Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Carl Skottsberg.

XXVII. »Heil dir, du hoher Nord!«

Es ist Frühling. Die Sonne scheint warm, so recht glühend warm und belebend; an den Bergabhängen schmilzt der Schnee und rinnt in Strömen in die Niederungen herab, wo die Pinguine dicht gedrängt sitzen. Ein nie verstummendes Brausen entsteigt diesen zu Tausenden versammelten Tieren, hin und wieder übertäubt durch das gellende Geschrei eines kämpfenden Vogelpaares. Wir wandern müssig, satt und fröhlich den ganzen Tag umher, die Zeit der Trübsal ist vorbei, der Frühling, der Tag der Hoffnung ist angebrochen –, nur noch eine kleine Zeit, und bald wird ein Segel am Horizont auftauchen.

Aber wir waren doch noch auf eine Wartezeit von ein paar Monaten gefasst. Wir befanden uns erst zu Anfang November, und es währte sicher bis Weihnachten oder Neujahr, vielleicht länger. Aber was macht das? Wir hatten vollauf Seehunde, und die Pinguine gingen fürs erste noch nicht auf die Neige. Und dann brach wohl auch bald die Zeit der Eier an. Davon hatten wir schon mehrmals gesprochen!

Es war der Morgen des 6. November: Ich hörte ein Gejubel rings um mich her und richtete mich in meinen Lumpen auf –, da stand Duus mitten im Gang, die ganze Mütze voller Eier. Grosse, runde, weisse Pinguineier! Wie wir durcheinander lachten und schrien! Jetzt hatten wir einen Hühnerhof, der nicht von schlechten Eltern war! Aber wir wollten nicht nur für den heutigen Tag sorgen, – in ein paar Wochen gab es keine frischen Eier mehr, es war von grosser Wichtigkeit, einen kleinen Vorrat für die nächsten Monate zu sammeln; hier hielten sie sich lange frisch, ohne besondere Behandlung.

Mit Eimern bewaffnet, zogen wir auf den Kriegszug aus. Ohne Kampf kein Sieg! und Hiebe und Schläge nahmen wir in Empfang, – der Pinguin ist nur klein, aber sein Biss ist gut, und nach beendeter Tagesarbeit fühlte man es in den Beinen.

Wie wir schwelgten! Gebackene Eier, gekochte Eier, rohe Eier, Eier in der Suppe, im Kaffee, im Tee, ich war selbst mässig, ich brachte es nie über zehn Stück am Tage, aber ich weiss, dass einer der Matrosen es bis zu 36 gebracht hat.

Fleissig wanderten wir auf den Berg hinauf, um uns umzuschauen. Es war noch immer offenes Wasser für ein Schiff, aber wir sahen keins, auch keinen Schimmer von dem Boot, das uns vor einer Woche verlassen hatte. Wir waren sehr besorgt um das Schicksal der Kameraden, denn sie hatten böses Wetter während der ersten Tage. Aber wir hofften, dass sie nun wohlbehalten am Ziel angelangt sein würden.

Heute hatten wir den 10. November. Wir lagen in unsern Säcken und streckten uns, zufrieden mit der Arbeit des Tages. Die Unterhaltung drehte sich an diesem Abend, wie an so vielen, um den Entsatz, – wir sprachen jetzt in bestimmter Form davon. Und plötzlich hatte jemand, ich weiss nicht mehr genau, wer es war, einen sonderbaren Einfall. Er fragte nämlich: »Was würdet Ihr tun, falls mitten in der Nacht ein Schiff käme und hier draussen im Sunde tutete, ohne dass jemand eine Ahnung davon gehabt hätte?« Das war auch so eine Frage! Wahrscheinlich würden wir in aller Eile verrückt werden vor Freude. Nun, wir hatten jedenfalls Zeit, uns auf die Freude vorzubereiten. Wer konnte in dem Augenblick ahnen, dass wir noch in derselben Nacht diese Probe bestehen sollten?

Ich schlief nicht gut in dieser Nacht, kroch schon gegen 4 Uhr aus dem Sack heraus und schlich ins Freie. Draussen herrschte Totenstille, das Meer lag wie ein Spiegel da. Wie gewöhnlich schweiften meine Blicke nach dem Horizont, nichts, nichts zu sehen. Woher sollte da auch wohl etwas zu sehen sein? Mit einem Seufzer schlich ich an die Tür, ging wieder hinein, kroch in meinen Sack und nahm mir vor, noch ein wenig zu schlafen.

Die ersten Eier

Aber was in aller Welt war denn das? Ein Ton durchdringt die Nacht, ein wohlbekannter Ton, nur hier unten undenkbar! Nein, ich musste wohl geträumt haben! – – Er wiederholt sich, wieder und wieder – – nein, es war so, es konnte nicht anders sein, – das Schiff war da! Aus dem Sack heraus! Ein paar Püffe in die benachbarten Säcke: Hört Ihr denn das Schiff nicht, das Schiff, das Schiff! Hurra! Ein Schiff! Arme fechten in der Luft umher, ohrenbetäubende Schreie, so dass die Pinguine draussen erwachen und mit einstimmen. Erschreckt springt die Katze an den Wänden in die Höhe, es entsteht ein Gedränge an der Tür, und bald stehen wir draussen auf dem Hügel, unangekleidet und schrecklich anzuschauen. Hurra! Da liegt das Schiff! Wir wagen kaum unsern Augen zu trauen, aber es muss ja wahr sein, wir kommen nach Hause, zu Weihnachten nach Hause! Es lebe das Leben! Ein Ruder mit den blaugelben Farben in eine Schneeschanze auf dem Hügel vor dem Hause, hier ist auch ein Stück Skandinavien, das bald mit der Muttererde wieder vereint sein wird.

Es ist ein eisernes Schiff hier unten im Eise – – neues Staunen. Ein argentinisches Kriegsschiff – last unbegreiflich! In atemloser Spannung stehen wir unten auf dem Eiswall am Strande, – ich entferne das Glas nicht von den Augen, das erste Boot naht. Immer deutlicher erkenne ich meine Kameraden, da ist ja Gunnar, da Karl Andreas – wahrhaftig, da steht Duse im Vordersteven! Sie springen an Land, – ein nicht enden wollender Jubel, – Fragen und Antworten schwirren durch die Luft. Da kommt Karl Andreas und giesst mir einen Schluck zoologischen Spiritus in den Mund, Bodman kommt mit ein paar Stücken Zucker. Duse reicht mir eine kleine Tafel Schokolade und eine Zigarette! Das ist meine, erste Festmahlzeit.

Bald ist das Haus mit Proviant angefüllt, die Tür wird verrammelt, ich überschreite die Schwelle zum letztenmal.

Ein Schiff, das sich bewegt ... Ich kann es kaum fassen ... Langsam gleiten wir dahin, fort von der Insel, deren schwarze Spitze so drohend wie nur je zuvor aufragt. Aber ich kann meine Augen nicht davon abwenden. Ich kann nicht gerade trauern, dass die Gefängnistür sich aufgetan hat, und doch sehe ich die Paulet-Insel mit einem Gefühl der Wehmut hinter dem blendenden Inlandeis verschwinden, vielleicht für immer. Sie ist doch einmal meine Heimat gewesen.


 << zurück weiter >>