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12.
Adreas Tagebuch

Heute abend hatte ich ein weiteres Erlebnis, das mich sehr erschreckte. Ich saß allein in meinem Zimmer und sah träumend in das Kaminfeuer, als plötzlich Schritte auf der Treppe ertönten. Zuerst dachte ich, es sei Paul. Ich sprang auf und lauschte angestrengt. Aber wie töricht war ich! Ich fühlte, wie meine Wangen glühten und mein Herz schlug. Aber dann hörte ich, daß die Schritte einem Fremden gehörten und meine Erregung schwand.

Endlich klopfte es fest und energisch an meine Tür. Bevor ich noch antworten und die Tür öffnen konnte, stand ein Mann auf der Schwelle.

Mein Zimmer lag im Dunkeln, aber die klare, kalte Stimme kannte ich sofort wieder.

»Ich suche Adrea Kiros. Ist dies ihre Wohnung und ist sie zu Hause?«

Mit zitternden Fingern drehte ich das Licht an und schaute nach der Tür. Der Mann, der dort stand, war dunkel, hatte ernste, verschlossene Züge und sah mich ebenfalls an. Meine Vermutung hatte mich nicht getäuscht, es war Pater Adrian.

»Sie haben mich also doch ausfindig gemacht«, sagte ich langsam. »Kommen Sie herein und schließen Sie die Tür.«

Er trat langsam näher und kam bis zur Mitte des Zimmers. Seine Züge waren blaß und hart, aber seine dunklen Augen glühten. Ich nahm allen Mut zusammen und setzte mich mit einem gezwungenen Lachen in einen Sessel.

»Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, so nehmen Sie doch bitte Platz.«

»Wenn ich Ihnen etwas zu sagen habe«, wiederholte er, und ich hörte unterdrückte Leidenschaft aus seiner Stimme. »Sind das Ihre Worte, mit denen Sie mich begrüßen?«

»Nicht, wenn Sie als ein Freund kommen. Aber wenn Sie dort an der Türe stehen und mich anstarren, können Sie doch nicht erwarten, daß ich mich freue.«

Er kam einige Schritte näher. Ich beobachtete ihn scharf, denn ich wußte, daß die alte wahnsinnige Leidenschaft in ihm noch nicht erstorben war, und ich freute mich in gewisser Weise darüber. Das machte den Kampf für mich nur leichter.

»Ich habe allen Grund, hart und böse mit Ihnen zu sein. Sie haben uns getäuscht. Sie haben uns belogen, nur damit wir Ihnen helfen sollten. Wenn wir nicht gewesen wären, dann wären Sie heute noch in Cruta! Wollte Gott, daß ich Ihnen niemals zur Flucht verhelfen hätte!«

»Das klingt ja nicht sehr freundlich!«

»Mädchen, sind Sie denn von Sinnen? In Cruta waren Sie ohne Sorgen und froh. Und Gott weiß, Ihr Herz war rein. Und nun sind Sie eine Tänzerin und haben sich in den Strudel der Welt gestürzt!«

Ich stand auf, richtete mich auf und sah ihm voll ins Gesicht. Eine schwache Röte stieg in seine Stirn.

»Hören Sie auf«, sagte ich. »Sie sprechen von Dingen, die Sie nicht verstehen und die Sie wahrscheinlich auch nicht verstehen können. Wir beide sind aus verschiedenen Welten. Die Gesetze Ihrer Welt sind nicht die meinen. Verlassen Sie mich für immer, wir wollen unsere eigenen, getrennten Wege gehen. Wir messen die Dinge dieser Welt mit verschiedenem Maß, Sie sind ein Priester, und ich bin eine Frau. Ich danke Ihnen für alles, was Sie in der Vergangenheit für mich getan haben und vergesse deshalb auch die Beleidigung, die Sie mir eben zugefügt haben. Gehen Sie!«

»Adrea, ich kann Sie nicht für immer aus dem Auge verlieren«, sagte er niedergeschlagen und traurig. »Ich bete zu Gott, daß ich es könnte. Aber es ist unmöglich. Immer ruft mir eine innere Stimme zu: Fliehe! Aber ich kann nicht fliehen. Ich sorge mich noch ebenso um Ihre Zukunft wie in früheren Zeiten. Ach, Adrea, ich habe mich abgehärmt, daß wir uns für immer getrennt hatten. Hätte ich Sie doch nie in meinem Leben gesehen!«

»Nun, dann vergessen Sie doch alles. Sie können es«, erwiderte ich kalt.

