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Kapitel 17.
Mr. Duge hat einen Mißerfolg

Zweifellos war Norris Vine gefangen. Er wußte es, sobald Duge die Türe geschlossen und den Schlüssel umgedreht hatte. Ihrer äußeren Erscheinung nach waren die beiden Herren, die eben in das Zimmer getreten waren, vollständig harmlos und unterschieden sich nicht von anderen Leuten. Sie trugen dunkle Anzüge von modernem Schnitt und Zylinder. Ohne Frage hätte man sie für gewöhnliche Geschäftsleute aus der City gehalten. Als Vine aber zur Klingel eilen wollte, packte ihn der eine der beiden mit einem Griff am Arm, so daß er sich nicht mehr rühren konnte. Ohne daß er sich wehren konnte, wurde er dann in sein kleines Wohnzimmer geführt. Hätte er um Hilfe schreien wollen, so wäre er sofort geknebelt worden. Als sich alle vier in dem Raum befanden, schloß Duge die Türe.

»Es tut mir leid, daß ich meine Zuflucht zu solchen Mitteln nehmen muß, aber Sie wissen, daß ich nichts unversucht lasse. Der erste Platz, an dem man einen gestohlenen Gegenstand sucht, ist selbstverständlich die Wohnung des Diebes. Offen gestanden setze ich heute allerdings keine allzugroßen Hoffnungen auf diese Durchsuchung Ihrer Wohnung. Aber auf der anderen Seite kann ich natürlich nicht das Risiko auf mich nehmen, Ihre Räume und Ihre Person nicht zuerst zu visitieren.«

»Das verstehe ich vollkommen«, erwiderte Norris Vine und warf sich in einen Sessel. »Ich bitte Sie nur, alles so schnell wie möglich zu erledigen, da ich noch viel vorhabe und bald zu Mittag speisen möchte.«

»Diese beiden Herren«, bemerkte Duge, »sind an derartige Dinge gewöhnt. Sie brauchen nicht zu fürchten, daß Sie unnötig lange aufgehalten werden.«

Die Leute machten sich an die Arbeit. Eine feine seidene Schnur legte sich um seine Arme und um seine Brust, und ein kunstgerechter Knebel wurde ihm in den Mund geschoben. In weniger als drei Minuten war er gefesselt und geknebelt. Von seinem Sessel aus hatte er die Möglichkeit, die Durchsuchung des Raumes zu beobachten, und er mußte feststellen, daß die beiden ihre Aufgabe sachgemäß lösten. Zwanzig Minuten später befand sich die Wohnung in unbeschreiblicher Unordnung. Die Durchsuchung war vorüber, und die beiden Detektive konnten garantieren, daß kein Dokument oder Papier hier verborgen war. Sie trugen ihn nun gefesselt in das Schlafzimmer, und auch hier beobachtete er wieder mit Interesse und Bewunderung, wie sie zu Werke gingen. Das Resultat war allerdings dasselbe. Die beiden lösten jetzt seine Fesseln. Der Knebel blieb jedoch in seinem Munde. Ein Kleidungsstück nach dem anderen wurde ihm abgenommen und durchsucht. Ein Kammerdiener hätte nicht sachgemäßer und geschulter vorgehen können. Schließlich wandten sich die beiden an Phineas Duge. Die Untersuchung war ergebnislos verlaufen. Auf einen Wink des Auftraggebers entfernten die Detektive den Knebel. Vine erhob sich und kleidete sich wieder an.

»Es tut mir äußerst leid,« erklärte Duge ruhig, »daß ich Ihnen diese Unannehmlichkeiten bereiten mußte, aber wer gestohlene Sachen annimmt, muß sich schon derartige Dinge gefallen lassen. Wenn Sie wollen, können Sie jetzt ruhig klingeln und sich über uns beschweren. Die Art und Weise, wie ich gegen Sie vorging, mag Ihnen etwas theatralisch vorkommen, aber diese beiden Herren sind amerikanische Geheimpolizisten. Vielleicht interessiert Sie die Tatsache, daß wir Verhaftungsbefehle gegen Sie und meine Tochter besitzen, und zwar wegen Diebstahls und Anstiftung dazu. Was wir hier getan haben, vollzieht sich vollkommen im Rahmen des Gesetzes. Wir haben nur unterlassen, einen Beamten von Scotland Yard hinzuzuziehen. Sie können sich über mich beschweren, soviel Sie wollen. Aber sobald Sie das tun, beantrage ich Ihre Ausweisung aus England. Wenn ein gewisses Dokument nicht zum Vorschein kommt, geschieht das ohnehin morgen oder übermorgen. Sehen Sie, das mag unklug von mir sein. Ich gebe mich gewissermaßen in Ihre Hand. Sie haben auch jetzt noch genügend Zeit, den Inhalt des Dokumentes nach New York zu kabeln, bevor Ihre Verhaftung durchgeführt werden kann.«

Norris Vine war gerade damit beschäftigt, seine Krawatte zu binden. Als er mit ihrem Sitz zufrieden war, wandte er sich um.

