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Pfeilerförmige Klippen bei der Pendleton-Insel

IX. Der Weg versperrt.

Gegen 3 Uhr am Nachmittag des 5. Dezembers war die Kartierung des Orléans-Kanals beendet. Duse, der mit dem Kapitän auf der Kommandobrücke gestanden und Arbeiten mit den Azimutkompassen unternommen hatte, machte seine Skizzenbücher zu und packte seine Instrumente ein.

»Die Sache ist klar!« sagte er ganz einfach.

Der erste Heizer stand unten auf Deck und schwatzte mit Karl Andreas Andersson, der über Schlammsiebe und Behälter gebeugt stand.

»Karlsen!« rief der Kapitän ihm von der Brücke zu, »jetzt gehen wir nach der Winterstation.«

Der Angerufene sah auf, nickte und lachte zufrieden.

Diese kleine Episode steht mir noch deutlich in der Erinnerung, verbunden mit dem Eindruck eines schönen, antarktischen Sommertages.

Das Meer lag spiegelglatt da. Fern im Norden, jenseits des breiten Sundes, tauchte, wahrscheinlich infolge einer Luftspiegelung, die schneebedeckte Alpenlandschaft der Livingstone-Insel auf. Nach dem Louis-Philippe-Lande zu lag dichter Nebel, aber durch einen schmalen Streif hoch oben in der Nebelwand schimmerte ein sonnenbeschienener Felsabhang.

Die letzten Tage waren eine köstliche Arbeitszeit gewesen mit herrlichem Wetter und reichlicher Beschäftigung nach verschiedenen Richtungen hin. Schöne Schleppzüge, reiche botanische Ausbeute, wichtige geologische Funde und eine vollständige Kartenaufnahme des kritischen Gebiets hatten sie uns beschert. Das geographische Problem, wie sich der Orléans-Kanal zu dem Belgica-Kanal verhält, hatte unser Interesse derartig in Anspruch genommen, dass wir erst jetzt, nachdem das Rätsel gelöst und die Spannung überstanden war, eine lebhafte Vorstellung davon erhielten, dass die Wiedervereinigung mit den Kameraden auf Snow Hill nahe bevorstehend war.

Wir würden zu ihnen kommen als ersehnte Überbringer der Post aus der Heimat, wie allerlei Neuigkeiten aus der Aussenwelt. Wir würden ihnen auch Bericht erstatten über unsere Winterfahrten mit der »Antarctic«, die auf das angenehmste verlaufen waren und ein reiches Resultat ergeben hatten. Mit Spannung würden wir ihrer Schilderung von dem einsamen Leben während der Überwinterung, von den Schlittenfahrten und den Observationsarbeiten lauschen. Wir hofften, dass alle Besorgnisse um ihr Wohlbefinden sich unbegründet erweisen und dass es ein nach jeder Richtung hin schönes Wiedersehen werden würde.

Wir waren auch bereit, sie an Bord mit offenen Armen zu empfangen. Am Vordertopp der »Antarctic« hingen frische Schafkeulen und wilde Gänse vom Feuerland, Leckerbissen, mit denen wir sie bei, der ersten gemeinsamen Mahlzeit bewirten wollten. Mit grünen Zweigen von der ewig grünen feuerländischen Buche sollte Nordenskjölds Kajüte geschmückt werden, als Gruss aus dem Lande, nach dem er seine erste Forschungsreise gerichtet hatte.

In zwei bis drei Tagen hofften wir dort unten zu sein.

Nachdem wir einen südlichen Sturm im Schutz des Louis-Philippe-Landes abgewartet hatten, näherten wir uns am Vormittag des 7. der nördlichen Mündung des Sunds zwischen der Joinville-Insel und dem Festlande, der jetzt der Antarctic-Sund heisst. An der Backbordseite in der Bransfield-Strasse sahen wir grosse Felder von Packeis; die offene Küstenrinne, in der wir entlang dampften, wurde enger und enger, bis der Eisrand vor Mount Bransfield hart an das Land herantrat. Der Weg in den Sund hinein schien hier völlig verrammelt, wohin das Auge fiel, überall dichtes Eis, nur hinter uns ein schmaler Rückzugsweg, der sich freilich jeden Augenblick an der Stelle zu schliessen drohte, wo sich eine Eiszunge fast bis an das Ufer heranschob. Es schien, als bliebe uns nichts anderes übrig, als umzukehren und uns um die Aussenseite der Joinville-Insel herum einen Weg zu suchen.

