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Kapitel 14.
Stella ist hartnäckig

Littleson traf Stella gerade noch in der Hotelhalle. Ihr Gepäck stand bereit, und sie war reisefertig. Sie verabschiedete sich eben von dem Besitzer.

»Ich komme wohl gerade noch rechtzeitig«, meinte Littleson. »Wollen Sie verreisen?«

»Ja, das ist meine Absicht. Wünschen Sie etwas von mir?«

»Könnte ich Sie vielleicht einen Augenblick allein sprechen?«

Sie führte ihn in das Gesellschaftszimmer, in dem sich augenblicklich niemand aufhielt.

»Nun, was wollen Sie?« fragte sie und zog ihre Handschuhe an. »Wünschen Sie etwas von mir, Mr. Littleson?«

»Sie wissen sehr wohl, was ich will«, sagte er schnell. »Ich habe mein Scheckbuch in der Tasche und bin bereit, Ihnen die hunderttausend Dollars sofort zu zahlen. Ich weiß, daß Sie in dem Besitz des Schriftstücks sind. Wenn Sie es vorziehen, kann ich Sie Ihnen in zehn Minuten auch in bar auszahlen.«

»Woher wissen Sie denn, daß ich das Schriftstück besitze?« fragte sie ruhig.

»Ihre Kusine war heute morgen in unserem Büro. Sie dachte natürlich, Sie hätten uns das Dokument sofort gebracht, und wollte es von uns zurückfordern. Auf jeden Fall erfuhren wir durch sie davon, daß Sie Erfolg hatten.«

»Ja, ich hatte Erfolg. Leider mußte ich brutal vorgehen. Ich werde mir diese Gewalttätigkeit niemals verzeihen – aber ich habe das Dokument bekommen.«

»Nun, und jetzt?« Eine schreckliche Ahnung stieg in ihm auf. »Sie haben das Schriftstück doch nicht aus der Hand gegeben? Sie haben es doch nicht etwa Ihrem Vater wiedergebracht?«

»Nein, das nicht, aber es ist auch nicht mehr in meinem Besitz. Hunderttausend Dollars sind eine hübsche Summe, aber ich habe den Diebstahl nicht für Sie und Ihre Freunde begangen.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte er heiser.

»Nichts. Das Papier ist in sicherer Obhut, und Sie werden wahrscheinlich bald erfahren, wer es hat.«

Littleson erschrak.

»Sie müssen es mir sagen«, bestürmte er sie. »Wo ist das Schriftstück? Wer hat es? Sie haben gemein gehandelt! Wenn ich Ihnen nicht alles gesagt hätte –«

»Dann hätte ich überhaupt nichts davon erfahren. Ich bin Ihnen für Ihre Mitteilungen allerdings sehr dankbar.«

»Aber um Gotteswillen, Miß Duge, sagen Sie mir doch, wer es hat«, bat er. »Sie können ja gar nicht ahnen, was das für uns bedeutet. Ich weiß, daß es töricht war, es zu unterzeichnen, aber Ihr Vater bestand darauf und beeinflußte uns derart, daß wir in einem schwachen Moment auf seinen Vorschlag eingingen. Aber schließlich ist die Sache nicht so tragisch«, erklärte er dann etwas ruhiger. »Wir haben das Recht, uns selbst zu schützen, ganz gleich, ob die Öffentlichkeit es uns zubilligt oder nicht.«

»Das stimmt. Sicher wird es einen großen Skandal geben. Ich hoffe aber, daß die öffentliche Sympathie auf unserer Seite ist, wenn es dazu kommt. Man kann in diesem Lande alles kaufen und verkaufen, und ich weiß nicht, wie das amerikanische Volk diesen Versuch aufnimmt, hohe politische Beamte zu bestechen. Wahrscheinlich werden Sie ein wenig unpopulär und müssen Ihren Wohnsitz nach Europa verlegen. Nun, ich wünsche, daß Sie gut davonkommen, aber nun muß ich wirklich gehen. Außerdem werde ich Sie ja vermutlich in Paris wiedersehen, wenn Sie schnell Amerika verlassen müssen.«

»Wollen Sie denn auch wieder nach Europa gehen?« fragte er atemlos.

