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Zwanzigstes Kapitel.

Ein wilder Herbststurm fegte über die Ebenen Kroatiens, heulte in den Wipfeln der Bäume und wirbelte die gelben Blätter, die bereits den Boden bedeckten, durcheinander. Graues Gewölke bedeckte den Himmel und jagte dahin. Die Sonne war schon längst hinter diesen dunkeln Wolken untergegangen und eine finstere Nacht folgte dem düstern Tag. An der Schloßkapelle beim Eingange des Parks, der zu dem Herrenhause gehörte, hielt ein leichter kleiner Reisewagen und eine dunkle Gestalt stieg aus, dem Kutscher Weisung gebend, weiter zu fahren. Sie selbst trat in die Kirche, blieb lange vor den Gedenktafeln stehen, auf welchen die Namen derjenigen standen, die seit Jahren in der Familie gestorben, dann kniete sie nieder und betete.

Der Sturm indessen heulte und brauste fort und stieß sich donnernd an dem viereckigen, massiven Herrenhause, daß dessen Fenster klirrten und die schweren Fensterläden in ihren Angeln krachten und da und dort wider die Fenster schlugen, bis ein schläfriger Diener fluchend herausschlürfte und sie wieder befestigte.

Im Herrenhause war alles still und dunkel, trotzdem es noch früh am Abend war. Nur an einem Fenster sah man Licht. In dem weiten geräumigen Gemach, das von dem einzigen Licht und einem flackernden Feuer in dem großen Kamin fast unheimlich beleuchtet war, lag auf einem großen Lehnsessel, die Füße auf einem Schemel, ein einsamer alter Mann. Eine ältere Frau suchte vergeblich seinem von der Gicht und einer schlecht geheilten Wunde schmerzenden Bein die richtige Lage zu geben.

»Au, Sie thun mir weh, Madame Beaumont,« rief der Leidende, »lassen Sie mich lieber liegen, Sie verstehen es doch nicht!«

»Ich probire eben, monsieur le général,« erwiederte die gute alte Dame geduldig, »soll ich Ihnen vielleicht etwas vorlesen?«

»Nein,« brummte kurz angebunden der General, »Sie sehen ja nicht mehr genug dazu.« Er that einige Züge aus der langen kleinen Thonpfeife, während die alte Dame ihre Brille auf die Nase setzte und ihre Arbeit wieder aufnahm.

»Ist das ein Hundewetter,« sagte der Graf, »ich spüre ordentlich, wie es mir durch die Knochen fährt, wie es heult und braust durch das einsame Haus.« Er stützte das graue Haupt in die Hand und blickte unter den finstern buschigen Brauen in das flackernde Kaminfeuer. »Wissen Sie mir denn auch gar nichts zu erzählen, Madame Beaumont, daß meine Gedanken wieder auf einen andern Weg kommen.«

»Was soll ich denn wissen, Monsieur,« entgegnete die alte Französin, »die ich seit Jahren nicht über die Grenzen dieses Gutes hinauskomme, auf welchem Ihre Güte meinem Alter eine Heimat gegründet.«

»Die Sie jetzt erst an mir als Pflegerin verdienen,« entgegnete der Graf, und fuhr bitter lachend fort: »denn für Ihre Erziehungsresultate haben Sie keine Heimat verdient, weder Sie, noch Pater Anselmo, den Gott verd... Au, mein Fuß! – Sein Schüler ist ein feiger winselnder Mönch geworden, und die Ihrige – haha! – es wäre zum Todtlachen, wenn es nicht zum Todtweinen wäre – einsam, ein entlaubter Baum, liege ich hier im verlassenen Schloß!«

»Monsieur le général,« sagte ruhig die Französin, die Arbeit in den Schooß legend und die Brille abnehmend, »was Pater Anselmo in zu weit gegangenem Eifer für die hl. Kirche gefehlt, ich will es nicht beurtheilen in meiner kurzsichtigen Unwissenheit – Wilmos war von je ein schwächliches, schwärmerisches Kind, das wissen Sie.«

»Und das hat man wacker ausgenützt,« versetzte grimmig der Graf, mit dem Schüreisen in die Gluth stoßend, »dasselbe konnte man freilich von Paula nicht sagen, meinem schönen, trotzigen Mädchen!« und wieder stützte er finster den Kopf in die Hand.

