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Lucifer.

Der alte Herr hatte sich verabschiedet und Otto Schweinsberg war wieder allein. Er warf sich müde auf seine Chaise longue und starrte in das Kaminfeuer, das flammend nach oben strebte.

Draußen strömte der Regen und das monotone Rauschen und Plätschern, das er hervorbrachte, tönte melancholisch in die Stille des Zimmers hinein.

Schweinsberg konnte die Einsamkeit nicht leiden, denn wer ein Leben geführt hat und führt wie er, auf den dringen in der Einsamkeit schlimme Gedanken ein, Gedanken, die sich nicht abweisen lassen, Gedanken, die dann zu menschlichen Gestalten werden, welche mit entsetzlicher Beharrlichkeit sich an den Einsamen drängen. Heute war er nun einmal allein und die Erinnerung that ihre Thore weit auf und in heftigem Laufen und Drängen stürzten daraus die Schatten der Vergangenheit hervor und umstanden ihn in dichten Haufen. Es waren häßliche, schreckliche Gestalten, diese Schattenbilder, Gestalten, deren Anblick die Wangen bleichte und das Blut erstarren ließ.

Da stiegen die ersten Urheber seines Verderbens vor ihm auf. Drüben im Kruge, gegenüber Bachhof, da hatte, als Otto noch ein zehnjähriger Knabe war, sich ein Weber eingemiethet, ein arger Mann, der in der Stadt wegen Diebstahls aus der Zunft ausgeschlossen worden war und nun auf dem Lande sich ein spärliches Brod erwarb.

Da stand er jetzt vor Otto, verbeugte sich tief vor dem Herrensohne und seine tiefliegenden Augen schauten aus dem bartlosen, fahlen Gesichte unverwandt auf den Knaben, den die Neugier zum ersten Male in die Krugstube geführt hatte, und während er sich in den niedrigsten Schmeichelreden erging, starrten aus der halbdunkeln Ecke hinter dem Webstuhle Kinderaugen voll Verwunderung und Neid auf das kleine Herrchen, das so schmuck gekleidet war und so herablassend zu dem gefürchteten, harten Vater sprach. Diese Augen waren die Augen der beiden Kinder des Webers. Da standen sie jetzt beim hellen Scheine des Kamins, gerade so wie damals in dem niedrigen, halbdunklen Raum im Bachhöf'schen Rothenkruge. Der Knabe da mit den schielenden Augen, den aufgeworfenen Lippen und dem unsäglich gemeinen Gesichte heißt Christian, und was es an Verbotenem, Schlechtem und Gemeinem giebt, das hat dieser junge Teufel bereits gekostet. Wie ein junger Wolf schielt er jetzt gierig nach dem Gaste hinüber. Wie, wenn es ihm gelänge, in dem Kinde wilde Begierden zu entzünden, lange vor der Zeit – würde er da nicht ein Mittel in der Hand haben, um nach und nach durch Vermittelung des Knaben Vieles von dem zu erlangen, wonach er verlangt? Neben Christian steht seine Schwester Nanny. Die in dem kugelrunden Gesichte schrägstehenden Augen von grünlicher Farbe geben ihr das Aussehen einer Katze, und so wie eine solche auf die nichts ahnende Maus, so blickt sie jetzt auf das Herrchen. Sie ist unter dem Spannriemen des brutalen Vaters und dessen verbrecherischem Beispiele nicht weniger verkommen und verwahrlost als der Bruder, und sie ist noch schamloser, noch schlauer, noch habgieriger als er.

Drei Jahre lang hausten die drei dort im Kruge, bis endlich eines Tages der Hauptmann erschien, das Diebsnest aufhob und seine Insassen die weite Reise nach Sibirien antreten ließ. Otto sah auch das erstaunte Gesicht seines guten Onkels, als das geschah. Der Onkel hatte die Krugsleute, die nach Wolfsart in der unmittelbaren Nähe ihres Wohnorts nicht raubten, für stille, ruhige Menschen gehalten. Er hatte nicht geahnt, daß sie es waren, die seinen Neffen unter seinen Augen zu einem so verwahrlosten Kinde machten, daß er darüber voll Schrecken und Entsetzen die Hände rang. Der Verkehr des Knaben mit dem Kruge wurde so geheim betrieben, daß Niemand eine Ahnung von ihm hatte, und wenn Otto's oft gemeine Reden, sowie die Umwandelung, die mit dem bisher zwar wilden und leichtsinnigen, aber doch weichen und guten Knaben offenbar vor sich ging, seine Verwandten allarmirte, so konnte doch Niemand die Quelle ausfindig machen, aus der sie herrührten.

