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Wiedersehen.

Als Heinz den Park verließ und auf den Rasenplatz vor dem Herrenhause trat, wurde die Glasthür aufgerissen und ein Herr stürzte aus derselben hervor. Er mußte es sehr eilig haben, denn er lief die Stufen, die von der Veranda hinabführten, so schnell hinunter, daß er stolperte und gefallen wäre, wenn er sich nicht mit einem tüchtigen Sprunge geholfen hätte. Unten angelangt, eilte er Heinz mit offenen Armen entgegen.

»O, mein lieber Heinz!« rief er, »Heinz! O mein Heinz!«

Dann lagen sich die Freunde in den Armen. Der Doctor war ganz außer sich vor Freude.

»O Heinz,« rief er, »das ist herrlich! Das ist köstlich. Ich bin entzückt, Heinz, Dich wiederzusehen! Ich bin ganz außer mir! O, mein lieber Heinz! Natürlich!«

Sie gingen nun Beide in das Haus, an dessen Schwelle Horace sie empfing.

»Welch angenehme Ueberraschung, Heinz,« rief er, »daß Du schon so früh zurückkehrst. Wir hatten uns darauf gefaßt gemacht, Dich den ganzen Tag entbehren zu müssen und der Herr Doctor war bereits im Begriffe, wieder davon zu reiten, ohne Dich gesehen zu haben.«

»Natürlich, Herr von Balteville, natürlich! Ich muß auch jetzt gleich wieder fort. Ich bin riesig pressirt, natürlich, aber ich konnte es nicht über's Herz bringen, an Parkhof vorüber zu reiten, ohne Dich, Heinz, gesehen zu haben. Mein lieber Heinz!«

Während Karlchen Maier so sprach, zwinkerte er ununterbrochen mit den Aeuglein und sah Heinz so verliebt an, als wäre dieser seine Braut.

»Aber ich bitte Sie, Herr Doctor,« sagte Horace, »Sie werden doch nicht gleich wieder fort? Ich würde das ungemein bedauern.«

»Sie sind sehr gütig, Herr von Balteville, allein Sie wissen, ich habe ungeheuer viel zu thun. Ich habe heute noch drei Güter zu besuchen, natürlich.«

Horace und Heinz machten noch einen Versuch, den Doctor zum Bleiben zu bewegen, aber dieser ließ sich nicht halten. So begleiteten sie ihn denn die Treppe hinab und blieben bei ihm, bis sein Pferd vorgeführt wurde.

»Herr von Balteville meint,« sagte der Doctor, indem er die Zügel ergriff, »Du würdest Landwirth werden, Heinz. Ich denke, Herr von Balteville irrt sich. Natürlich!«

»Nein, ich will allerdings Landwirth werden.«

»O, nicht doch! O, das ist nicht Dein Ernst! Du Landwirth werden? O nein, natürlich!«

»Gewiß, Karl, gewiß.«

»O, nicht doch! Das ist eine vorübergehende Mißstimmung. Du hast auf der Universität nichts gethan, nun, das thut nichts. Sie kennen ihn, Herr von Balteville, ich frage Sie, ob das ihm etwas thut. O, Du wirst auf unsere Landesuniversität gehen und in einem Jahre ein vortreffliches Examen machen. Du hast es nicht nöthig, Jahr für Jahr zu arbeiten, natürlich, Du bist deshalb noch kein verpfuschter Student. Du – Landwirth werden? Lächerlich! Höchst lächerlich! Albern! Abgeschmackt! Einfältig!«

»Sie scheinen eine außerordentlich geringe Meinung von der Bedeutung eines Landwirthes zu haben, Herr Doctor,« bemerkte Horace ein wenig empfindlich.

