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Kapitel 11.
Mr. Littleson schmeichelt

Wieder saßen die Verbündeten in dem Millionärsklub in ihrer Ecke beisammen, und diesmal war auch Littleson zugegen. Er hatte den anderen eben erzählt, was er mit Miß Stella Duge besprochen hatte.

»Sie ist bestimmt auf unserer Seite, und ich bin davon überzeugt, daß sie das Dokument beschafft –«

»Aber sie darf doch nicht einmal das Haus ihres Vaters betreten!« sagte Weiß.

»Sie kennt aber doch die Dienstboten und kann sich durch sie Einlaß verschaffen, besonders wenn sich Phineas oben in seinem Schlafzimmer aufhalten muß. Vielleicht haben wir dieses verdammte Dokument schon morgen in der Hand.«

»Wenn wir erst dieses entsetzliche Schriftstück verbrannt haben,« meinte Bradley, »lade ich Sie alle zu einem Sektessen ein.«

»Ich wünschte nur, einer von euch könnte sich mit Miß Longworth anfreunden«, sagte Bradley. »Ich möchte doch zu gerne feststellen ob Phineas Duge tatsächlich krank in seinem Bett liegt, oder ob er die ganze Zeit telefoniert und die Börsen durcheinander bringt. Sind sie sicher, Littleson, daß Dick Losting in Europa ist?«

»Ganz bestimmt. Ich habe erst gestern einen Brief aus Paris von ihm bekommen.«

»Dann möchte ich nur wissen, wer die Börsen in Chikago so erschüttert.« Bradley wies auf die Zeitung, die neben ihm lag. »Sie haben doch wohl bemerkt, daß alle unsere Papiere immer weiter fallen. Wenn nun Phineas zu Hause sitzt und vergnügt und niederträchtig Stunde für Stunde seine Verkaufsaufträge per Telefon durchgibt, während wir hier untätig sitzen? Man könnte verrückt werden bei dem Gedanken!«

»Ach das ist doch Unsinn«, erklärte Littleson. »Sie können sich alles einbilden, wenn Sie nur wollen. Wir haben doch die Krankenberichte der Ärzte, und außerdem bewachen unsere Detektive sein Haus. Alle seine Dienstboten sind ausgefragt worden, aber niemand hat ihn gesehen oder auch nur bemerkt, daß er einen Brief diktiert hätte.«

»Aber er ist doch ein kerngesunder Mann, der noch keinen einzigen Tag krank war«, erwiderte Bradley unwillig.

»Gerade solche Leute erkranken zuweilen plötzlich«, entgegnete Littleson. »Ich zerbreche mir den Kopf darüber nicht. Den größten Fehler haben wir gemacht, als wir Miß Longworth so schlecht behandelten. Weiß hat ihr durch sein unverantwortliches Benehmen direkt Furcht eingejagt.«

Weiß zuckte die Schultern.

»Das wäre möglich. Ich bin kein liebenswürdiger junger Mann, der Eindruck auf die Damen macht wie Sie. Aber warum zum Teufel besuchen Sie die junge Dame denn nicht? Sie könnten doch alle möglichen Entschuldigungen und Vorwände vorbringen. Sie sind einer der größten Freunde ihres Onkels, und es ist doch nur natürlich, daß Sie sich nach seinem Befinden erkundigen, wenn er gefährlich krank ist. Sie müssen noch heute nachmittag zu ihr gehen. Wenn Sie einen tadellosen Anzug aus London tragen, werden Sie doch auf das unerfahrene Ding Einfluß gewinnen. Sie sind doch ein so charmanter Causeur. Sie müssen etwas aus ihr herausbringen.«

Littleson nickte.

»Ich will gleich nach dem Essen hingehen. Vielleicht kann ich Sie zu einer Autofahrt einladen. Jedenfalls will ich alles versuchen. Später läute ich hier im Klub an.«

»Machen Sie aber nicht den Fehler, noch einmal von dem Schriftstück anzufangen, sonst wird sie sofort argwöhnisch«, bemerkte Weiß. »Am besten versuchen Sie nur, sich auf freundschaftlichen Fuß mit ihr zu stellen.«

Littleson nickte und ging kurz darauf. In seiner Wohnung kleidete er sich für diesen Besuch sorgfältig an, und kurz vor vier Uhr hielt sein eleganter Wagen vor Duges Haus in der Fifth Avenue. Virginia begrüßte ihn in ihrer offenen und natürlichen Weise.

»Ich fürchte, daß mein Besuch Ihnen recht ungelegen kommt,« begann er, »aber ich bin ernstlich um Ihren Onkel besorgt und wollte deshalb einmal von Ihnen persönlich hören, wie es ihm geht.«

Sie lud ihn durch eine Handbewegung zum Sitzen ein.