Die Scenen aber, die sich dort im Kruge oder in dem Wäldchen hinter demselben abgespielt hatten, waren derart, daß, als sie jetzt mit erschreckender Deutlichkeit wieder vor Otto's geistigem Auge dastanden, selbst er, der harte und mit allen Lastern befleckte Mann, die Hände abwehrend erhob und schwer, schwer stöhnte.

Das Gift, das ihm damals eingeflößt worden war, das hatte er dann sein Leben lang auf Andere übertragen und war wieder von ihnen vergiftet worden. Wenn er nicht schon in den ersten Jünglingsjahren völlig verdarb und zu Grunde ging, so kam das daher, daß der in seiner Umgebung herrschende Ehrbegriff ihm wenigstens ein wenig Ballast mit auf die Fahrt gab. Das hatte ihn vor dem Kentern geschützt, und wenn nun auch das von der Natur so herrlich gebaute Schiff jetzt mit jämmerlich gebrochenen Raen und Masten ohne Steuer und Ziel auf dem öden Meere umhertrieb – es schwamm doch wenigstens noch.

Otto liegt noch immer auf der Chaise longue und starrt in das Feuer im Kamin und stöhnt schwer. Jetzt steht er im kerzenerleuchteten Salon am grünen Tische und hört die rothen Goldstücke über einander klirren und sieht sie sich zu Haufen thürmen; jetzt rast er in wildem, zuchtlosem Tanze dahin unter den Klängen verführerischer Musik; jetzt sitzt er in später, fahler Nachtstunde in dem engen, heißen Raume des großstädtischen Weinkellers, unter dem wüsten Gebrüll der betrunkenen Gefährten. Wenn er dann fröstelnd hinaustritt in den Wintermorgen und zu den bleichen Sternen im Osten aufblickt, dann regt sich wohl das Gewissen in ihm, aber er wirft es nieder mit starker Hand und ein siegesfrohes Lächeln spielt um seinen Mund. Er, Otto Schweinsberg, ist nicht wie die Andern, die, wenn sie verloren haben, schreckensbleich dastehen, die, wenn sie die Nacht durchgetanzt haben, sich kaum aufrecht erhalten können, die, wenn sie die Nacht in Orgien durchrasten, halbtodt auf den Sophas umherliegen. Er verliert, ohne es zu bedauern, er durchtanzt die Nacht, ohne zu ermüden, er ist der Letzte bei jeder Orgie, ohne im mindesten weniger frisch zu sein, als beim Beginne derselben. Er ist auch sonst nicht wie die Andern. Die Andern haben ein Gewissen im Leibe und mitunter Gewissensbisse, sie gedenken zuweilen ihrer unschuldigen Vergangenheit und beklagen es, daß sie nicht mehr sind, wie sie damals waren; sie denken mitunter an ihre Zukunft und erschrecken dann über die Gegenwart. Otto Schweinsberg aber ist von anderem Holze. Otto Schweinsberg hat kein Gewissen und keine Gewissensbisse. Otto Schweinsberg gedenkt nie der Vergangenheit, Otto Schweinsberg denkt nie an die Zukunft. Otto Schweinsberg ist ein ganzer Mann. Er wickelt sich fester in seinen Mantel, um sich gegen die Morgenkälte zu schützen und lächelt behaglich, während er durch die stillen, wiederhallenden Straßen dahinschreitet. Es ist ein verächtliches Lächeln. Die Menschen sind Schufte und Narren, bedeutet dieses Lächeln, und das Leben ist ein sinn- und zweckloses Possenspiel. Man muß die ersteren so rücksichtslos ausnutzen als nur irgend möglich und man muß das letztere wegwerfen, sobald man nicht mehr in der Lage ist, es angenehm verbringen zu können.

