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XIV. Der Fimbul-Winter und der versteinerte Wald.

Das weisse Land lag jetzt verödet da. Die Pinguine waren von dannen gezogen, nur einige grosse Seetauben trippelten um die Hütte herum, und zuweilen kam eine Schar der geheimnisvollen Kinder des Schneelandes, der Eissturmvögel, in scharfem Fluge über unsere Landzunge dahingesaust. Sonst herrschten rings um uns her Eis, Kälte und Einsamkeit.

Auch sie, die Lebensspenderin, die Wärmequelle, entfernte sich mehr und mehr von uns. Immer kürzer und niedriger wurde ihre Bahn. Oft machte ein Schleier aus Schneenebel ihr Antlitz bleich und kalt. Schliesslich stieg sie um die Mittagszeit nur so eben noch über das Landeis draussen auf der nördlichen Landzunge empor. Immer tiefer versanken wir in die Verzauberung des Schneelandes.

Aber als endlich der Mittwinter überstanden war, wie freudig empfanden wir da nicht die Fortschritte, die die liebe Sonne mit jedem Tage machte, wie entzückte uns nicht das kleine Stück, das sie mit jedem Tag über dem Landeise gen Westen höher stieg!

Dann folgten die wochenlangen Schneestürme, wo wir drinnen in der russigen Hütte in Finsternis oder bei dem flammenden Schein der Tranlampe lagen und plauderten und grübelten und grübelten und träumten. »Jetzt wird die Sonne tüchtige Fortschritte gemacht haben,« war unser steter Trost in diesen dunkeln Tagen.

Als dann eines Morgens das Schneegerassel auf unserm Dach verstummte, und der Wind nicht mehr im Schornstein heulte, grub sich der für den Tag angestellte Koch durch die Schneemasse hindurch, die sich vor der Türluke aufgehäuft hatte. Mit einer Fassdaube bohrte er aufwärts ein Loch durch den Schnee, bis er einen kleinen Fleck tiefblauen Himmels und einen goldigen Glanz um die Mündung des Loches gewahrte. Er grub weiter und holte mehr und mehr von der Schneemasse auf den Vorplatz hinein, bis er sich schliesslich durch die Öffnung in das Freie zwängen konnte.

Vor der Hütte nach dem Schneesturm

Ganz geblendet stand er einen Augenblick mitten in der Schneeschanze, lichtscheu mit den Augen zwinkernd, die von all dem Weiss geblendet waren.

Ja, die Sonne hatte wirklich grosse Fortschritte gemacht in dieser langen Reihe von Sturmtagen. Sie stand jetzt schon recht hoch über dem Sund und er fühlte ihre schwache Wärme wie ein freundliches Streicheln auf dem schmierigen, russgeschwärzten Gesicht.

»Herrliches Wetter!« ruft er durch die Schneeöffnung den Kameraden in der Hütte zu, und diese kriechen aus ihren Schlafstätten heraus, ziehen ihre schmutzigen Lumpen an und gehen, nachdem der Koch den Vorplatz gesäubert hat, ins Freie hinaus, um während der Wanderung auf dem Eis der Bucht oder den schneebedeckten Hügeln, sich den leichtbeschwingten lichten Gedanken hinzugeben, die der Sonnenschein ins Leben ruft.

Ich entsinne mich eines Tages, an dem ich allein auf einem bei uns sehr beliebten Promenadenplatz, auf dem Eis des kleinen Sees umherstreifte. Die Luft war windstill aber ziemlich kalt mit leichtem Schneenebel, aus dem nur die nächsten Umgebungen mit deutlichen Umrissen aufragten. Stärker als je zuvor oder je nachher war ich während der Wanderung von einer Vorstellung befangen, die sich dadurch erklären lässt, dass die harten Erfahrungen des Herbstes und des Winterlebens sich so scharf und so tief in mein Gemüt eingeätzt hatten, dass sie alle früheren Eindrücke auslöschten.