»O, Pardon, durchaus nicht. Im Gegentheil! Gewiß nicht. Aber Heinz! Nun, Sie kennen Heinz. Sie werden mir zugeben, daß man ein sehr wackerer Mann sein kann, und doch nicht Heinz. Heinz wird sein Magisterexamen machen und Professor werden. Nicht wahr, Heinz, was? O natürlich!«

Karlchen Maier lachte laut auf, stieß dann voll Humor Heinz mit der Reitpeitsche in die Seite, schwang sich auf's Pferd und ritt davon. Des Doctors Brauner hatte einen ganz unbarmherzig harten Trab, und da der Reiter, trotz seiner Jugend, sich bereits einer stattlichen Beleibtheit erfreute, sah es gar drollig aus, wie die kleine, untersetzte Figur so auf und nieder hopste.

Horace lachte leise vor sich hin.

»O, das ist ein sehr liebenswürdiger junger Mann, Heinz,« sagte er. »Und er ist Dir außerordentlich ergeben, Heinz. Du glaubst nicht, wie dankbar ich ihm dafür bin.«

Horace drückte Heinzens Arm und sah ihm zärtlich in's Gesicht. Jetzt erst fiel ihm auf, wie bleich der Freund war.

»Mein lieber Heinz,« rief er besorgt, »ist Dir nicht wohl? Du erschreckst mich.«

Heinz fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als ob er damit die peinigenden Gedanken wegwischen könnte, die ihn erfüllten.

»Es ist nichts, Horace,« sagte er zerstreut, »ich hatte eine Scene mit meinem Onkel.«

»Aber das ist doch wirklich unerträglich,« rief Horace entrüstet, »kaum bist Du wieder daheim, so machen sie Dir auch schon Unannehmlichkeiten. Deine Verwandten sind wirklich mitunter ein wenig – ein wenig – wie soll ich sagen – ein wenig tactlos. Pardon, lieber Heinz, daß ich mir erlaube, so über Deine Verwandten zu urtheilen, aber ich sage das ja auch nur zu Dir.«

»Laß sie,« sagte Heinz einsilbig. Er hörte noch immer des Doctors: »Du wirst deshalb kein verpfuschter Student.« Das war dieselbe Melodie, die ihm noch vom Pastorate her in den Ohren lag. Heinz schüttelte sich. Heinz Eichenstamm – ein verpfuschter Student! Das war unerträglich!

Heinz sollte nach dieser Melodie noch manches Liedlein singen hören.

»Ich habe noch eine Ueberraschung für Dich,« sagte Horace und zog den Freund mit sich fort.

»Was ist es?«

»Nun, Du wirst ja selbst sehen.«

Horace führte Heinz in's Haus, schritt mit ihm rasch durch den Saal, und Beide betraten das Eckzimmer, in welchem Frau von Balteville und Madeleine sich aufzuhalten pflegten. Als die Freunde eintraten, erhob sich ein großer, breitschulteriger Mann von dem Sopha, auf welchem er bisher neben der Hausfrau gesessen hatte und trat auf Heinz zu.

»Guten Tag, Eichenstamm,« rief der Fremde. »Erkennen Sie mich noch?«

Heinz erkannte ihn sogleich.

»Guten Tag, Herr von Schweinsberg,« sagte er, indem er in die dargebotene Hand einschlug, »ich freue mich, Sie wiederzusehen.«

Die Balteville's warfen einander verwunderte Blicke zu. Der Aarburg'sche hatte sich, als er eintraf, als einen intimen Universitätsfreund Heinzens vorgestellt, und Horace hatte sich von Madeleinens Vorschlag: Heinz von dem Besuche nichts zu sagen, sondern ihm unmittelbar den Freund zuzuführen, eine große Wirkung versprochen. Jetzt sah er mit Verwunderung, wie kalt Heinz den unerwarteten Gast, dessen Anblick ihn an Fischersbach erinnerte, und daher unangenehm berührte, begrüßte.

Der Baron war indessen nicht der Mann, um sich durch so etwas aus dem Concept bringen zu lassen. Wie er vorher sogleich auf Madeleinens Vorschlag eingegangen war, so blieb er auch jetzt ganz Herzlichkeit und Freude.

