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Zwölftes Kapitel.

Das Feuer war gelöscht, Ruhe und Ordnung im Dorf wieder hergestellt, die Gefangenen in sichern Gewahrsam gebracht, um den andern Morgen verhört zu werden, als Paula in das kleine Haus eintrat wo die Bauern den besinnungslosen Priester hineingetragen hatten. Er lag auf der breiten Bank an dem großen Kachelofen, ein mitleidiges Weib benetzte ihm die Schläfe mit kaltem Wasser und suchte ihn zu überreden, etwas Schnaps zu sich zu nehmen. Seine Lippen aber schienen ein Gebet zu murmeln, während er mit der Geberde des Abscheu's das Getränk von sich abwehrte. Eine Lampe beleuchtete matt das niedere Gemach. Ehrerbietig erhob sich das Weib vor dem eintretenden Offizier und gehorchte der mit fester, aber leiser Stimme gesprochenen Weisung, das Zimmer zu verlassen und ihn mit dem Priester allein zu lassen.

»Janos,« gebot nun Paula, »halte Wache, daß Niemand hier eintrete oder sich nähere.«

Es bedurfte dieser Mahnung nicht, Janos stand schon auf seinem Posten, und wer diese Schwelle übertreten wollte, konnte es nur über seine Leiche thun.

Paula warf den Mantel ab, nahm die Mütze von den feuchten Locken und näherte sich leise dem Priester, der sie, seinen Rosenkranz betend, nicht beachtet hatte. Einige Sekunden lang ruhte ihr Blick schwermüthig auf dem bleichen Gesicht.

»Wilmos, mein Bruder,« flüsterte sie endlich leise, »Wilmos, blicke auf!«

Der Angeredete hielt inne. »Wer ruft mich bei meinem weltlichen Namen, den ich längst abgelegt mit heiligem Gelübde?« Er erhob sich, Paula näher zu betrachten, forschend sah er sie beim Schein der Lampe an. »Ich kenne Euch nicht, mein Sohn, wollet Ihr meinen geistlichen Beistand in dieser Nacht noch, so redet.«

Einen Augenblick zögerte Paula, sollte sie Nutzen ziehen aus der Veränderung, die vier Jahre in ihrem Aeußern bewirkt hatten? – Nein, hier durfte, mußte sie einmal wahr sein, daß nicht ein Zufall zu ungelegener Zeit eine Erkennung herbeiführe.

»Wilmos, sieh mich an,« sagte sie, den Priester bei der Hand fassend, »erkennst du Paula, deine Schwester nicht, die statt deiner für dich den Beruf ergriff, vor dem dein frommer Sinn zurückbebte?«

»Du Paula – du meine Schwester,« rang es sich mühsam aus der schwer nach Athem ringenden Brust des wahren Wilmos, und die Augen hefteten sich starr auf die Erscheinung vor ihm. »Bist du wirklich Paula oder nur ihr Geist, der seiner irdischen Hülle entfloh, mich an die Heimath zu erinnern oder –« seine Stimme preßte sich immer mühsamer hervor, »bist du dem Kloster entflohen?« Ein Hustenanfall, der ihn des Athems beraubte, unterbrach ihn; endlich kam er zu sich, und etwas ruhiger, richtete er die Blicke auf das Antlitz der Schwester, die überrascht seinen abgerissenen Worten gelauscht hatte.

»Das Kloster,« entgegnete sie langsam, »das Kloster kam ja für mich nicht mehr in Betracht, sobald ich deinen Namen annahm, deine Stelle vertrat, um dich zu retten vor dem Befehl des Vaters, dem Flehen der Mutter und den Vorstellungen Pater Anselmo's nachgebend.«

»Paula, Paula,« rief nun, als erwache er aus einem Traum, Wilmos, und seine zitternden Hände auf Paula's Schultern legend, sah er sie mit einem Blick an, in welchem sich unbeschreibliche Angst malte, »sprichst du wahr – brachten sie dich nicht in's Kloster, dem Befehl des Vaters folgend, der dem Gelübde der Mutter nachgegeben – sprich es nicht aus, das gräßliche Wort, das meinen Glauben an die ganze Menschheit, an das Heilige selbst erschüttern würde!«

Als ob ein Blitzstrahl es erleuchtet, so lag das Gewebe klar vor Paula's Seele!