Nur allein dies Leben schien mir Wirklichkeit zu besitzen. Frieren und schlafen, Fleisch braten und essen, umherwandern und nach Seehunden ausschauen, – das ist das Leben. Hat es einen Anfang von alledem gegeben, und wird es ein Ende haben? Die Tage verrinnen langsam, einer nach dem andern, das Leben lässt sich ertragen, das Gemüt empört sich nicht mehr mit ohnmächtiger Anstrengung gegen ein widerwärtiges Geschick, sondern nimmt die Tage hin, wie sie kommen, mit stiller, vielleicht stumpfer Resignation.

All das andere sind alte, schöne Märchen. Ein Land, das nicht öde und eisbedeckt ist. Ein Land mit Wäldern, mit dichten, hochstämmigen Fichtenwäldern, in denen man zwischen dem Heidelbeergestrüpp auf dem Rücken liegen und sehen kann, wie die Sommerwolken über die Lichtung zwischen den schwankenden Baumwipfeln dahinsegeln. Ein Land mit weiten Ackerfeldern und freundlichen roten Gehöften.

Die Erinnerungen werden blass und kühl wie die Wintersonne im Kältenebel, und die Vergangenheit schimmert in der Ferne, wie das Märchenreich der Knabenjahre, zu dem niemand den Weg finden konnte.

Ist das nicht die alte Sage von dem Fimbulwinter? Die Frostriesen haben gesiegt, das Schneefeld hat das letzte Grün erstickt, die Gletscher bedecken die ganze Erde.

Der Felsen hier über dem See, der Flora-Berg mit seinem zackigen, scharfen Kamm, ist das Grabdenkmal des versteinerten Waldes, während die Hügel des Flachlandes Spuren aus einer Zeit tragen, in der die Hoffnungsbucht voll von Gletschern war, die einen weit grösseren Umfang hatten, als die uns jetzt bekannten.

Wundersam und wechselvoll ist die Sage der südlichen Länder.

Ganz im Innern der Hoffnungsbucht mündet ein schöner Talgletscher. Er ist nur 5 km lang, nach innen zu von einer Eisrundung begrenzt, auf deren anderer Seite das Landeis nach der dem Kronprinz Gustav-Sund zunächst gelegenen Bucht abfällt. Hier ist also die Eisscheide, von der die Gletschermassen nach zwei verschiedenen Richtungen hin ausfliessen. An den Seiten, ist unser Talgletscher von hohen, steil abfallenden Felswänden umgeben, von denen Kies und Steinblöcke von Zeit zu Zeit herabstürzen und sich auf dem Eise des Berges anhäufen. Auf der Grenze zwischen den verschiedenen Eisflüssen, aus denen der Gletscher bestellt, werden diese Steinmassen wie Bänder auf seine Oberfläche abgesetzt (siehe die Abbildung S. 216 und die Karte S. 168). Nach der Bucht zu fällt der Gletscher in einer senkrechten, ungefähr 20 m hohen Abbruchstelle ab. Dieser Talgletscher ist der schönste seiner Art, den unsere Expedition auf dem eigentlichen Polargebiet entdeckt hat; seine Endmoränen sind unübertroffen, und es ist ein Anblick von seltener Schönheit, an einem hellen Sommertage, wenn die Bucht eisfrei ist, die hell grünblaue Abbruchstelle und den Bergrahmen, der sie umgibt, sich in dem stillen, dunkeln Wasser spiegeln zu sehen.

Aber dieser Gletscher ist nur ein geringer Überrest von dem, was er einstmals gewesen.

Vor der jetzigen Abbruchstelle des Gletschers ragt das südliche Ufer der Bucht steil auf, eine Reihe von abgerundeten Berghügeln bildend. Diese haben alle die weiche, abgeglättete Form, wie sie nur durch den Gletscherschliff entsteht, hier und da liegen auf ihren Spitzen und Abhängen grosse Wanderblöcke, von den Felsen herstammend, die den Gletscher einrahmen. Auch auf dem Gipfel des äusserst gelegenen, höchsten Hügels (100 m über dem Meeresspiegel) findet man schöne Gletscherschliffe, die davon zeugen, dass die frühere Eisbewegung sich in der Längsrichtung des Tales hingezogen hat.

Innerer Teil der Hoffnungsbucht. Talgletscher mit Gletscherabbruchstelle und Endmoränen, sowie links der abgerundete Berggipfel, der ehemals von dem Talgletscher überschritten wurde.

