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1.
Der letzte Wunsch

»Pater Adrian!«

»Ja, hier bin ich!«

»Ich sah, wie Sie eben heimlich mit dem Arzt sprachen. Wie lange habe ich noch zu leben? Er hat Ihnen die Wahrheit gesagt. Ich muß wissen, wie es mit mir steht!«

Der schlanke, junge Priester trat näher an das Bett, schüttelte langsam den Kopf und sah den Kranken mitleidig an.

»Es ist nicht mehr lange – Sie haben nur noch kurze Zeit. Aber warum fürchten Sie sich? Sie haben gebeichtet. Ich selbst habe Ihnen die Absolution erteilt, und die Kirche hat Ihnen die Sterbesakramente nicht verweigert.«

»Ich fürchte mich nicht. Es ist nur so eine Sache der Überlegung. Werde ich den Morgen noch erleben?«

»Das ist möglich. Aber nicht mehr den Mittag.«

Der Sterbende richtete sich mühsam auf und zeigte nach dem Fenster.

»Öffnen Sie es!«

Sein Diener, der schweigend im Schatten gesessen und das Gesicht in den Händen verborgen hatte, erhob sich und führte den Auftrag aus.

»Wieviel Uhr ist es?«

»Drei.«

»Gomez, strenge deine Augen an und sieh auf das Meer hinaus. Kannst du kein Licht am Horizont erkennen?«

»Nein. Der Sturm hat alles in Dunkel gehüllt. Hören Sie nur!«

Ein Regenschauer schlug gegen die Fensterscheiben, und der heulende Sturm rüttelte an dem Hause. Gomez wandte sich verzweifelt wieder vom Fenster ab. Kein menschliches Auge konnte diese Finsternis durchdringen. Wieder sank er in seinen Sitz und sah sich schaudernd um. Der hochgewölbte Raum, in dem sie sich befanden, wurde nur durch ein paar Kerzen notdürftig beleuchtet, und der größere Teil des Zimmers lag in Halbdunkel. Graue, phantastische Schatten schienen in den Ecken zu lauern. Selbst die große Gestalt des Priesters, der vor einem rohgeschnitzten Kruzifix kniete, machte einen geisterhaften, unwirklichen Eindruck. Die schweren, doppelten Bettvorhänge bewegten sich unruhig in dem Zug, der durch das halbgeöffnete Fenster hereindrang. Die Kerzen flackerten und brannten unruhig in den Leuchtern. Gomez betrachtete sie ängstlich. Auch das Leben seines Herrn brannte langsam zu Ende. Er machte sich jedoch darüber keine besonders großen Sorgen. Fünfundzwanzig Jahre diente er ihm schon. Er dachte an eine kleine, gemütliche Wohnung in Piccadilly, wo sie nichts von den Unannehmlichkeiten ihres jetzigen Aufenthaltes gekannt hatten. Wenn sein Herr seine Tage dort beschlossen hätte, wäre es ein Luxus gewesen zu dem, was sich hier abspielte. Es tat ihm persönlich leid, daß sein Herr hier in diesem weltvergessenen Winkel sterben mußte. Seine Gedanken wanderten. Er kannte die Zusammenhänge und wußte, warum es zu Ende ging. Hatte er doch alles mit ihm erlebt und durchgekämpft!

Der Sterbende lag jetzt ganz ruhig, als ob die letzten Augenblicke gekommen seien. Einmal richtete er den Kopf auf, und ein schwacher Schein flackerte über sein graues, eingefallenes Gesicht, in dem dunkle, fieberglänzende Augen brannten. Aber er sank gleich wieder in die Kissen zurück, schloß die Augen und atmete ruhig und gleichmäßig. Er ging mit seinen letzten Kräften sparsam um.

Eins – zwei – drei – vier – fünf! Hart und gespenstisch klangen die Schläge einer alten Uhr in dem Gebäude. Kurz darauf ertönte eine tiefe Glocke. Der Mann auf dem Bett hob müde den Kopf.

»Was macht der Sturm?« fragte er leise.

Gomez stand auf und ging wieder zum Fenster.

»Er verzieht sich. Der starke Wind flaut ab.«

»Wann wird es Tag?«

»In einer Stunde.«

»Bleiben Sie beim Fenster und warten Sie, bis es dämmert.«

Der Priester runzelte die Stirne.

