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Dreizehntes Kapitel.

Nicht umsonst hatte Max gehofft, von den Gefangenen wichtige Kunde zu erfahren. Erbärmlich genug, ihres Fahneneides nicht mehr zu gedenken, der Truppe zu entfliehen, unter der sie König und Vaterland Treue geschworen, um auf eigene Faust sengend und brennend das Land zu durchziehen, zögerten sie nicht, durch Verrath an den Brüdern ihr elendes Leben zu erkaufen. General Fink befinde sich, sagten sie aus, mit einem starken Corps im Rücken der Armee, um ihr den Rückweg nach Böhmen abzuschneiden.

Max durfte nicht zögern, ein Eilbote ward abgesandt und das Regiment bekam Marschbereitschaft. Nur seiner Mutter und dem Kaplan theilte er alles im tiefsten Geheimniß mit, sie zur Vorsicht ermahnend; gerne hätten sie die Kinder und die jungen Damen weggeschickt, denn die Möglichkeit eines Gefechtes in ihrer Nähe war da, allein es war nicht gerathen ohne militärische Bedeckung. »Sei ruhig, mein Kind,« sprach die entschlossene alte Dame, »wir sind in Gottes Schutz, er wird uns innerhalb der starken Mauern dieses Schlosses, die zugleich eine Zuflucht bieten für manchen armen Verwundeten, bewahren.«

Sie ließ sofort die große Halle der Dienstboten räumen und Betten und Verbandzeug hereinschaffen, und Vater Johannes, der sich auf Heilkunde verstand, prüfte seinen Vorrath an Medikamenten und Instrumenten.

Weinend saßen Therese und Gabriele in der Ahnenhalle, vergebens suchten sie, selbst in tiefer Betrübniß, die Kinder zu trösten, denn Wilmos, ihr Liebling, hatte soeben Abschied genommen, sie hatten ihn nie so bewegt gesehen, gewiß eine Ahnung erschütterte sein sonst so ruhiges Wesen, als er ihnen dankte für ihre Güte, als er die schluchzenden Kinder liebkoste.

»Mir ist es, als hätte ich ihn zum letzten Mal gesehen, zum letzten Mal diese unvergeßliche Stimme gehört!« sagte Therese, während Klara keiner Worte fähig ihr Köpfchen in der Tante Schooß barg.

»Was hat doch deine Mutter vor?« klagte Sidonie, die am Kamin sitzend in den verglühenden Kohlen stocherte, »will sie denn ein Lazareth aus dem Schlosse machen, was soll denn mit den Leuten geschehen bei der geringen Anzahl männlicher Diener?«

» Wir werden sie pflegen,« rief Gabriele, die Thränen trocknend, » wir werden sie trösten, wenn sie fern von Mutter und Schwester verwundet auf dem Lager liegen!«

»Pfui, Gabriele, wie unweiblich,« entgegnete Sidonie. »Du, ein Mädchen, wirst doch nicht zwischen Männer treten, die im Bette liegen? was würde Karl dazu sagen?«

»Wenn Karl mich tadeln würde, weil ich einem kranken Mitbruder aus falscher Scheu Hülfe und Trost verweigerte, so hätte ich ihn nie geliebt!« erwiederte mit glühendem Gesicht die sanfte Gabriele, indessen Therese ernst sagte:

»Mir scheint, die echte Weiblichkeit und der wahre Beruf des Weibes besteht in der Liebe, in des Wortes schönster und heiligster Deutung, der reinen helfenden Nächstenliebe! Gott segne die Mutter, wenn sie uns Gelegenheit gibt, dieselbe auszuüben.«