»Bin ich vielleicht an Ihrem Unglück schuld, Herr Graf?« fragte mit mehr Muth, als man der kleinen, zusammengeschrumpften Frau zugetraut hätte, Madame Beaumont, »wie oft bat, ja flehte ich, mich doch etwas in der Erziehung zu unterstützen, wie manchesmal wagte ich schüchtern, Einwendungen zu machen, wenn Monsieur sie mir fortnahm und das große Mädchen in Knabenkleider steckten, o ich weiß es noch recht gut, denn ich habe alles in meinem Tagebuch notirt. Sie sagten, sie sei ja noch ein Kind, und ich, ich sei eine zimperliche alte Jungfer; das Mädchen wuchs aber heran und war kein Kind mehr.«

»Und wuchs selbst mir, ihrem Vater, über den Kopf,« grollte dumpf der einsame Mann.

»Wer ist schuld, wenn das wilde, in der Freiheit erzogene Mädchen mit den Kräften und dem Verstand eines Knaben sich nicht sklavisch beugen mochte, als es dem Vater gefiel, sie aus dem Wald- und Jagdleben heraus in ein Kloster schicken zu wollen?« eiferte von Neuem die Dame.

»Madame Beaumont,« entgegnete der Graf und sah der Alten fest ins Gesicht, »ich gebe Ihnen zu, daß ich hierin gefehlt, aber sagt mir nun auch, wenn Ihr damals so genau beobachtetet, keimte der Gedanke durchzugehen ganz allein in dem jungen Kopf? ich mag Todte nicht anklagen, meine kranke Frau, Pater Anselmo sind beide tobt, und es gibt Augenblicke, in denen ich nach andern Gründen suche, die das trotzige Mädchen bewogen, das Vaterhaus zu fliehen.«

Madame Beaumont blickte vor sich nieder und erwiederte nach einer Pause: »Paula ward zu jener Zeit ernster und nachdenklicher – die Frau Gräfin, ihre Mutter, überhäufte sie mit Zärtlichkeit – dies fiel mir schon damals auf, und Gedanke an Gedanke reihte sich in meinem Kopf, als Sie mir in Ihrer Krankheit von der armen Paula sprachen; ich erinnere mich einer Unterredung, die Paula am letzten Tag mit ihrer Mutter hatte, nach welcher die Gräfin in einem todtenähnlichen Zustand war. Paula selbst war viel zu stolz, Andere anzuklagen, um sich zu rechtfertigen, und Sie, monsieur le général, nehmen Sie es mir nicht übel, Sie waren zu hart und sind selbst schuld, wenn Sie jetzt allein sind. So, jetzt jagen Sie mich fort, ich hab' nicht anders reden können.«

»Sie sind eine alte Schwätzerin,« sagte der Graf, »und wäre ich nicht krank gewesen, so hätten Sie nie etwas anderes erfahren, als was man Ihnen in jener Zeit gesagt.«

»Ich habe geschwiegen bis heute,« erwiederte etwas gekränkt Madame Beaumont, »nur meinem Journal habe ich meine Gedanken mitgetheilt in den vielen einsamen Stunden der langen Winterabende.«

»Ach was, Ihr altes Tagebuch,« sagte ungeduldig der Graf, »hin ist hin, verloren ist verloren wie die Gluth hier allmälig verlöscht, so verlöschen auch meine Tage, lassen Sie mich nun allein, ich danke Ihnen, Sie haben mir wenigstens etwas die Zeit verkürzt, wie? das kommt nicht in Betracht.«

» Bon soir, monsieur le comte,« sagte die Dame, sich durch eine Seitenthüre entfernend, »Gott gebe Ihnen noch einmal Gelegenheit, Ihr Unrecht gut zu machen.«

Der Graf blickte wieder in die Gluth, mit dem Schüreisen darin herumstochernd, daß die Funken das Kamin hinaufsprühten, aus dem der Sturm sie pfeifend wieder herunterjagte. Das Bild seines muntern Kindes blickte ihm aus dem hellen Flammenschein entgegen. War er wirklich zu hart gewesen? »Bah, Unsinn,« grollte es in seiner Brust und er stieß zornig in das Feuer, daß die Flamme von Neuem anfachte.

»Was bellen und heulen denn die Hundsbestien wieder wie toll, auch du, alter Hassan, rührst dich, ruhig, altes Thier, leg' dich.« Das ungeheure Thier gehorchte nur widerstrebend dem Rufe seines Herrn und legte sich wie vorher zu dessen Füßen, die Schnauze in der Luft und mit den Ohren gespitzt in angestrengter mühsam verhaltener Aufmerksamkeit, die sich durch ein unterdrücktes Knurren Luft machte.

