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Kapitel 12.
Der Herzog von Mowbray

Diesmal war Mildmay wirklich entrüstet, was sowohl in seinem Tone als auch in seiner Miene zum Ausdruck kam. Virginia sah ihn wie ein furchtsames Kind an.

»Also habe ich Sie doch endlich gefunden!«

»Was wollen Sie denn von mir?«

Er sah sie eine halbe Minute an, bevor er antwortete, so daß sie beschämt die Augen niederschlug.

»Was ich von Ihnen will?« wiederholte er bitter. »Fragen Sie mich das wirklich im Ernst, Virginia?«

Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»Ach bitte, gehen Sie. Es ist nicht schön von Ihnen, daß Sie hierhergekommen sind.«

»Ich will Ihnen gegenüber nicht unliebenswürdig sein, aber ich muß wissen, warum Sie Ihre Pension in der Russell Street aufgegeben haben und vor mir davongelaufen sind?«

»Weil ich mich fürchte. Sie stellen an mich Fragen, die ich unmöglich beantworten kann.«

»Wovor fürchten Sie sich denn eigentlich?«

»Vor mir selbst, vor Ihnen, vor dem ganzen Leben«, erwiderte sie leise, aber leidenschaftlich.

Virginia sah schlecht aus. Tag für Tag hatte sie neue Enttäuschungen erlebt. Er war schon milder gestimmt, aber er zeigte es noch nicht.

»Können wir uns hier irgendwo allein sprechen? Sie haben doch Zimmer hier. Sind Sie allein?«

Er hätte sich die Zunge abbeißen können, daß er diese Frage gestellt hatte, aber glücklicherweise war ihr die Bedeutung seiner Worte nicht klar geworden.

»Ja, ich bin allein. Bitte, kommen Sie mit.«

Sie hatten sich auf dem Treppenpodest des fünften Stockwerks im Hotel Coniston Mansions getroffen. Sie führte ihn nun einen Gang entlang, öffnete eine Türe und trat in ein kleines Wohnzimmer ein.

»Wie haben Sie mich denn eigentlich hier gefunden?«

»Ich sah, daß Sie gestern und heute bei Luigi speisten«, erwiderte er streng. »Beide Male waren Sie in der Begleitung desselben Herrn. Ich folgte Ihnen gestern, und Sie kehrten beide in dieses Hotel zurück. Heute gingen Sie allein. War das Ihr Bruder?«

»Nein!«

»Ihr Vetter oder irgendein Verwandter?«

»Nein.«

»Wer war es denn?«

»Ein Freund, vielleicht auch ein Feind. Was kümmert das Sie?«

Er sah sie an. Sie trug ein einfaches schwarzweißes Kostüm, in dem sie entzückend aussah. Es fiel ihm schwer, hart gegen sie zu sein.

»Wie können Sie mich das fragen«, entgegnete er. »Haben Sie denn ganz vergessen, daß ich Sie heiraten will?«

»Ich habe Ihnen doch schon so oft gesagt, daß ich das nicht kann. Sie haben kein Recht, hierherzukommen und mich zu belästigen.«

»Mein Besuch belästigt Sie also?«

»Das wissen Sie doch selbst ganz gut.«

»Virginia, wie heißt Ihr Begleiter?«

»Das ist nicht Ihre Sache.«

»Lieben Sie ihn?«

»Das sage ich Ihnen nicht.«

»Liebt er Sie denn?«

»Wenn Sie noch mehr so alberne Fragen an mich stellen, gehe ich auf mein Zimmer und schließe die Türe ab.«

Mildmay ging einige Male in dem kleinen Zimmer auf und ab und blieb dann wieder vor Virginia stehen.

»Ich habe die Heiratslizenz in der Tasche. Wollen Sie mitkommen und sich mit mir trauen lassen?«

»Nein.«

»Glauben Sie nicht, daß meine Schultern breit genug sind, Ihre Sorgen zu tragen?«

»Bitte sprechen Sie nicht so. Ich kann Sie nicht heiraten, und ich wünschte nur, Sie würden nicht immer wieder dieselben Fragen an mich richten.«

»Ich bin sehr reich. Wenn es irgendeinen Weg gäbe, Ihre Sorgen durch Geld zu beseitigen, so wäre das sehr einfach.«

»Ach, ich weiß, daß Sie ein großes Vermögen besitzen, aber das ist es nicht!«

»Sie wissen, daß ich reich bin? Vielleicht wissen Sie dann auch, wer ich bin?«

»Ja. Sie sind Guy Mildmay, Herzog von Mowbray.« Er sah sie erstaunt an.

»Wie haben Sie denn das herausgebracht?«

»Ich habe es schon auf dem Dampfer erfahren. Die anderen Passagiere wußten es. Aber das ist ja gleichgültig.«

Plötzlich fuhr ihm ein Gedanke durch den Kopf. »Ich glaube jetzt den Grund zu kennen, warum Sie mich nicht heiraten wollen.«

»Ach, es ist nicht das allein. Es ist auch sonst unmöglich und ausgeschlossen. Meine Familie lebt auf einer kleinen Farm in Amerika und ist furchtbar arm.«

Er sah sie nachdenklich an. Wie kam sie dann zu den kostbaren, eleganten Kleidern? Er verstand das alles nicht.

»Warum wollen Sie mir denn nicht glauben? Warum gehen Sie nicht fort?« sagte sie eindringlich. »Es ist wirklich nicht schön von Ihnen, daß Sie mir das Leben so schwer machen.«

»Nun gut, im Augenblick will ich Sie nichts weiter fragen. Ich darf aber doch wohl Ihr Freund sein?«

»Ja, aber gehen Sie jetzt und lassen Sie mich allein!«

»So habe ich mir allerdings die Freundschaft nicht vorgestellt. Wenn wir wirklich Freunde sind, habe ich ein Recht, Ihnen in Ihren Sorgen und in Ihrem Kummer zu helfen.«

Er erkannte nun allmählich, daß dieses Kind mit den dunklen, sanften Augen und dem weichen, zarten Mund einen unglaublich starken Charakter besaß, der nicht im Einklang zu ihrem jugendlichen Alter und ihrer Erscheinung stand. Endlich sah er ein, daß seine Gegenwart ihr tatsächlich Kummer verursachte. Die Ängstlichkeit, die sie zeigte, war kein Zeichen von Schwäche. Aus ihren ernsten Blicken sprach Entschlossenheit.

»Virginia, Sie lehnen es ab, sich mit mir zu verheiraten? Und ich darf auch nicht Ihr Freund sein? Sie wollen nichts mehr mit mir zu tun haben? Nun gut, dann gehe ich.«

Sie atmete schwer. Er sah es, aber er ließ es sich nicht merken. Langsam zog er ein Stück Papier aus der Tasche und zerriß es in kleine Stücke.

»Das war die Heiratslizenz, die uns beide glücklich gemacht hätte. Leben Sie wohl!«

»Leben Sie wohl«, erwiderte sie leise. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Er schloß sie lachend in die Arme, und sie leistete nicht den geringsten Widerstand.

»Du kleine Närrin!« rief er. »Weißt du, daß das Unglück beinahe geschehen wäre, und daß ich eben wirklich die Absicht hatte, zu gehen?«

Er schloß ihr den Mund mit einem Kuß, so daß sie nicht antworten konnte.


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