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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Schwindelnd vor Ueberraschung, an nichts anderes denkend, als an die augenblickliche Wonne, ihn wiederzusehen, barg Paula ihr Antlitz auf seiner Schulter.

»Max, mein Freund, mein Geliebter,« stammelte sie endlich, »wie fandest du mich denn, ich war ja todt für Alle!«

»Und Alle glaubten es,« bestätigte Max, »nur ich wollte nicht daran glauben, so wahrscheinlich es auch die verschiedenen Thatsachen machten. Doch laß mich dir erzählen, so gut ich Alles in meinem Kopfe zu ordnen vermag.« Wie im Traume schritt Paula langsam an seiner Seite hin, während er fortfuhr: »Nachdem ich mich damals von dir gerissen, wogte es in meinem Gehirn von Plänen und Entwürfen, dich zu gewinnen. Die Jahreszeit machte es mir unmöglich, einen Urlaub zu nehmen, so schrieb ich der Mutter, ihr in einem Sturm von Empfindungen alles Vorgefallene zu erzählen. Bis ich einen Brief erwarten konnte, ging ich noch einmal zur Fürstin. Du warst fort, ich dachte es mir, aber die Fürstin, die mit felsenfestem Vertrauen an dir hängt, nannte mir den Ort, wohin du dich aller Wahrscheinlichkeit nach gewendet. Endlich kam ein Brief der Mutter ... Max zögerte ...«

»Soll ich dir sagen, was sie schrieb?« unterbrach ihn Paula, einen Augenblick stehen bleibend und ihm fest in die Augen sehend, »sie schrieb dir, daß sie mein Geheimniß nicht verrathen dürfe, sie bat dich, nichts zu übereilen, zu prüfen, ob diejenige, die dem Manne ein Freund gewesen, auch Weiblichkeit genug besitze, um ihn für das ganze Leben glücklich zu machen.«

»Du hast es errathen,« erwiederte offen Max, »Eure Naturen haben zu viel des Aehnlichen, um daß du nicht ihre Gedanken erriethest; jedoch sprach sie mit mütterlicher Liebe von dir; aber was half mir das, dich wollte ich, und wenn ich dich auch nehmen sollte namenlos, mit dem lastenden Vaterfluch auf der Seele. Da gelang es mir endlich, einen kurzen Urlaub zu nehmen; ohne jemand etwas mitzutheilen, reiste ich in das Gebirge und fand in dem Jagdschloß, von dessen Besitz meine Mutter mir nur flüchtig einmal erzählt hatte, wohl Janos, deinen alten Diener, aber nicht dich; sein Schmerz, seit längerer Zeit nichts von dir zu wissen, war aufrichtig genug, daß ich ihm glaubte. Ich gestehe dir, daß ich Versuche machte, ihn über dich auszufragen, eher hätte ich jedoch diesen Baum ausfragen können; auf alle und jede Frage war die einzige Antwort: ›Kann ich nichts sagen!‹ die mich innerlich fast zur Verzweiflung brachte.«

»Der treue Bursche!« sagte lächelnd Paula, »er hätte mich, um meinen Befehlen nachzukommen, lebendig begraben und sich auf meinem Grab ausgehungert, glaube ich. Wie nahe warst du mir damals!«

»Ich ahnte es nicht,« erwiederte Max, »wo konntest du dich hingewandt haben? frug ich mich angstvoll; wie sollte ich dich finden ohne Namen oder sonstigen Anhaltspunkt? Ich schrieb wieder der Mutter, auch sie wußte nichts von dir, ihrem Brief sah ich es an, wie sie für mich litt, und mit sich und dem Versprechen, zu schweigen, kämpfte. Als ich wieder zurückkam, war der Sommer vorüber, ich traf einen Brief der Fürstin, die mir tiefbetrübt mittheilte, ein ziemlich bestimmtes Gerücht sage dich todt; sie habe sogleich in der Stadt, von der aus du weiter gereist, Erkundigungen einziehen lassen, es bestätige sich durch die Aussage eines Postknechtes, du seiest unterwegs gestorben; soll ich dir meinen Schmerz schildern? Ich ritt sogleich selbst hin und citirte sämmtliche Postknechte, der Betreffende war längst in Privatdienste übergegangen, niemand wußte zu sagen, wohin? seine Aussage bestätigten alle. Außer mir vor Schmerz nahm ich einen längeren Urlaub und reiste endlich heim zur Mutter. Dort sah ich erst, wie sehr meine Mutter und Vater Johannes dich liebgewonnen.«

»Wie viel danke ich ihnen,« sagte Paula, »ich sehe sie vor mir, die beiden ehrwürdigen Gestalten, sehe das Thurmzimmer, wo ich wieder zum Leben erwacht.«

»Am Kamin,« fuhr Max fort, »bei dem lodernden Feuer, in der dir bekannten Halle sprachen wir nur von dir, alle Erinnerungen hervorsuchend erzählte mir die Mutter Alles; wie du zu dem Schritt verleitet worden, ja, sie ließ mich die Beichte deines sterbenden Bruders lesen ...«

»That das Gräfin Gisela?« frug erbleichend Paula.

