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Einundzwanzigstes Kapitel.

Es war ein ganz besonders rauher Winter, der auf jene Herbststürme gefolgt, und auch das Frühjahr wollte nur langsam und zögernd sich nahen. Nur schüchtern wagten die ersten Knospen ihre Köpfchen aus dem Schnee herauszustrecken, der da und dort noch liegen geblieben war, wo die wärmern Sonnenstrahlen, die jetzt freilich ein großes Geschäft hatten, um mit all' dem Schnee und Eis aufzuräumen, noch nicht hingedrungen waren. In dem Herrenhause selbst aber war es trotz Herbst- und Winterstürmen und verspätetem Frühjahr heller und wärmer geworden als seit den ersten Jahren in des Grafen Ehe. Wohl wüthete zeitweise das Unwetter in den altgewordenen Knochen des Grafen, aber das Herz war wieder jung geworden, seit väterliche Liebe und Vergebung davon Besitz genommen. Wohl gab es Tage, wo die Laune finsterer, mürrischer wurde, aber die tiefe, klangvolle Stimme der Tochter, ihre weiche Sorgfalt und Pflege wußte stets die Wolken von der Stirne zu verscheuchen, die schmerzenden Glieder in die richtige Lage zu bringen. Es war heute der erste freundliche Frühlingstag; mit der gewohnten langen Pfeife lag der Graf am Kamin, dessen Feuerschein die glänzenden Strahlen der hereindringenden Sonne zu verspotten schienen. Ihm gegenüber, von diesen Strahlen beleuchtet, saß über einer Handarbeit gebeugt Paula. Lange sah ihr der Graf zu, wie sie mit einer leisen Ungeduld, die sie offenbar bekämpfte, einige Stiche wieder aufmachte, und aufmerksam ein Muster betrachtend, wieder arbeitete. Als sie aufsah, bemerkte sie ein spöttisches Lachen auf den Zügen des Vaters.

»Das Zeug geht meinem ›wilden Mädchen‹ noch immer nicht von der Hand, wenn ich auch zugebe, daß sie recht zahm geworden ist,« scherzte er und deutete mit der langen Pfeife auf die feine Perlen-Arbeit.

»Ich fürchte fast,« entgegnete Paula, sich selbst verspottend, »das Sprüchwort: ›Was Hänschen nicht gelernt, wird Hans nimmer lernen,‹ bewahrheitet sich an mir und meinen ungeschickten Fingern.«

»Warum aber quälst du dich damit?« frug der Graf.

»Diese Woche ist der guten, treuen Beaumont Namenstag,« entgegnete Paula, »ich weiß nun, daß ich ihr mit gar nichts eine so große Freude machen kann, als wenn ich ihr zeige, daß ich doch noch etwas kann von den weiblichen Künsten, die sie mich einst mit so großer Mühe gelehrt!«

»Es strengt dich aber an, mein Kind,« wehrte der Graf, »du bist es eben nun einmal nicht gewöhnt – solltest überhaupt mehr hinaus – die vielen Nächte, die du an meinem Bette zugebracht, haben mir zwar die Schmerzen gelindert, aber auch verhindert, daß die Farbe, die einst auf diesen Wangen gelagert, wiederkehrt.«

»Wie hätte ich Ruhe finden können, während mein Vater litt?« sagte Paula und küßte ihrem Vater die Hand. »Heute ist es doch viel besser mit den Schmerzen, nicht wahr?« frug sie zärtlich besorgt ihm in die Augen sehend.

»So gut,« entgegnete der Graf ernster werdend, »daß ich, sowie die Jahreszeit weiter vorgeschritten ist, daran denke, eine Reise zu machen, ehe eines Tages der Tod mich daran verhindert.«

»Eine Reise?« frug fast bestürzt Paula.

Er hatte ihre Frage überhört und sann eine Zeitlang vor sich hin. Endlich, mit einiger Anstrengung, frug er:

»Paula, wußtest du, ehe du damals von hier fortgingst, von einer Bestimmung, die von Alters her in unserer Familie ist?«

»Eine Bestimmung,« entgegnete sie ihm offen in die Augen sehend, »welche meinst du, mein Vater?«

»Diejenige,« erwiederte langsam und mit Ernst jedes Wort betonend ihr Vater, »daß dieser Stammsitz sich nur dann in unserer Familie forterbt, wenn ein Sohn in der Armee gedient hat – Wilmos war der Letzte unseres Geschlechtes, von ihm ging der Besitz, falls er ohne Kinder stürbe, auf die Schwester über – aber nur unter der Bedingung, daß er Soldat wurde ...«

»Vater,« rief erbleichend Paula, »ist das dein Ernst?«

»Mein voller Ernst,« entgegnete der Graf und fuhr mit Ueberwindung fort, »von dem vor der Kaiserin und der Welt in der Schlacht gebliebenen Wilmos Simonitch erbt seine Schwester Paula diesen Familiensitz ...«

»So ist meine ... Lüge auch ein Betrug und Diebstahl an Kaiser und Staat,« sagte Paula mit tonloser Stimme, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend.

