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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Wochen und Monate vergingen und Ruhe war wieder eingekehrt in das leidenschaftlich aufgewühlte Herz Paula's. Ein Brief der Gräfin hatte Balsam auf die Wunden gelegt; obwohl die strenge ernste Frau selbst sie einer zu großen Strenge gegen sich beschuldigte, so gab sie ihr nicht Unrecht. »Ich glaube,« schrieb sie, »ich hätte an deiner Stelle eben so gehandelt, und daß du die Kraft dazu fandest, hat mich an dir nicht Wunder genommen und dich mir noch lieber gemacht; wirst du es durchführen? so wie jetzt hat Max noch nicht geliebt, er läßt nicht so leicht mehr los und vollends da er weiß, daß er meiner Einwilligung sicher ist, wird er auch dein Herz noch erweichen.«

Max machte keinen Versuch mehr, sie hörte nur einmal von ihm durch ihren Vater, dem er geschrieben, daß er nach dem bewegten Kriegsleben des Garnisonsdienstes müde seinen Abschied eingereicht, aber nicht bekommen habe. Er hatte die angebotene Freundschaft angenommen und Paula bereute nicht, entsagt zu haben, das gab ihr die Ruhe, wenn sie auch nicht das reine Gleichgewicht des innern Friedens errungen hatte, wie die sanfte fromme Marie.

Rastlos betrieb sie die Pläne zur Verbesserung und Hebung der niedern Menschenklasse auf den Gütern ihres Vaters, der zwar ungläubig dazu lächelte, aber sie in jeder Hinsicht gewähren ließ. Erlaubte das Wetter nicht, daß sie hinausging oder fuhr, so vertrieb sie ihrem Vater zu Hause die Zeit in vertrauten Gesprächen, sich dabei zu Madame Beaumont's höchstem Entzücken mit einer Handarbeit beschäftigend.

Ueber ihren Vater war in den letzten Wochen eine seltsame Unruhe gekommen, er wollte das ganze Herrenhaus erneut und verschönert haben, Teppiche und Tapeten waren ihm nicht mehr schön genug, wenn er durch die weiten Räume schritt und sich die geschlossenen Laden öffnen ließ, und wenn Paula ihn erstaunt fragte, warum? so ward die Antwort stets unverständlich in den Bart gebrummt.

Endlich eines Tages im Mai, früher als es sich Paula gedacht, kam ein kaiserliches Schreiben und der Befehl, an einem bestimmten Tage zur geheimen Audienz in Schönbrunn zu erscheinen.

Der Graf gab es nicht anders zu, als daß Paula die alte Erzieherin als Begleiterin mitnahm und mit einem der damaligen Zeit und ihrem Stande angemessenen Luxus in Dienerschaft und Equipage erschien, so sehr sie dagegen ihrer demüthigenden Stellung wegen protestirte.

So fuhr sie denn nach einer langen Reise, in dem Staatswagen, mit vier feurigen Pferden, die Janos, in reicher Livree gekleidet, kutschirte, zur bestimmten Stunde in den Schloßhof von Schönbrunn und vor die große Treppe, die hinaufführte zu den kaiserlichen Gemächern. Die reichen Haare waren gepudert und zu einer hohen Frisur aufgesteckt, die kleinen Locken vornen über der Stirne bedeckten die Narbe. Hinten war ein langer schwarzer Spitzenschleier befestigt, der über das weite Kleid von schwarzem Brokate bis zur Schleppe herabfiel, und Hals und Nacken bedeckend über dem Busen mit einer schwarzen Agraffe zusammengehalten war. Die Taille war vornen ausgeschnitten und wie die Aermel, die den Unterarm frei ließen, reich mit Spitzen besetzt. In Paula's Brust wogte es mit Gedanken und Erinnerungen! sie gedachte der beiden kurzen Augenblicke, daß sie vor der Kaiserin gestanden – als unbedachtes leichtsinniges Kind, unter den Knaben der Anstalt – und dann als Fähnrich – und ein hohes Roth überzog Hals und Nacken bis zur Schläfe, um sogleich in Todtenblässe sich zu verwandeln, als sie, dem sie empfangenden Diener folgend, die Stufen hinanstieg und an das Bekenntniß dachte, das sie jetzt vor der Gewaltigen abzulegen hatte.