Vorher wollten wir uns aber gern durch eine Rekognoszierung an Land eine bessere Übersicht über die Eisverhältnisse im Antarctic-Sunde verschaffen. Wir setzten deswegen das Boot aus, und Karl Andreas, Skottsberg und ich ruderten mit zwei Mann unterhalb Mount Bransfield an Land. Nachdem wir an einem ziemlich hohen Eissockel hinaufgeklettert waren, gingen wir quer über einige mit grossen Steinblöcken überstreute Kieshöhen (Moränenwälle), die von dem Gletschereis zusammengeschoben waren und deren Material wahrscheinlich den aus dem Landeise aufragenden Berggipfeln (Nunataks) entstammt, die den Namen Mount Bransfield tragen. Skottsberg blieb hier, um Moose und Flechten zu sammeln, während Karl Andreas und ich weiter über das Inlandeis, sundeinwärts wanderten.

Nordküste des Louis Philippe-Landes

Die Schneeschmelze, die nach älteren Schilderungen in den Südpolargegenden unbedeutend ist, konnte man hier überall beobachten. Die harte Schneefläche des Inlandeises war an vielen Stellen mit neu gefrorenem Eis bedeckt, und an den Moränenwällen entlang sprudelten Schmelzbäche durch die Schneeschanzen hindurch.

Das Inlandeis war mit zahlreichen, lotrechten Spalten durchsetzt, die hier nur ausnahmsweise mehr als einen Meter breit waren. Die Vorsicht gebot uns jedoch, sehr behutsam vorzugehen, da die Spalten sich in der Regel unter verräterischen Schneebrücken versteckten. Wir untersuchten das Terrain mit den Holzstäben, und wenn diese durch die Schneebrücken hindurchstiessen, stürzten grosse Schollen der hartgefrorenen Schneekruste mit einem dumpfen Gerassel in den Abgrund. Beugte man sich nun über die Kluft, so konnte man dort unten unter dem Schneegewölbe die schönsten tiefblauen Eiswände erkennen, die sich in einem konturenlosen Dunkel in der Tiefe verloren.

Nachdem wir ein paar Undulationen der wellenförmigen Eisoberfläche passiert hatten, gewannen wir von einem dritten Höhenrücken herab freie Aussicht über den Sund. Hier ward mir nun zum ersten Male der Anblick zu teil, der später während der einsamen Tage unserer unfreiwilligen Überwinterung von einem etwas südlicher gelegenen Punkte aus noch viele, viele Male meinen Blicken begegnen sollte.

Das Landschaftsbild wurde im Norden, nach der Bransfield-Strasse zu, von der flachen, ebenen Schneekuppel der d'Urville-Insel abgeschlossen. Von dem Punkte aus, wo wir jetzt standen, erschien dieser niedrige Eishügel uns wie eine vorspringende Landzunge der Joinville-Insel; aber auf unsern Ausflügen während der nächsten Wochen an die Nordküste der letztgenannten Insel konnten wir feststellen, dass dieser Hügel eine kleine, selbstständige, mit einer ganz ebenen, nach dem Meere zu abfallenden Eisdecke überzogene Insel ist, die von uns nach dem französischen Entdeckungsreisenden benannt wurde, der die erste Karte von dieser Küste gezeichnet hat.

Die Begrenzung des Antarctic-Sundes nach Osten zu wird von der Joinville-Insel und den flachen Schneekuppen der Dundec-Insel gebildet, deren weiche Rundungen von aufragenden Felsspitzen unterbrochen werden, die jedoch ebenfalls alle mit Schnee bedeckt sind.

In dem südlichen Teil des Sundes liegen drei Inseln so verteilt, dass sie diese südliche Mündung in drei Einlaufe nach der Erebus- und der Terrorbucht zu zerteilen. Zwei von den Inseln, die dicht neben einander liegen und von dem Festlande durch einen ganz schmalen Sund getrennt werden, tauften wir die Argentina-Inseln (die Uruguay-Insel und die Irizar-Insel), nach dem Lande, das unserer Expedition eine so kräftig helfende Hand reichte.