»Das ist wirklich charmant, Eichenstamm,« rief er, »daß Sie endlich wieder zurück sind. Sie glauben nicht, wie sehr ich mich nach Ihnen gesehnt habe. Wenn man hier in unserer gesegneten Hauptmannschaft lebt, so ist man nach einer verständigen Conversation so ausgehungert, wie ein Einsiedler nach einem ordentlichen Stück Fleisch. Hier ist Alles Heuschrecke, gnädige Frau, Alles Heuschrecke! Ich sagte schon, ehe Sie eintraten, Eichenstamm, daß ich nicht begreife, was die Parkhöf'sche Frau dazu hat bewegen können, unsere Gegend durch ihre Gegenwart zu zieren. Wahrhaftig, Ihr Entschluß, gnädige Frau, ist eben so erfreulich, als überraschend.«

Frau Amanda lächelte geschmeichelt.

»Sie sind sehr gütig, cher Baron,« sagte sie.

»Mama hat eine sehr große Vorliebe für unsere Heimath,« meinte Horace.

»Wirklich? O, das ist entzückend, gnädige Frau, obgleich Sie damit nicht allein stehen. Nein, wirklich nicht, ich war noch in voriger Woche in der Stadt mit dem Fürsten Subonin zusammen, den Sie ja gewiß auch kennen. Subonin, nicht wahr, Sie kennen ihn?«

»Ich weiß nicht recht,« erwiderte Frau Amanda, »ich kann mich allerdings nicht entsinnen.«

»Nun, er kennt Sie jedenfalls, gnädige Frau. Er erzählte mir, daß er mit Ihnen, warten Sie nur, wo war es denn doch gleich, ja ganz richtig, – daß er Ihnen in Venedig durch Michel Passatosky vorgestellt worden sei. Entsinnen Sie sich nur, durch Michel Passatosky, den langen, blonden Michel mit dem einfältigen Gesichte. Er ist der Bruder der Gräfin Cäcilie, die so hübsch Klavier spielt und die man daher die heilige Cäcilie nennt.«

»Ganz recht, jetzt bin ich au fait,« sagte Amanda, obgleich sie natürlich von der heiligen Cäcilie, deren blondem Bruder und dem Fürsten Subonin ebenso wenig etwas wußte, als irgend ein anderer Mensch.

Madeleine, die während dieser Unterredung mehr und mehr erröthete, beugte sich immer tiefer auf ihre Arbeit. Horace hörte harmlos zu, Heinz betrachtete den Baron mit Verwunderung.

»Nein wirklich, Eichenstamm, ich bin ungemein erfreut, Sie wieder zu sehen,« sprach der Baron weiter, indem er seine Hand auf Heinzens übergeschlagenes Bein legte. Es war doch eine köstliche Zeit in Fischersbach! Ich habe noch oft an sie zurück denken müssen. Denken Sie sich, gnädige Frau, ich mußte mich dort mit Eichenstamm auf Säbel schlagen. Sie werden es nicht glauben wollen, aber es ist buchstäblich wahr. Heinrich Westerberg war mein Secundant. Sind Sie ihm vielleicht irgendwo begegnet, Herr von Balteville? Ich meine den Grafen Westerberg aus dem Hause Keuchelsleben, nicht den holsteinschen Westerberg, der sich damals auch auf deutschen Hochschulen umhertrieb.«

Horace verneinte die Frage.

»Sie wollten uns von dem Fürsten Subonin erzählen, cher Baron,« erinnerte Frau von Balteville.

»Ah, ganz richtig. Nun, wir soupirten eines Abends nach dem Theater im Klosterkeller. Paul Subonin, der P…sche, der T…sche und der R…sche. Es kam die Rede auf wirkliche Schönheiten, und bei dieser Gelegenheit erzählte Subonin, daß er die Bekanntschaft Ihrer Familie gemacht habe. Ihre Familie muß auf den Fürsten einen großen Eindruck gemacht haben, ich versichere Sie, er wurde ganz warm.«

Heinz, dem die Conversation höchst verdächtig vorkam, schien es, als ob der Blick, den der Baron Madeleine zuwarf, ein durchaus spöttischer war. Was mochte er damit nur erreichen wollen?

»Es ist auffallend, daß ich mich des Fürsten so gar nicht entsinnen kann,« sagte Horace.

