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31.
Ankunft in Cruta

Eine schlanke, englische Jacht näherte sich dem Hafen von Cruta. Paul stand neben dem Kapitän auf der Brücke und betrachtete bewundernd die schöne Landschaft, die von dem letzten Licht der untergehenden Sonne bestrahlt wurde.

»Man sieht doch wunderbare Farbeneffekte in diesen südlichen Gewässern«, meinte er.

Adrea stand neben ihm an der Reeling und sah lächelnd zu ihm empor.

»Ja«, erwiderte sie leise, »es ist prachtvoll. Wir haben viel Schönes auf dieser Reise gesehen. Ich war noch nie so glücklich. Du bist doch nicht mehr böse, daß ich dich auf der Überfahrt begleitet habe?«

Er sah in ihr schönes Gesicht und blickte dann wieder hinaus zum Horizont, wo See und Himmel sich trafen.

»Nein, es war gut so«, entgegnete er.

Adrea sah herrlich aus. Die frische Seeluft und die südliche Sonne hatten ihre Haut noch dunkler gefärbt. Der starke Wind spielte mit ihren schwarzen Locken. Ihre dunklen Augen glänzten in einem neuen Licht, und eine ruhige, stille Freude verklärte ihre Züge. Die letzten kurzen Wochen waren für sie wie ein Geschenk des Himmels gewesen. Zum erstenmal war sie allein mit dem Manne, den sie liebte. Sie war mit ihm über sonnige Meere gefahren und hatte immer seine Nähe gefühlt.

Sie lebte nur der Gegenwart. Alle Erinnerungen an jene schreckliche Nacht hatte sie beiseitegeschoben. Sie hatte keine Zeit, zu klagen und zu bereuen. In der Erfüllung ihrer großen Leidenschaft vergaß sie alles. Ja, das Verbrechen, das sie begangen hatte, war in ihren Augen gerechtfertigt.

Paul hatte die Veränderung in ihrem Wesen auch wahrgenommen. Er hatte gesehen, daß sie viel weiblicher, zarter und weicher geworden war, und sie bedeutete für ihn eine neue Offenbarung. Die wenigen Tage an Bord gingen dahin wie ein süßer Traum. Als er die Reise antrat, war er fast zusammengebrochen unter der Last jener grausamen Enthüllung. Aber in Adreas Gegenwart hatte er sich in wenigen Stunden geändert. Aller Kummer und alle Sorgen schienen von ihm genommen. Er kämpfte nicht mehr allein. Adrea wußte alles, und sie fuhren nun zusammen nach dem Süden.

Und nun hob sich Cruta vor ihren Augen aus der See, und sie erkannten das düstere Schloß oben auf den Klippen, das ebenso alt und verwittert aussah wie die Felsen, auf denen es stand. Und schließlich waren sie durch die weiße, tückische Brandung am Vorgebirge hindurchgefahren und näherten sich dem sicheren, ruhigen Hafen, wo sie die kleine Flotte der Fischkutter in ihrer Farbenpracht bewunderten.

»Das ist unsere Bestimmung, Adrea«, sagte er. »Ich gehe jetzt auf kurze Zeit nach unten. Wenn wir die Brandung am Eingang des Ufers passieren, wird der Gischt über Bord schlagen, und wir werden alle Hände voll zu tun haben, um sicher in den Hafen zu kommen. Sieh einmal zurück. Es ist gut, daß wir hier sind.«

Er zeigte auf die Wolken, die sich im Westen zusammenballten, und schaute dann zu dem Schloß hinauf. Der Sturm, der sich erhob, schien symbolisch zu sein für das, was sich jetzt ereignen sollte. Seine Gedanken wanderten zurück zu den traurigen Ereignissen, die er hier erlebt hatte, und die düstere Stimmung der Landschaft teilte sich auch ihm mit. Eine schwere Aufgabe lag vor ihm.

Es bedurfte nun seiner ganzen Energie, um das Schiff sicher zu steuern. Aber bald darauf fielen die Anker, ein Boot wurde heruntergelassen und fuhr zur Küste.

Viele hilfreiche Hände boten sich, um es an Land zu ziehen. Paul trat auf den sandigen Strand und schaute sich nach jemand um, dem er sich verständlich machen konnte. Er sah aber nur einfache Leute. Schließlich hob er die Hand, zeigte nach dem Schloß hinauf und fragte italienisch nach dem Weg. Sie verstanden ihn und deuteten die Küste entlang. Als er ihren ausgestreckten Armen folgte, sah er den Anfang einer Straße, die in vielen Windungen ins Land hineinführte und etwas höher wieder oben an den Felsen sichtbar wurde. Aber niemand wollte einen Schritt mit ihm gehen. Im Gegenteil, als er sie darum fragte, schraken sie davor zurück und sprachen aufgeregt durcheinander.