* * *

Spähend stand wenige Tage später Gräfin Gisela in dem Thurmzimmer am runden Bogenfenster, das allein die Aussicht auf die große Ebene jenseits des Waldes gewährte. Ferner Kanonendonner hatte sie früher als gewöhnlich von ihrem Lager aufgescheucht. Auf der von hier aus sichtbaren Landstraße sah man durch den Nebel Waffen und Helme blitzen, immer höher stieg die bleiche Herbstsonne an dem Horizont und suchte den Nebel zu zerreißen, der vor ihren Strahlen sich mehr und mehr in das Thal flüchtete und die Ebene immer dichter einhüllte, gleich Meereswellen, die unter einer glatten Oberfläche Sturm und Untergang bereit halten. Allmälig kamen die Hügel zum Vorschein, die Wipfel der Bäume schüttelten die leichten Nebelflocken gleich einem lästigen Schleier von sich, und ein klarer blauer Himmelsbogen begann sich über der Erde auszuspannen, während noch immer der Nebel über dem wilden Treiben der Menschenkinder lag, die unter seinem verhüllenden Schleier mit Tod und Verderben gegen einander wütheten. Erst Nachmittags zerriß die Decke vollständig, ein Gefecht war im Gang, soviel konnte die Gräfin und der Kaplan, der sie in solchen Zeiten selten verließ, mit dem Fernrohr deutlich sehen. Ja, mit der Schärfe, die Mutterliebe ihren Augen verlieh, glaubte die Gräfin den Schimmel ihres Sohnes zu erkennen. – Der Abend nahte, noch immer stand der Schimmel ruhig auf einer kleinen Anhöhe – Ordonanzen flogen hin und wieder – da droht das Regiment Zu weichen, der Schimmel verläßt seinen Posten und stürmt voraus, er verschwindet in der Menge ... dort taucht er wieder auf! wieder ist er verschwunden!

»Ich sehe ihn nicht mehr,« stöhnt das beklommene Mutterherz, »O Gott, erhalte mir den Sohn!« Einen Augenblick droht die Fassung die starke Frau zu verlassen, dann sucht ihr Auge die Dämmerung zu durchdringen, vergeblich. Dunkelroth, als wäre sie in Blut getaucht, ist die Sonnenscheibe hinter der Ebene untergesunken, ein bleicher Mond steht am Himmel und leuchtet nieder auf das Schlachtfeld, von dem das Getümmel sich weiter entfernt zu haben schien.

»Er versprach mir, wenn irgend möglich, Nachricht zu geben,« sagte die Gräfin zu dem alten Freund, »alles scheint – jetzt still – der Fußweg durch den Wald bringt uns rasch hin – Freund,« sagte sie leise, »fühlen Sie noch Einiges übrig von der alten Kraft, die uns vor Jahren so manchen Unglücklichen erretten ließ? die Tragbahren von ehedem sind wieder im Stand, die Leute sind angewiesen, sich bereit zu halten.«

»Aber Sie, Frau Gräfin, wollen doch nicht selbst?« wandte der Kaplan ein, »lassen Sie mich hinüber gehen.«

»Sind Sie nicht älter um einige Jahre?« entgegnete die Gräfin, »ich fühle mich jung wie ehedem, wenn es gilt, den Sohn zu retten, gehen Sie zu Gabriele und sagen Sie ihr, bei Therese und den Kindern zu bleiben – Sidonie mit ihrer Angst regt sie nur auf – sagen Sie ihnen nicht, daß wir selbst hinausgehen, wir entfernen uns durch das kleine Pförtchen hier unten und lassen die Leute nachkommen.« Mit ruhiger klarer Stimme hatte sie die Befehle gegeben, die keine Widerrede mehr ertrugen. Während der Kaplan sich entfernte, um alles anzuordnen, kniete sie kurze Zeit auf dem Betpulte nieder – immer höher stieg der Mond und beleuchtete die betende Mutter da drinnen, wie die blutenden Männer draußen – dann erhob sie sich und rüstete sich zum Gang in die klare Herbstnacht hinaus; da tönte Pferdegetrappel über die Schloßbrücke, unter dem Thorbogen hielt der Reiter eine Minute und jagte dann mit verhängtem Zügel, wie er gekommen, wieder davon. Athemlos kam der Kaplan in das Zimmer und gab der Gräfin ein beschriebenes Papier – es war von Max – er lebte, aber wie? angstvoll überflogen beim Schein der Lampe ihre Augen den Brief – Gabriele war dem Kaplan gefolgt. – In geflügelter Eile war der Brief geschrieben und lautete:

»Der Sieg ist glänzend unser! ich bin gerettet, um welchen Preis! mein Liebling, mein einziger Freund, mein Wilmos ist nicht mehr! Das Regiment war im Weichen, die Feinde stürmten an, da setzte ich mich an die Spitze, es anzufeuern, mein Pferd, von einem Schuß getroffen, sank – dies gewahrte Wilmos am andern Flügel und stürmte, gefolgt von einigen Getreuen, herbei – der Hieb, der mich treffen sollte, traf ihn, die Feinde waren versprengt, er fiel, von einem zweiten Streich getroffen, vom Pferd! »Halte dich mit mir nicht auf, Max,« rief er mir zu, »Max, meine Aufgabe ist gelöst, ich sterbe für dich!« – Mutter, er fiel für Ihren Sohn, noch ist vielleicht Leben in ihm, lassen Sie ihn suchen, und wenn er todt ist, geben Sie ihm das Begräbniß in unserer Gruft! Wir verfolgen unsern Sieg, leben Sie wohl, meine theuere, geliebte Mutter, Gott erhalte Sie!«

»Gabriele,« sagte die Gräfin, das still weinende Mädchen an die Brust ziehend, »gehe und bringe die Kunde deiner Schwester.«

»Der arme Wilmos,« brachte Gabriele mühsam unter Thränen hervor und gehorchte den Worten der Mutter.

»Der Sohn ist gerettet, wollen Sie sich nun doch hinaus wagen?« wandte noch einmal schüchtern der Kaplan ein.

»Mancher anderer Mutter Sohn liegt draußen,« entgegnete ernst die Gräfin, »Sie und ich sind die einzigen, die zu verbinden, zu helfen verstehen, wo schnelle Hülfe nothwendig und überdies – jener Jüngling, der von meinem Sohn mir vermacht –« und wieder überlas sie für sich die Worte: »Meine Aufgabe ist gelöst, Max, ich sterbe für dich!« und ein ernster Zug flog um ihren Mund. – »Sind die Leute bereit, Kaplan? ich bin es,« und das Zeichen des Kreuzes über sich machend, traten sie den Weg an.

* * *

Manchem Leidenden hatten sie geholfen, hatten ihn in das Schloß bringen lassen, und wieder waren die Träger zu der bezeichneten Stelle zurückgekehrt, neue aufzunehmen, indessen die Gräfin und der Kaplan unermüdlich ihr Liebeswerk fortsetzten, eine höhere Kraft beseelte sie und verlieh ihren Gliedern die Rüstigkeit der Jugend. Da hörten sie schluchzen und ein Stöhnen des Jammers, sie beflügelten ihre Schritte, manchen Hülferuf gewaltsam überhörend – schon von ferne sahen sie Janos – der die Erde zu einem Grab zu öffnen begann, dabei laut schluchzend und betend.

»Janos, um der Heiligen willen, was thut Ihr hier?« rief ihn entsetzt der Kaplan an, indessen die Gräfin sich der Leiche nahte, die mit verbundener Stirne, das Antlitz vom Blut gereinigt, vor ihr lag. » Seinem Befehl gehorchen,« erwiederte der Diener unerschütterlich fortfahrend, »er, der mich einst vor Tod und Schande gerettet,« fuhr er mit gebrochener Stimme fort, »er ist nun todt; seine Leiche zu beerdigen an der Stelle, wo er einst fallen sollte, gebot er mir, als er mir den Eid des Schweigens abnahm. Janos hat den Eid gehalten und wird den Befehl seines armen Herrn getreu befolgen.« Da nahte sich suchend von Leiche zu Leiche eine schwarze Gestalt, das Gesicht fast so bleich wie das der Leichen! so kam sie zu der Gruppe: es war ein junger Priester; mit einem Schrei, der weithin schallte, grell das Gewinsel der Verwundeten, das Aechzen der Sterbenden übertönend, rief er: »Paula, meine Schwester!« und stürzte sich über den regungslosen Körper.