Aber auch diese Schleifstellen sind nicht die höchsten Spuren von der ehemaligen Ausdehnung des Talgletschers. Noch auf einer Höhe von 150 m am Abhang des Flora-Berges liegen Moränenwälle, die sich nur dadurch erklären lassen, dass es alte Seitenmoränen des Talgletschers sind. Selbst nach aussen hin können wir die einstmalige Ausdehnung des Gletschers bis auf die Landzunge V bei der Winterhütte erkennen. Dort trafen wir nämlich Moränenblöcke aus dem inneren Teil des Tales an. Es ist also ganz klar, dass der in jetziger Zeit ganz unbedeutende Talgletscher einstmals die ganze Hoffnungsbucht ausgefüllt, und dass er ein paar Kilometer vor der jetzigen Abbruchstelle noch eine Höhe von mindestens 150 m über dem jetzigen Meeresspiegel besessen hat.

Schon ehe wir in der Hoffnungsbucht eingeschlossen waren, fand ich während unserer glücklichen Arbeitstage im Orléans-Kanal die deutlichsten Spuren einer weit umfassenderen Vergletscherung als die jetzige.

Das Festland und die Inseln um den Orléans-Kanal sind freilich fast vollständig eisbedeckt, aber die Bewegung der Eisdecke ist ganz schwach. Unter der im allgemeinen ziemlich niedrigen Abbruchstelle ragen zur Ebbezeit fast überall dunkle Felsklippen auf, die davon zeugen, dass das Landeis keine Kraft gehabt hat, ins Meer hinaus zu drängen. Nur in den Talsenkungen treffen wir kleinere Eisströme mit grösserer Bewegungsgeschwindigkeit an, die noch eine Strecke in den Buchten und Ecken des Kanals zu spüren sind.

Eine mehr als 200 m hohe, völlig eisfreie Felseninsel an dem Kap W. Spring der belgischen Karte zeigt indessen bis an den Gipfel hinan schöne Spuren kräftiger Eisschürfung. Die Südwestseite der Insel ist abgerundet mit glatten Felswänden und Schürfungen, die nach NO. gerichtet sind, der nordöstliche Strand bildet dahingegen einen steilen Felsabhang, ohne jegliche Spur einer Abschleifung, eine typische »Leeseite«. Es ist daher anzunehmen, dass diese Insel einstmals von einer bewegungskräftigen Eismasse in der Richtung von SW. nach NO. überschritten wurde. Ein Blick auf die Karte lehrt, dass dieser Gletscher ein den ganzen Orléans-Kanal ausfüllender mächtiger Eisstrom gewesen sein muss. Eine genauere Vorstellung von seinem Umfang erhalten wir, wenn wir die Höhe der Insel, mindestens 200 m, zu der Tiefe, 620 m, hinzufügen, die wir nicht weit von der Insel im Kanal loteten. Hieraus geht hervor, dass der ehemalige Orléans-Eisstrom an gewissen Punkten einen Umfang von mehr als 800 m hatte, wahrlich eine bedeutende Ausdehnung für einen jetzt gänzlich verschwundenen Gletscher.

Vergleichende Tabelle der Temperaturen in Süd-Georgien und Snow Hill

Spuren von alter ausgedehnter Vergletscherung sind bereits von Arctowski während der Belgica-Expedition in der Fortsetzung des Orléans-Kanals nach SW. zu nachgewiesen worden, obwohl sein Beweismaterial weniger deutlich ist als das später von uns bei Kap W. Spring gefundene.

Fassen wir alle die oben aufgezählten Beobachtungen zusammen, so erhalten wir ein eigentümliches Bild von dem Südpolarlande zur Zeit der grössten Vereisung. Der Orléans-Kanal war mit einem mächtigen Eisfluss angefüllt, die Hoffnungsbucht existierte nicht zu jener Zeit, wo der Flora-Berg als Nunatak über den Talgletscher aufragte, der sich bis an die jetzigen Mündungslandzungen erstreckte. Die eisfreien Felseninseln, die Brutplätze der Pinguine und die moosbewachsenen, nach Norden abfallenden Abhänge waren damals alle von der grossen, über Täler und Höhen zusammenhängenden Eisdecke umschlossen. Es gab nur wenige oder gar keine lebende Wesen, die auf diesem ihr Leben zu fristen vermochten.