»Es ist aber jetzt an der Zeit, daß Sie Ihre Gedanken von irdischen Dingen abwenden«, sagte er ruhig. »Was kümmert Sie das Morgengrauen? Bald werden Sie in ewigem Schlaf ruhen. Nehmen Sie das Kruzifix in die Hand und beten Sie mit mir.«

Der Sterbende schob aber das Kreuz mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite, die fast verächtlich wirkte.

»Gomez, sehen Sie kein Licht auf dem Meer?« fragte er wieder.

Der Diener lehnte sich weit vor und strengte seine Augen an, daß sie schmerzten. Plötzlich hielt er den Atem an, als er einen schwachen, gelblichen Schein entdeckte. Rasch wandte er sich um.

»Ganz weit hinten sehe ich ein Licht. Ich kann noch nicht sagen, was es ist, aber ich sehe es.«

Eine Welle von Erregung ging über das harte, verfallene Gesicht des Mannes auf dem Lager. Er richtete sich wieder etwas auf und seine Stimme klang fester.

»Schieben Sie mein Bett zum Fenster.«

Der Priester und Gomez kamen seinem Wunsch nach, aber es gelang ihnen nur mit Mühe, das schwere, ächzende Möbel vorwärtszubewegen. Inzwischen war das Licht auf dem Meer näher herangekommen und deutlicher geworden. Die drei sahen gemeinsam hinaus und beobachteten, wie es immer größer und größer wurde. Gomez und sein Herr zeigten fieberhafte Erwartung, während das Gesicht des Priesters deutlich Widerwillen verriet.

»Es dämmert!« rief Gomez plötzlich und deutete nach Osten.

»Richten Sie mich auf. Geben Sie mir Kissen in den Rücken, daß ich sitzen kann!«

Gomez tat, wie ihm geheißen wurde. In dem kalten Morgenlicht war das Gesicht des Sterbenden deutlich zu sehen.

Ein langer Bart von schwarzen und grauen Haaren lag auf seiner Brust. Seine dunklen, ungebrochenen Augen schauten auf das Meer hinaus.

»Also kommt er doch!«

Gomez und der Priester schraken bei diesem fast triumphierenden Ausruf zusammen und ihr Blick folgte dem lang ausgestreckten Arm. Über dem fernen gelben Licht sahen sie eine feine, dünne Rauchlinie am Horizont.

»Ja, es ist wirklich ein Dampfer«, sagte der Priester, der jetzt mehr Interesse zeigte. »Er hält auf die Insel zu.«

»Wann kommt der Postdampfer?« fragte Gomez.

»Erst in zwölf Tagen«, entgegnete der Priester. »Das ist ein fremdes Schiff.«

»Kann das Schiff in die Bucht einlaufen?« fragte Gomez plötzlich. »Es ist ziemlich hoher Seegang an der Barre.«

Alle drei sahen jetzt auf den Hafeneingang. Nun wurden in kurzer Reihenfolge drei Raketen von der Spitze des Felsenhügels abgeschossen. Der Sterbende biß die Zähne zusammen.

»Was bedeutet dieses Signal, Pater Adrian?« fragte er.

Der Priester sah mitleidig auf den Sterbenden. »Es ist eine Warnung für das Schiff, daß der Eingang zum Hafen unpassierbar ist. Beruhigen Sie sich. Es ist eine Mahnung des Himmels. Sie sollen Ihre Gedanken nicht von dem Heile ablenken. Beten Sie jetzt mit mir.«

Aber die Worte des Mönches verhallten ungehört, und der Sterbende schien nicht entmutigt zu sein. Sein Blick durchdrang die Ferne, und es war, als ob er den Kapitän auf der Brücke sähe und die scharfen Befehle hörte, die er seinen Untergebenen zurief.

Das Schiff setzte seinen Weg unbekümmert um alle Gefahren mutig fort und kam immer näher. Pater Adrian und Gomez sahen dem tollkühnen Wagnis in fieberhafter Erregung zu. Gespannt und interessiert beobachteten sie den Kampf der großen Dampfjacht mit der mächtigen und gefährlichen Brandung.

