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Kapitel 18.
Ein Rat für Mr. Vine

Mr. Deane war im Begriff, seine Frau auf ihrer gewöhnlichen Spazierfahrt durch den Hydepark zu begleiten. Ein Blick auf die Karte, die ihm gebracht wurde, genügte aber, seine Absicht zu ändern. Er entschuldigte sich bei seiner Frau.

»Soll ich nicht einige Minuten warten?« fragte sie.

»Nein, das hat keinen Zweck. Ich habe länger mit dem Herrn zu tun.«

Er nahm Hut und Mantel ab und ging zur Bibliothek, wo Phineas Duge auf ihn wartete.

Der Gesandte war ein großzügiger Mann und haßte es, Partei zu nehmen, wenn er nicht dazu gezwungen wurde. Er hatte diesen Streit, der sich um die Trusts erhob, lange vorausgesehen. Und Phineas Duge war einer der einflußreichsten Leute der Nation, die er vertrat.

»Ich freue mich, Sie wiederzusehen«, sagte er liebenswürdig und reichte seinem Besucher die Hand. »Ich hoffe, daß Sie Ihre Absicht geändert haben, und daß wir gesellschaftliche Veranstaltungen arrangieren können, solange Sie sich in London aufhalten.«

»Sie sind sehr freundlich, aber ich glaube nicht, daß das geht. Ich bin nur zur Erledigung zweier Angelegenheiten hier, über die ich ja schon mit Ihnen gesprochen habe. Von meiner Nichte haben Sie inzwischen nichts gehört?«

»Nicht das Geringste. Es tut mir wirklich leid.«

»Dann bleibt also noch die andere Angelegenheit. Wir haben ja schon unsere Meinung darüber ausgetauscht, und ich freue mich, daß sich Mr. Vine wenigstens bis jetzt von Gründen des allgemeinen Menschenverstandes hat leiten lassen. Aber Sie können verstehen, daß die Lage äußerst gespannt ist, solange dieses Dokument existiert.«

Mr. Deane neigte leicht den Kopf.

»Zweifellos«, gab er zu. »Sie und Ihre Freunde würden sich natürlich viel wohler fühlen, wenn es nicht mehr vorhanden wäre.«

»Ich bin hier nur im Interesse meiner Freunde«, entgegnete Mr. Duge ein wenig steif. »Ich selbst habe das Dokument ja nicht unterschrieben. Trotzdem bin ich aufs äußerste interessiert, es zurückzuerhalten.«

»Haben Sie Mr. Vine aufgesucht?«

»Ja, und ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß das Schriftstück zurzeit nicht in seinem Besitz ist. Er hätte es bei einer Bank hinterlegen können, aber ich habe positiv festgestellt, daß er in England mit keiner Bank in Verbindung steht. Wahrscheinlich bewahrt es einer seiner Freunde auf, zu dem er unbegrenztes Vertrauen hat. Aber es ist gefährlich, dieses Schriftstück zu besitzen«, fuhr Duge langsam fort und sah Deane scharf an. »Man läßt sich selbst von den unmöglichsten Leuten täuschen.«

»Ihre Erfahrungen im Geschäftsleben haben Sie zweifellos Vorsicht gelehrt.«

»Ich bin der Ansicht, daß ein Mann Ihrer Stellung, der akkreditierte Gesandte einer großen Nation, besonders vorsichtig in all seinen Handlungen und Äußerungen sein sollte, vor allem, wenn es sich um Interessen seiner Landsleute handelt.«

»Meiner Meinung nach bin ich immer vorsichtig gewesen.«

»Das hoffe ich auch. Ich bin also, wie gesagt, zu dem Schluß gekommen, daß Norris Vine dieses wichtige Dokument einer anderen Person übergeben hat, zu der er das größte Zutrauen fühlt.«

»Ja, das haben Sie schon eben erwähnt.«

»Ich frage mich nun, wem Norris Vine wohl ein Schriftstück von solchem Werte und solcher Wichtigkeit übergeben hat. Ich brauche Ihnen doch wohl nicht zu sagen, wer das in London sein könnte. Sie sind es, um dessen Rat einzuholen Norris Vine über den Ozean gefahren ist. Sie haben das Schriftstück gelesen. Sie kennen seine ungeheure Bedeutung. Und es ist kein Platz in ganz London so sicher als der Safe der Amerikanischen Gesandtschaft, den ich dort drüben in der Ecke sehe.«

»Sie glauben also, er habe mir das Schriftstück zur Aufbewahrung übergeben?«

»Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin durchaus davon überzeugt. Können Sie es etwa leugnen?«

Mr. Deane zuckte die Achseln.

»Das ist eine Privatangelegenheit zwischen Vine und mir. Ich kann Ihre Frage nicht beantworten.«

»Sie machen einen großen Fehler. Ihre offizielle Stellung sollte Sie davon abhalten, irgendwie Partei zu ergreifen. Sie sagten eben, daß es eine Privatangelegenheit sei. Zwischen Ihnen, dem festbesoldeten und akkreditierten Gesandten unseres Landes, und einem amerikanischen Bürger kann es keine Privatangelegenheiten geben. Um ganz offen zu sein, Sie haben nicht das Recht, ein Dokument, das Norris Vine Ihnen übergeben hat, in den Schutz der Gesandtschaft zu nehmen.«

»Woher wissen Sie denn, daß ich das getan habe?«

»Nennen Sie es meinetwegen Intuition. Jedenfalls bin ich meiner Sache vollkommen sicher.«

Nach einem kurzen Schweigen erhob sich Mr. Deane etwas steif.

»Vielleicht haben Sie recht.«

»Wenn Sie nur ein wenig nachdenken, werden Sie sich selbst davon überzeugen«, entgegnete Phineas Duge ruhig. »Sie nehmen Partei in dem Privatkrieg, der unser Volk bedroht, wenn Sie das Dokument hier in der Gesandtschaft aufbewahren. Und es tut mir leid, Ihnen offen sagen zu müssen, daß dadurch Ihre diplomatische Laufbahn plötzlich unterbrochen werden kann.«

»Mr. Duge, ich muß zugeben, daß Sie in gewisser Weise recht haben. Es ist wahr, daß ich das fragliche Dokument für Norris Vine aufbewahre und dadurch vielleicht ein wenig von der Unparteilichkeit abweiche, die meine Stellung verlangt. Ich will ihm deshalb das Schriftstück zurückgeben, aber ich möchte Ihnen sagen, daß ich bei aller Zurückhaltung meinerseits und allem guten Willen Ihnen gegenüber doch Mr. Vine den Rat geben werde, der mir als einem Privatmann und Bürger der Vereinigten Staaten richtig erscheint.«

Phineas Duge nahm seinen Hut.

»Dazu habe ich nur zu sagen, daß man mit meinem Einfluß in Washington rechnen muß, wie sich auch die nächste Zukunft gestalten möge. Und ich verwende meinen Einfluß natürlich für die Leute, die sich als meine Freunde bewährt haben.«

Die beiden trennten sich nicht ganz so herzlich, wie sie sich begrüßt hatten. Nach einigem Zögern ging Deane zum Telefon und läutete Vine in seinem Klub an.

»Können Sie zu mir in die Gesandtschaft kommen? Ich möchte mit Ihnen sprechen.«

»In zehn Minuten bin ich dort«, erwiderte der Journalist.


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