»O, das ist am Ende doch nur natürlich, mon enfant,« meinte Frau Amanda. »Man macht auf Reisen so viel vornehme Bekanntschaften, daß man sich der einzelnen nachher nicht mehr entsinnt. Nicht wahr, cher Baron?«

»Gewiß, meine gnädige Frau. Davon hatte ich noch im vorigen Jahre Gelegenheit mich zu überzeugen. Ich stehe eines Tages gerade in Genf vor einem Hotel, da kommt ein Herr auf mich zu und redet mich auf's Freundschaftlichste an. Ich kann mich nicht entsinnen – sage ich und ziehe den Hut. Wie, erkennen Sie mich nicht mehr, Baron? fragte er. Ich sehe wohl, daß der Fremde ein mir bekanntes Gesicht hat, aber ich kann auf den Namen nicht kommen. Endlich stellt er sich mir vor – es war der Graf Cavour.«

»Wie, der italienische Ministerpräsident?« rief Horace. »Das ist ja höchst interessant.«

»Ja wohl, derselbe. Ich lernte ihn in Paris auf einer Soirée beim Herzoge von Morny kennen. Ich unterhielt mich gerade mit dem Kaiser, als Persigny den Grafen hereinführte und ihn uns Beiden vorstellte. Sein Erscheinen war freilich ein wenig störend, denn der Kaiser fragte mich eben, welchen Eindruck der König von Preußen auf mich gemacht habe, und da mußte ich natürlich, als der Graf hinzutrat, abbrechen, aber nun, es war immerhin eine interessante Bekanntschaft.«

»Wirklich,« rief Frau Amanda im höchsten Erstaunen aus – »Sie kennen den Kaiser von Frankreich persönlich?«

»Ja wohl, ich bin ein paar Mal in seinem Auftrage in Berlin gewesen. Sie werden verstehen – in discreten Angelegenheiten. In solchen Affairen verwendet man mitunter gern außerhalb der eigentlichen Diplomatie stehende Persönlichkeiten, zumal, wenn sie Unterthanen unbetheiligter Monarchen sind. Es war dies natürlich den beteiligten Ministern nicht lieb, und ich hatte deshalb mit Walevsky einen so heftigen Streit, daß ich Thouvenel zu ihm schicken mußte, um ihn zu fordern; aber die Kaiserin Eugenie hatte davon erfahren und legte sich in's Mittel. Da war denn nichts zu machen und ich mußte mich mit einer Erklärung begnügen.«

»Also die Kaiserin kennen Sie auch? Ist sie nicht bildschön? Ich habe sie freilich nur aus der Ferne gesehen.«

»Nun, es geht an. Kennen Sie die Schlänkernsche Frau? Nicht? Nun, das ist Eugenie, wie sie leibt und lebt.«

Der Baron erzählte noch ein paar Stunden lang von seinen vornehmen Bekanntschaften und es erwies sich, daß er jede Person persönlich kannte, deren Name damals gerade viel genannt wurde.

Frau Amanda hörte mit der größten Aufmerksamkeit zu und amüsirte sich so köstlich, wie noch nie in ihrem Leben, und Horace war nicht weniger aufmerksam, obgleich er sich des Verdachtes nicht erwehren konnte, daß der Erzähler etwas übertrieb. Madeleine war innerlich empört über des Barons Frechheit und der Mutter Leichtgläubigkeit. Heinz nahm sich vor, den Baron seinerseits zur Rede zu stellen. Obgleich er ihm für seinen Uebermuth zürnen wollte, so wurde es ihm doch nicht ganz leicht, denn er sah es Otto Schweinsberg an, mit welchem unsäglichen Vergnügen derselbe seine kecken Schwindeleien vortrug.

Als man sich eben zu Tische setzte, hörte man einen Wagen vorfahren. »Das ist mein Onkel, der Bachhöf'sche,« sagte der Baron.