Wir haben im V. Kapitel die einstmalige Vergletscherung Süd-Georgiens kennen gelernt und gesehen, dass nur eine ganz geringe Veränderung der Durchschnittstemperatur erforderlich ist, um dieselbe ohne Bedenken zu erklären. Dies geht noch deutlicher aus nebenstehendem Diagramm hervor, das ein Bild der Temperaturverhältnisse auf der einen Seite von Süd-Georgien, auf der andern von Snow Hill gibt, in beiden Fällen durch die Verteilung der Temperaturdurchschnittszahl auf jeden Tag im Laufe eines Jahres ausgedrückt. Betrachten wir zuerst die Kurve für Südgeorgien, so finden wir z. B., dass ungefähr 14 % von den Tagen des Jahres zwischen +1 und +2° liegen, 8,5 % zwischen 0 und +1°, dass kein Tag eine niedrigere Durchschnittstemperatur hat als -10 bis -11° usw. Von der ganzen, auf diese Weise ausgedrückten Temperaturformation Süd-Georgiens fallen nicht weniger als 70 % über den Gefrierpunkt. Wird dahingegen auf unserer Tafel die Linie, die den Gefrierpunkt markiert, fünf Teilstriche höher gerückt, was gleichbedeutend mit einem Herabsetzen der Durchschnittstemperatur Süd-Georgiens um 5° ist, so fallen nur 14 % von allen Tagesmitteln über den Gefrierpunkt. Dies beweist mit überzeugender Anschaulichkeit, was ich früher auf andere Weise klar zu machen gesucht habe, nämlich, dass das jetzige Klima Süd-Georgiens derartig ist, dass ein Sinken der Temperatur um 5° sofort eine grosse Vergletscherung zur Folge haben würde.

Ganz anders ist das Verhältnis mit dem Klima des Südpolarlandes. Hier erhebt sich das Temperaturmittel von nur 5 % der Tage eines Jahres über den Gefrierpunkt, alle die übrigen liegen darunter. Die Niederschläge fallen hier deutlich so ganz überwiegend in Form von Schnee, die Tauwettertage sind so selten, das Schmelzen ist so gering, dass ein Sinken der Temperatur hier keine direkte Bedeutung für die Erzeugung einer allgemeinen Vergletscherung hat, so wie sie nach unserer Vermutung in diesen Gegenden stattgefunden hat.

Da die Temperaturverhältnisse schon in jetziger Zeit ausserordentlich günstig für eine Maximalvergletscherung sind, und da unserer Erfahrung nach die Schneemenge, die im Laufe des Jahres fällt, sehr beträchtlich ist, so müssen wir mit Staunen nach dem Faktor fragen, der im stande war, eine Vereisung zu erzeugen, die so bedeutend grösser ist, als die jetzige.

Die heftigen Stürme unserer Zeit sollten uns eine Lösung dieses Rätsels der Vergangenheit geben. Zu wiederholten Malen während unserer Überwinterung sahen wir bei Schneefall und Windstille oder schwachen Winden eine mehrere Dezimeter hohe, lose und lockere Schneedecke den Boden verhüllen. Dieser Schnee blieb aber nicht lange liegen. Bald kam der Südweststurm und fegte den meisten Schnee ins Meer hinaus, während ein Teil zu harten Schneewehen zusammengeballt wurde. Als aber der Sturm sich zum Orkan steigerte, zerteilte er die Schneewehen, die er vorher gebildet hatte, und die ganzen harten Schneeschollen wurden von dem Winde fort geführt. Als wir während der langen Sturmperiode eingeschlossen waren, tanzte ein ununterbrochener, aus dem Innern des Festlandes kommender Strom von Schneestaub und Eissplittern über unser Dach hinweg, auf dem Wege zum Meer hinaus.