»Ich kann Ihnen nur versichern, daß ich nicht die geringste Absicht habe, mich über Ihr Vorgehen hier zu beschweren. Im Gegenteil, ich habe mich darüber gefreut. Ich war nämlich sehr gespannt, was Sie in England unternehmen würden.« Vine ging zum Kamin, nahm eine Zigarette aus dem Etui, das auf dem Sims lag, und steckte sie an. »Ich wußte, daß Sie hierherkamen, weil Sie ein neues Bündnis mit Ihren vier Partnern geschlossen haben, und weil Sie das Dokument zurückbekommen wollten. Ich war sehr neugierig, welche Methode Sie anwenden würden. Littleson fiel nichts anderes ein, als mir Geld anzubieten und meine Wohnung berauben zu lassen. Ich muß sagen, daß Sie die Sache bedeutend intelligenter angepackt haben. Wenn Sie auch nicht gefunden haben, was Sie suchten, so haben Sie doch wenigstens festgestellt, daß es nicht hier ist. Auf dieser Basis können Sie nun weiter vorgehen. Die Liebenswürdigkeit Ihrer beiden Assistenten ist wirklich erfreulich. Ich sehe, daß sie die Räume wieder vollkommen in Ordnung bringen.«

Phineas Duge nickte. Er zeigte sich in keiner Weise ärgerlich über den Mißerfolg, sondern beobachtete Vine intensiv.

»Ihre weiteren Absichten sind auch nicht schlecht«, fuhr der Journalist fort. »Ich glaube, daß Sie den Verhaftungsbefehl in der Tasche haben, und daß es Ihnen nicht schwer fällt, einen Ausweisungsbefehl gegen mich durchzudrücken. Auf der anderen Seite bin ich mir wohl bewußt, daß dies alles nur Drohungen sind, denn weder ich noch Ihre Tochter können wegen Diebstahls und Anstiftung dazu verurteilt werden, ohne daß das Schriftstück selbst vorgezeigt wird, das wir gestohlen haben sollen. Immerhin bleibt es ein ganz guter Bluff. Ich möchte zu gern Ihre wirklichen Pläne kennen, aber die verraten Sie mir natürlich nicht.«

Phineas Duge lächelte.

»Mr. Vine, Sie hätten ein Diplomat werden sollen. Als Journalist haben Sie Ihren Beruf verfehlt. Selbst als Finanzmann hätten Sie größere Erfolge gehabt.«

»Die Welt ist voll von Leuten, die ihren Beruf verfehlt haben, und ich bin ganz zufrieden, daß ich zu dieser Klasse von Menschen gehöre. Darf ich Ihnen noch etwas anbieten, bevor Sie gehen? Vielleicht einen Whiskysoda oder ein Glas Sherry?«

»Nein, danke. Sie haben doch so große Eile, zum Essen zu kommen. Und meine beiden Freunde haben ja Ihre Räume nun auch wieder in Ordnung gebracht. Wir kommen bald zum zweiten Akt unseres kleinen Zweikampfes, und Sie müssen verstehen, daß ich Ihnen trotz unserer geschäftlichen Auseinandersetzung persönlich nichts nachtrage. Ich habe Sie nicht einmal wegen Ihres Freundschaftsverhältnisses zu meiner Tochter zur Rede gestellt. Sie ist alt genug, um zu wissen, was sie zu tun hat. Über meine eigenen Ansichten habe ich oft genug mit ihr gesprochen. Ich mag viele Fehler haben, aber ich besitze auch einen Vorzug. Noch nie in meinem Leben habe ich mein Wort gebrochen. Wenn ich erfahre, daß meine Nichte durch Ihre Schuld verschwunden ist, dann will ich die paar Jahre, die ich noch zu leben habe, riskieren und Sie wie einen Hund niederschießen, sobald Sie mir in den Weg kommen.«

Duge hatte sehr ernst gesprochen, und Vine wußte, daß dieser Mann zu seinem Wort stehen würde. Aber er zuckte nur die Schultern.

»Ich fürchte, ich habe Sie mißverstanden. Ich hätte mir einbilden können, daß Ihre Gefühle irgendwie erwachen würden, wenn Sie sehen, daß ein Geldschein verbrannt oder vernichtet wird, aber ich habe niemals erwartet, daß Sie wegen Ihrer Nichte oder wegen eines anderen Menschen in Erregung geraten könnten. Ich muß mein Urteil über Sie revidieren. Sie sind wirklich nicht der Mann, den ich in Ihnen vermutete.«

Er nahm seinen Hut und sah nach der Uhr. Duge wandte sich währenddessen zur Türe.

»Ich drücke Ihnen nochmals mein Bedauern aus, Mr. Vine. Guten Morgen.«

Die drei Herren verließen das Zimmer.

Vine blieb zurück, lehnte sich an den Kamin und pfiff leise vor sich hin. Als er sicher war, daß die drei Zeit genug gehabt hatten, das Hotel zu verlassen, griff auch er zu seinem Hut.


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