»Wirklich?« rief Frau Amanda, indem sie sich erhob. »Woraus schließen Sie das?«

»Aus dem Peitschengeknall. So knallt nur meines Onkels Kutscher.«

Wie der Leser sich entsinnen wird, war der Bachhöf'sche Schweinsberg ein alter Bekannter von Frau von Balteville. Als sie von ihrem Gatten verlassen wurde, hatte er Mitleid gehabt mit der hülflosen Frau, war hinübergeritten nach Parkhof, hatte sich einfach als Nachbar und Cavalier vorgestellt und ihr seine Hülfe angeboten. Er hatte ihr dann jahrelang mit Rath und That beigestanden, und das Alles, wie man zu sagen pflegt, um Gottes Lohn, denn Frau von Balteville hatte bitten mögen, wie viel sie wollte, der Baron hatte sich stets geweigert, auch nur die geringste Entschädigung für seine Mühen anzunehmen. Frau Amanda war ihm dafür in innerster Seele dankbar und schätzte ihn ungemein hoch, denn sie war bei allen ihren Narrheiten, und obgleich diese mit dem Alter in bedenklicher Weise zunahmen, doch im Grunde keineswegs gemeinen Sinnes. »Horace,« pflegte sie mitunter zu ihrem Sohne zu sagen, »Horace, vergiß nie, was wir dem Bachhöf'schen schuldig sind. Sollte er einmal in Noth kommen, wie ich befürchten muß, denn er ist ein schlechter Chatouillenwirth und er spielt – so wirst Du ihm heimzahlen, was er seinerzeit Deiner Mutter Gutes erwiesen hat.« So war denn Horace in großer Verehrung gegen den Bachhöf'schen herangewachsen und das um so mehr, als die außerordentliche Gutmüthigkeit des Mannes ihn immer höchst sympathisch berührt hatte.

Wenn nun so Frau Amanda's und ihrer Kinder (denn Madeleine theilte in Bezug auf den Baron die Gefühle der Ihrigen) Stellung zum Baron eine klare und einfache war, so galt das doch nicht von ihrem Verhältnisse zur Baronin. Diese war gegen Frau von Balteville so liebenswürdig und zuvorkommend, wie gegen Jedermann und sie hielt ihr gegenüber mit ihren liberalen und auf das Große gerichteten Ideen ebenso wenig hinter dem Berge, als irgend einem Andern gegenüber, aber Frau Amanda fühlte trotzdem instinctiv, daß die Baronin, ihr selbst vielleicht unbewußt, eine tiefe Abneigung gegen sie hegte, und zwar eine Abneigung, die weniger auf persönlichen Eindrücken, als auf dem angeborenen Widerwillen der Aristokratin de pur sang gegen die Tochter des Häringskrämers beruhte.

Während die Hausfrau und ihre Kinder sich mit dem Baron und seiner Frau begrüßten, trat Otto Schweinsberg zu Heinz.

»Nun, Eichenstamm,« sagte er, »wie ich sehe, ist es Ihnen ergangen, wie ich Ihnen prophezeihte, das heißt, Sie haben sich für keinen Beruf entschieden und haben es daher vorgezogen, das Studentenleben als solches zu studiren. Ganz mein Fall.«

Heinz biß sich auf die Lippen.

»Sie irren,« sagte er, »ich habe Geschichte studirt, und zwar sehr fleißig.«

Der Baron lächelte ungläubig. »Ja, ja,« sagte er, »so muß man sagen. Nun, mir machen Sie nichts weiß.«

»Ich wüßte wirklich nicht, Herr von Schweinsberg, was ich für eine Veranlassung haben könnte, Ihnen etwas weiß zu machen,« erwiderte Heinz kalt.

Der Baron trat ein wenig zurück. »Ich verstehe Sie nicht, Eichenstamm,« sagte er verwundert, »warum thun Sie mir gegenüber so fremd? Ich denke, wir sind alte Freunde, und ich hoffte, wir würden auch zu Hause gute Kumpane sein. Haben Sie etwas gegen mich? Habe ich Sie vielleicht, ohne es zu wollen, verletzt?«

Heinz wußte nicht, was er thun sollte. Es ging ihm auch jetzt mit Schweinsberg, wie es ihm in Fischersbach gegangen war: der Mann zog ihn an, trotz alledem und alledem.