Nur ein geringer Teil der jetzigen Schneeniederschläge bleibt also auf dem Lande liegen. Eine Verminderung der Intensität der Stürme würde zweifelsohne unter im übrigen unveränderten Verhältnissen eine reichlichere Schneeanhäufung, d. h. eine ausgedehntere Vergletscherung zur Folge haben.

Wir stehen folglich vor einer überraschenden Schlussfolgerung. Es erschliesst sich uns eine Ahnung der Windverhältnisse in der Vergangenheit. Wenn auch das Südpolarland während der grössten Vergletscherungsperiode noch öder war als jetzt, und wenn auch sein Klima möglicherweise kälter war, so scheint es trotzdem in einer Beziehung weniger hart gewesen zu sein, weil die heftigen Stürme von heute damals nicht geweht haben.

Arareaurites. Aus der Juraflora an der Hoffnungsbucht. Natürl. Gr.

Sphenopteris. Aus der Juraflora an der Hoffnungsbucht. Natürl. Gr.

Die Erklärung der maximalen Vereisung des Graham-Landes gestaltet sich daher anders, als die, welche wir in Bezug auf Süd-Georgien gegeben haben. Aber es ist möglich, dass sie sich beide unter denselben Gesichtspunkt bringen lassen. Der hervorragende schwedische Meteorologe, Professor H. Hildebrandsson, ist nämlich, nachdem er die hier angeführten Tatsachen ergründet hat, zu der Ansicht gelangt, dass eine Verminderung der Sturmintensität in dem Graham-Lande durch eine vollständigere Eisdecke auf den umgebenden Meeren zu erklären sei, und dass diese Eisdecke eine natürliche Folge der Temperatursenkung sein müsse, die wir für Süd-Georgien angenommen haben.

Pterophyllum. Aus der Juraflora an der Hoffnungsbucht. ? natürl. Gr.

Wir glauben aber auch die Geschichte der Antarktis lange vor der grossen Gletscherperiode zu kennen, als noch grosse Laubwälder den jetzt in Schnee gehüllten Boden bedeckten.

Die ersten Pflanzenfossilien aus dem Südpolargebiet wurden von Larsen mitgebracht, der im Jahre 1893 auf seiner Fahrt mit dem »Jason« verkieselte Baumstämme auf der Seymour-Insel gefunden hatte. Obwohl an und für sich ausserordentlich interessant, gaben diese doch keine weitere Aufklärung über die Beschaffenheit der Vegetation, von der sie stammen. Larsens merkwürdige Beobachtung weiter verfolgend, machte Nordenskjöld Anfang Dezember 1902 auf der Seymour-Insel die ausserordentlich wichtige Entdeckung von Blattabdrücken, von denen einige abgebildet und in dem ersten Teil dieser Arbeit erwähnt sind. Laut kürzlich eingegangener Nachrichten hat die englische Expedition in Viktorialand ähnliche Blattabdrücke in einer Sandsteinablagerung gefunden. Alle diese Funde gehören höchstwahrscheinlich der Tertiärformation an.

Bedeutend älter und viel reicher ist die Flora, die ich in der Hoffnungsbucht entdeckte. Ich habe in einem früheren Kapitel geschildert, wie die Sammlungen in den Wochen gemacht wurden, als wir auf die Rückkehr der »Antarctic« warteten, und wie wir den Eingang zu unserer Winterhütte aus den mit Fossilien angefüllten Kisten bauten. Es war eine angenehme Zerstreuung, sich in den langen Wintertagen das Aussehen der verschiedenen Formen dieser Pflanzensammlung ins Gedächtnis zu rufen, und oft nahmen wir einige Stücke hervor, die wir in der Hütte aufbewahrten und betrachteten sie beim schwachen Schein der Tranlampe.

Auf der Schlittenfahrt nach Snow Hill nahmen wir in einem Blechkasten eine kleine Auswahl der wichtigsten Typen mit. Durch Kapitän Irizars Entgegenkommen hatten wir später Gelegenheit, mit dem argentinischen Entsatzschiff die an der Hoffnungsbucht hinterlassenen Sammlungen abzuholen.

Diese sind zur Bearbeitung Professor Nathorst übergeben, der uns freundlichst die hier reproduzierten Zeichnungen, wie auch die folgenden Mitteilungen zur Verfügung gestellt hat.