»Er ist es, wenn ich ihn nicht aufdecke,« entgegnete der Graf.

»Du, mein Vater,« rief aufgeregt und entschlossen Paula, »du solltest dich demüthigen, weil ich gesündigt – da sei Gott vor! die Sünde, die ich begangen, muß ich auch büßen! heute noch schreibe ich unserer Kaiserin und bitte sie um eine geheime Audienz, um das Bekenntniß meines strafbaren Leichtsinns abzulegen, ich, ich allein trage die Schuld, ich auch habe die Strafe zu tragen!«

Aufgeregt war sie aufgestanden und schritt in dem Gemach hin und wieder.

»Es bleibt dir nur wenig nach meinem Tode,« sagte der Graf, »denn ein Theil fällt der Kirche zu.«

»So Gott will, ist dieser Zeitpunkt ferne,« entgegnete bewegt Paula, sich auf ein Tabouret neben den Vater fetzend, »und bliebe mir gar nichts, als das Erbtheil meiner Mutter, was deine Großmuth der Verstoßenen ließ, so ist dies mehr als genug.«

»Vertrieben aus dem Wohnsitz deiner Väter, ohne Freunde und Verwandte, sehe ich deine Zukunft als ein düstres Bild vor mir,« sagte finster der Graf.

»Nicht so sehr als es schien, denn ich habe den Vater wieder gewonnen und seine Liebe,« entgegnete Paula mit weichem, innigem Ausdruck.

Der Graf blieb mit seinen eigenen trüben Gedanken beschäftigt; nach einer Pause versetzte er:

»Die einzigen Bande, durch die du mit der Welt zusammenhingest, hast du selbst gelöst, indem jene Freunde, die dich vom Tode gerettet, die dich bei sich aufgenommen, als ich dich verläugnete, dich todt glauben und du selbst sie in dem Wahne lässest.«

»Ich mußte es,« entgegnete leise aber fest Paula, »als Janos mich durch Zufall im Kloster wieder fand, und ich endlich aus seinen heftigen Aeußerungen des Entzückens und der Ueberraschung so viel herausbrachte, daß ein Gerücht mich längst todt sagte, da nahm ich es als eine Schickung. Max liebt mich; wüßte die Gräfin, daß ich noch lebe, wie könnte sie dem Drängen des einzigen Sohnes widerstehen! Er wird mich nicht mehr suchen, eine Zeit lang betrauern und dann, so Gott will, vergessen.«

Sie stand wieder auf und sah gedankenvoll zum Fenster hinaus. »Ich muß hinaus in die Luft, mein Vater,« sagte sie, des Grafen Hand küssend, »nur ein weiter Gang in die kühle Frühjahrsluft kann mich wieder ins Gleichgewicht bringen. Die Bauten bei Solnje sind in Angriff genommen worden und sollten etwas überwacht werden, ebenso die Bestellung der Felder. Hier ist auch der Dank des Klostergeistlichen für deine Schenkung an das Kloster und die benachbarte Gemeinde; ich wußte nicht, daß dein Name dabei genannt wurde.« Mit diesen Worten reichte Paula ihrem Vater eine große Schrift, die noch ungelesen auf seinem Schreibtische lag und entfernte sich, gefolgt von dem alten Hund.

Ihr Gang war wieder elastischer, ihre Haltung aufrechter geworden; Zufriedenheit, wenn auch nicht Glück, war wieder eingekehrt auf den schönen Zügen, über die ein weicher, sanfter Ausdruck einen milden Schimmer gebreitet. Mit schnellen Schritten ging sie ihres Weges und ließ den Wind in ihren schwarzen Locken spielen und ihre durch die heraufbeschworenen Erinnerungen heißen Wangen kühlen. Lebhafter als sonst gedachte sie ihrer Freunde, der Gräfin Gisela und Vater Johannes, gedachte des stillen Försterhauses und der alten Fürstin, und eine Sehnsucht, von ihnen zu hören, überkam sie, wie schon lange nicht mehr.