»Es verletzt mich,« sagte er endlich, »daß Sie mich wie Jemand ansehen, der sein Studium nicht deshalb aufgiebt, weil es ihm innerlich nicht genügt, sondern weil er nichts gelernt hat.«

Der Baron zuckte die Achseln. »Hören Sie, Eichenstamm,« sagte er im Tone der äußersten Gutmütigkeit, »das war hübsch von Ihnen, daß Sie mir das so gerade heraus sagten. Es ist mir wirklich ganz verständlich, daß es Ihnen eben nicht angenehm sein konnte, mit mir verglichen zu werden, es ist ja das auch in der That wenig schmeichelhaft, aber Sie dürfen mir's nicht verdenken. Wenn man selbst hinter der Thür gestanden hat, so meint man unwillkürlich, der Andere müßte das Winkelchen auch kennen, und greift man dann wohl mitunter fehl. Also – gute Freundschaft, Eichenstamm!«

Er reichte Heinz die Hand hin, und dieser schlug ein.

»Sie hatten vorhin einen wunden Punkt berührt,« sagte er, »und da zuckte ich unwillkürlich zusammen. Man scheint mich hier allgemein für einen verpfuschten Studenten zu halten, der auf der Hochschule nichts gethan hat und der nun Landwirth wird, weil er in diesem Fache keine Kenntnisse zu bedürfen glaubt. Wie Sie sich werden denken können, ist eine solche Wahrnehmung außerordentlich verstimmend.«

»Ja, das mag sein,« erwiderte Schweinsberg, »aber übel nehmen dürfen Sie es Niemandem, daß man die Sachlage so auffaßt. Warum werden Sie denn aber Landwirth, wenn Sie ein Examen machen können? Ich bin, wie Sie sehen, sehr offen, aber ich kann nicht anders.«

Ehe noch Heinz antworten konnte, kamen Horace und der Bachhöf'sche auf die Beiden zu und Horace stellte seinen Freund dem Barone vor. Der alte Herr verhielt sich recht kühl, denn Bürgerliche, die, ohne ausstudirt zu haben, Landwirthe wurden, waren nicht nach seinem Geschmacke. Heinz fühlte den Grund des reservirten Benehmens von Seiten des Bachhöf'schen sehr wohl heraus: – er erschien den Leuten wie eine catilinarische Existenz.

Als man nach Tische, während man den Kaffee einnahm, in Gruppen umherstand, nahm der Aarburg'sche das Gespräch von vorhin wieder auf. Heinz erzählte ihm nun, daß er auf der Hochschule sehr fleißig gewesen sei, und daß es daher nicht am Mangel an Kenntnissen liege, wenn er sein Studium aufgebe, sondern einzig und allein daran, daß er keinen innern Beruf zu dem erwählten Fache habe. Wenn er jetzt Landwirth werde, so geschehe das, weil er als solcher mehr im praktischen Leben zu stehen hoffe, denn als Gelehrter, und weil er erwarte, daß ihm die Thätigkeit in der frischen Luft, in der freien, weiten Natur die Befriedigung gewähren werde, die er im Gelehrtenstande sicher nimmermehr finden könne.

Der Baron hörte ihm geduldig zu, dann aber sagte er, indem er den Kaffee aus der Tasse schlürfte und diese dann auf den Spiegeltisch stellte:

»Alles ganz schön, mein Alterchen, aber ich glaube nicht, daß Sie in der Landwirthschaft das finden werden, was Sie in ihr suchen. Ist man ein reicher Mann und bewirtschaftet seine eigenen Güter, so ist die Landwirthschaft gewiß ein interessanterer Beruf, als im gleichen Falle das Coupons-Abschneiden, aber wenn diese Voraussetzung nicht zutrifft, dann muß die Landwirthschaft eine wahre Hölle sein. Ich bin selbst Landwirth und befinde mich dabei vortrefflich, aber wenn ich mir denke, ich sollte von dem Ertrage eines kleinen Gutes leben, anstatt von dem Gelde, das mir der Behrslappensche borgt, und ich sollte mir diesen Ertrag selbst erwerben – wahrhaftig, ich ginge lieber nach Rußland und würde dort bei irgend einem Fürsten Piqueur. Sehen Sie, Eichenstamm, jetzt besteht meine Landwirthschaft darin, daß ich mir einen gut besetzten Hundestall und einen noch besser versehenen Pferdestall halte, für das Uebrige muß Markhausen sorgen. Wenn es regnet, so interessirt mich das nur in so weit, als ich voraussehe, daß es sich nicht lohnt, auszureiten, weil die Hunde die Spur verlieren, und wenn es trocken ist, so ist mir das ganz recht und ich bitte den lieben Gott, daß er die Dürre doch noch recht lange anhalten lassen möge; aber was für ein unseliges Leben würde ich führen, wenn ich bei jedem Regenschauer und jedem Nordwinde denken müßte: Jetzt geht Dir die ganze Ernte verloren! Wenn ich vor jeder Wolke zittern müßte und vor dem blauen Himmel beben. Nein Eichenstamm, ehe ich Landwirth von Beruf würde, schösse ich mich lieber todt. Das wäre doch wenigstens ein reinliches Ende statt der leidigen Quälereien.«

»Sie übertreiben,« sagte Heinz. »Das, was mich dazu treibt, Landwirth zu werden, ist der Umstand, daß die Landwirthschaft ein praktischer Beruf ist.«

»Ich sagte Ihnen ja doch eben,« rief der Baron, »daß es der unpraktischste Beruf ist. Landwirth von Beruf sein, das heißt, mit Ihren pecuniären Mitteln nämlich, wie ein alter Mann handeln, der sich eine schöne junge Frau nimmt und nun die Schätze alle Tage vor Augen sehen muß, die er doch nicht heben kann, weil es ihm an Kapital fehlt, Eichenstamm. Und dann noch eins. Ich will wieder einmal ganz offen sein, Eichenstamm, und zu Ihnen sprechen, wie ein Freund zum andern – obgleich Sie es nicht verdient haben, Sie Undankbarer –. Angenommen auch, ich irre mich nicht, und Sie sind im Begriffe, sich das nöthige Kapital zu sichern (ich meine natürlich nur das Kapital für die Landwirthschaft), oder Sie haben es sich schon gesichert – das verhilft Ihnen noch immer nicht zu einem behaglichen Leben. Was werden Sie hier für eine sociale Stellung einnehmen? Eine ganz abscheuliche, Eichenstamm. Wenn Sie als Pastor hierher kämen oder als Arzt – das wäre etwas Anderes, denn dann stünde Ihnen jedes Haus offen und es würde sich Ihnen überall eine gesellschaftlich angenehme Stellung aufthun, so aber werden Sie nur als ein Eindringling erscheinen. Sie mögen versichern, was Sie wollen, nur sehr wenige Personen werden Ihnen glauben, daß Sie aus Passion Landwirth geworden sind, während die große Mehrzahl Sie als einen verpfuschten Studenten betrachten wird, der sich eine reiche Frau erschwindeln will. Auch da, wo man Sie in die Gesellschaft aufnimmt, wird man Sie immer hinter den ersten besten dummen Jungen von Blut zurücksetzen, denn die Dinge liegen in unseren Kreisen einmal so, daß es zwar keinem Menschen einfällt, von Unsereinem ein Examen zu verlangen, daß man aber jeden Bürgerlichen für eine catilinarische Existenz ansieht, dessen Laufbahn sich nicht fein säuberlich in den Schranken der hergebrachten Ordnung hält. Ich handele wirklich ganz uneigennützig, wenn ich Ihnen das sage,« schloß der Baron, »denn ich hoffe eigentlich in Ihnen einen guten Gesellschafter zu finden, aber ich habe, wie Sie wissen, für Sie immer eine Schwachheit gehabt.«

»Ich weiß nicht,« erwiderte Heinz stolz, »warum Sie annehmen, daß ich mich in Kreise drängen werde, deren höchster Werthmesser bei der Beurtheilung einer Person die Geburt ist. Ich würde mich nie in sie hineinziehen lassen, selbst wenn man mich angelegentlich in sie einzutreten bäte.«

Der Baron zuckte die Achseln.

