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21.
Adreas Tagebuch

Ich bin kaum ruhig genug, um schreiben zu können, aber doch muß es sein. Mein Herz ist voll, meine Pulse fiebern vor Erregung. Was ist nur geschehen? Meine Gedanken sind verwirrt, aber ich will versuchen, alles der Reihe nach niederzuschreiben. Vielleicht bekomme ich dadurch Klarheit und weiß, was ich tun muß.

Ich liebe Paul de Vaux mit allen Fasern meines Seins, und ebenso abgrundtief hasse ich Pater Adrian. O wie durfte dieser Mann es wagen, so mit mir zu sprechen. Wenn nur Paul hier gewesen wäre, er hätte ihn mit seiner Peitsche hinausgetrieben! Ich hätte diesen Priester auf der Stelle töten können, wie er so vor mir stand. Ich hätte seine dünnen, schmalen, grausamen Lippen für immer zum Schweigen bringen und 'ihm einen Dolch ins Herz stoßen können. Meine Hand hätte nicht gezittert. Seine Worte klingen noch in meinen Ohren und sein blasses, leidenschaftverzerrtes Gesicht grinst mir überall entgegen und verhöhnt mich. O, ich hasse diesen Menschen, wie nur eine Frau den Mann hassen kann, der sich zwischen sie und ihren Geliebten stellt!

Paul und ich waren allein, wenigstens glaubten wir das. Ich hatte nicht gehört, daß jemand eingetreten war, und er auch nicht.

Aber plötzlich tönte seine Stimme grausam und schneidend durch das Zimmer. Sie klang so verändert, daß ich sie kaum wiedererkannte. Aber als wir aufsprangen, stand er so dicht vor uns, daß er jedes unserer Worte gehört haben mußte, das wir uns im heißen Liebesrausch zugeflüstert hatten.

In dem Kloster in den Hügeln hatte eine, Feier stattgefunden, und er schien direkt von dort zu kommen. Seine wallenden, schwarzen Gewänder waren mit Schmutz bedeckt und von den Brombeersträuchern zerrissen. Anstrengung und Zorn hatten seine gespenstisch weißen Gesichtszüge verzerrt. Seine dunklen Augen brannten wie Feuer in ihren Höhlen, und er hatte die rechte Hand erhoben, als ob er uns schlagen wollte. Ich werde diese geisterhafte Erscheinung nicht vergessen, solange ich lebe. Sie wird mich bis in meine Todesstunde verfolgen.

Die Ungewißheit quält mich so sehr. Was hat Paul von diesem Manne zu fürchten? Welches Unheil droht meinem Geliebten von diesem schrecklichen Priester? Er muß das Geheimnis kennen, das hinter den schrecklichen Ereignissen in dem Kloster Cruta steckt. Ich sehe noch alles deutlich vor mir, wie der alte Mann auf seinem Totenbett meinen Vater erschoß. Während ich diese Worte schreibe, zittert meine Hand, und mein Herz krampft sich vor Schrecken und Schmerz zusammen bei der Erinnerung. Wenn ich doch nie wieder daran denken müßte – und der Sohn dieses Mannes ist mir der Teuerste und Liebste!

Was hat mir doch Paul gesagt? – Pater Adrian weiß etwas, das ihm sein Vater auf seinem Totenbett anvertraut hat, und diese Kenntnis gibt ihm Macht über mich.

Pater Adrian stand vor uns, als ob er uns fluchen wollte, aber es kam kein Wort über seine Lippen. Wenn das Schweigen noch länger gedauert hätte, wäre ich wahnsinnig geworden. Deshalb trat ich auf ihn zu und schleuderte ihm ein Wort ins Gesicht. »Spion!« rief ich und ging dann wieder an Pauls Seite zurück.

Er kümmerte sich nicht um mich und antwortete mir nicht. Er schien es überhaupt nicht gehört zu haben, denn er sah an mir vorüber, als ob ich Luft für ihn wäre. Aber seine Blicke gruben sich tief in Pauls Gesicht ein.

»Dies ist also Ihre Antwort, Paul de Vaux. Nun gut, ich nehme Ihre Entscheidung an!«

Paul antwortete ihm ruhig, fast fatalistisch.