Die dritte Insel nimmt die Mitte des Sundes zwischen den Weihnachtsinseln und der Dundec-Insel ein. Ihre Form ist sehr charakteristisch mit hohen, senkrecht abfallenden Ufern und einem niedrigen, konischen Gipfel. Es gibt mehrere Inseln von gleichem Aussehen in diesen Gegenden, z. B. die Bridgeman-Insel in dem nordöstlichen Teil des Bransfield-Bassins, die Paulet-Insel und mehrere kleinere in dem nördlichsten Teil des Kronprinz Gustav-Sundes nördlich von der Vega-Insel. Alle bestehen sie, was in einigen Fällen durch eine direkte Untersuchung, in andern nur von weitem mit dem Fernrohr festgestellt wurde, aus vulkanischem Material, Basalt und Tuff. Bringt man diese Erfahrung in Zusammenhang mit ihrer Form, die immer mehr oder weniger an einen Vulkankegel erinnert, so könnte man sich versucht fühlen, in diesen Bergen wohlerhaltene Vulkane zu sehen. Eine umfassendere geologische Untersuchung ergibt jedoch, dass diese kleinen Inseln (vielleicht mit Ausnahme der isoliert gelegenen, von einer grossen Meerestiefe umgebenen Bridgeman-Island) nur Überreste einer jetzt zerstückelten, ehemals wahrscheinlich aber zusammenhängenden, grossen vulkanischen Formation sind, die auch das Gestein auf den Argentina-Inseln und dem zunächst liegenden Teil des Festlandes bildet, und aus der auch die grossen Vega- und Ross-Inseln aufgebaut sind. Möglich, wenn auch nicht ganz sicher, ist es auf der andern Seite, dass diese kleinen charakteristischen Inseln die Eruptionsstellen vulkanischer Produkte, Krater, sind, um die sich die Basaltmassen des Meeres angesammelt haben, die infolge ihrer grösseren Widerstandskraft der Zerstörung besser zu trotzen vermögen. An diese Gruppe kleiner, aufragender Vulkaninseln mit steil abfallenden Ufern schliesst sich in Bezug auf die Form auch die Cockburn-Insel an, wenn diese auch zum grösseren Teil aus losen Sandsteinschichten besteht, auf denen ein Kegel aus Basalt und Tuff ruht.

Die kleine Insel in der südlichen Mündung des Antarctic-Sundes, die den Anstoss zu den obigen geologischen Betrachtungen gegeben hat, liegt ganz frei und kann infolge ihrer hohen, leicht erkennbaren Form auch aus bedeutender Entfernung erkannt werden. Es muss daher diese Insel gewesen sein, die Dumont d'Urville gesehen und unter der Bezeichnung Rosamel-Insel auf seiner Karte in den Sund zwischen der Joinville-Insel und dem Louis-Philippe-Lande vermerkt hat. »L'île haute, qui semblait occuper la moitié du canal laissé entre les deux grandes terres, reçut le nom d'île Rosamel.« Dumont d'Urville, Voyage au Pôle Sud; Tome II, p. 148.

Vorüber an den Argentinischen Inseln und der Rosamel-Insel hatten wir eine freie Aussicht in die Erebus- und Terrorbucht hinein, die als blendend weisse Eisfläche dalag, ohne einen einzigen erkennbaren Streifen offenen Wassers. Auch der Antarctic-Sund war nördlich von den kleinen Inseln zum grössten Teil mit grobem Packeis angefüllt, aber unterhalb der Joinville-Insel lagen einige grosse offene Stellen, von denen sich schmale Arme durch das Packeis bis nach Mount Bransfield hinauf streckten, wo die »Antarctic« jetzt lag. Man musste daher annehmen, dass, wenn man sich, auch den Weg in den Sund hinein bis an die Rosamel-Insel erzwingen konnte, das Eis von dort an, golfeinwärts, unbewegbar dicht lag.

Als wir am Nachmittag gegen 4 Uhr wieder an Bord gekommen waren und dem Kapitän das Ergebnis unserer Rekognoszierung mitgeteilt hatten, beschloss er, sich den Weg in den Sund hinein zu erzwingen.

Sobald es sich um einen wirklich ernsten Kampf mit dem Eise handelte, stieg Larsen immer selbst in die Aussichtstonne hinauf und übernahm persönlich das Kommando. Es herrschte unter den Steuerleuten und Matrosen die ungeteilte Meinung, dass er in ganz überlegener Weise mit den Eisschollen Billard spiele. Nie war er so in seinem Element, wie da oben in der Tonne. Einen langen, braunen Shawl um den Hals geschlungen, die Pelzmütze über die Ohren gezogen, kühn und wettergebräunt, guckte er über den Rand der Tonne hinaus. Er ist in beständiger Bewegung. Bald muss er mit dem Fernrohr einen Weg zu einer weit entfernt gelegenen Wake erspähen, bald berechnet er die nächsten Stösse gegen die Eisschollen, die sich an dem Bug auftürmen, bald hängt er über dem Rand der Tonne, sein ganzes Interesse auf einen verräterischen Eissockel gerichtet, der unter dem Hinterteil des Schiffes zum Vorschein kommt und den Propeller bedroht. Er schlägt auf die Glocke, die in den Maschinenraum führt, und der zweiflügelige Propeller steht augenblicklich. Das Schiff ist an dem Eissockel vorübergeglitten, die Gefahr ist überstanden. Zwei Glockenschläge, und der Propeller setzt sich wieder in Bewegung. Die Kommandorufe für den Steuermann folgen schnell aufeinander und das Rad dreht sich fast ununterbrochen. »Hart Steuerbord!« – »Leicht Steuerbord!« Jetzt ertönt ein Glockenschlag, die Maschine steht, und lautlos gleitet das Schiff durch die kleine, offene Fläche gegen die sperrende Eisscholle. Es dreht und bohrt mit Krachen und Getöse den Bug einige Dezimeter in den Rand der Eisscholle hinein. Der Stoss läuft wie ein Zittern durch den ganzen schweren Rumpf und pflanzt sich bis in den Grossmast fort, wo sich die Tonne in schwankende Bewegung setzt.