Einen Augenblick stand der Kaplan starr, dann hob er den jungen Priester auf, vergebens suchte dieser zu reden, er deutete mit der Geberde des ungemessensten Schmerzes immer auf sich, dann auf die Leiche, der Schrecken hatte ihn der Sprache beraubt! Während dem untersuchte der Kaplan, sein Ohr dem Herzen des Daliegenden nähernd, den Verwundeten. »Janos,« rief er, »rufe die Träger herbei, es ist noch Leben in dem Körper, aber schwach – schnell, daß es uns nicht entfliehe!«

»Meine Ahnung!« flüsterte kaum hörbar die Gräfin, endlich wieder Worte findend und aus ihrer starren Betäubung erwachend, »die Ahnung, die sich in der letzten Zeit wie kaltes Eisen in meine Brust gesenkt. Kaplan, Menschenliebe kämpft in mir mit dem Widerwillen des Weibes gegen eine freche Betrügerin, die einen edlen Namen gestohlen.«

Der junge Priester hatte die Worte vernommen, gräßlich verzerrten sich seine Züge, er suchte vergeblich nach Worten, verzweiflungsvoll sank er in die Knie, die Arme gen Himmel erhebend. –

Noch immer regungslos lag die Leiche vor ihnen, das bleiche Antlitz vom Schein des Mondes hell beleuchtet, die Augen blieben geschlossen und der Mund öffnete sich nicht zur Selbstvertheidigung gegen die harte Anklage.

Einen Augenblick hielt der Kaplan in seinen Belebungsversuchen inne; fast strafend richtete sich sein Blick auf die Gräfin und er sprach ernst und feierlich:

»Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet! Jener barmherzige Samariter frug nicht erst, wer der Kranke sei, dem er Hülfe brachte! ein Geheimniß liegt hier zu Grund – aber sicher keine Schuld.« Aufmerksam hatte der junge Priester seinen Worten gehört und ergriff des alten Geistlichen Hand, sie mit dem Ausdruck unbeschreiblicher Dankbarkeit an seine Lippen führend, dann machte er das Zeichen des Schreibens, einen flehentlichen Blick auf die Gräfin werfend, deren Strenge augenblicklich unter den Worten des Kaplans gewichen war. Sie beugte sich nieder und die Hand der Verwundeten ergreifend, blickte sie in die schönen regelmäßigen Züge, die in ihrer Bewegungslosigkeit entschlossen schienen, das Geheimniß ihres Lebens in die geöffnete Gruft zu nehmen.

»Drei Mal bist du zwischen den Tod und meine Kinder getreten,« sagte sie mit schmerzlicher Selbstanklage, »vergieb, daß mein Herz sich von dir wandte, wer du auch seist!« Sich erhebend wandte sie sich nun wieder ganz sie selbst an den Freund. »Niemand soll um das Geheimniß wissen, das sie offenbar ängstlich bewahrte; sie soll in das Thurmzimmer gebracht werden zunächst dem meinigen, wir werden uns in die Pflege theilen, wenn Gottes Wille wieder Leben in die Gestalt ruft!«

Janos mit den Trägern kam indessen herbei, mit der Angst und Sorgfalt einer Mutter auf seinem treuen Gesicht legte er die theure Last auf die Bahre. Langsam bewegte sich der Zug vorwärts, den fremden Mönch, der schwankenden Schrittes der Bahre unzertrennlich zur Seite blieb, im Gefolge.

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