»Sie haben es gesehen. Ich bin in Ihrer Hand!«

Ich sah erregt von einem zum anderen, denn ich fühlte, daß eine verborgene Bedeutung in diesen Worten lag, die ich nicht verstehen konnte. Ich wußte nur, daß eine unheimliche Drohung in den Worten des Paters Adrian lag, und daß ich die Ursache dafür war.

O, wenn dieser Mann Unheil über Paul bringen könnte! Der Gedanke treibt mich zum Wahnsinn. Meine Feder fliegt über das Papier, und doch steht mein Herz still, wenn ich an diesen entsetzlichen Augenblick denke!

Ich habe mein Fenster geöffnet. Die Verlassenheit der Nacht ist das Abbild meiner Seele. Die feuchte Brise kühlt meine Stirne. Heute abend fühle ich neue Stärke, die Stärke des Hasses! Pläne reifen in mir, und mit der Zeit werden wir stärker, und eines Tages bringe ich sie zur Ausführung. Aber ich überlasse es der Zeit, daß sie reifen sollen!

Ich will jetzt weiter erzählen, was sich zwischen uns dreien zutrug. Eine merkwürdige, lähmende Ruhe schien sich Pauls bemächtigt zu haben. Er wandte sich zu mir, aber die Leidenschaft, mit der er mich vor wenigen Augenblicken umarmt hatte, war von ihm gewichen.

»Ich muß jetzt gehen. Lebe wohl!« sagte er nur. Ich konnte kaum glauben, was seine Worte bedeuteten. Er wollte mich ohne ein weiteres Wort des Abschieds verlassen? Solche Macht hatte dieser unheimliche Priester über ihn? Es war so, aber ich wollte diesem Menschen Widerstand leisten!

»Warum willst du denn jetzt gehen?« rief ich. »Ich habe dir doch noch so viel zu sagen!«

»Ich muß gehen«, antwortete er ruhig. »Als ich kam, hatte ich nicht die Absicht, hier zu bleiben. Es ist schon spät.«

Ich fühlte wie meine Wangen glühten, als ich mich an den Pater wandte.

»Sie sollen gehen! Warum sind Sie hierhergekommen? Warum schleichen Sie sich immer durch mein Leben wie ein dunkler, geräuschloser Schatten? Gehen Sie sofort! Wenn Paul de Vaux geht, gehe ich auch!«

Er wurde noch bleicher, aber er verlor seine Fassung nicht, wie ich gehofft hatte. Er antwortete nicht einmal, sondern sah über mich hinweg.

»Heute abend«, sagte er ruhig und bestimmt.

»Ja, heute Abend«, erwiderte Paul. Ich stand zornig, aber hilflos zwischen beiden.

Paul wandte sich zur Türe, aber ich klammerte mich an seinen Arm. Ich sprach halb vorwurfsvoll und halb liebevoll zu ihm. Wir standen auf der Treppe nebeneinander, während sein Pferd gebracht wurde, und in der Dämmerung neigte er sich zu mir nieder und küßte mich. Aber sein ganzes Wesen hatte sich geändert. Selbst seine Lippen waren kalt, und seine Augen leuchteten nicht mehr. Es war, als ob sein Bück in die Ferne schweifte. Die Tränen traten mir in die Augen, als ich sah, wie er in der Dämmerung verschwand. Der Ausdruck seines Gesichtes hatte mir alles verraten. Er war entschlossen, einer Gefahr entgegenzugehen, und die konnte ihm nur von diesem schrecklichen Pater drohen.

Der Gedanke wollte mich nicht wieder loslassen. Einen Augenblick stand ich dort und versuchte, meiner Leidenschaft Herr zu werden. Als ich mich umwandte, hörte ich, daß sich die Stalltüre öffnete. Ein mit Gepäck beladener Wagen fuhr langsam heraus und bog auf die Hauptstraße ab. Ich lief darauf zu und rief, daß der Wagen halten sollte. Der Kutscher gehorchte mir, und ich stand gleich darauf atemlos neben ihm. Wie ich erwartet hatte, saß sie darin. Sie war dicht verschleiert und weinte.