»Charmant gesagt, mein Lieber,« sagte er, »wenn auch etwas grob, aber das ändert leider nichts an dem, was ich sagte. Angenommen, diese Kreise seien noch so nichtsnutzig – und sie sind wirklich überaus ehrenhaft, beschränkt und langweilig – und Sie selbst, Eichenstamm, mögen noch so hochmüthig auf dieselben herabblicken, es sind doch immer die einzigen, in denen sich bei uns auf dem Lande ein halbwegs gebildeter Mensch wohl fühlen kann. Sie werden doch nicht mit den Krügern, Müllern und Bierbrauern verkehren wollen, und wenn Sie es wollten, so würden Sie es keine zwei Wochen aushalten. Wollen Sie überhaupt auf dem Lande leben, so müssen Sie sich entweder Eingang in die Kreise des Adels verschaffen, und Sie werden da immer eine untergeordnete Rolle spielen, Eichenstamm, verlassen Sie sich darauf – oder sie müssen sich völlig isoliren, denn Sie könnten nicht einmal mit dem Pastor und Ihrem Schwager verkehren, ohne auch dort gelegentlich mit Leuten aus unserem Kreise zusammen zu treffen.«

»Lassen Sie solche Scherze aus dem Spiele,« sagte Heinz rauh. Er fühlte, daß der Baron recht hatte und er hätte aufschreien mögen, nur um sich Luft zu verschaffen.

»Nun, wie Sie wollen,« fuhr der Baron kaltblütig fort, »ich dachte, Sie wären schon so weit. Es giebt noch eine dritte Möglichkeit, Eichenstamm. Führen Sie mit uns Junggesellen ein lustiges Leben, mir wäre das natürlich das Liebste. In diesem Falle werden Sie in Behrslappen'schen Lehmhof einen Mann finden, der immer bereit ist, Geld zu leihen und es uns im Spiele wieder abzunehmen. Dabei ist der Mann wirklich ganz vorurtheilsfrei und rupft einen Bürgerlichen eben so gern wie einen Edelmann.«

Horace kam jetzt wieder auf die Beiden zu, sie brachen ihr Gespräch ab und kehrten zu der übrigen Gesellschaft zurück, die mittlerweile Platz genommen hatte. Heinz wurde der Baronin Schweinsberg und dem Baron Markhausen, der auch nach Parkhof gekommen war, vorgestellt und von ihnen ebenso kühl begrüßt, wie früher von dem Bachhöf'schen. Man war auch nachher überaus höflich gegen ihn, und wenn er Jemand anredete, so erhielt er eine sehr zuvorkommende Antwort, aber er bemerkte, daß es kein einziges Mal vorkam, daß ihn einer der alten Bekannten, die ihn doch Alle als Knaben im Hause seines Onkels gesehen hatten, anredete, und daß sie nicht das mindeste Interesse für seine Person an den Tag legten.

Heinz verbrachte den Abend wie auf der Folter. Als er endlich, endlich auf seinem Zimmer allein war, allein mit sich, allein hinter verschlossenen Thüren, da ließ er zunächst seinem wilden, jähzornigen Temperamente in einem heftigen Ausbruche die Zügel schießen, dann aber fragte er sich, ob es nicht doch besser wäre, wenn er bei seinem Studium bliebe. Aber nein, das war unmöglich. Wenn er nur an Bücher, an's Lesen dachte, so schauderte ihn. Und dann – sollte er wirklich das Feld räumen, weil der Adel ihn nicht willkommen hieß? Nein! »Wohlan,« sagte er sich, »wenn ich auch wirklich so allein leben müßte wie Schweinsberg meint, ich werde doch immer in Gottes freier Natur leben, unter Bäumen und Thieren, statt in dumpfer Studirstube unter Heften und Büchern. Die Einsamkeit ist schrecklich, aber wenn ich dann doch ein Ausgestoßener bin, und es scheint fast so, als ob ich vom Schicksale dazu bestimmt wäre, – nun, es ist immer noch besser auf dem Lande allein sein, als in der Stadt.«


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