Der Graf versank wieder in sein tief-düsteres Sinnen und gewahrte es nicht, wie die Thüre sich öffnete und der Hund auf's Neue unruhig ward, endlich aufsprang und mit einem Satz der Thüre zu, unter der eine Gestalt erschien, zu deren Füßen er sich winselnd und schweifwedelnd niederlegte. Erst jetzt wurde der Graf aufmerksam, die Augen mit der Hand beschattend, blickte er nach der Thüre, wo die Gestalt vom Schein der Gluth beleuchtet einen Augenblick wie zögernd stehen blieb.

Starr blickte der Graf hin – hatte er so lange in die Gluth geblickt, bis seine Augen geblendet, den Geist derer sahen, deren Bild seine Gedanken heraufbeschworen?

»Paula's Geist!« murmelte er verwirrt, »kommst du, mich anzuklagen?«

Da bewegte sich die Gestalt, sie schlug die Kaputze zurück, und zu seinen Füßen lag, die großen dunkeln Augen stehend zu ihm aufschlagend, die Hände emporhebend, Paula.

»Vater, Vater,« rief sie mit einer Stimme, gegen deren Klang er sein Herz vergeblich zu erhärten suchte, »Vergebung deinem Kinde! von weit her bin ich gereist, liege hier zu deinen Füßen und flehe, daß du mir vergebest. Ich habe schwer gefehlt, mein Vater, ach, ich habe auch schwer gebüßt durch den Fluch, der auf meinem Haupte lastet! o nimm ihn weg mein Vater, habe Erbarmen!« Sie senkte das Haupt auf ihre Hände herab und blieb liegen, der Antwort harrend.

»Ich habe keine Tochter mehr,« erwiederte ihr Vater in hartem Tone, in dem die gewaltsam niedergekämpfte Aufregung zitterte, »geh' zurück zu den Menschen, die du zu berücken gewußt, daß sie die Lüge entschuldigten und den Betrug vor Vater und Kaiserin!« und er wandte sich weg von der unter seinen Worten erbebenden Gestalt.

»Vater,« begann von Neuem Paula, und wieder erhob sie das bleiche Antlitz, »bin ich unwürdig, deine Tochter zu sein, so nimm mich als Magd auf, und sei es zu den geringsten Diensten, nimm sie zurück, die harten Worte, o mein Vater, verstoße mich nicht wieder! mit deinem Zorn auf meiner Seele kann ich nicht Ruhe finden zum Leben und nicht Ruhe im Tode! Vater,« fuhr sie fort, da er schwieg, »gedenke der Zeit, da du mich noch geliebt, o suche noch in deinem Herzen einen Funken aus jenen Tagen, da ich, noch ein glückliches Kind, dich auf Wald und Flur begleiten durfte!« Eine tödtliche Blässe lagerte sich mit einmal auf ihre Züge, an den Schemel sich stützend, fuhr sie sich mit der Hand über die Augen. »Ich fühle mich krank, mir schwindelt,« flüsterte sie, aber sich noch einmal zusammenraffend, rief sie: »Vater, darf ich nicht leben bei dir, o so laß mich sterben zu deinen Füßen!« Kraftlos brach sie zusammen. Winselnd bedeckte Hassan ihre Hände und legte sein zottiges Haupt wie Hülfe suchend auf des Grafen Arm.

Erschreckt bog sich dieser vor, sich mühsam stützend, da lag sie vor ihm – die aufgelösten schwarzen Locken umrahmten das bleiche Gesicht – was ihre Worte nicht vermocht hatten, das that der Anblick dieser stummen, regungslosen Gestalt. Hatte seine Härte sie getödtet? es war ja doch immer sein Kind, seine stolze Paula, die sich vor ihm im Staub gedemüthigt!

»Paula,« rief er und hob ihr Haupt empor, »Paula!« aber die Lippen blieben stumm, die Augen, von denen er sich abgewandt, weil er ihren flehenden Blick nicht ertragen konnte, blieben geschlossen. »Was habe ich gethan?« rief entsetzt der Graf, und seine Schmerzen vergessend, hob er mit der Kraft, welche die Angst ihm verlieh, die Gestalt etwas zu sich empor, »ich habe mein einzig Kind getödtet! Paula – mein Kind, hörst du nicht! erwache, alles soll vergeben sein! ich selbst war ja schuld! erwache nur!« Außer sich riß er an der Klingelschnur und den Körper sorgfältig niederlegend, stand er, auf einen Stock gelehnt, auf und suchte nach etwas Wein. Ein Diener erschien unter der Thüre.