»Du wolltest also von mir gehen, ohne auch nur ein Wort des Abschieds?« rief ich vorwurfsvoll. »Ist das gerecht? Habe ich das um dich verdient?«

Sie schlug den Schleier zurück. Ihre Augen waren rot und verschwollen vom Weinen, und sie sah mich fast bittend an.

»Mache mir keine Vorwürfe«, sagte sie. »Es war für mich ein so furchtbares Erlebnis, dich und den Sohn von Martin de Vaux zusammen zu sehen! Es war mehr, als ich ertragen konnte. O, es war ein entsetzlicher Anblick für mich! Er gleicht seinem Vater auf ein Haar!«

Ich wußte, wieviel sie gelitten hatte und sagte ihr alle die bösen Worte nicht, die ich schon auf der Zunge hatte.

»Wir sind nur arme, machtlose Geschöpfe in der Hand des Schicksals«, erwiderte ich nur.

Sie neigte den Kopf.

»Ja, des Schicksals. Ich verurteile dich nicht. Ich will nicht dein Richter sein und ich verlasse dich nicht im Zorn.«

»Warum gehst du denn und läßt mich hier allein? Das ist nicht lieb von dir. Das habe ich nicht von dir erwartet!«

Wieder traten die Tränen in ihre Augen, aber sie faßte sich.

»Ich kann es dir jetzt noch nicht erklären. Du wirst mich für undankbar halten, aber daran kann ich nichts ändern. Ich muß gehen! Lebe wohl, Adrea!«

Plötzlich durchzuckte mich ein Gedanke, und ich erkannte den Zusammenhang der Dinge.

»Du gehst nicht aus deinem freien Willen«, rief ich. »Es treibt dich jemand dazu!«

Namenloser Schrecken spiegelte sich in ihren Zügen.

»Ruhig, ruhig!« rief sie. »Sonst hört er es! Laß mich gehen, ich beschwöre dich!«

Ich hielt ihre Hände.

»Ich weiß es. Dieser entsetzliche Pater Adrian schickt dich fort«, entgegnete ich leidenschaftlich. Er ist mein Feind und ich hasse ihn! Warum gehorchst du ihm? Bleibe bei mir. Gehe bitte nicht fort!«

Sie sah mich an, als ob ich ein unwissendes Kind wäre, das sich gegen Gott und alle Heiligen versündigt hat.

»Du sprichst in Fieberphantasien. Pater Adrian ist niemals dein Feind gewesen. Du verstehst ihn nur nicht!«

Der Ton ihrer Stimme hatte sich vollkommen geändert. Mitgefühl und Liebe waren daraus gewichen, und ich wandte mich verzweifelt ab. Pater Adrians Macht war größer als die meine.

»Du hättest mich ohne ein Wort des Abschiedes verlassen, weil er es wollte«, sagte ich bitter. »Es ist, wie du sagst. Ich kann es nicht verstehen.«

Sie neigte sich zu mir.

»Kind, ich gehe nach Cruta!« sagte sie ganz leise.

Der Wagen fuhr an und ich ging ins Haus zurück. Ueberall glaubte ich Stimmen zu hören, und aus dem grauen Nebel ballten sich gespenstische Gestalten – Cruta! Sie wollte nach Cruta! Welche Macht hatte doch dieser Mann, daß er den Liebsten von meiner Seite reißen konnte. Er mußte ein Herz aus Stein haben, daß er diese Frau wieder in die Hölle zurückschickte, aus der sie erst vor kurzer Zeit entkommen war. Jetzt war ich an der Reihe! Würde es ihm gelingen, auch mich in seinen Bann zu schlagen? Ich schauderte bei dem Gedanken.

Wie von Furien gehetzt, eilte ich zu meinem Zimmer hinauf und wusch mein Gesicht mit. kaltem Wasser. Dann ging ich zu ihm hinunter. Es sollte ein Kampf werden! Ach, ich war bereit!

Es ist alles vorüber. Ich kenne jetzt seine Stärke – und ich kenne seine Schwäche! Was sich zwischen uns abgespielt hat, werde ich morgen niederschreiben. Heute bin ich zu müde.


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