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Zehntes Kapitel.

Der Spätherbst war eingezogen, Wald und Flur mit seinen kalten Nebeln bedeckend, der Wind spielte melancholisch heulend in den Zweigen der Bäume, in den dürren Blättern am Boden, zu denen immer wieder neue lebensmüd sich gesellten, als wollten sie nicht mehr länger einzeln droben hängen an den kahler werdenden Aesten. Truppen über Truppen zogen vorüber in die verschiedenen Winterquartiere, zu neuen Schlachten sich zu stärken, an einzelnen Orten ließen sie ihre Kranken, Verwundeten zurück, und die Hütten waren voll von solchen, die keine neuen Schlachten, aber auch weder Winterquartiere, noch die Heimat je wieder sahen. Es war eine schwere Zeit, allein sie dauerte schon so lange, daß die Menschen, wenn es sie nicht unmittelbar berührte, sich daran gewöhnten; so war es auf der Falkenburg, wo seit Wochen Therese mit den Kindern und Sidonie eingekehrt waren; Erstere etwas bleich von dem ausgestandenen Schrecken und Jammer, aber allmälig sich erholend am Herzen der Mutter. Die Reise war noch eine mühselige gewesen, eine Strecke weit war Karl Nostiz ihr entgegengekommen, bis dahin hatte ihr Max Leute seines Regiments mitgegeben. Nun war er auch da, das Regiment war in der Gegend stationirt und einige hofften, es sei nun für eine Zeit Ruhe mit Gefechten – der Mensch muß hoffen können, um zu leben, ein Strohhalm genügt! Sie saßen alle beisammen in der Halle, wo ein flackerndes Kaminfeuer Helle und Wärme verbreitete. Gabriele saß am Klavier, ließ allein etwas das Köpfchen hängen, denn Karl war nach Wien berufen worden zu einer diplomatischen Mission; einestheils war es ihr recht, wollte er doch die dumme Eifersucht nicht sein lassen, daß sie in beständigen Sorgen gelebt, und Wilmos, der ohnedem mit Mühe zu bewegen war, die Gastfreundschaft auch nur auf Stunden anzunehmen, gar nicht mehr kommen wollte. Gedankenvoll ließ sie ihre Hände leise fantasirend auf den kleinen Tasten des kostbaren Instrumentes umhergleiten, während ihre Augen abwechselnd auf den verschiedenen Gruppen ruhten. An dem Kamine saß Sidonie mit einer leichten Handarbeit und suchte mit einiger Anstrengung die Aufmerksamkeit von Max auf sich zu lenken, der beim Schein einer Lampe am Tisch las. Wie schön und männlich war er geworden! die von dichten blonden, nur leicht gepuderten Locken umrahmte hohe Stirne war auf die kräftige Hand gestützt, während die andere den vollen Schnurrbart zeitweise drehte; nur selten wandten die blauen Augen der Schwätzerin einen Blick zu und nur dann erhoben sie sich von dem Buch, wenn er mit Therese einige Worte wechselte, die, mit einer Filetarbeit beschäftigt, häufig hinübersah in eine tiefe Fensternische, wo Wilmos sich von ihren Kindern vorplaudern ließ, während sein Ohr den Tönen lauschte, die Gabriele dem Instrument entlockte. Mit einer wahrhaft schwesterlichen Liebe hing die junge Frau an dem Jüngling, der im entscheidendsten Augenblick ihres Lebens rettend für sie und ihre Kinder aufgetreten war, und nicht allein durch sein ganzes Wesen, das so viel Weichheit verrieth, ihr Interesse erweckt hatte, sondern auch durch die brüderliche Liebe, die er ihren Kindern zeigte, ihr Herz gewonnen hatte.

Still in einer Ecke, etwas entfernt von Lampen und Feuerschein, das sie leicht blendete, zunächst der Fensternische, alles um sich beobachtend, saß die Gräfin Gisela auf dem bequemen Lehnsessel, die Arme auf dessen breiter gobelingestickter Lehne. Ihr Ohr lauschte dem Geplauder der Enkel, die kaum einen schönern Platz kannten, als bei Wilmos, den sie beide fast schwärmerisch liebten. Rudolf saß auf seinem Knie, während die blonde Klara dicht an ihn sich schmiegend ihr liebliches Gesichtchen auf seine Schulter legte.

»Wilmos,« hörte die Großmutter jetzt den vierjährigen Rudolf sagen, »warum hast du eigentlich keinen Schnurrbart wie Onkel Max?«

»Aber Rudi,« verwies ihn die Schwester, »frage doch nicht so dumm, der Erzengel Gabriel in unserer Kirche in Dresden hat auch keinen, und gerade so sieht Wilmos aus, wenn er lieb und freundlich ist.« »Bin ich das nicht immer?«

»Manchmal nicht,« versetzte die Kleine, »da siehst du düster drein, und wie böse sahst du aus, als du damals die schrecklichen Männer forttriebest und Tante Sidonie nicht da war, um für Mama und uns zu sorgen!«

»Wenn Rudi einmal groß ist,« begann dieser von Neuem, »dann will er einen großen Bart wie Onkel Max, und einen Säbel, dann brauchst du dich nicht mehr vor den Kroaten zu fürchten, die haue ich zusammen, daß es nur so fliegt!«