An der Wohnung des Pfarrers war eben eine Nadtschanka angefahren und ein Herr ausgestiegen, es war dies nicht auffallend, da es in dieser Gegend an Wirthshäusern fehlte und dadurch häufig vorkam, daß Fremde beim Pfarrer abstiegen, allein es gab überhaupt nicht viel Fremde, und der Militärmantel, die ganze Gestalt, wie sie dieselbe nur unbestimmt in der Entfernung sah, machte ihr Blut schneller wallen. Bald jedoch wurden ihre Gedanken davon abgelenkt und durch die verschiedenen Feldarbeiter ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, es gab anzuordnen und Befehle zu ertheilen; ehrfurchtsvoll grüßten die Leute die hohe Gestalt und Weiber und Kinder drängten sich heran, ihr die Hand zu küssen. Es war eine heruntergekommene Menschenklasse, und indem sie freundlich manche Klage anhörte, stiegen Pläne zur Verbesserung ihres Looses in ihr auf; was war da alles zu thun! Dasselbe wiederholte sich bei den Bauarbeiten, die auf ihren Antrieb in Angriff genommen worden, um Wohnungen für Taglöhner zu bauen und die vielen arbeitslosen Menschen zu beschäftigen. Janos war hier zur Aufsicht; eine Sonne ging auf dem rauhen wetterfesten Gesichte des Alten auf, als er seine geliebte Herrin kommen sah, und ein Wink ihm erlaubte, sich vor Allen zu nahen und ihre Hand zu küssen.

»Wie geht's dir hier draußen, mein treuer Alter?« frug Paula freundlich.

»Mir geht es stets gut, wenn ich Euer Gnaden sehe,« entgegnete Janos, »und mich überzeuge, wie Sie glücklich und zufrieden sind. Was die Bauten betrifft, so geht es langsam, es ist viel schlimmes Gesindel dabei, fast wie wir es im Feld hatten – ich fürchte,« setzte er leise hinzu, »wenn ich etwas sagen darf, wir ziehen es herbei und es wird schlimmer werden als vorher.«

»Wir müssen nur den Muth nicht verlieren, Janos,« erwiederte beruhigend Paula, »der Graf sagt auch manchmal so; unter dem Waizen gibt es auch Unkraut, deßwegen baut man ihn doch; wollen wir unsere Felder bestellen, unsere Straßen bauen, so brauchen wir Menschen, und die Sorge der Guten unter ihnen muß sein, die Schlimmen darunter Zu bessern oder zu entfernen.«

Nach einer Stunde entfernte sie sich voll Pläne und Entwürfe für die Zukunft; und wer würde dereinst das alles, was sie hier schaffen wollte, übernehmen, wenn sie schied, was würde überhaupt der Wille der Kaiserin über sie selbst verfügen, wenn sie den Betrug, den sie verübt, vernommen! Mit Verachtung wird das hohe Weib sich von dem Weibe wenden, das sich so sehr vergessen konnte, um, ihr Geschlecht verleugnend, dem Vaterhause zu entfliehen. Sie sah sie im Geiste vor sich, die herrliche Frau, und sah die blauen Augen zürnend auf sich gerichtet, ein leises Frösteln durchrieselte ihre Glieder. Und doch mußte auch das durchgemacht sein; hatte sie doch das Schwerere durchgemacht, die Lüge, so mußten auch die Folgen getragen werden. Unter solchen Gedanken war sie dem Park nahe gekommen, in welchem allmälig die grünen Blätter zu sprossen begannen, aufmerksam betrachtete sie die jungen Triebe, da hörte sie neben sich einen schnellen Schritt, sie sah auf, und ehe sie eines andern Gedankens fähig war, hielt Max von Falkenstein sie in seinen Armen.

»Habe ich dich endlich gefunden, du flüchtiger Vogel!« rief er und ein unbeschreibliches Entzücken zitterte durch seine Stimme, indem er die Willenlose an seine Brust drückte. »Du glaubtest mir entfliehen zu können, und ersannest dazu das Märchen von deinem Tode, meine Augen hast du getäuscht durch Jahre hindurch, mein Herz konntest du nicht täuschen, ich sagte dir ja, ich würde dich finden, nun habe ich dich, meine Paula, mein Weib, und lasse nimmermehr von dir!«

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