Und doch wies die Menschenverachtung, mit der Otto Schweinsberg gepanzert zu sein glaubte, einen Punkt auf, in dem auch er verwundbar war. Diese Lücke entstand durch die Zuneigung zu seiner Cousine Duding. Er hatte dieses Gefühl auf jede Weise zu unterdrücken gesucht, es war ihm nie ganz gelungen. Seit er damals als Kind verdorben worden, hatte sich die Jugendgefährtin von ihm abgewandt, hatte sie ihm gegenüber nie etwas Anderes gezeigt als Abneigung, ja, geradezu Verachtung, und doch konnte er von dem Gedanken nicht lassen, sie sei dazu bestimmt, ihn zu einem andern, einem besseren Menschen zu machen. Ja, noch mehr, es lebte in ihm der instinctive Glaube, daß sie ihm gegenüber genau so empfinde, daß auch sie von ihm nicht lassen könne. Gerade jetzt, wo er Madeleine heirathen sollte, stieg das alte Gefühl mit neuer Kraft in ihm auf und es erschien ihm ganz unmöglich, daß er sich sollte geirrt haben, daß ihre Lebenswege sich nie vereinigen sollten.

Er sprang wild auf und schritt mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder. Seine Lage war eine verzweifelte und er mußte sich sagen, daß eine reiche Heirath oder der Tod durch eigene Hand die einzigen Mittel waren, um sich mit Ehren aus ihr heraus zu ziehen. Er hatte so lange nicht an die Zukunft denken wollen – jetzt war sie zur Gegenwart geworden, jetzt war sie da. Ihm ging der Gedanke durch den Kopf, wie herrlich es wäre, wenn Duding ihn wirklich liebte und sich entschlösse, mit ihm in den Tod zu gehen. Das wäre ein Ende, wie er sich's nicht schöner wünschen konnte; aber selbst wenn Duding ihn liebte – an ein solches Ende war doch nie zu denken.

Der Baron setzte sich an seinen Schreibtisch, zündete die Kerzen an und schrieb alle seine Schulden, wenigstens so weit er von ihnen wußte, auf ein Blatt Papier. Sie bildeten eine ungeheure Summe, und auch das Vermögen, das Madeleinen dermaleinst zufallen sollte, konnte bei weitem nicht ausreichen, um sie zu decken. Der Baron warf sich zähneknirschend in seinen Stuhl zurück; dabei fiel sein Blick auf das lebensgroße Portrait seines Vaters an der Wand. Vater und Sohn glichen sich ungemein. Auch der Vater hatte edle, schöne Züge, auch sein Haar zeigte das goldige, röthliche Blond des echten Germanen, und auch seine Wangen waren von Narben zerfetzt. Sein Gesicht trug denselben leichtsinnigen, verwegenen Ausdruck, der auch dem Sohne für gewöhnlich eigen war.

Aber der Vater war glücklicher gewesen als der Sohn! Als er mit Allem fertig war, mit Vermögen, Gesundheit und Glück, da war er mit dem Pferde gestürzt und hatte sich den Hals gebrochen. Ach, wie beneidete ihn der Sohn um diesen Ausgang!

Eine Weile blickte der Baron starr und finster auf das Bild des Vaters, dann lachte er plötzlich hell auf, erhob sich und schellte.

»Wecken Sie mich morgen um neun und lassen Sie den Blondel satteln,« befahl er, als der Diener eintrat.

Am andern Morgen fuhr der Baron nach Bachhof hinüber. Es regnete noch immer und die Wege waren überaus schmutzig, so hatte er es vorgezogen zu fahren.

»Wo ist der Herr?« fragte er den herbeieilenden Diener.

»In seinem Schreibzimmer.«

Otto begab sich dahin.

»Guten Morgen, Onkel,« rief er lustig, »wie geht es, wie steht es?«

Der Onkel blieb sehr ernst.

»Guten Morgen,« entgegnete er und reichte Otto die Hand, während er vor seinem Schreibtische sitzen blieb.

»Hör' einmal, das ist ja eine ganz verdammte Geschichte mit diesem Graumantel,« sagte der Neffe, indem er einen Stuhl nahm und sich neben den Onkel setzte, »eine ganz verdammte Geschichte!«

Der alte Baron nickte nur und starrte schweigend zum Fenster hinaus.

»Graumantel sagte mir,« fuhr Otto fort, »daß Lehmhof ihm Deine Wechsel cedirt habe. Lehmhof ist ein Schuft.«

Der Bachhöf'sche schüttelte den Kopf.

»Ich sagte, daß Lehmhof ein Schuft sei,« wiederholte Otto.