»Das ist der Sohn des englischen Lords«, rief der Fischer Antonio entsetzt. »Er wagt sich in den Rachen des Löwen. Wir wollen uns nicht mit ihm zusammen sehen lassen. Der Graf sieht uns von oben.«

»Ich weiß nicht, ob er weiß, welche Gefahr ihm droht«, sagte sein Freund Guiseppe nachdenklich. »Er ist jung und sieht tapfer aus. Es wäre gut, wenn man ihn warnte.«

»Ich würde es nicht wagen«, rief Antonio.

Auch kein anderer wolle mit Paul zu tun haben. Guiseppe sah sie verächtlich an, trat dann vor und legte die Hand auf Pauls Schulter. Er war früher in Italien gewesen und versuchte nun, in der Sprache dieses Landes zu sprechen, so gut er konnte.

»Gehen Sie nicht nach dem Schloß«, begann er. »Es ist das Heim des Grafen von Cruta, und dort wartet nur Gefahr auf Sie – Gefahr und Tod. Es ist unser Herr, der dort oben haust. Wir sind seine Untertanen und können nichts sagen. Aber er ist wild und schrecklich, und merkwürdige Dinge haben sich dort oben schon zugetragen. Seien Sie klug! Fahren Sie mit Ihrem Schiff zurück. Lichten Sie die Anker und fahren Sie fort! Die stürmische See ist gefährlich, aber das Schloß ist für Sie noch gefährlicher. Achten Sie auf die Worte des alten Giuseppe, und gehen Sie wieder fort!«

Aber Paul schüttelte den Kopf. Er verstand, was Guiseppe sagte, und wußte, daß es freundlich gemeint war.

»Sie sind sehr gut«, erwiderte er, »und ich danke Ihnen für Ihre Warnung. Aber ich habe sehr wichtige Dinge mit dem Grafen zu verhandeln und bin von England hergekommen, um mit ihm zu sprechen. Hier, nehmen Sie das.« Er warf eine Handvoll Silbergeld unter die Gruppe der Fischer. »Auf diesem Weg komme ich also gerade zum Schloß? Guten Abend!«

Er ging allein den Weg am Ufer entlang. Die Fischer starrten gierig auf die Silbermünzen, aber keiner rührte eine an.

»Heilige Mutter!« rief Antonio aufgeregt. »Soviel Geld! Wenn ich nur wüßte, daß der Graf mich nicht sähe! Ich könnte einen ganzen Monat feiern und mir neue Netze kaufen!«

»Rühr das Geld nicht an«, riet Guiseppe. »Der Graf kann alles sehen –«

»Ich weiß, was wir tun«, rief Antonio freudig. »Wir wollen zum Kloster gehen, und Pater Bernhard soll mit uns kommen und einen Segen über das Geld sprechen. Er wird zwar die Hälfte für sich haben wollen, aber die andere Hälfte können wir wenigstens untereinander teilen. Was sagt ihr dazu?«

»Bravo! Antonio hat recht! Antonio ist ein kluger Kerl!« riefen alle durcheinander. Sie eilten über den sandigen Strand zu dem Kloster, und nur Giuseppe blieb zurück.

Er wartete, bis alle außer Sicht waren, dann bückte er sich, sammelte die Münzen auf und steckte sie in die Tasche.

»Dumme Gesellschaft!« sagte er halblaut vor sich hin. »Der Graf kann nicht weiter sehen als andere Menschen auch. Auf keinen Fall kann er sehen, daß ich das Geld eingesteckt habe.« Et richtete sich auf und sah den Weg entlang, den Paul gegangen war. »Was soll ich nun tun? Seinem Vater verdanke ich mein Boot. Er hat mir damals viel Geld gegeben. Dieser Signor de Vaux hat mich fürstlich beschenkt. Kann ich es mit ansehen, daß sein Sohn dem Untergang entgegengeht? Nein, das kann ich nicht zulassen. Der Graf ist schrecklich, aber ich kann der Gefahr entkommen. Auf jeden Fall will ich ihm ein Stück Weges folgen.«

Er ging schnell das Ufer entlang und begann zum Schlosse emporzusteigen. Kurz darauf kehrten die anderen zum Ufer zurück. Sie trugen Laternen, und der Priester war in ihrer Mitte.

»Wo ist das Geld geblieben?« schrie Antonio heiser. »Der Graf weiß es, er war hier.«

Der Priester wandte sich entrüstet ab, und die Fischer folgten ihm, indem sie leise ihre Meinungen miteinander austauschten. In der Dunkelheit bemerkte niemand, daß Guiseppe nicht mehr anwesend war.


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