Der Priester war ein wenig zur Seite getreten, als das graue Morgenlicht sein Gesicht beleuchtete, damit man seine zuckenden Lippen und seine unnatürliche Blässe nicht sehen sollte. Es war ein Zufall, daß gerade dieser Mann in dem Inselkloster unter seiner Pflege sterben mußte. Das Bedrückende der letzten Stunden und die düsteren Worte des Paters hatten den Sterbenden so erschüttert, daß er sein Geheimnis preisgab. Wort für Wort hatte der Priester es ihm entrungen. In den traurigen und ruhigen Stunden, in denen der Tod zur Gewißheit wurde, hatte der starke, weltlich gesinnte Mann sich schwach gefühlt und war für kurze Zeit in den Händen dieses kühlen und willensstarken Mönches wie ein hilfloses Kind gewesen. Die Gebete und die erteilte Absolution hatten ihn nicht getröstet und gestärkt. Die Worte, die der Pater dem Sterbenden leise zuflüsterte, waren wie eiskalte Wassertropfen auf ihn niedergefallen, und sein sehnlicher Wunsch, Gott näherzukommen, war im Keim erstickt worden. Wie er gelebt hatte, so mußte er auch sterben. Die Gebete des Priesters konnten ihm nicht helfen. So suchte er wieder Ruhe und Frieden bei den Lehren der Philosophie, die ihm während seines Lebens über so manche Gefahr und schwere Stunde hinweggeholfen hatten.

Das Schicksal schien ihm nun doch noch seinen letzten, leidenschaftlichen Wunsch erfüllen zu wollen. Der Mann, den er noch einmal hatte sehen wollen, bevor sich seine Augen für immer schlossen, wurde fast wie durch ein Wunder wieder an seine Seite geführt. Er wußte intuitiv, daß er für dieses letzte Wiedersehen noch genügend Kraft besitzen würde. Und er würde diese letzte Nachricht hören, die ihm entweder den Tod erleichterte oder ihn mit schweren Sorgen die Grenze des unbekannten Jenseits überschreiten ließ. Unverwandt ruhte sein Blick auf dem Schiff. Sein Atem ging kurz, aber er wachte und wartete.

Jetzt kam der gefährliche Augenblick. Der Dampfer hatte die Brandung am Eingang des Hafens erreicht. Die Wellen waren dort haushoch und schossen über das Deck. Mehr als einmal war der Rumpf des Schiffes vollständig verschwunden, aber im nächsten Moment hob er sich wieder aus den Wellen. Schließlich hatte die Jacht die Brandung durchquert und fuhr nun in den verhältnismäßig ruhigen Hafen ein. Unter den gigantischen Felsenriesen sah sie zwerghaft klein aus. Eine Viertelmeile von der Küste entfernt ließ der Kapitän Anker werfen, und gleich darauf wurde ein Boot heruntergelassen.

Der Mann auf dem Lager schien plötzlich von neuem Leben beseelt. Die Morgensonne war unter grauem Gewölk hervorgebrochen, und im Osten hatten sich die Ränder der Wolken brandrot gefärbt. Die ersten Lichtstrahlen fielen auf die weiße Bettdecke und das bleiche Gesicht des Sterbenden.

»Geben Sie mir den schwarzen Ebenholzkasten, der dort auf dem Tisch steht, Gomez«, befahl er.

Der Diener verließ seinen Platz am Fenster und brachte den gewünschten Gegenstand ans Bett. Der Kranke legte die Hand darauf und verbarg ihn dann unter der Bettdecke.

»Ich bin bereit«, sagte er halblaut zu sich selbst. »Pater Adrian, wie lange habe ich nach der Meinung des Arztes noch zu leben?«

»Noch eine knappe Stunde«, sagte der Priester, ohne von dem Boot fortzusehen, das sich dem Lande rasch näherte. »Bedeutet Ihnen Ihre ewige Seligkeit so wenig,« fragte er mit harter, ernster Stimme, »daß Sie Ihre letzten Gedanken und Augenblicke den Dingen dieser Welt widmen? Das ist ein unheiliger, sündiger Tod! Nehmen Sie das Kreuz und hören Sie nicht auf die Leute, die dort kommen und deren Worte Sie dem Himmel entfremden. Achten Sie nicht auf die Welt und was darin vorgeht. Erheben Sie Ihre Augen und Ihr Herz zu dem Herrn. Ewige Seligkeit oder ewige Verdammnis warten auf Sie, bevor die Sonne zum Firmament emporgestiegen ist!«

»Ich fürchte mich nicht. Was könnten mir die wenigen Gebete helfen? Meine Aufgabe auf dieser Welt ist noch nicht gelöst. Sprechen Sie mir, bitte, nicht von Beten. Nichts, was ich oder Sie jetzt tun, kann mich dem Himmel auch nur einen Schritt näherbringen. Gomez, du hast scharfe, klare Augen. Kannst du jemand im Boot erkennen?«

»Ich sehe Mr. Paul – er sitzt am Steuer.«

»Gott sei Dank!«

»Es sind aber auch noch andere Leute in dem Boot!«

»Sie sind mir fremd. Ich sehe einen Herrn, der seiner Kleidung und Erscheinung nach ein Gentleman sein muß, dann ein Mädchen und zwei Matrosen, die rudern.«

Der Sterbende runzelte die Stirne und seine Finger verkrampften sich unter der Bettdecke. Er hatte etwas von seiner Ruhe und Überlegenheit verloren, seitdem er genau wußte, daß das Schiff sicher landen würde.