»Nein, Otto, das ist er nicht. Ich kann es ihm nicht übel nehmen, daß er sich zu helfen sucht, wie es eben geht. Er hat furchtbare Verluste erlitten. Er hat nicht nur eben so schlechte Ernten gehabt wie wir, ihm ist auch die ganze Viehheerde gestürzt.«

Der Aarburg'sche schaute mitleidig lächelnd auf den gutmüthigen Onkel. Beide schwiegen eine Weile.

»Glaubst Du irgend in der Lage zu sein, Dir das Geld verschaffen zu können?« fragte Otto endlich.

»Nein.«

»Was denkst Du denn aber zu thun?«

Der Bachhöf'sche zuckte die Achseln.

»Du solltest Dich an die Balteville wenden, Onkel.«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Sie ist mir Dank schuldig, Otto. Sie wäre meiner Bitte gegenüber nicht frei.«

»Pah, Du gehst in Deinem Zartgefühle zu weit. Dazu haben wir ja eben unsere Freunde, damit wir uns in der Stunde der Noth an sie wenden. Es handelt sich ja hier nicht um ein Geschenk, sondern um ein Darlehn.«

»Einerlei,« erwiderte der Alte finster, »an die Balteville wende ich mich nicht und wenn ich darüber in den Schuldthurm müßte.«

Otto schwieg und pfiff sich das Lied von den »schönsten Augen« vor.

»Mir wäre es in Deiner Stelle auch unangenehm, aber nicht weil sie mir Dank schuldig wäre, sondern weil sie doch eine einigermaßen schofle Personage ist. Indessen, ich bitte Dich, mit wem Alles macht man nicht Geschäfte.«

»Ist Graumantel auch bei Dir gewesen?«

»Ja wohl. Sollte es Dir aufgefallen sein, daß seine rothe Mappe außerordentlich gefüllt war, so mögest Du erfahren, daß dieser Umstand mein Verdienst ist.«

Dabei begann Otto: »Soviel Stern' am Himmel stehen« zu pfeifen.

»Hat Lehmhof Deine Wechsel auch verkauft?«

»Nein, das hat er hübsch bleiben lassen.«

»Und wie denkst Du Dir zu helfen?«

»Keine Ahnung, lieber Onkel, aber ich denke, Gott verläßt keinen ehrlichen Deutschen.«

Der Onkel seufzte.

»Du hast gut scherzen,« sagte er dumpf, »Du bist ein allein stehender Mann.«

Otto pfiff statt aller Antwort: »Einsam bin ich nicht alleine,« fügte dann hinzu: »Ich stehe allerdings so allein da wie der Papst« und pfiff weiter: »Der Papst lebt herrlich in der Welt.«

»Ich weiß nicht wie es kommt,« sagte er entschuldigend, »allein ich bin heute wie ein Staar im März, ich muß immerfort pfeifen.«

Und er pfiff: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten!«

»Weißt Du was, Onkel,« sagte er dann, »wir wollen nach Amerika auswandern.«

Er sah seinen Onkel fragend an und pfiff dazu: »Das Schiff streicht durch die Wellen, Fridolin.«

»Ach Otto, Du bist ein Kind,« rief der Onkel schmerzlich und wie enttäuscht, aber er bewirkte durch seinen Ausruf zunächst nur, daß Otto in die Melodie: »Jüngling war ich noch an Jahren« überging.

Dann aber sagte er: »Nein, Onkel, ich bin im Gegentheil ein ganz ausgewachsener Junge und ich bilde mir ein, daß ich in Amerika mein Glück machen würde. Die alte Welt ist für Leute meines Schlages zu eng und da können wir uns denn nicht entschließen, das Arbeiten ernstlich anzufassen, da drüben aber wird es gehen. Was meinst Du dazu?«

Und er pfiff: »Es ritten drei Reiter zum Thore hinaus.«

»Ich meine, daß Du mit Seifenblasen spielst. Was willst Du in Amerika?«

»Komm mit, Onkel.«

»Ach, geh' mit Deinen Kindereien!«

»Warum Kindereien, Onkel? Komm mit!«

»Aber geh' doch! Wir Schweinsberg's sind deutsche Edelleute, was sollten wir in Amerika?«

Otto pfiff: »Vetter Michel wohnt in der Lämmer-Lämmergaß,« hielt aber plötzlich damit inne und sagte, indem er den Onkel scharf fixirte: »Nun, dann gieb mir wenigstens Deine Duding mit.«

Der Onkel stand unwillig auf.

