich mit meiner jungen, mir eben angetrauten Frau? Was?«

»Das wäre auch nichts Wunderbares.«

»Oder wenn ich eines schönen Abends verrückt würde und Dich vom Floße in den Strom stürzte? Was?«

»Das wäre erst recht nichts Wunderbares.«

Der Baron lachte. »Du bist ein Philosoph,« sagte er, »ein Weiser, der die Dinge nimmt, wie sie eben sind.«

Die Fähre stieß an's Ufer, der Alte öffnete den Hebebaum und der Baron schwang sich aufs Pferd. Indem er das Ufer hinanritt, drückte er dem Alten eine Banknote in die Hand, die er auf gut Glück aus seiner Tasche genommen hatte. Es konnte ein Rubel sein, es konnten deren aber auch fünf oder zehn oder fünfundzwanzig sein, denn der Baron hielt sein Geld, ohne es irgend zu sondern, einfach in der Tasche. Ein Einrubelschein war es jedenfalls nicht, sonst hätte der Alte nicht so behaglich geschmunzelt, als er das Papier einsteckte.

»Es kann Alles so kommen, wie Du sagst,« murmelte der Alte, während er das Tau befestigte, »es kann Alles so kommen. Du kannst eines Tages verrückt werden und mich in's Wasser werfen, oder Du kannst eines Tages Dich hier von mir übersetzen lassen, zugleich mit Deiner jungen, Dir eben angetrauten Frau; oder Du kannst Dich eines Tages hier von mir aus dem Wasser ziehen lassen, mit einem Bootshaken. Es kann alles so kommen, dabei wäre nichts Wunderbares.«

Der Alte schneuzte sich, fuhr sich dann mit dem Aermel seines Rockes über's Gesicht und ging in seine Hütte.

Unterdessen ritt der Baron im Galopp das steile Ufer hinan, sprengte zwischen den Teichen hin und hielt vor dem Schlosse. Hier empfing ihn ein halbes Dutzend Hunde mit Freudengebell, während zwei Stallknechte herbei eilten und ihm das Pferd abnahmen.

Der Baron schaute zu den Fenstern des Nebengebäudes hinauf, in welchem sein Verwalter, der Baron Markhausen, wohnte. Im Arbeitszimmer Markhausens war trotz der späten Stunde noch Licht.

»Gotthard,« sagte Schweinsberg zu dem Diener, der ihm die Hausthür öffnete, »gehe hinüber zum Baron und frage, ob ich ihn noch sprechen kann.«

Der Diener eilte davon und kam dann mit der Botschaft zurück, daß Markhausen den Baron erwarte.

»Guten Abend,« sagte Schweinsberg beim Eintreten, »Sie sind der fleißigste Mensch, der mir je vorgekommen ist. Wieder gelesen?«

Markhausen nickte bejahend.

»Sie sind ein wahres Ungeheuer an Fleiß, Markhausen,« rief der Baron wieder, indem er sich in einen Lehnstuhl warf, »ein wahres Ungeheuer an Gelehrsamkeit. Es ist mir unbegreiflich, wie man am Lesen Freude finden kann. Ich versichere Sie, daß ich auch nicht das kleinste Buch zu Ende bringen kann. Es ist mir ganz unmöglich. Wenn ich zehn Seiten gelesen habe, sieht es in meinem Kopfe wie Kraut und Rüben aus.«

»Nun, das ist Geschmackssache.«

»Natürlich. Ich beneide Sie um Ihre Fertigkeit. Man muß damit doch manche langweilige Stunde auf eine angenehme Weise todtschlagen können. Sagen Sie – die Baltevilles sind ja angekommen!«

»Ja, sie trafen heute Mittag ein.«

»Nun, und wie sieht das Fräulein aus?«

»Fräulein Balteville? O, das ist ein sehr hübsches Mädchen.«

»Hübsches Mädchen! Sie Schäker! Was hilft mir der Mantel, wenn er nicht gerollt ist? Was? Was helfen mir die Kirschen, wenn sie nicht in meinem Garten stehen?«

»Was meinen Sie, Schweinsberg?«

»Nun, ich meine, daß sich der Fuchs schon gefunden hat, der dieses Goldhähnchen in seine Höhle schleppen wird.«

»Geht das auf den jungen Eichenstamm?«

Schweinsberg brach in ein lautes Gelächter aus.