»Sie hat der Lebenden das Versprechen gehalten,« erwiederte ernst Max, »sollte sie nicht von der Todten auch den letzten Schatten nehmen», der etwa auf ihr haften konnte?«

»Ich habe gehofft, das Geheimniß mit ins Grab zu nehmen, das auf meine arme schwache Mutter einen Theil der Schuld lud,« sagte traurig Paula. »Aber wie kamst du nach Allem doch noch auf meine Spur?« frug sie weiter, sich auf eine Bank niederlassend, die vor Nässe und Wind geschützt unter einem Strohdache am Wege stand. »Die Verbindung mit dem Jagdschloß hörte doch mit dem einbrechenden Winter auf, keine Kunde konnte hinauf dringen in den Norden?«

»Mein Herz hörte nicht auf, mir zuzuflüstern, daß du noch lebtest,« entgegnete Max, »ein Brief, den ich hierher geschrieben, trotz der Unwahrscheinlichkeit, daß du hier seiest, scheint verloren gegangen zu sein. Mit dem beginnenden Frühjahr litt mich's nicht länger auf der Falkenburg, ehe ich wieder den Dienst antrat, mußte ich noch einmal selbst dahin, wo du lange gelebt, wo das Andenken »der großen schönen Frau« noch im Munde der Armen und Kranken lebt! Janos war fort und die Förstersleute wußten nicht viel zu sagen, als daß Janos von den beständigen Irrfahrten, die er nach dir gemacht, eines Tages ganz verändert zurückgekehrt sei, und Tags darauf alles gepackt und von ihnen Abschied genommen habe.«

»Janos hatte das Posthaus am Berg gefunden,« nahm Paula das Wort, »wo ich sterbenskrank liegen geblieben war und von wo aus ich in das Kloster gebracht wurde; der treue Mensch ging nun meiner Spur nach und fand mich, da ich gerade den Entschluß gefaßt hatte, mich meinem Vater zu Füßen zu werfen, um seine Vergebung zu erflehen. Von ihm hörte ich, daß man mich für todt hielt, die Fürstin hatte geschrieben, Gräfin Gisela Auftrag gegeben, Erkundigungen einzuziehen; ich wollte und mußte verborgen bleiben, und so gebot ich ihm zu schweigen, einen leichten Wagen und Pferde zu kaufen und alles zur Reise in die Heimath zu rüsten. Du weißt, wie er schweigen kann, somit erfuhren die guten Förstersleute nichts.« Aufmerksam hörte ihr Max zu und fuhr dann fort: »Ich war im Begriff auf's Gerathewohl hierher zu reisen, um dich hier selbst zu suchen, als mein Entschluß dadurch bestärkt wurde, daß in der ganzen Gegend eine Geldschenkung an das Frauenkloster und die Armen der Gemeinde, zu der das Jagdschloß gehörte, allgemeines Aufsehen erregte. Auf meine Fragen hörte ich den Namen deines Vaters. In meinem Herzen fing es an zu tagen, hatte schon das Verschwinden Janos' einen Hoffnungsfunken angefacht, so gab dies ein helles Licht. Ich schrieb der Mutter und reiste Tag und Nacht, und nun habe ich dich und lasse dich nicht, du mein einziges Lieb, mein kühnes, stolzes Mädchen.«

Das Haupt tief auf die Brust gesenkt schwieg Paula, in Sinnen verloren. Ihr Busen hob und senkte sich in innerlichem Kampfe, sie wand sich aus der leidenschaftlichen Umarmung, mit der Max seine Erzählung geschlossen hatte, und sagte mit leiser, tonloser Stimme: »Max, es darf nicht sein, was ich damals gesagt an den Ufern der schäumenden Traun, das wiederhole ich hier in der stillen Frühlingsnatur: wir müssen scheiden. Laß mich reden,« fuhr sie fort, ihre Hände auf den Arm des Freundes legend, der ungestüm aufbrausen wollte. »Diese Narbe, Max,« sie schob leicht die Locken von der Stirne – »die eine Zierde für den Mann ist, entstellt die reine Stirne eines Mädchens ...«

»Ich bedecke sie mit meinen Küssen,« unterbrach sie leidenschaftlich Max, »wehe demjenigen, der sie mit Worten zu berühren wagt, und wäre es mein eigner Sohn.«

» Wenn du die Worte hörst; diejenigen, die du nicht hörst, kannst du nicht ahnden und beide werfen einen Flecken auf dein Weib,« entgegnete ernst Paula.

»Meine Mutter selbst liebt dich, und wünscht sich keine bessere Tochter,« wandte Max ein.

»Weil sie nicht mehr die Kraft besitzt, ihrem einzigen Sohne zu widerstehen,« entgegnete mit trübem Lächeln Paula, »das Ideal aber, das ihre Mutterliebe sich für dich geschaffen, sah anders aus als ich. Ein feines weibliches Wesen dachte sie sich dabei, wie diejenigen sind, die sie erzog, eine edle Jungfrau, deren Vergangenheit klar und rein vor dem Manne liegt, der sie erwählt.«

»Ist der übereilte Schritt, zu dem du verleitet worden und den du, begünstigt, von den äußern Umständen fast gezwungen, aber mit seltnem Heldenmuth der Ehre des Namens wegen durchgeführt, bis du für mich diesen Streich erhieltst, etwa ein Verbrechen?« frug Max.