»Ist das die Zeit dazu, Späße zu machen und noch dazu solcher Art!« rief er.

»Ich mache gar keine Späße, Onkel,« erwiderte Otto und stand auch auf, »es ist mir mit meinem Anliegen vollkommen Ernst.«

Der alte Baron sah ihn groß an.

»Du schonst mit Deinen Scherzen Nichts,« sagte er dann.

»Ich wiederhole Dir nochmals, Onkel, daß ich in allem Ernst Duding mitzunehmen beabsichtige.«

Der Aarburg'sche sagte das mit lachendem Munde, aber seine Augen blickten dabei sehr ernst und der alte Baron, der das Gesicht seines Neffen kannte, wußte jetzt, woran er war.

»Liebst Du sie denn?« fragte er.

»Zu Befehl,« war die Antwort, der die Melodie: »Das Aennchen von Tharau« folgte.

»Glaubst Du denn auch von ihr geliebt zu werden?« fragte der Bachhöf'sche, den die leichtfertige Art, in der sein Neffe die wichtige Angelegenheit behandelte, innerlich empörte.

»Keine Idee, lieber Onkel, aber wenn Du es erlaubst, so werde ich in einer Viertelstunde in der Lage sein, Deine Frage zu beantworten, und wenn Du es nicht erlaubst, binnen vierundzwanzig Stunden.«

Der Alte blickte finster vor sich hin. Er wußte, daß es kein Mittel gab, seinen entschlossenen und zu Allem fähigen Neffen von einer Zusammenkunft mit der Tochter abzuhalten und doch sträubte er sich dagegen, ihm das zuzugeben.

Otto half ihm in seiner Weise über längeres Nachdenken hinweg.

»Ich weiß, worüber Du jetzt nachdenkst,« sagte er in gutmüthigstem Tone, »und ich finde es sehr natürlich. Du denkst darüber nach, ob Du mich zur Thüre hinauswerfen oder aber Deine Tochter rufen sollst. Du wirst schließlich das Letztere thun, weil Du Dir sagen mußt, daß ich Duding doch jedenfalls sprechen werde, Du magst nun vornehmen was Du willst. Außerdem hoffest Du, daß ich mir einen Korb holen werde.«

Der Bachhöfsche war ein viel zu unentschlossener Character, als daß die freche Sprache des Neffen ihm nicht auch jetzt, wie sonst schon so oft, hätte imponiren sollen.

»Warum wendest Du Dich dann überhaupt an mich?« fragte er.

»Hm, es war, wenn Du willst, eine Marotte, aber es geschah aus Rücksicht für Duding. Ich dachte mir: Wenn das arme Mädchen mich wirklich so lieb hat, daß es mir, dem durchgehenden Schuldner und Schwindler, bei Nacht und Nebel in die weite Welt folgt, dann wird es ihr eine Art Beruhigung sein, daß wenigstens ihre Eltern darum wissen. Ich handle, wie Du siehst, offen und ehrlich, wenn auch in meiner Weise; folge meinem Beispiel und thue das Gleiche. Duding ist vierundzwanzig Jahre alt, sie wird wissen, was sie zu thun hat.«

Dieses Argument schlug bei dem Alten durch. »Ja, sie wird wissen, was sie zu thun hat und ob sie eine Landstreicherin werden will oder nicht,« sagte er zornig und verließ das Zimmer.

Er fand Duding im runden Gemache. »Komm in mein Zimmer,« sagte er rauh. »Otto will um Dich anhalten.«

Duding wurde kreidebleich, aber sie erhob sich doch, legte ihre Handarbeit weg und folgte mit schwankenden Schritten dem Vater. Während sie durch die andern Zimmer gingen, hätte dieser für sein Leben gern ein paar abwehrende Worte zu ihr gesprochen, aber das erschien ihm illoyal und er schwieg.

Otto richtete sich, als der Onkel das Gemach verlassen hatte, hoch auf und blickte finster vor sich nieder. Die entscheidende Stunde war gekommen und in ihr schlug selbst dem in Selbstbeherrschung geübten Hazardspieler das Herz wild gegen die Brust. Er war so bleich wie der Vater und die Tochter, die jetzt eintraten; nur seine Narben brannten in dunklem Roth. Er stützte sich mit der Rechten schwer auf den Schreibtisch.

»Setze Dich, mein Kind,« sagte der alte Schweinsberg mit bebender Stimme, und Duding sank neben ihm auf das Sopha.