»Ja, morgen in aller Frühe fährt mein Dampfer. Ich will eben mein Gepäck an Bord bringen und dann den letzten Abend mit meinem Freunde verleben.«

»Kommen Sie doch wenigstens mit mir herunter und sprechen Sie mit Bradley und Weiß. Ich will Sie selbst im Auto dorthin bringen. Es dauert kaum fünf Minuten.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Es hat nicht den geringsten Zweck. Das Dokument ist nicht mehr in meinem Besitz. Der Betreffende, dem ich es überreicht habe, wird sich jedenfalls bald mit Ihnen in Verbindung setzen.«

»Sagen Sie mir wenigstens seinen Namen!«

»Nein. Aber wenn Sie jetzt schnell zu Mr. Weiß zurückkehren, finden Sie dort sicher schon eine Nachricht. Sehen Sie mich nicht so wütend und böse an. Jeder von uns spielt seine eigene Rolle im Leben, das wissen Sie doch selbst sehr gut, Mr. Littleson. Ich habe mich gerade Ihnen gegenüber sehr vornehm benommen, aber zunächst muß ich doch an mich selbst denken. Sie wissen, was das heißt. Also auf Wiedersehen. Ich habe eine Ahnung, daß ich Sie bald in Europa treffen werde.«

Sie ließ ihn stehen. Er ging zur Bar, bestellte einen Brandysoda und steckte sich eine Zigarette an. Nachdem er sich gestärkt hatte, stieg er in seinen Wagen.

Er fand Weiß in aufgeregter Tätigkeit. Angestellte kamen und gingen, die verschiedenen Telefonapparate läuteten. Weiß selbst stand in der Mitte des Zimmers, hatte den Rock ausgezogen, gab seine Aufträge und Befehle, beantwortete telefonische Anfragen und wechselte ein paar eilige Worte mit seinen zahlreichen Besuchern. Er hatte eine große Zigarre im Munde, die er noch nicht angesteckt hatte, und an der er dauernd kaute. Als Littleson auftauchte, schob er ihn in sein Privatbüro, aber es dauerte noch einige Zeit, bis er ihm folgte. Als er endlich in der Türe erschien, war es draußen ruhiger geworden. Die Uhr zeigte fünf, und die Börsenschlacht war für heute zu Ende. Er trat an seinen Schrank, nahm eine Flasche Whisky und Gläser heraus, schenkte sich ein Glas ein und trank es aus.

»Sie hatten wohl heute einen heißen Tag?« fragte Littleson mechanisch.

»Das war eine ganz verteufelte Geschichte«, stöhnte Weiß. »Wir stecken alle bis über die Ohren drin – Higgins, Bradley und ich. Wissen Sie, daß dieser Phineas dauernd in Chicago gekauft hat, während wir glaubten, er sei krank?«

»Nun, darüber bin ich nicht erstaunt,« entgegnete Littleson, »aber ich glaube doch, daß wir durchhalten können.«

»Das wäre möglich, wenn auch mit unheimlichen Verlusten. Haben Sie mit Miß Duge gesprochen?«

Littleson nickte.

»Ja. Die Dinge entwickeln sich nicht zu unseren Gunsten.«

»Hat sie denn das Dokument nicht?«

»Sie hat es sich beschafft und weitergegeben.«

Weiß nahm die Zigarre aus dem Mund und atmete schnell.

»Na, da haben Sie die Sache aber sehr ungeschickt angefangen. Sie haben alles verdorben!«

»Seien Sie doch nicht so voreilig. Ich habe ihr hunderttausend Dollars für das Dokument geboten, und sie tat auch so, als ob sie auf mein Angebot einginge. Sie ließ sich alles erzählen und eignete sich dann das Schriftstück an. Woher konnte ich denn wissen, daß sie einen anderen Plan hatte?«

»Hunderttausend Dollars!« rief Weiß verächtlich.

»Hätten Sie ihr doch eine Million angeboten! Wir müssen jetzt ja doch soviel bezahlen. Wer hat denn das Schriftstück jetzt?«

»Das wollte sie mir nicht sagen.«

Weiß schenkte sich erregt ein neues Glas Whisky ein.

»Hat sie Ihnen denn gar nichts mitgeteilt?«

»Nein, es war nichts aus ihr herauszubekommen. Jemand scheint uns überboten zu haben, Phineas Duge ist es allerdings nicht.«

»Nur eine Woche Aufschub,« stöhnte Weiß, »dann könnte ich die Sache durchkämpfen!«

Es klopfte an der Türe, und ein junger Mann kam mit einer Karte herein.

»Mr. Norris Vine wünscht Sie zu sprechen!«

Weiß und Littleson sahen sich schnell an. Sie dachten beide im Augenblick dasselbe. Dann wandte sich Weiß rasch an seinen Angestellten.

»Bitten Sie den Herrn, näherzutreten,«


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