Professor Nathorst schreibt:

»Das reiche Pflanzenleben, von dem der Fund in der Hoffnungsbucht Zeugnis ablegt, gehört einer Zeit (der Juraperiode) an, wo es noch keinen Laubbaum auf der Erde gab, und wo wahrscheinlich auch keine andern bedecktsamigen Pflanzen (Angiospermen) aufgetreten waren. Eigentliche Blumen, das was man im allgemeinen unter diesem Worte versteht, waren folglich damals ebenfalls nicht vorhanden, dafür aber nacktsamige Pflanzen (Gymnospermen) und Gefässkryptogamen in grosser Variation. Von den ersteren können wir aus den gefundenen Überresten auf das Vorkommen mehrerer Arten von Nadelbäumen schliessen, die zu jener Zeit die eigentlichen Wälder bildeten. In erster Linie ist hier die Araukaria zu nennen, die jedoch nicht denselben Typus hat, wie die jetzt in Südamerika vorkommenden Arten, sondern zu derselben Gruppe gehört, wie die auf der Norfolk-Insel östlich von Australien wachsende Araucaria excelsa, ein prachtvoller Baum, der eine Höhe von 60 Metern erreichen kann. Möglicherweise waren andere Nadelbäume buschartig, und wahrscheinlich war das auch der Fall mit den Cycadophyten, von denen die Sammlung viele Arten enthält, hauptsächlich von der Familie der Otozamites, obwohl auch andere vorkommen, darunter ein schönes Pterophyllum. Die Cycadeen, die jetzigen Cycadophyten, haben im allgemeinen einen unverzweigten, zylindrischen oder knollenförmigen Stamm, und erinnern durch ihre Blattformen nicht wenig an Palmen, weswegen sie oft Tannenzapfen-Palmen genannt werden. Die Cycadophyten, die an der Hoffnungsbucht gefunden sind, gehören dahingegen zu einer andern, jetzt ausgestorbenen Gruppe, die in Bezug auf die Blütenteile höher steht als die Cycadeen, und deren Stämme wahrscheinlich verzweigt und buschartig waren, mit relativ kleinen Blättern. Das Farnkraut ist mit einer Menge Arten und Familien vertreten, von denen hier die namentlich Vertreter der Gattungen Cladophlebis und Sphenopteris erwähnt werden müssen. Möglicherweise waren einige davon baumartig, die grosse Mehrzahl aber bestand zweifelsohne aus Kräutern.

»Die hier erwähnten Pflanzen dürften auf trockenem Boden gewachsen sein, man findet aber auch Exemplare von Sumpfgewachsen, z. B. eine Art Schachtelhalm (Equisetum), sowie das zu den Wasserfarnen gehörende Sagenopteris, dessen Blätter vierfingerig sind, wie ein vierblättriges Kleeblatt, und das wahrscheinlich in dem Süssgewässer selbst gelebt hat, in dem die Ablagerung vor sich gegangen ist.

Arauearia excelsa. Norfolk-Insel. Östlich von Australien

Obwohl ich noch keine Gelegenheit gehabt habe, die interessante Flora aus der Hoffnungsbucht zu untersuchen, kann ich doch sagen, dass sie in Bezug auf Reichtum an Arten alle bisher beschriebenen Jurafloren aus Südamerika übertrifft, wie auch, dass sie sich teils der Juraflora Europas, teils auch der übrigen Juraflora in Indien anschliesst. Sie deutet in keiner Beziehung auf ungünstigere klimatologische Verhältnisse hin, als wie sie in den genannten Ländern um dieselbe Zeit herrschten, so dass man auch hierdurch eine weitere Bestätigung für die Gleichförmigkeit des Klimas über der ganzen Erde während der genannten Zeit erhält. Dass die Pflanzen in der Nähe der Stelle gewachsen sind, wo sie gefunden wurden, und nicht aus entfernten Gegenden dahin geschwemmt wurden, ist aus verschiedenen Umständen ersichtlich, und hieraus ergibt sich, dass sich zu der in Frage, kommenden Zeit an dieser Stelle Land befunden hat.«


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