»Kein Verbrechen vielleicht,« erwiederte Paula »aber etwas, das die Welt dem ›Weibe‹ nie verzeiht – o mein Einziggeliebter,« fuhr sie fort, seine Hand in ihre beiden Hände nehmend und die schönen Augen flehend auf ihn richtend, »versuche mich nicht länger, um meinet- und um deinetwillen! noch bleibt mir ein schwerer Weg zu thun, und ich weiß nicht, was die Folgen sein werden.« Sie setzte ihm die Nothwendigkeit auseinander, ein Bekenntniß vor der Kaiserin abzulegen.

»Gut denn,« rief er aufspringend, »so gieb mir das schönste Recht, dich zu schützen – ich gelte etwas bei unserer gnädigen Fürstin, laß mich ein Wort zu deinen Gunsten einlegen!«

»Vor was willst du mich schützen?« erwiederte mit schmerzlichem Klange ihrer Stimme Paula, »vor der Verachtung, die mich treffen wird, ja muß? was sie mir sagen, was sie über mich verhängen mag, ich trage es leichter, wenn ich allein bin. Max,« fuhr sie nach einer Pause fort, während sie sich langsam dem Herrenhause näherten und reichte ihm schwermüthig lächelnd die Hand hin, »laß' uns Freunde bleiben, wie ehedem – denke, ich sei noch Wilmos – und laß ab von Paula. Wenn du ruhiger fern von mir nachdenkst, wirst du selbst erkennen, daß du es deinem Namen schuldig bist.«

»Wo wäre die Zukunft dieses Namens, dem ich mein Lebensglück zum Opfer bringen soll, wenn deine Stirne nicht diese Narbe trüge?« versetzte bitter Max, ohne die dargebotene Hand zu nehmen. Er blieb einen Augenblick stehen; auf den Säbel gestützt, sann er stumm vor sich hin. Ohne mehr etwas zu sagen, beobachtete Paula den wechselnden Ausdruck seines schönen männlichen Gesichtes. Es wäre schwer gewesen, seine Gedanken zu errathen, als er die strahlenden blauen Augen jetzt aufschlug und Paula's Hand mit den Worten ergriff:

»Gut, also Freundschaft denn, wenn du es nicht anders haben willst. Wollen wir jetzt zu deinem Vater? ich war bei ihm, ehe ich dich fand, und möchte ihn noch einmal sehen, ehe ich abreise.«

Obwohl Paula nun erreicht hatte, was sie gewollt, schnürte die plötzliche kühle Ruhe, mit der Max diese Worte gesprochen, ihr Herz wie mit eisigen Banden gewaltsam ein. Alle Fassung zusammennehmend, führte sie ihn zu ihrem Vater und flüchtete dann in ihr Zimmer, die beiden Männer allein lassend. – Der General ließ den jüngern Kriegskameraden an diesem Tage nicht mehr fort. Paula aber überließ sich zum ersten Mal nach vielen Jahren dem einzigen Trost, der ihr geblieben, wieder in Verkehr, zu treten mit seiner Mutter. Um sich von dem Verdacht der Undankbarkeit zu reinigen, gestand sie ihr, warum sie nicht mehr geschrieben. In der hohen Verehrung, die sie für dieselbe fühlte, gewann sie wieder Kraft zum Entsagen. Das Schreiben des Briefes gab ihr die nöthige Fassung um ruhig vor ihm zu erscheinen, der ihr fast heiter die Hand zum Gruße bot – wie schnell war er übergegangen von der leidenschaftlichen Liebe zur Freundschaft!

Den andern Morgen nahm er Abschied, lange hielt er ihre Hand in der seinen, und ein sonniger Glanz lag auf seinen Augen, die sich in die ihrigen versenkten, dann riß er sich schnell los und stürmte hinaus. Mit einer Leidenschaftlichkeit, wie sie bis jetzt nie gefühlt, warf sich Paula an der Ottomane nieder und weinte bitterlich. In dem Moment trat ihr Vater herein; auf seinen Stock gestützt, blieb er bei dem weinenden Mädchen stehen.

»Ei, ei,« brummte er kopfschüttelnd, »ist das der kühne Junge?«

– »O, daß ich nie ein Junge gewesen wäre!« rief in grenzenlosem Schmerze Paula aus und barg das Gesicht in den Kissen des Ruhebettes.

Unbehaglich strich sich der General, nachdem er sich in seinen großen Armsessel niedergelassen, den langen grauen Schnurrbart und blickte hinüber zu der Tochter.

»Immer noch ein Trotzkopf,« murmelte er, wiederholt den Kopf schüttelnd, »eher sterben, als nachgeben und diesen Willen getraute ich mir einst zu brechen, wie man ein dünnes Rohr über dem Knie abbricht?«

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