Die Rosamel-Insel

Aber die Eisscholle liegt noch immer da. Das Schiff bockt und nimmt einen neuen Anlauf. Jetzt dreht sich die Scholle und wird ein wenig bei Seite gedrängt. Die kleineren Eisstücke rings umher tanzen lustig herum, das Wasser um sie her siedet und sprudelt. Der dritte Anlauf gelingt vollständig, die Eisschollen krachen und fliegen zu beiden Seiten des Schiffes, das sich durch das Eis hindurcharbeitet.

Allmählich kommen wir in weniger fest gepacktes Eis hinein und erreichen schliesslich die grossen offenen Wasserflächen unterhalb der Joinville-Insel. Gegen 9 Uhr abends langten wir unten an den kleinen Inseln an, wo jedoch unser Weg völlig versperrt wurde durch dichte Packeismassen, die den Golf anfüllten, soweit man von der Tonne aus einen Überblick hatte. Dahingegen lag der östliche Teil der grösseren, südlichen Argentina-Insel frei, und hier landete ich spät am Abend, um einige geologische Beobachtungen zu machen. Die Insel erhebt sich ganz senkrecht aus dem Meere mit einem hohen Felsabhang, dessen wüste Unzugänglichkeit wohl mit seinem chaotischen und düsteren Aussehen in Einklang steht: eine aus unregelmässig aufgetürmten Basaltblöcken zusammengesetzte dunkelfarbige vulkanische Tuffmasse, hier und da mit helleren, ziegel- oder schokoladenfarbenen Schichten durchsetzt.

Ganz oben an dem oberen Rand des Abhanges umkreisten zahlreiche Vögel einen Felsvorsprung. Die Entfernung war so gross, dass sie aussahen wie kleine, helle Fliegen, aber an ihrer völlig weissen Farbe und ihrem scharfen, eleganten Flug erkannten wir sie sogleich. Es war ein Schwarm Eiszugvögel (Pagodroma nivea), die offenbar da oben nisteten.

Ein fester Schneesockel am Fusse des Felsabhanges ermöglichte es uns, hier an Land zu steigen. Die Schneeoberfläche war von heruntergerolltem verwitterten Gestein beschmutzt, und ein paar grosse Felsblöcke in der Mitte des Schneeabhanges liessen erkennen, dass der Platz unsicher war. Bei dem jetzt herrschenden ruhigen Wetter plätscherten und rasselten Wassertropfen, Kies und kleine Steine unaufhörlich von dem Felsvorsprung herab. Ich beeilte mich daher, meinen Besuch an diesem ungastlichen Ort schleunigst zum Abschluss zu bringen. Kapitän Larsen war auch besorgt, uns so bald wie möglich wieder an Bord zu nehmen, denn das Treibeis befand sich infolge der Flut in unberechenbar wechselnder Bewegung, die in unruhigen schnellen Wirbeln die Insel umkreiste.

Da wir keine Möglichkeit sahen, in der nächsten Zeit tiefer in den Golf einzudringen, begann Larsen in der Frühe des nächsten Morgens (8. Dezember), sich wieder aus dem Sund herauszuarbeiten, um einen Weg an der Aussenseite der Joinville-Insel entlang zu suchen. Die groben Schraubeismassen lagen jetzt dichter als am vorhergehenden Tage, deswegen mussten wir schwer arbeiten, um die nördliche Mündung des Sundes zu erreichen. Zuweilen ging es nur Zoll für Zoll vorwärts, schliesslich aber pressten wir uns doch hindurch und fuhren dann im Nebel und Schneegestöber um die d'Urville-Insel und eine Strecke an der Nordküste der Joinville-Insel entlang. In der Nähe von Français Point trafen wir aber wieder auf das dichte Packeis. So war denn auch hier der Weg versperrt. Das einzige, was uns jetzt übrig blieb, war, dem Eisrande zu folgen, der sich hier von der Joinville-Insel nördlich durch den Bransfield-Sund erstreckte, um zu sehen, ob wir nicht irgendwo nach Osten zu eine Öffnung finden und so schliesslich in kreisender Bewegung eine Durchfahrt in südlicher Richtung gewinnen konnten.

In mein Tagebuch habe ich an diesem Tage (9. Dezember) geschrieben:

Die Aussichten, die Winterstation auf östlichem Wege zu erreichen, sind nicht gerade sehr licht. Man sollte in Erwägung ziehen, ob es nicht möglich ist, über Land nach Snow Hill zu gehen, von dem Sund unterhalb der Joinville-Insel oder von Kap Roquemaurel aus.