»Armer, betrogener Knabe,« sagte sie, »so sprach Pater Anselmo mit dir, während er mir die finstere Klosterzelle ausmalte, während die Mutter mir eine Liebe zeigte, die sie niemals gefühlt und die sie nur geheuchelt, um mich für ihren Plan zu gewinnen – ach, nur zu willig horchte ich ihren Worten, wenn auch meine offene Natur sich eine Zeit lang gegen die Lüge sträubte – das Gelübde der Mutter heiligte sie, du, ihr Abgott, warst dem Himmel erhalten! Thörichtes Mädchen, das ich war, zu glauben, durch eine Lüge ein geheiligtes Opfer zu bringen! und ich war glücklich, eine kurze Zeit in harmlosem Leichtsinn, der nicht über die Gegenwart hinausdenkt und überlegt, bis der Fluch meines betrogenen Vaters mich das Verbrechen erkennen ließ, das ich an mir, an ihm, an unserm Namen begangen.«

Kraftlos waren Wilmos' Arme heruntergesunken, seine ohnehin schon eingefallenen Züge wurden leichenähnlich, das Gesicht aschfahl. – In frommer Schwärmerei hatte sich sein Glaubenseifer ein Gebäude aufgethürmt, das bis hinein ragte in den Himmel, nun sanken die Grundpfeiler zusammen!

»Mutter, Mutter, warum hast du das gethan?« rief er endlich und ein Strom von Thränen rettete ihn vor einem neuen Erstickungsanfall, »ach es geschah ja nur aus Liebe! warum aber that es Pater Anselmo?«

»Es ist nun einmal geschehen, Wilmos. Welches auch die Gründe gewesen, die Pater Anselmo bewegten,« beruhigte Paula den aufgeregten Bruder, »ich gehe nun meinen Weg, und feige wäre es, andere anzuklagen, als meine eigene wilde, unbändige Natur! Gott, der in die Tiefe des menschlichen Herzens sieht, wird denen vergeben, die dabei Schuld haben! – Sprich mir nun von dir, von der Heimath – lassen wir ruhen was kein Mensch mehr ändern kann.«

»Nicht mehr ändern?« versetzte Wilmos und eine fieberhafte Gluth überzog sein Antlitz, »Paula, du kannst fliehen, kannst in einem Kloster noch jetzt deiner Seele Heil zu erringen suchen.«

»Fliehen?« entgegnete Paula, »fahnenflüchtig und eidesbrüchig werden und die ganze Schmach davon auf dem Namen unseres Geschlechtes ruhen lassen? nein, auf der Bahn, die ich einmal betreten, muß ich nun weiter gehen, bis Gott selbst mich erlöst; ob es das Rechte ist für meiner Seele Heil, weiß ich nicht, ich fühle nur, ich kann und darf nicht anders handeln! Meine Zeit ist bald um und wir müssen uns trennen, sprich mir von dir, mein armer Wilmos, hast du das Glück gefunden, das du gesucht? sprich mir von der Mutter, starb sie beseligt in dem Bewußtsein, dich gerettet zu haben? wie lange noch freute sie sich des Anblicks ihres Lieblings?«

Durch diese Fragen kehrte allmälig wieder die Ruhe in das stürmisch bewegte Gemüth des jungen Priesters ein. Seine Gedanken wandten sich der Heimath zu, über die er schon lange mit niemand mehr gesprochen.

»Als du fort warst,« begann er, wie in alten Zeiten sich näher an sie anschmiegend, »lebte die arme Mutter wieder auf, kurze Zeit schien sie der Gesundheit wieder gegeben zu sein, nur selten ließ sie mich von sich, und nur Pater Anselmo's dringende Vorstellungen, sein wiederholtes Erinnern an ihr gegebenes Gelübde vermochten sie endlich, mich von sich zu lassen.

