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18.
Mays Frage

»Wissen Sie, wer Major Harcourts Haus gemietet hat, Mr. de Vaux?« fragte Lady May.

Paul schwieg einen Augenblick. Er saß ruhig im Sattel und starrte über die Heide hin, als ob er die Ferne durchdringen wollte.

»Ich weiß den Namen nicht genau. Es ist eine fremde Dame mit ihrer Stieftochter. Ich glaube – es ist auch noch ein römischer Priester dort, aber wohl nur vorübergehend zum Besuch.«

»So, so!«

Diese kurze Antwort drückte viel aus, und Paul sah mit gefurchter Stirn zu seiner Begleiterin hinüber. Was mochte sie gehört haben? Auf jeden Fall wußte sie etwas. Sie war schon den ganzen Vormittag über sehr kühl und zurückhaltend ihm gegenüber gewesen. Nun ruhten ihre klaren, grauen Augen mit einer gewissen Mißbilligung und Verachtung auf dem einsamen Hause, das in einiger Entfernung von ihnen lag. Jetzt erinnerte sich Paul daran, daß er gestern abend einen Wagen hinter sich gehört hatte, als er mit Pater Adrian die Straße entlang ging. Zweifellos war er erkannt worden, aber was kam es jetzt darauf an? Die Zeit, da er um Lady Mays Hand anhalten wollte, lag weit hinter ihm. Zwischen seinem früheren und seinem heutigen Leben hatte sich eine große Kluft aufgetan. Die Ereignisse des gestrigen Abends hatten plötzlich alles geändert.

Er hatte nicht die Absicht gehabt, am nächsten Morgen mit zur Fuchsjagd zu reiten, aber er war durch die Umstände dazu gezwungen worden. In der Frühe war Reynolds in sein Schlafzimmer gekommen und hatte ihn gefragt, ob das Frühstück für dreißig oder für fünfzig Personen gerichtet werden sollte. Dann erst hatte sich Paul daran erinnert, daß sich die Teilnehmer der Jagd auf Schloß Vaux treffen wollten. Er mußte die Gesellschaft also bewirten, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzureiten. Lady May war von seiner Mutter besonders zum Frühstück eingeladen worden, aber sie war nicht erschienen. Paul hatte sie heute zum erstenmal bei den Hügeln getroffen, und sie hatte ihn sehr kühl begrüßt. Ihr schönes Gesicht war verdüstert, und sie verhielt sich äußerst reserviert.

»Ich glaube, mein Bruder weiß, wer diese Leute sind«, sagte sie nach einem kurzen Schweigen. »Er traf sie auf der Station«.

Paul biß sich auf die Lippen und wandte sich ab. Er wußte jetzt, warum sich Lady May ihm gegenüber so abweisend benahm.

»Hat er es Ihnen denn gesagt?«

Sie spielte mit ihrer Peitsche und sah dann Paul gerade ins Gesicht.

»Ja, er kannte die jüngere Dame. Es ist Adrea Kiros, die Tänzerin. Würden Sie mir eine Frage beantworten?«

»Gewiß!«

Sie schaute jetzt krampfhaft geradeaus, und ihre Wangen röteten sich leicht.

»Sie müssen nicht glauben, daß ich lausche, aber als ich gestern abends am Billardzimmer vorbeiging, hörte ich zufällig, daß mein Bruder mit Captain Mortimer sprach. Sie nannten Ihren Namen mit dem von Adrea Kiros. Sie sagten, Sie wüßten, warum sie hierhergekommen sei oder Sie hätten es sogar selbst veranlaßt. Wir sind seit längerer Zeit Freunde, Mr. de Vaux, und so weit es mich betrifft, habe ich Ihnen stets die Freundschaft gehalten. Aber wenn das Gerücht, das ich gehört habe, irgendwie auf Wahrheit beruhen sollte, dann können Sie sich wohl die Folgen selbst ausdenken. Ich wollte Sie deshalb persönlich fragen. Ich habe mich nie damit zufrieden gegeben, wenn andere Leute etwas gegen meine Freunde sagten. Ich weiß, daß mein Vorgehen etwas außergewöhnlich ist, aber ich bitte Sie, mir Aufklärung zu geben.«

»Vielleicht stellen Sie Ihre Frage etwas präziser, Lady May«, sagt Paul langsam.

»Gerne. Ist diese junge Dame auf Ihre Veranlassung hierhergekommen, und haben Sie ihr das Haus beschafft?«

»Nein. Niemand war über ihr Kommen mehr überrascht als ich.«

Lady May richtete sich gerade im Sattel auf und zog ihre Zügel an.

»Kennen Sie die Dame?«

»Ja.«

»Haben Sie sie in London besucht?«

»Ja.«

»Waren Sie gestern abends in dem Hause?«

»Ja, das muß ich Ihnen aber erklären. Ich habe den Weg verloren und –«

Lady May gab ihrem Pferde die Sporen.