Alle drei schwiegen eine Weile. Dann begann Otto: »Duding, ich habe Dich hierher bitten lassen, weil – nun weil ich mir einbilde, daß Du mich liebst. Ich bin jetzt so weit, daß ich sagen muß: Ich habe völlig ausgewirthschaftet. Ich habe die Absicht, meinen Gläubigern zu entlaufen wie ein Zigeuner und nach Amerika zu gehen. Ich habe nichts als das nackte Leben, und es ist sehr fraglich, ob ich auch nur dieses mir dort werde erhalten können. Trotzdem stehe ich jetzt vor Dir und bitte Dich: Komm mit! Ich bilde mir ein, daß es uns Beiden lieber sein wird, mit einander zu Grunde zu gehen, als ohne einander unsere Tage im Glücke zu verbringen. Ich bilde mir ein, daß Du mit mir lieber in der Hölle tiefstem Pfuhle brennen willst, als ohne mich in den Himmel eingehen. Ich sehe durch die Maske, die Du seit so vielen Jahren getragen hast, hindurch in Dein Herz und ich lese darin, wie ein Christ in der aufgeschlagenen Bibel. Du bist kein gewöhnliches Weib, in Dir fließt altes deutsches Heldenblut, wagelustiges, hingebendes Heldenblut. Ich sage Dir jetzt: Komm mit! Komm, theile mit mir mein ungewisses Loos! Komm, theile mit mir das sichere Verderben! Komm, geh' mit mir zu Grunde! Komm, folge mir, dem Wüstlinge, mir, dem durch und durch verdorbenen Manne. Ich sage Dir: Komm, komm und geh' mit mir zu Grunde. Komm, stehe auf und sage dem alten Manne da, daß Du mit mir zu Grunde gehen willst. Komm, hier an meiner Brust ist Dein Platz. Komm, theile meine Schande, meinen Untergang! Komm, ich sage Dir: Komm!«

Otto schwieg und er sah in athemloser Spannung auf die Lippen des schönen Mädchens. Voll athemloser Spannung blickte auch der Vater auf sie. Der unerhörte Ton, den Otto angeschlagen, hatte in seiner innersten Brust einen sympathischen Wiederhall gefunden; mußte er nicht finden, daß es seinem Kinde ergehen würde wie ihm?

Armes Mädchen! Arme Duding! Wie schnitt jedes Wort, das er sprach, Dir in's Herz, wie furchtbar verstand er es, Dich zu treffen! Wie er jetzt dasteht, schön, hochmüthig und frech wie Lucifer, und Dich anblickt und in Deinem innersten Herzen liest. Wenn Ihr jetzt an einem Abgrunde ständet und er forderte Dich auf, Dich mit ihm hineinzustürzen, mit einem Jubelschrei flögest Du auf ihn zu; aber er will mehr als das, viel mehr. Er will, daß Du mit ihm verkommen sollst, in Schande und Schmach, mit ihm hinabfahren sollst zu der Hölle Grund! In wahnsinniger Angst flehst Du zu Gott um Hilfe gegen ihn, den Du liebst, um Rettung vor dem, an dessen Brust Dein Herz Dich zieht. Dein irdisches Leben willst Du hingeben für ihn, aber Deine Seele nicht. Armuth und Schande willst Du auf Dich nehmen um seinetwillen, aber das ewige Verderben nicht!

Duding erhob sich. »Nein,« stöhnte sie, »nein,« und sank dann zurück in tiefe Ohnmacht.

Otto Schweinsberg schlug mit der Faust schwer auf den Tisch, dann wandte er sich um und verließ das Zimmer.

Ein neuer, gewaltiger Regenguß rauschte hernieder, während er draußen in den Wagen stieg. »Nach Parkhof,« sagte er mit fester Stimme.

Am Abende dieses Tages schrieb Frau Eleonore an ihre Brüder. Zum ersten Mal entschloß sie sich, ihnen ihre Lage klar und unumwunden zu schildern und sie um Hilfe anzugehen.

Als sie geschrieben hatte, begab sie sich in das Schlafzimmer der Tochter, an deren Bette sie ihren Mann fand.

»Sie schläft sanft und ruhig,« flüsterte er.

»Schön,« erwiderte Frau Eleonore. »Wir müssen sie verheirathen, Gustav. Für ein solches Leiden ist eheliches Glück das einzige Heilmittel.«


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