Mechanisch folgte sie dem Lakai in einen großen Vorsaal, wo eine Dame sie in Empfang nahm, um sie weiter zu führen, während verschiedene Herren und Damen der Befehle aus den innern Räumen zu harren schienen. Unwillkürlich verbeugten sie sich tiefer als gewöhnlich vor der hohen vornehmen Gestalt.

»Wer ist diese wunderschöne Frau?« frug flüsternd ein junger Offizier einen neben ihm stehenden alten Kammerherrn, nachdem Paula im Nebenzimmer verschwunden war.

»Es ist eine Gräfin Simonitch. Obwohl sehr reich und von einer der ersten Familien Kroatiens erschien sie bis jetzt nie bei Hofe, sondern lebte ganz zurückgezogen auf ihren Gütern.«

»Dieser regelmäßige Schnitt ihres Profiles, die dunkeln Augen kommen mir bekannt vor,« sagte sinnend der Erste, der gesprochen.

»Sie kannten wohl ihren Bruder, den Grafen Wilmos, der in der Schlacht bei Maxen fiel,« erwiederte der Kammerherr; »sofern ich mich desselben entsinnen kann, – ich sah ihn nur einmal vorübergehend, – sieht sie ihm ähnlich.«

»Ja, ja, so ist es,« bestätigte der junge Offizier, »ich begegnete ihm ein paar Mal, man nannte ihn nur den Träumer, weil er sich stets fern von den Andern hielt.«

»Sein Tod hat bewiesen, daß er mehr als nur ein Träumer war,« versetzte der ältere Herr.

»Eine meiner Freundinnen,« mischte sich ein junges Hoffräulein in das Gespräch, »kannte ihn als Kind und schwärmte sehr für ihn ...«

Das Gespräch wurde unterbrochen durch die dienstthuende Hofdame, die aus dem Seitenzimmer heraustrat und sich gegen die Versammelten verneigend, sagte: »Ihre Majestät die Kaiserin empfängt jetzt Niemand mehr.« Sie flüsterte hierauf dem ältern Kammerherrn etwas in das Ohr, worauf dieser diejenigen, die nicht zu Hofe gehörten, hinausgeleitete und die Andern sich ebenfalls bis auf den diensthabenden Offizier zurückzogen.

Paula war inzwischen in ein verhältnißmäßig kleines achteckiges Gemach eingeführt worden; es war einfach eingerichtet – ein Sopha, das uns nach unsern jetzigen Begriffen von Comfort unbequem dünken würde, mit einem Tisch von kostbar eingelegter Arbeit davor; an einem der hohen Fenster, die auf den großen freien Platz hinaussehen, auf welchen die hohen Taxus-Alleen des Parkes münden, stand ein großer Schreibtisch, an den Wänden hingen eingerahmt feine weibliche Arbeiten und Zeichnungen.

Wie im Traume sah Paula, an ganz anderes denkend, diese Gegenstände, als eine Thüre geöffnet wurde und die Kaiserin vor ihr stand. Sie war in der Wittwentracht, die sie seit dem Tode ihres Gemahles nicht mehr abgelegt. Eine schwarze Spitzenhaube bedeckte das gepuderte Haar, und schwarze Spitzen umgaben das volle Gesicht, dessen blaue Augen jetzt prüfend auf Paula herabsahen, die sich mit tiefgesenktem Haupte auf ein Knie niedergelassen hatte.

»Steht auf, Gräfin,« sagte sie ernst, »der Tochter eines unserer besten Generale, und aus dem vornehmsten Geschlechte Kroatiens stammend, ziemt es nicht, vor ihrer Kaiserin zu knien.«

Paula jedoch blieb in der demüthigen Stellung und antwortete mit vor innerer Seelenpein zitternder Stimme:

»Eure Majestät hatten die Gnade, mir zu erlauben, in geheimer Audienz zu erscheinen, um ein Bekenntniß abzulegen, dem ich nur in dieser Stellung Worte zu geben wage.«

»Was es auch sei,« sagte mit gütigem Tone die Kaiserin, »erhebt Euch, Ihr steht vor Eurem irdischen Richter, nicht vor dem göttlichen, und schon daß Ihr reumüthig bekennen wollt, mildert das Urtheil.«

Die Kaiserin setzte sich, und Paula begann, sich erhebend, die Augen zu Boden geschlagen, die Hände herabgesunken, fest ineinander verschlungen, mit kurzen Worten das Bekenntniß ihrer Flucht vor dem drohenden Kloster, den durch den Widerwillen des Bruders vor dem Militär, und ihre Erziehung sowie äußere Erscheinung begünstigten Betrug von dem Augenblicke des Eintrittes in die Anstalt bis zu ihrem scheinbaren Tod in der Schlacht. Den frühen Tod der kränklichen Mutter und die Abwesenheit des Vaters an des Reiches fernster Grenze bezeichnete sie als Grund, daß ihr Betrug nicht aufgedeckt worden.