»Nein, ich kann es nicht«, entgegnete er erregt. »Adrea, Sie erscheinen mir manchmal wie eine Geißel, und der Gedanke an Sie ist wie ein böser, sündhafter Traum. Sie haben mir nichts gebracht als Schmerz und Unruhe. Trotz aller meiner vielen Leiden sehe ich keinen Hoffnungsschimmer, und doch kann ich Sie nicht vergessen!«

Trotz seiner verletzenden, scharfen Worte tat er mir leid. In früheren Tagen war ich viel mit ihm zusammen gewesen. Er war mein Beschützer, und schließlich verdanke ich ihm meine Freiheit, die Flucht von der Felseninsel. Deswegen sprach ich sanft und mild zu ihm.

»Wir haben entgegengesetzte Charaktere, und keiner von uns wird sich ändern. Es ist besser, daß wir für immer getrennt durchs Leben gehen.«

Er war nahe an mich herangetreten, und ich legte meine Hand einen Augenblick auf die seine. Sie war kalt wie Eis und zitterte, denn die alte Leidenschaft für mich hatte ihn wieder gepackt.

»Was Sie sagen, ist bis zu einem gewissen Grad wahr«, erwiderte er leise. »Aber schicken Sie mich nicht von sich fort. Eines Tages mögen Sie anders urteilen. Sie können in Schwierigkeiten und Sorgen geraten, und dann könnte ich Ihnen vielleicht helfen. Betrachten Sie mich doch als einen Bruder und schenken Sie mir das Vertrauen, das man einem Bruder schenkt.«

»Ich wäre sehr froh, wenn wir Freunde sein könnten. Aber versuchen Sie nicht, mehr von mir zu erfahren, als ich Ihnen freiwillig sage. Sie haben mir Vorwürfe gemacht. Sie sind nicht ganz wahr und auch nicht ganz falsch. Wahr ist, daß ich mir meinen Lebensunterhalt durch meine Tanzkunst erworben habe; aber ich bin nur in Privatzirkeln aufgetreten. Sie verstehen nichts von alledem. Wie sollten Sie das auch! Aber ich stand niemals auf zweifelhaften Bühnen, wie Sie anzunehmen scheinen. Mein Tanz ist eine Kunst und wird von den Kritikern auch so gewertet. Ich kann Ihnen ja eines Tages einmal hier etwas vortanzen, damit Sie eine Ahnung davon bekommen, was moderne Tanzkunst heißt. Aber bitte, sehen Sie mich nicht so an«, fügte sie schnell hinzu. »Ich erlaubte mir eben nur einen Scherz. Ich will nicht die Ruhe Ihres Gewissens stören. Aber ich muß betonen, daß ich hier in London eine anerkannte Künstlerin bin. Was Ihnen Sünde zu sein scheint, mag in meinen Augen höchste Gerechtigkeit sein, und umgekehrt. Und doch will ich Ihre unausgesprochene Frage beantworten. Ich stehe Ihnen jetzt noch genau so gegenüber wie in Cruta. Vielleicht bin ich jetzt besser als früher, denn ich habe eine gute Tat getan!«

Er hob seine Hand, aber ich achtete nicht darauf.

»Ich will es Ihnen sagen. Vor einigen Tagen kam durch Zufall eine unglückliche Frau in meinen Weg. Sie war einer unerträglichen Gefangenschaft entkommen, stand nun aber allein, ohne Freunde und ohne Geld, in einer vollkommen fremden Stadt. Den Mann, auf dessen Hilfe sie gerechnet hatte, konnte sie nicht finden. Er hatte ihr eine Adresse gegeben, wo sie immer von ihm hören würde. Tag für Tag fragte sie vergeblich. Vielleicht war es kein Verschulden von ihm, aber sie war dem Verhungern nahe.«

»Wer war es denn?«

»Ich fand sie und brachte sie mit mir nach Hause. Sie wohnt bei mir!«

Die Tür öffnete sich während meiner letzten Worte und die alte Frau stand ihm gegenüber. Beide schwiegen zuerst, so groß waren die Ueberraschung und das Staunen. Dann trat er schnell vor, nahm ihre Hände und zog sie zu sich. Ich ging leise aus dem Zimmer und ließ sie allein.


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