»Ach ich wollte, ich wäre auch ein Mann und könnte selbst in den Krieg, statt immer zu zittern, und dürfte hinaus reiten und – –«

»Halt ein, Kind,« hörte die Gräfin Wilmos' weiche Stimme in ungewöhnlicher Bewegung fast heftig sagen, »ein Mädchen darf nie einen solchen Wunsch in sich aufkommen lassen, schon der Gedanke ist eine Beleidigung der zarten Weiblichkeit, sie soll nicht zaghaft zittern, sondern betend und pflegend den Männern beistehen. – Du bist ein liebliches kleines Mädchen,« fuhr die weiche Stimme fort und Wilmos' Hand streichelte zärtlich ihr seidenes Gelock, »das bleibe, bis du einmal Frau wirst und Mutter, wie Mama und Großmama, dann bist du das Schönste und Glücklichste geworden, das es auf Erden gibt, und brauchst nicht das Unmögliche zu wünschen! Du aber, Rudi werde nur ein rechter Mann wie Onkel Max, dann ist Klara auch gerne ein Mädchen, und braucht sich nicht mehr zu fürchten.« Die Großmama bog sich vor – Wilmos' Stimme hatte gebebt und sein bleiches Gesicht war noch bleicher geworden.

Eben trat der Kaplan ein; nachdem er alle begrüßt hatte, nahm er auf einem der Stühle in der Nähe seiner alten Freundin Platz, die sich mit der Frage an ihn wandte:

»Können Sie mir nicht sagen, Kaplan, wer der bleiche, kränklich aussehende Priester ist, der sich seit ein paar Tagen im Thale herumtreibt?«

»Ich traf ihn auch kürzlich unter meinen Leuten,« mischte sich Max in das Gespräch, »ein fanatisch aussehender Mensch, der, wie mir scheint, den Versuch macht, unter dem wüsten Kroaten-Gesindel den Erfolg zu erzielen, den wir mit Stock und Strang zu gewinnen hoffen; er möge sich nur in Acht nehmen, daß nicht der Verdacht eines Spions auf ihn fällt.«

»Das steht weniger zu fürchten,« sagte Vater Johannes, »da er einen Erlaubnißschein seines Ordens hat, sich zur Armee zu begeben, Kranke zu pflegen und Sterbenden die letzte Oelung zu ertheilen. Nach allem, was ich bis jetzt von ihm gesehen und gehört, ist er ein fanatischer Jüngling, von einem krankhaft verzehrenden Eifer ergriffen, selig zu machen und selig zu werden.«

»Sie wollen schon fort, Graf Wilmos?« frug Gräfin Gisela freundlich, als sich dieser plötzlich erhob und in seiner ernsten Weise verabschiedete.

»Ich habe nothwendig noch eine Ronde zu machen,« entgegnete derselbe, »und bedaure deshalb nicht länger bleiben zu können.« Alle grüßend, entfernte er sich schnell. Nachdenklich, ja forschend blickte ihm die Gräfin nach.

»Ein hübscher Mensch,« sagte der Kaplan, »aber nicht heiter, wie die Jugend sein sollte.«

»Ich kann diesen weibischen Schönheiten keinen Geschmack abgewinnen,« bemerkte Sidonie, »ebensowenig, wie ich seine Schwester schön fand, die ihm zwar sehr gleicht, nur daß sie größer, derber und plebejisch blühend war und gerade so ausgelassen lustig, wie er langweilig.«

»Wo hast du sie denn kennen gelernt?« frug Gabriele.

»Als ich mit Mama bei dem Großonkel in Agram war,« entgegnete Sidonie, »machten sie einen Besuch bei Graf Simonitch. Ich war noch ein Kind, wie Wilmos' Schwester auch, und fürchtete mich vor dem wilden, unbändigen Ding, – sie wußte von gar nichts als von Hunden und Pferden und Hetzjagden zu reden und die Kleider hingen an ihrer langen Gestalt wie an einem Kleiderstock, – ich wollte auch nicht mehr hin, Mama sagte, sie wünsche für mich nicht den Umgang mit solch' einem unweiblichen Wesen.«

»Es ist oft besser, als ein zu weibliches, das dann aus lauter Zaghaftigkeit die Seinigen in der Gefahr im Stich laßt.« Mit diesen Worten erhob sich Max und sich ebenfalls verabschiedend verließ auch er das Zimmer. Betroffen blickte ihm seine Mutter nach, obwohl es nichts Ungewöhnliches war, daß er am Abend ebenfalls eine Ronde antrat. Welche Gedanken stiegen gleich finstern Wolken in ihrem Gehirn auf? Gedanken, denen sie vor sich selbst kaum wagte Form zu geben? –

»Du hättest Maxens Freund nicht sollen in seiner Schwester angreifen,« tadelte Therese sanft, als sie bemerkte, daß Thränen des Zornes Sidoniens Augen entstürzten. »Er braucht mich nicht stets an meinen Fehler zu erinnern,« entgegnete sie, »Furchtsamkeit ist keine Schande für ein Mädchen; jedenfalls hätte ich dir nichts helfen können und du hättest besser gethan, mir zu folgen.«

Es bedurfte der Heiterkeit der Kinder, die von der Verstimmung der Großen nichts ahnend, sich mit Tante Gabrielen neckten, um dem Abend nicht vollends das Bleigewicht allgemeiner Verstimmung anzuhängen.

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