»Das Boot ist jetzt ganz in der Nähe, Gomez. Kannst du mir den Fremden nicht beschreiben?«

»Ich kann nur sehen, daß er groß und hager ist. Er muß auch schon älter sein. Außerdem ist er stark in Mäntel und Decken gehüllt, als ob er krank wäre.«

»Gib mir zwei Löffel von dem Kognak!«

Gomez erfüllte seinen Wunsch, dann schloß sein Herr die Augen und lehnte sich in die Kissen zurück. Ein unheimliches Schweigen herrschte im Zimmer, das tiefe Schweigen der Erwartung.

Das kleine, ärmliche Kloster, in dem sie sich befanden, wurde nur von wenigen Mönchen bewohnt, die einem niederen Orden der römischen Kirche angehörten. Das Gebäude lag in düsterem Schatten, und von der halbverfallenen Kapelle drang kein Laut durch die langen, leeren Gänge. Der Sturm hatte sich gelegt.

Schließlich wurde das Schweigen unterbrochen. Man hörte zuerst schwach, dann immer deutlicher Schritte, die sich näherten, und dann unterhielten sich die Fremden draußen leise miteinander. Ein kurzes Klopfen ertönte. Der Priester, der den Besuchern bis zur Schwelle entgegengegangen war, ließ sie ein. Zwei Männer traten herein. Der eine näherte sich dem Bett mit ausgestreckten Händen, während der andere nach zwei Schritten stehenblieb und scharf zu dem Sterbenden hinübersah, ohne zu grüßen oder zu zeigen, daß er ihn kannte. Der erste sank neben dem Bett auf die Knie, nahm die eine Hand des Sterbenden und drückte sie.

»Vater«, rief er erregt. »Ich hätte alles darum gegeben, dich gesund wiederzusehen. Sage mir, daß alles nicht wahr ist, was man mir am Eingang sagte. Jetzt, da ich wiedergekommen bin, wirst du die Krankheit überstehen!«

Er erhielt keine Antwort. Der Sterbende sah nicht einmal in das Gesicht des jungen Mannes, das dem seinen so nahe war. Sein Blick lag auf dem Mann, der in einiger Entfernung von dem Bett stand. Er atmete schnell und ein Zittern ging durch seinen Körper. Dann seufzte er auf.

»Vater, du bist erregt. Das ist ja auch kein Wunder, wenn du ihn hier an deinem Lager siehst. Hast du meinen Brief erhalten, der dich auf unser Kommen vorbereitete? Ich habe alles versucht, aber ich konnte ihn nicht abhalten, hierherzukommen.«

Gomez trat einen Schritt aus dem Schatten hervor.

»Es ist kein Brief angekommen«, sagte er kurz.

Der junge Mann erhob sich mit bleichem Gesicht.

»Es war auch töricht von mir, mich auf die Post in dieser entlegenen Gegend zu verlassen. Ich werde es mir nie verzeihen, daß ich ihn unvorbereitet hierherbrachte.«

Wieder herrschte Totenstille im Raum. Verzweifelt sah der Sohn von seinem Vater zu dem Fremden, dessen Züge undurchdringlich waren. Aber plötzlich spielte ein grausames, ironisches Lächeln um die Mundwinkel dieses Mannes. Trotz der düsteren Szene vor ihm schien er gleichgültig und fast heiter gestimmt. Schließlich begann er zu sprechen, aber seine Stimme klang fremd und störend in diesem Sterbezimmer.

»Ich treffe Sie also auf dem Totenbett, Martin. Das ist merkwürdig. Wenn mir noch vor einem Monat jemand gesagt hätte, daß ich hierherkommen würde, um Zeuge Ihres Todes zu sein, hätte ich ihn für wahnsinnig gehalten. Auf eine solche Genugtuung hätte ich niemals gehofft!«

Diese Worte schienen plötzlich die Energie des Sterbenden wieder zu wecken. Er wandte sich an seinen Sohn, der an der Seite des Bettes stand.