»In Pater Anselmo's Kloster, also in ihrer Nähe, ward ich in ihrem Beisein zum Novizen eingekleidet. Sie ließ sich zu der Feierlichkeit tragen – es war ihr letzter Ausgang, bald darauf starb sie in meinen Armen – ihre letzten Worte waren: »Gott segne und schütze die arme Paula und vergebe mir!« In meinem Schmerze wußte ich mir den Sinn dieser Worte nicht zu deuten. – Meinen dringenden Bitten um Aufnahme und definitive Einkleidung wurde endlich Folge geleistet, obwohl ich das Alter noch nicht erreicht hatte. Ich wurde von Pater Anselmo, der schwer krank darniederlag, getrennt und überredet, in ein fern gelegenes Kloster einzutreten. Mit Begeisterung begann ich dies Leben, kein Fasten schien mir zu streng, keine Uebung zu hart, allein die rechte Weihe wollte nicht über mich kommen, ich hatte von frommen Menschen gelesen, denen die hl. Jungfrau mit dem Kind erschienen, Pater Anselmo hatte mir von gläubigen Mönchen erzählt, die durch solche Erscheinungen gewürdigt – ach, meine Gedanken waren zu sündig – die Berge, die unser Kloster umgaben, fingen an auf mir zu lasten, die dunkeln Wälder mich einzuengen. Einige der Brüder zogen fort, zur Pflege der Verwundeten, zur Ermahnung der Unbußfertigen. Demüthig frug ich den Prior, ob die Lust, sie zu begleiten, eine sündige Regung meines Herzens sei, er sah meinen leidenden Zustand, und hoffte von einem bewegtern Leben für mich Genesung. So bekam ich für kurze Zeit einen Erlaubnißschein, in wenig Wochen treffe ich mit den Brüdern wieder zusammen und kehre in mein Kloster zurück.« Er hielt inne – alles schien in dem Augenblick vergessen, was seine Seele erregt, während er die Bilder der Vergangenheit hatte an sich vorüberziehen lassen. Die Hände über dem Rosenkranz gefaltet, blickte er vor sich nieder. Der anbrechende Tag schien dämmernd und neblicht in das kleine Gemach, wo die Lampe erloschen war. Paula erhob sich: »Wilmos,« sagte sie dem in tiefen Gedanken Versunkenen, »wir müssen uns trennen, dein Leben gehört dem Himmel an, er lasse dich Frieden und Befriedigung finden! bete für mich und vergiß, was ich dir gesagt, vergrabe es in deines Herzens Tiefen, als sei es dir als heiliges Beichtgeheimniß. anvertraut, dem Andenken deiner Mutter, deines Lehrers zu lieb!«

Sie hatte eine seiner Hände erfaßt, die fieberisch glühte, mit der andern stützte er das Haupt.

»Schweigen,« sagte er, aus seinem Sinnen erwachend, »werde und muß ich, – aber vergessen – könnte ich vergessen und damit die sündigen Gedanken verscheuchen, die sich eindrängen in meine Gebete!«

Es ward allmälig lebhafter im Dorfe: die Reveille ward geblasen und wiederholte sich verklingend auf fernern Stationen.

»Schwester,« flüsterte Wilmos, »o wären wir nie zusammengetroffen! Mit diesem Wiedersehen hält mich die Erde wieder, und der Himmel, den ich suche, ist mir ferner gerückt; keine weltliche Liebe sollte mein Herz bewegen, keine weltlichen Gedanken mich abziehen vom Göttlichen.« Wie Schutz suchend vor unsichtbaren Gefahren legte er das bleiche müde Haupt auf der stärkern Schwester Schulter.

»Armer schwacher Bruder! warum gab dir Gott die Gestalt eines Mannes und das schwache zitternde Herz eines Weibes!« Von Schmerz und Mitleid durchbebt, preßte sie ihn an sich, und ein Lebewohl flüsternd, riß sie sich von ihm los. Als das Weib von Janos abgesandt wieder in die Stube kam, fand sie den frommen jungen Priester auf den Knien liegend, von einem peinlichen Krampf befallen, der ihn des Athems und der Sprache beraubte; erst ihrer Bemühung, ihrer mütterlichen Sorgfalt gelang es, den heiligen Mann, den Fasten und Wachen so weit gebracht, wieder ins Leben zu bringen. Mit vermehrter Ehrfurcht horchte sie in der nächsten Zeit seinen ermahnenden Worten.

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