10. Dezember. Wir konnten am Vormittag einen ostsüdöstlichen Kurs nehmen, fanden aber bald, dass wir nun in eine von dem dichten Packeis gebildete Bucht gelaufen waren. Mussten deshalb nach N W.-N. umkehren. Sehr grobes Schraubeis.

Der Plan, einen Versuch über Land zu wagen, am liebsten von Kap Roquemaurel aus, ist jetzt ernstlich in Erwägung gezogen. Duse wünscht mitzugehen.

Die Elefanteninsel, kam am Vormittag deutlich in Sicht.

Gegen 5 Uhr nachmittags legten wir an einer grossen Schraubeisscholle an, um Wasser zur Füllung der Wassertanks einzunehmen. Nach dem Abendbrot unternahm ich eine einsame Wanderung auf dieser sehr unebenen und zusammengeschobenen Eisscholle. Erhielt hier einen starken Eindruck von der öden Stimmung der Eiswelt. Sah eine Schar Pinguine auf einer kleinen Eisscholle. Einige Kaptauben und ein paar Eissturmvögel (Oceanides) umflatterten den Rand der grossen Eisscholle, und eine Pagodroma kreiste lautlos über dem Eise.

Es liegt eine gedrückte Stimmung über uns allen: wann und wie werden wir unsere Kameraden auf Snow Hill finden?

Während der nun folgenden Tage (11. bis 16. Dezember) lagen wir fest im Packeis, willenlos von diesem getrieben. Ein paarmal löste sich das Eis ein wenig, so dass sich das Schiff einige Stunden lang leise fortbewegen konnte, doch schloss es sich bald wieder, und oft war die Umarmung so kräftig, dass wir unten in den Kajüten hörten, wie der Rumpf ächzte und stöhnte. Das treibende Eis führte uns langsam in nordöstlicher Richtung mit fort, entfernte uns also mit jedem Tage unserm Ziel mehr und mehr.

Es war nichts dabei zu machen, als sich ruhig in das Schicksal zu finden und diese Tage der Gefangenschaft aufs beste anzuwenden. Unsere Lotungsapparate wurden nun fleissig benutzt, und oft gingen die Drähte mit Kippthermometer und Schöpfgefässen beinahe den lieben langen Tag hindurch auf und nieder in den kleinen Öffnungen an den Seiten des Schiffes. Diese Lotungen bildeten eine wertvolle und belehrende Fortsetzung zu unsern früheren Untersuchungen der eigentümlichen Hydrographie des Bransfield-Bassins.

Am 10. hatten wir 1187 m Tiefe gelotet, und die niedrige Grundtemperatur bewies, dass wir uns noch immer in dem genannten Bassin befanden. Zwei Tage später loteten wir um 7½ Uhr des Morgens 1055 m, einige Stunden später erreichten wir bei einem Planktonzug mit dem Vertikalschöpfnetz den Boden schon in einer Tiefe von 873 m. Um 2½ Uhr nachmittags betrug die Tiefe 638 m, und am Nachmittag des folgenden Tages 625 m. Es war ganz klar, dass wir über die unterseeische Schwelle trieben, die das kalte Bassin von dem offenen antarktischen Meere absperrt. Eine besonders angenehme Bestätigung dieser Annahme ward uns zwei Tage später (am 15.), als wir auf dem 61° 35' s. Br. und dem 53° w. L. auf eine Tiefe von 1631 m mit 0,4° Bodentemperatur stiessen. Wir hatten nun die Schwelle des Bransfield-Bassins passiert und befanden uns auf dem Abhang zu dem antarktischen Tiefwasser, dessen niedrigste Grundtemperatur -0,4° beträgt.

Während dieser Gefangenschaft im Packeise beschäftigten wir uns auch mit den Vorbereitungen zu der Schlittenfahrt nach Snow Hill. Alle waren bereit, nach besten Kräften zu helfen, um uns, die wir das Schiff verlassen wollten, so gut wie möglich auszurüsten. Der dritte Steuermann besserte unsere Schuhe aus, der Schmied versah den Schneeschuhschlitten mit frischem Beschlag, der Segelmacher nähte Brotsäcke, der Steward schaffte Proviant herbei usw.

Jetzt waren wir uns auch ganz im Klaren in Bezug auf den Plan zu unserer Reise. Sobald wir aus dem Eise herauskamen, wollten wir auf dem Louis-Philippe-Land einen passenden Ausreisepunkt suchen. Hier sollte die Schlittenpartie, die aus mir, Duse und dem sich freiwillig stellenden Matrosen Grunden bestand, mit der nötigen Ausrüstung an Land gesetzt werden. Wir sollten versuchen, über Land eine Verbindung mit Snow Hill herzustellen und in dem Falle, dass es der »Antarctic« bis zu einem verabredeten Tage nicht gelingen sollte, bis an die Winterstation vorzudringen, Nordenskjöld und seine Kameraden an unsere Ausreisestelle führen, wohin die »Antarctic« gegen Ende des Sommers zurückkehren würde, um uns abzuholen.