»Wie ist er hierhergekommen?«

»Zuerst suchte ich ihn in Monaco, aber man hatte dort seit zwei Jahren nichts mehr von ihm gehört. Dann fand ich seine Spur in Algier, folgte ihm nach Kairo, Athen und Syrakus. Endlich fand ich ihn in Konstantinopel, wo er als Offizier der türkischen Armee diente.« Der junge Mann sprach in zorniger Erregung. »Ich überreichte ihm deinen Brief und deine Botschaft und erwartete seine Antwort. Nach drei Tagen sagte er mir, daß er mich hierherbegleiten wollte, um dir die Antwort persönlich zu geben. Drei Tage vor unserer Abfahrt schrieb ich dir einen Eilbrief. Aber, wie ich höre, ist er nicht angekommen. Verzeihe mir, daß ich ihn unvorbereitet zu dir bringe.« Er wandte sich an den Fremden. »Ich habe mein Wort gehalten und Sie sicher hierher gebracht, obwohl es mir schwer genug fiel. Am liebsten hätte ich Sie bei den Dardanellen ins Meer geworfen. Die Versuchung war groß, das kann ich Ihnen sagen. Geben Sie jetzt meinem Vater Ihre Antwort und gehen Sie dann. Sie haben kein Recht, an seinem Totenbette zu weilen.«

»Höflich sind Sie gerade nicht«, entgegnete sein Begleiter. »Aber mein lieber Martin, wenn dies unser Abschied für immer sein soll, so will ich Sie doch deutlicher sehen.«

Er kam einige Schritte näher und sah erst jetzt den Priester, der mit geschlossenen Augen und erhobenen Händen vor dem Kruzifix kniete.

»Ach, wir sind nicht allein. Der Mönch kann uns hören.«

»Das ist ganz gleich«, erwiderte der Mann auf dem Bett langsam. »Seine Ohren und sein Mund sind verschlossen. Er ist ein Mönch!«

Er richtete sich ein wenig in seinem Bett auf. Seine rechte Hand lag unter der Decke auf dem schwarzen Eichholzkasten. Sein Sohn war wieder neben dem Bett niedergekniet und hielt die andere Hand.

Der Fremde lächelte jetzt nicht mehr, seine Gesichtszüge waren hart und entschlossen.

»Hören Sie, was ich zu sagen habe, Martin de Vaux. Sie haben mir ein Vermögen angeboten, wenn ich meinen Einfluß und meine Macht über die aufgebe, die Ihnen teuer sind, und die Sie lieben. Geld ist mir natürlich viel wert und ich schätze es. Aber ich will keinen Schilling von Ihnen anrühren. Ich fluche Ihnen, Ihrem Gelde und Ihrer ganzen Familie. Ich gebe meine Macht nicht auf – das ist meine Rache!«

Der Sterbende war merkwürdig ruhig, und man hörte nur ein leises Geräusch unter der Bettdecke.

»Ich kenne Ihren schlechten Charakter«, sagte er. Sie wollen mich mit dem quälenden Gedanken sterben lassen, daß ich die Leute, die ich liebe, unter Ihrer Gewalt zurücklassen muß, und daß Sie sie bis aufs Blut peinigen und meinen Namen in den Schmutz treten können. Aber Sie haben sich verrechnet, Viktor. Sie werden mich auf dieser letzten Reise ins Ungewisse begleiten!«

Seine Stimme war hart und drohend geworden, und Pater Adrian sprang plötzlich in namenlosem Schrecken auf. Der Kranke hatte sich aufgerichtet. Seine Augen blitzten, er streckte den Arm aus, und in der nächsten Sekunde fiel ein Schuß.

Ein furchtbarer Schrei gellte auf. Der Fremde, der eben noch am Fußende des Bettes gelehnt hatte, lag tot am Boden. Ein dunkles Mädchen, das auf das Geräusch hin ins Zimmer getreten war, umklammerte ihn leidenschaftlich und schluchzte wild auf.

Auch Martin de Vaux war zurückgesunken. Seine Hand spannte sich noch um den Revolver, aber seine Arme hingen schlaff herunter. Diese letzte Anstrengung hatte ihn das Leben gekostet.

Pater Adrian war der erste, der die Lage überschaute. Er neigte sich erst über den einen, dann über den anderen Toten und drückte beiden die Augen zu.

»Ist er tot?« fragte Paul de Vaux mit erstickter Stimme.

»Ja. Sie sind beide nicht mehr am Leben.«

Das Schluchzen des Mädchens klang unheimlich durch den stillen Raum, während das Sonnenlicht auf den bleichen, ruhigen Gesichtern der Toten spielte.


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