»Geht das auf den jungen Eichenstamm?« wiederholte er spottend. »Sie sind ja heute wieder einmal ganz Unschuld vom Lande. Sie, Schlauberger, Sie!«

Markhausen, der an Otto's ungenirte Sprache gewöhnt war, legte sich in seinen Stuhl zurück und sah schweigend den Rauchwolken seiner Cigarre nach, wie sie um die Lichter wogten.

»Sagen Sie doch, Markhausen,« fuhr Schweinsberg fort, »war davon schon die Rede, was der Eichenstamm eigentlich will?«

»Er wird Landwirth werden.«

»Landwirth? Oho, da haben wir es. Nun, und wer behält Parkhof, er oder der Schwager?«

»Ich glaube nicht, daß er mit Fräulein Balteville verlobt ist.«

»Wirklich nicht? Nun, das kann man ja auch nicht sogleich gewahr werden. Wie würde er sonst Landwirth werden; kann er doch schwerlich Roggen von Waizen unterscheiden.«

Markhausen zuckte die Achseln. »Die alte Geschichte,« sagte er, »wem es sonst nirgend gelingt, der wird Landwirth.«

»Ich muß morgen am Tage hinüber,« sagte Schweinsberg, mehr zu sich selbst, als zu Markhausen. »Sie meinen also wirklich, daß die Beiden noch nicht verlobt sind?« fügte er hinzu.

»Verlassen Sie sich darauf.«

Schweinsberg sprang auf und ging mit schweren Schritten im Zimmer auf und nieder.

»Reiten Sie morgen mit?« fragte er dann. »Mein Onkel, der Behrslappensche, der Waldhöfsche und noch ein paar Andere jagen bei Purrith. Da müssen jetzt Füchse ohne Zahl sein.«

»Nein, ich danke Ihnen. Ich werde in den nächsten Wochen so beschäftigt sein, daß ich mich auf keinen Augenblick werde freimachen können. Ich muß der Parkhöfschen Frau die Jahresabschlüsse vorlegen und den Sohn in die Wirthschaft einführen. Von Georgi ab soll er selbstständig wirthschaften.«

»Und Sie werden einfach entlassen?«

»Wahrscheinlich nicht ganz. Der junge Balteville soll zunächst nur den großen Hof erhalten; ich werde, wie es scheint, die eigentliche Verwaltung vorläufig noch behalten.«

»Wie präsentirt sich denn der Junge?«

»Es scheint ein bescheidener, liebenswürdiger junger Mann zu sein.«

»Und Eichenstamm?«

»Ihr Kamerad macht auf den Fremden keinen angenehmen Eindruck. Er hat etwas ungemein Hochmüthiges und Kaltes in seinem Wesen.«

»Wirklich? Was Sie sagen! Hochmüthig, ja, das schien er zu sein, aber nach Kälte sah er, als ich ihn kannte, nicht aus. Sie könnten mir übrigens einen Gefallen thun, Markhausen. Sehen Sie morgen etwas nach meinem Blondel; ich habe das arme Vieh gräulich zugerichtet.«

»Warum das?«

»Einmal, weil er sich wieder nicht führen ließ und dann, weil meine Tante gerade zum Fenster hinaussah. Wenn meine Tante dabei ist, bin ich gern noch roher als gewöhnlich.«

Markhausen lächelte. »Und warum?« fragte er.

»Sehen Sie, Markhausen, meine Tante ist so fürchterlich gebildet und fein, da reizt es mich immer, nach der andern Seite hin auszuschlagen. Wenn eine Pharisäerin zusieht, ist ein Zöllner immer noch mehr Sünder als gewöhnlich.«

»Sie wissen, daß ich für Ihre Tante eine Schwärmerei habe.«

»Jawohl, das Gefallen ist gegenseitig. Sie haben auch viel Verwandtes in Ihrem Wesen, warum sollten Sie sich nicht gefallen. Wissen Sie schon, daß in Waldhof die Riege abgebrannt ist?«

Markhausen wußte es nicht.

Schweinsberg sprach nun ungefähr noch über zwanzig Themata, die mit einander so viel Gemeinsames hatten, wie seiner Tante Charakter mit dem Riegenbrand in Waldhof, und ging erst davon, als er sah, daß Markhausen so müde und schläfrig war, daß er kaum noch die Augen offen halten konnte.


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