»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen. Sein Zustand hat sich leider noch wenig geändert. Die Ärzte glauben aber, daß er wahrscheinlich in einer Woche aufstehen kann.«

»Wissen die Ärzte denn, woran er leidet?«

»Soviel ich verstehe, suchen sie die Ursache dieses Zusammenbruchs in Überarbeitung. Mein Onkel hat sich eben zu lange nicht geschont und hat seine Gesundheit vollständig vernachlässigt.«

»Das wird wohl stimmen. Sie sehen aber auch etwas angegriffen aus. Ich fürchte, Sie haben sich bei der Pflege und Sorge um Ihren Onkel etwas zuviel zugemutet. Darf ich Sie vielleicht zu einer kleinen Ausfahrt in meinem Wagen einladen? Es ist heute nachmittag so wunderbares Wetter.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Sie sind sehr freundlich, aber ich bin die einzige, nach der mein Onkel manchmal verlangt, und wenn er gerade jetzt aufwachen sollte, mochte ich unter keinen Umständen von Hause fort sein.«

»Ist er denn gewöhnlich bei Bewußtsein?«

»Ja, durchaus.«

»Es ist wohl ganz zwecklos zu fragen, ob ich ihm persönlich meine Aufwartung machen kann.«

»Der Doktor hat das streng verboten. Mein Onkel muß vollständige Ruhe haben und darf sich nicht im mindesten aufregen.«

»Hoffentlich hat er nichts von dem Einbruchsversuch neulich gehört?«

Virginia lächelte schwach.

»Das haben wir ihm selbstverständlich vorenthalten. Es war um so leichter, da nichts gestohlen wurde. Ich weiß überhaupt nicht, für wen die Akten, die dort aufbewahrt werden, irgendeinen Wert haben könnten.«

»Ja, dieser Meinung bin ich auch.«

»Es gibt doch so viele andere Kostbarkeiten in dem Hause, aber die Einbrecher versuchten trotzdem nur den Schreibtisch in der Bibliothek aufzubrechen.«

»Vielleicht vermuteten sie, daß dort Aktien und Wertpapiere verwahrt werden.«

»Nun, ich bin jedenfalls dankbar, daß der Einbruch nicht gelungen ist. Ich glaube auch nicht, daß mein Onkel Wertpapiere in seinem Hause aufbewahrt, die ihm möglicherweise gestohlen werden könnten.«

Littleson beschloß, einen kühnen Versuch zu machen. Er runzelte die Stirne und sah Virginia lächelnd an.

»Das ist ja sehr gut für ihn. Offen gestanden, wenn ich wüßte, wo sich das Dokument befindet, das Mr. Weiß neulich suchte, würde ich tatsächlich bei Ihrem Onkel einbrechen und es ihm stehlen. Wir brauchen es doch so dringend, wie Sie wissen. Wenn es in andere Hände käme, würde das für uns eine Katastrophe bedeuten, die nicht wieder gutzumachen wäre.«

»Ich glaube nicht,« sagte sie zuversichtlich, »daß Sie sich darum zu sorgen brauchen. Mein Onkel trennt sich nicht von Dingen, die einen solchen Wert haben.«

Er lachte etwas gezwungen.

»Ich sehe, daß Sie bereits gelernt haben, Ihren Onkel zu schätzen.«

»Man lernt in New York vieles sehr schnell.«

Er betrachtete sie interessiert. Ihre schlanke Gestalt kam in einem schlichten, vornehmen Kleid vorzüglich zur Geltung. Ihre geheimnisvollen, dunklen Augen waren bezaubernd, und ihre Wangen hatten eine frische, gesunde Farbe. Da ihr Wesen so bezwingend einfach und natürlich war, konnte Littleson nicht glauben, daß sie ihm nicht die Wahrheit sagte.

Einige Zeit unterhielten sie sich über allgemeine Dinge, über die Oper, über neue Bekannte und über das gesellschaftliche Leben in der City, in dem Littleson selbst eine hervorragende Rolle spielte. Sie sprach liebenswürdig und freundlich mit ihm, und er glaubte, daß er einen guten Eindruck auf sie gemacht hätte. Schließlich erhob er sich, um sich von ihr zu verabschieden.

»Ich weiß nicht, ob Sie mit den Geschäftsangelegenheiten Ihres Onkels belästigt werden, während er zu Bett liegt. Sollte das der Fall sein, so möchte ich Ihnen meine Hilfe anbieten, falls Sie Rat brauchen. Bitte benachrichtigen Sie mich, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann.«

Ihr Gesichtsausdruck wurde etwas kühler.

»Ich danke Ihnen für Ihre Liebenswürdigkeit, Mr. Littleson. Aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Ich glaube, man braucht mich im Krankenzimmer.«

Sobald der Diener erschien, um ihn hinauszubegleiten, verließ auch sie das Zimmer. Bildete sie es sich nur ein, oder hatte sie tatsächlich die Alarmglocke gehört, die sie drüben in der Bibliothek hatte anbringen lassen?


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