Ohne Paula zu unterbrechen, hatte die Kaiserin zugehört, kein Laut des Staunens oder der Verachtung war über ihre Lippen gekommen.

Eine Pause trat ein, tiefe Stille herrschte ringsum, nur durch das muntere Gezwitscher eines Vogels unterbrochen, der, sich um keine Majestät der Erde etwas kümmernd, lustig dem neuerwachten Frühling sein Liedchen sang.

Die Kaiserin ließ den Blick voll Hoheit und milder Strenge prüfend auf der vor ihr Stehenden ruhen und sagte langsam, jedes Wort betonend: »Ihr habt wohl nicht allein den Entschluß gefaßt. – sprecht, waren Andere, die durch was immer für Beweggründe geleitet, Euch darauf hinwiesen? Bedenkt wohl, daß es das Urtheil mildern wird, Ihr wäret jung, fast noch ein Kind, und unerzogen, als Ihr den Betrug ausgeführt.«

»Ich war alt genug, zu wissen, was ich that, und werde nie Andere der Mitschuld anklagen,« erwiederte Paula mit fester Stimme.

»Zweimal standet Ihr unter erborgtem Namen mit einer Lüge vor Eurer Kaiserin, warum warft Ihr Euch nicht schon damals zu unsern Füßen?« frug in vorwurfsvollem Tone die Fürstin.

»Das erste Mal,« entgegnete Paula, »dachte ich nicht daran, ich war ein leichtsinniges, unerzogenes Mädchen und freute mich des Lobes und des gelungenen Streiches, der mich von den verhaßten Fesseln meines Geschlechtes befreit hatte ... Das zweite Mal –« sie zögerte einen Augenblick.

»Ja, ja, ich entsinne mich wohl dieses Augenblickes,« unterbrach sie nicht unfreundlich die Monarchin, »es war, als Eure kühne That meine Tochter und ihr Hoffräulein gerettet; der Augenblick wäre günstig gewesen, wir waren dem kühnen jungen Fähnrich gewogen.«

»Das Wort zitterte damals auf meinen Lippen, Majestät,« erwiederte Paula »denn der sorglose Leichtsinn war der Erkenntniß und der Reue gewichen, allein ich durfte nicht mehr, die Furcht vor der Schmach, die durch eine solche Entdeckung den Namen meines Vaters entehren würde, versiegelte mir den Mund.«

»Ihr zeigtet keine Furcht,« sagte die Kaiserin, »dem Feinde gegenüber, da wo selbst Unerschrockene des starken Geschlechtes schon ein Zittern befallen hat.«

»Ich suchte den Tod, denn dies Lügendasein war mir eine Last, von dem nur er mich befreien konnte, ohne den alten Ruhm des Namens zu beflecken.«

Die Antworten waren ohne Zaudern mit klarem Ton gegeben. Fast wohlwollend war der Blick der Kaiserin und strafte die strengen Worte Lügen, die ihr Mund sprach: »Ihr habt so schwer gefehlt gegen das Gesetz, daß selbst Eure Kaiserin Euch nicht zu retten vermöchte vor einem strengen Urtheilsspruch und bleibender Schmach, wenn das, was bis jetzt noch ein tiefes Geheimniß ist, an den Tag kommt. Als Mann hättet Ihr Lorbeeren verdient; da wir diese dem Weibe versagen müssen, so möchten wir Euch wenigstens vor der Schmach schützen und dies ist nur möglich, wenn Ihr für immer den Namen ablegt, mit dem Ihr ein falsches Spiel getrieben, und mit einem andern Namen zugleich einen Beschützer gewinnt, der für immer Euer Geheimniß bewahrt.« Entsetzt blickte Paula auf, und die Monarchin fuhr mit ernstem Tone fort: »Einen solchen haben wir, Eure Kaiserin, Euch bestimmt, und Ihr werdet ihn in dieser Stunde noch sehen.«