Nur in Bezug auf den Ausgangspunkt für unsere Schlittenfahrt waren wir uns noch unschlüssig. In der Gegend von Mount-Bransfield hatten wir Aussicht, einen guten Landungsplatz zu finden und das Inlandeis bildete hier an dem Antarctic-Sund ebene, flache Rundungen, die förmlich zu Schlittenfahrten einluden.

Aber noch ein anderer Punkt, von dem aus die Entfernung bis Snow Hill bedeutend kürzer ist, lockte uns, nämlich eine Bucht an der Mündung des Orléans-Kanals, südlich von Kap Roquemaurel. Während der Kartierungsarbeiten hatten wir beobachtet, dass das Inlandeis im Gegensatz zu dem sonst bergigen und stark zerklüfteten Terrain von dem inneren Teil der genannten Bucht leise und gleichmässig zu einer ebenen Passlinie anschwillt. Dies alles schien uns anzudeuten, dass das Land hier sehr schmal und ziemlich niedrig ist, wie auch, dass das Landeis sich in ebener Wölbung von einem Ufer zum andern erstreckt. In Anbetracht dieser Verhältnisse waren wir sehr geneigt, einen Start von der Bucht südlich von Kap Roquemaurel aus zu unternehmen.

In der Nacht zum 17. wurde das Eis so dünn, dass wir schon am Morgen anfangen konnten, uns nach dem offenen Wasser im Westen hindurchzuarbeiten. Um die Mittagszeit stiessen wir auf eine Tiefe von 424 m, ein Beweis, dass wir wieder die Unterseeschwelle passierten, diesmal bei der Einfahrt in das Bransfield-Bassin, und am folgenden Tage loteten wir in einer Entfernung von zehn Seemeilen, östlich von der kleinen, steil abfallenden Bridgeman-Insel die grösste von uns festgestellte Tiefe, 1511 m.

Am Abend des 19. waren wir wieder unten an der Nordküste der Joinville-Insel. Der Eisrand lag hier jetzt ebenso undurchdringlich wie bei unserm ersten Besuch elf Tage früher, er hatte sich sogar ein wenig weiter nach Westen zu verschoben. Dieselbe beunruhigende Erfahrung machten wir bei einer erneuten Rekognoszierung der Eisverhältnisse im Antarctic-Sunde. Schon ein gutes Stück nördlich von dem Punkt, wohin wir am 7. gelangten, ward jetzt unser Weg durch unpassierbares Eis versperrt. Hatten bisher noch Zweifel in Bezug auf die Notwendigkeit eines Versuches, über Land zu gehen, geherrscht, so schwanden diese jetzt vollständig bei dem Anblick der undurchdringlichen Packeisdecke, die über der Erebus- und Terrorbucht lag.

Wir blieben während des ganzen Weihnachtsfestes hier ruhig im Eise liegen; es waren Weihnachtstage unter blendender Mittsommersonne, aber in düsterer Verstimmung. Tag für Tag hatten wir dasselbe wolkenlose, windstille Sommerwetter mit ausserordentlich klarer Aussicht über das lichtgesättigte Packeisfeld und die Eisabhänge am Ufer. Von der Aussichtstonne aus konnten wir ganz unten am südlichen Horizont die Cockburn-Insel sehen. Die Entfernung war so gross, dass die schroff abfallende Küste nicht sichtbar war, dahingegen waren das Plateau und der konische Berggipfel deutlich zu erkennen. Die Cockburn-Insel, das war ja fast dasselbe wie Snow Hill, nur zwei Meilen von der Winterstation entfernt. Jedesmal, wenn unsere Kameraden dort unten in ihrem Wohnhause zum Fenster hinaussahen oder aus dem Stationshause traten, mussten sie diesen gewaltigen Bergkegel an der Mündung des Admiralitäts-Sundes erblicken. Als wir nun hier oben in der Tonne standen und den kleinen dunkeln Fleck anstarrten, der dort unten in weiter Ferne aus dem endlosen Weiss aufragte, empfanden wir noch tiefer die Bitterkeit unserer Ohnmacht. Beständig hatten wir, seit dieser Kampf mit dem Eise begann, auf eine Veränderung gehofft, auf eine Öffnung im Eise, einen Weg nach Süden, so dass wir wenigstens alle mit einander Weihnachten feiern konnten. Jetzt aber hielt uns hier wieder die Macht des Feindes gefangen, unser Ziel lag fast innerhalb unseres Gesichtskreises, wir waren zu tatenlosem Stillliegen verdammt, die Tage schwanden dahin, und die Sonne, deren Nachtbahn jetzt verschwindend kurz war, überschritt bereits ihren Kulminationspunkt.