»Madame Beaumont soll sogleich kommen!« herrschte er demselben zu.

Mit innerlichem Stöhnen setzte er sich wieder und nahm die noch leblose Gestalt in seine Arme und streichelte das Antlitz und bedeckte es mit Küssen – da schlug sie die Augen auf: »Vater,« tönte es von den Lippen, »vergieb!« und wieder schlossen sich die Augen.

»Paula, erwache!« rief der Vater, »erwache in den Armen des Vaters und vergieb ihm seine Härte!« Da öffneten sich die Augen noch einmal – lange sah sie ihm in's Gesicht, sich langsam aufrichtend.

»Welch' schöner Traum,« flüsterte sie und sank matt zurück.

»Kein Traum, mein Kind, erwache nur ganz in den Armen deines Vaters!«

Die Seitenthüre wurde in diesem Augenblick etwas hastig geöffnet und in einem offenbar in Eile übergeworfenen Anzug trat die alte Beaumont in das Gemach.

»Sind Sie krank geworden, Monsieur,« frug sie mit erschreckter Stimme.

»Ach was, ich krank,« erwiederte der Graf, »kommen Sie nur schnell – sie ist wieder ohnmächtig – war doch sonst nicht ihre Art.«

Aengstlich den Grafen betrachtend, dessen Gestalt die Paula's fast verdeckte, nahte sich die Beaumont schnell.

» Oh, sainte vierge! was seh ich!« rief sie nun aus – »ist das wirklich ...«

»Es ist Paula,« unterbrach sie der Graf, »sie lebt, sie ist nur erschöpft von der weiten Reise. Paula!« rief er mit leiser sanfter Stimme, während die Alte in die Knie sinkend die herabhängende Hand mit ihren Thränen badete. »Ich war zu hart mit ihr,« klagte der Graf, »ach, mein Herz schlug schon für dich, während mein Mund die harten Worte sprach.«

Wie unter einem schweren Druck befangen, öffnete Paula mühsam die Augendeckel – sie sah verwundert um sich und ergriff die Hand ihres Vaters und zog sie schüchtern an ihre Lippen; langsam erhob sie sich und sah sich im ganzen Zimmer um.

»Du bist daheim,« sagte ihr Vater.

Da kniete sie noch einmal vor ihm nieder: »Jetzt, mein Gott, laß mich sterben! denn ich habe meinen Vater wieder!«

»Du sollst aber nicht sterben,« sagte der Graf, »hast mir Angst genug gemacht.«

»Sie braucht jetzt Ruhe,« flüsterte die alte Erzieherin, die mit weiblichem Scharfblick sah, daß Paula's schwache Kraft schon wieder unterlag, »was dem Schmerze nicht gelang, könnte die Freude thun. Geben Sie ihr einige Löffel von diesem starken Wein, während ich ein Zimmer richten lasse.«

Als sie wieder zurückkam, fand sie Paula auf einem niedrigen Sitz an ihren Vater angeschmiegt, seine Hand in der ihrigen, ihr Haupt in seinem Schooß. Jetzt erst erkannte sie die alte Erzieherin, der sie als wildes Mädchen so oft durchgegangen, und küßte ihr zärtlich die Hand. »Hätte ich Ihnen mehr gefolgt,« sagte sie, »es wäre vieles anders geworden!«

Spät in der Nacht schlich sich der General noch zu seinem Kinde und ergriff die Hand der Schlafenden. »Madame Beaumont,« sagte er kaum hörbar zu dieser, die im Nebenzimmer noch wach war, »meinen Sie nicht, daß sie Fieber hat? man sagte mir, sie sei erst von einer schweren Krankheit erstanden.« Erst als die Dame ihn beruhigt hatte, entfernte er sich mit den Worten: »Die Angst um sie hat, glaube ich, ein altes Weib aus mir gemacht.«

»Nein, nein, monsieur le général,« sagte die Alte, »sondern das Vaterherz mit seiner vergebenden Liebe ist wiedergekehrt.«

Als sie früh am andern Morgen in die Kirche ging, um Gott in der heiligen Messe zu danken für das Glück, das in der Nacht eingezogen, war die Gedenktafel mit dem Namen Paula's verschwunden, sie frug, wer sie weggenommen?

»Der alte Kutscher müsse es gethan haben,« hieß es, »der am Abend vorher angekommen sei – ihn habe man noch spät aus dem Zimmer des Herrn Grafen heraus der Kirche zugehen sehen.«

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