In Paula war die Ehrfurcht vor der unumschränkten Gebieterin zu übermächtig, um eine Gegenrede zu wagen. – Was verhing der allmächtige Wille ihrer Fürstin über sie? ein eisiges Frösteln schüttelte ihre Glieder, während auf ein Läuten der silbernen Glocke eine Hofdame erschien und, dem Winke der Kaiserin folgend, die dem Eingang entgegengesetzte Thüre öffnete; die Kaiserin befahl mit den Augen der geisterbleichen Paula, ihr zu folgen, und schritt durch mehrere Gemächer. Nachdem sie in dem letzten die sie begleitende Dame verabschiedet hatte, öffnete sich wie von selbst die Thüre. Schweigend folgte Paula, ein Gefühl der Angst hatte sich ihrer Seele bemächtigt, wie noch nie in ihrem Leben, was sollte mit ihr geschehen, sollte sie gezwungen werden! ... es legte sich wie ein Schleier über ihre Augen, sie sah Menschen in dem weiten Gemach und sah doch Niemand ... wie im Nebel hörte sie die Stimme der Kaiserin, die sie bei der Hand nahm mit den Worten: »Hier übergebe ich Ihnen für immer Ihre Gefangene, bewahren Sie das Geheimniß, daß es nimmermehr hinausdringe aus diesen Räumen.«

Sie wäre umgesunken, hätten nicht ein paar starke Arme sie aufgefangen und festgehalten, einen Augenblick summte es in ihren Ohren, und sie schloß die Augen; als sie sie wieder aufschlug, blickte sie in das erregte Antlitz von Max v. Falkenstein. Träumte sie denn, war jene alte Dame neben der Kaiserin Gräfin Gisela? – sie entwand sich den sie haltenden Armen und vor der Kaiserin niedersinkend zog sie den Saum ihres Gewandes an ihre Lippen.

»Majestät,« stammelte sie »vergebt, wenn ich mich vergaß – wenn ich nicht verstehe. Gräfin Gisela, Graf Max, was soll das alles bedeuten?«

»Es soll bedeuten,« erwiederte die Kaiserin, »daß es auch Vergebung giebt für jugendliche Thorheiten. Die Sünde gegen die Weiblichkeit hat Gott selbst in Euch heimgesucht durch schwere Seelenkämpfe, die Ihr durchgemacht, Euer Vater hat Euch vergeben, wir überlassen es Eurem Herzen, darüber zu richten. Erhebt Euch, Gräfin, daß wir Euch zur Kapelle geleiten, wo vor Eurer Kaiserin Euer Bund gesegnet werden soll.« –

Mechanisch erhob sich Paula und ergriff die dargebotene Hand von Max, während die Kaiserin ihre Hand auf den Arm der Jugendfreundin legte, und dem Paare nachsehend, dem ein ferne stehender Lakai auf einen Wink die Thür geöffnet hatte, sagte sie leise: »Durch keine Silbe hat sie den Antheil verrathen, den Andere an ihrer Schuld gehabt, eher wäre sie gestorben. Gisela, diese Beiden sollen ein Geschlecht fortpflanzen würdig dessen, von dem dein Sohn stammt, ein Geschlecht, das dereinst vielleicht meinen Enkeln die Länder wieder gewinnen wird, die ich nicht im Stande war zu erhalten!«

»Was Eure Majestät sich für ewige Zeit erhalten hat, im Kriege wie im Frieden, ist mehr werth als alle Reiche, die noch unter Ihrem Scepter sich befinden: das ist die Liebe und Bewunderung der Mit- und Nachwelt!« entgegnete Gräfin Gisela.

Langsam folgte die Kaiserin und Gräfin Gisela dem Paar. »Ein schönes Paar,« wiederholte Maria Theresia, es betrachtend.

»Ich kannte ein schöneres, erhabeneres,« flüsterte, den Blick voll Ehrfurcht und Liebe auf die kaiserliche Freundin gerichtet, die Gräfin.

»Schmeichlerin,« erwiederte trübe lächelnd die Kaiserin, »das ist vorbei. Sie fangen an, wir hören auf.«

» Sie werden vorübergehen,« erwiederte die Gräfin mit feuchtem Blick, »und Andere nach ihnen – aber Maria Theresia wird nimmer aufhören – ihr Name wird unvergänglich bleiben und, ein heller Stern, immerdar leuchten am ewigen Horizont!«

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