Aus den frischgrünen Buchenzweigen, die wir aus dem Feuerlande mitgenommen hatten, um Nordenskjölds Kajüte zu schmücken, wand Skottsberg jetzt Guirlanden, die er in Erinnerung an unsere grünen Weihnachtsbäume um die Lampen in der Offiziersmesse hängte. Hier versammelte sich am heiligen Abend die ganze Schiffsbesatzung. Larsen brachte in ein paar warmherzigen Worten das Wohl der Kameraden auf Snow Hill aus, und wir sassen noch lange bei Gesang und fröhlichem Geplauder zusammen. Aber im Grunde war es ein trauriges Weihnachtsfest, darüber konnten wir uns nicht hinwegtäuschen.

Der Gedanke an die bevorstehende Schlittenfahrt war der einzige Lichtblick in diesen Tagen. Die Ausrüstungsarbeiten näherten sich ihrem Ende, und am zweiten Weihnachtstag kämpften wir uns wieder in nördlicher Richtung aus dem Eise heraus, um an der Mündung des Orléanskanals einen Platz zur Ausreise zu wählen.

In der Nähe gesehen, stellte es sich indes heraus, dass das Inlandeis an der genannten Küste südlich von Kap Roquemaurel besonders schwer zugänglich war, und als wir nach eingehender Rekognoszierung keinen geeigneten und sicheren Platz für die Errichtung eines Proviantdepots finden konnten, mussten wir den Gedanken fallen lassen, unsere Fahrt von hier aus anzutreten, und wieder in den Antarctic-Sund zurückkehren. Auf der Fahrt dorthin legte ich am 28. Dezember in der verabredeten Poststation auf der Astrolabe-Insel ein neues Schreiben mit einem Bericht über die Ereignisse der letzten Wochen nieder. Die Signalstange wurde jetzt rot angestrichen, damit sie sich von dem weissen Schnee wie von dem schwarzen Felsen abheben sollte, und an die senkrechte Bergwand auf dem Vorgebirge, auf dem die Stange steht, malte ich mit derselben roten Farbe einen grossen runden Klecks.

Am nächsten Vormittag (den 29. Dezember) rekognoszierten wir die Küste nördlich von Mount Bransfield, fanden aber auch hier keinen guten Landungsplatz. Wir fuhren deshalb an Mount Bransfield vorüber in den Sund hinein, um die Verhältnisse an der Bucht zu untersuchen, die Kapitän Larsen während der ganzen Zeit befürwortet hatte.

Vom Landeise her kamen jetzt jedoch schwere Böen auf uns herabgestürmt, verhinderten die geplante Landung und zwangen uns, das Schiff in langsamer Fahrt im Schutze des Ufers entlanglaufen zu lassen. Um 6 Uhr nachmittags flaute indes der Wind ab, so dass wir ein Boot herablassen konnten. Mit dem grössten Teil der Schlittenausrüstung und allerlei Depotproviant begab ich mich jetzt an Land. Das Boot sollte dann zurückkehren, um Duse und Grunden sowie den Rest der Bagage abzuholen.

Während wir quer über die Bucht ruderten, hatte ich Gelegenheit, mich ein wenig genauer umzusehen.

Im Grunde der Bucht, die sich einige Kilometer südwestlich in das Land hineinschiebt, mündet ein schöner Talgletscher, zu beiden Seiten von steilen, scharfzackigen Felsen eingerahmt. An der nordwestlichen Seite der Bucht wird die Küste von dem Ausläufer des Inlandeises, einer steilen, mit Rissen und Klüften durchsetzten Eiswand, gebildet, aus der nur in ganz vereinzelten Punkten Felspartien aufragen. Das gegenüberliegende Ufer der Bucht zeugt von einer ganz andern Natur. Das Landeis senkt sich hier mit ganz sanftem Abfall auf ein schneefreies hügeliges Vorland herab.

Auf diesem schneefreien Tieflande wollten wir unser Proviantdepot errichten und dann die Schlittenfahrt über das Landeis antreten.

Als wir näher kamen, sahen wir, dass alle Hügel mit Vogelscharen bedeckt waren, und bald führte uns der Landwind nicht nur das Getöse von Tausenden von krächzenden und schreienden Pinguinen zu, sondern auch die verpestete Luft, die solchen grossen Kolonien eigen ist.

Auf dem nach dem Sunde zu gelegenen Ufer des Flachlandes entdeckten wir eine kleine Bucht, wo wir an dem Strandeis anlegen und unsere Sachen mit Leichtigkeit an Land schaffen konnten. Das Boot kehrte sofort wieder um, und einsam am Strande zurückbleibend, machte ich in Erwartung der nächsten Ladung eine Wanderung ins Inlandeis hinauf.

Zweifelsohne war ich der erste menschliche Friedenstörer in dieser zahlreichen Vogelgesellschaft.