»Ich danke Ihnen, Mr. de Vaux«, erwiderte sie kühl und von oben herab. »Ich will Sie nicht länger belästigen. Bitte, folgen Sie mir nicht!«

Paul sah ihr nach, als sie den Hügel hinabritt und zu einer kleinen Gruppe von Reitern stieß. Es kam ihm alles so unwirklich vor. Nach einer kurzen Weile lächelte er plötzlich und steckte sich eine Zigarre an. Lady May war ihm heute ganz fremd erschienen, so hatte er sie noch nie kennengelernt.

Es kam Leben in die Jagdgesellschaft, und das war Paul eine willkommene Ablenkung. Ein Fuchs war ausgebrochen, und die Meute war mit lautem Gekläff hinter ihm her. Paul drückte den Hut in die Stirne und setzte sich fest in den Sattel. Diese körperliche Anstrengung war gerade das, was er brauchte. In ein paar Minuten war er der erste und führte das ganze Feld. Nur der Jagdmeister ritt zu seiner Seite. Captain Westover war eine Länge hinter ihm. Bei dem ersten Halt kam er an seine Seite.

»Ich möchte ein paar Worte mit Ihnen sprechen«, sagte er.

Paul richtete sich im Sattel auf.

»Ich stehe Ihnen zur Verfügung«, erwiderte er etwas steif. »Ich hatte bereits das Vergnügen, mich heute morgens mit Ihrer Schwester zu unterhalten.«

Captain Westover nickte.

»Das dachte ich mir. Ich möchte zunächst um Verzeihung bitten für das, was ich Ihnen zu sagen habe, de Vaux. Wenn ich es ungeschickt vorbringe, seien Sie mir nicht böse. Aber ich muß Sie fragen, warum Sie diese Tänzerin Adrea hierhergebracht haben!«

»Die ganze Sache geht mich nichts an. Ich wußte nicht, daß sie hierherkam.«

Captain Westover strich sich den Schnurrbart und machte ein verdutztes Gesicht.

»Alter Junge, Sie haben sie aber doch dauernd in London besucht?«

»Ja, besucht habe ich sie!«

»Und Sie waren doch gestern abends auch in dem Hause? Stimmt das nicht?«

»Ja, das stimmt!«

»Dann mußten Sie also doch etwas von ihrem Kommen wissen. Das konnte doch kein reiner Zufall sein. Bevan u. Bevan sind meine Rechtsanwälte, und dort habe ich eines Tages erfahren, daß Sie Miß Adrea eine jährliche Rente von tausend Pfund ausgesetzt haben. Die Rechtsanwälte haben es mir natürlich nicht gesagt, aber ich sah Ihren Scheck auf dem Tisch liegen und hörte, wie John Bevan einem Angestellten den Auftrag gab, den Scheck auf das Konto von Miß Adrea einzuzahlen. Es tut mir leid, daß ich dahinter kam, aber Sie sind der erste, zu dem ich etwas davon sage.«

»Ich bin ihr Vormund«, entgegnete Paul gereizt.

Captain Westover pfiff leise vor sich hin.

»Sie mögen das nennen, wie Sie wollen, mir soll es gleich bleiben. Sie scheinen ja auch nicht auf meinen Rat hören zu wollen, aber Sie machen sich durch solche Geschichten zum Gespött der Leute. Guten Morgen!«

Paul war die Lust an der Jagd vergangen. Als er auf dem Heimweg an Major Harcourts Haus vorbeiritt, stand Adrea vor dem Gartentor. Sie war noch atemlos, weil sie ihn vom Fenster aus gesehen hatte und ihm entgegengelaufen war. Lachend zeigte sie ihre weißen Zähne, und ihre schwarzen, kurzen Locken wehten im Winde.

»Ich sah, wie du kamst«, sagte sie ein wenig scheu. »Und ich fürchtete, daß du nicht hereinkommen würdest, deshalb lief ich schnell zum Tor. War das nicht recht von mir? Du kommst doch jetzt sicher herein?«

»Ich glaube nicht«, entgegnete Paul ernst. »Ich bin staubig, und mein Pferd ist müde!«

Ihre Lippen zuckten.

»Komm doch«, sagte sie leise. »Ich habe den ganzen Tag auf dich gewartet!«

Einladend hielt sie das Zauntor auf und sah zu ihm empor. In ihrem farbenfrohen Kleide, vom Winde zerzaust, sah sie schön und malerisch aus. Eine Goldspange glänzte in ihrem dunklen Haar. Alles an ihr war seltsam und fremdländisch. Die Erinnerung an ihre fieberhaft heißen Küsse stieg wieder in ihm auf und er sprang plötzlich ab.

»Ja, ich komme, mein Liebling.«

Sie nahm seinen Arm und flüsterte ihm etwas ins Ohr, als sie den Weg zum Hause entlanggingen. In diesem Augenblick hörten sie das Geräusch von Hufen und wandten sich um. Captain Westover und Lady May ritten am Zaun vorbei und sahen zu ihnen hinüber.


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