Dem Strande zunächst nisteten in zerstreuten Gruppen phlegmatische, gutmütige Papua-Pinguine, die mit ängstlichem Zischen gutwillig auswichen, als ich ganz in die Nähe ihrer Nester kam. Ihre Jungen, die schon recht ausgewachsen waren, sahen sehr zierlich aus in ihrem feinen, schwarzweissen Daunenkleide, das in Bezug auf die Verteilung der Farben ganz mit dem Federgewand der Alten übereinstimmte.

Oben auf den mit grossen Steinblöcken bestreuten Hügeln weiter landeinwärts, herrschte dahingegen ein kampflustiges, cholerisches Geschlecht. Es waren Tausende und aber Tausende von Adeliae-Pinguinen, die in mächtigen, dichten Haufen brüteten. Ihre Jungen waren noch ganz klein, jämmerlich hässliche, graubraune Tierchen. Als ich in einen Heckplatz hineingeriet, stürzten sofort die alten Pinguine auf mich los mit eifrigem heiseren Geschnatter, die aufgeregtesten hackten mir mit ihren Schnäbeln in die Beine und brachten meinen hohen Schnürstiefeln tiefe Schrammen bei.

Bald war ich auf den Rand des Landeises gelangt. Kleine Schmelzgerinsel sickerten den Schneeabhang hinab. Wo die Oberfläche des Eises entblösst dalag, machte es oft einen porösen Eindruck, eine Folge der dicht nebeneinander liegenden vertikalen Schmelzlöcher, die einen Durchschnitt von einigen Zentimetern hatten und verhältnismässig tief waren. Sie waren zum Teil mit Wasser angefüllt, und auf ihrem Boden lag eine kleine Menge dunkel gefärbten Stoffes. Offenbar sind diese Schmelzlöcher identisch mit den »Kryokonitlöchern«, die A. E. Nordenskjöld in dem grönländischen Inlandeis beobachtet hat.

Sowohl an den Rändern der Schmelzgerinsel wie in der Umgebung der erwähnten kleinen Löcher hatten die Schnee- und Eismassen eine mehr oder weniger kräftige rosenrote Färbung, die offenbar durch mikroskopische Schneealgen Nach Professor G. Lagerheims Bestimmung die gewöhnliche Schneealge Sphaerella nivalis. erzeugt wird. Es war dies das erste und einzige Mal während unserer Expedition, dass wir auf dem antarktischen Landeise »roten Schnee« beobachteten.

Als ich über den steilsten Teil des Abhanges zu einem kleinen, aus dem Eise aufragenden Moränenrücken hinaufgelangt war, konnte ich sehen, dass das Landeis sich ziemlich gleichmässig mit kleinen Wellenlinien in südwestlicher Richtung an einem hohen, pyramidenförmigen Nunatak hinzog. Dies erschien mir als gutes Omen für den Anfang unserer Fahrt.

Unter mir lag nun das schneefreie Flachland ausgebreitet mit seinen steinigen Hügeln und dem Gewimmel von unzähligen beweglichen Punkten, deren tausendstimmige Laute wie ein wirres Gemurmel an mein Ohr drangen.

Zwischen den Hügeln bemerkte ich jetzt auch einen kleinen See, der zum grössten Teil mit Eis bedeckt war, nur um den Ablauf war ein Stück offen geblieben. Es würde sich schon lohnen, dort einen Versuch mit einem Planktonnetz zu machen, vielleicht würde man damit die ersten antarktischen Süssseeorganismen ans Licht befördern! Da war gar vieles an diesem Ort, was den Naturforscher lockte.

Aber die Pflicht mahnte uns jetzt, ohne Zögern dem Unbekannten entgegenzuziehen, in die Eiswüste einzudringen.

Draussen auf der Bucht sah ich das Boot mit den Kameraden zurückkehren. Bald hatten wir unsere Ausrüstung glücklich an Land geschafft. Andreassen, der das Boot führte, half uns mit seinen Matrosen die schwersten Kolli, das Brotfass usw. an den Platz zu befördern, wo wir unser Depot aufzuschlagen gedachten. Dann wünschten sie uns Glück für unsere Fahrt, stiegen ins Boot und stiessen vom Ufer ab.

Wir hatten noch eine Weile mit der Errichtung des Depots zu tun. Nachdem alle Vorräte sorgfältig mit einer alten Schiffspersenning zugedeckt und mit Stricken und Steinblöcken befestigt waren, beluden wir unsern Schlitten und schirrten uns davor.

Hier, wo wir im Begriff stehen, unsere Schlittenfahrt anzutreten, will ich einen Augenblick verweilen, um in kurzen Zügen unsere Ausrüstung zu schildern.

Alle für die Schlittenfahrt bestimmten Gerätschaften, die bei der Abfahrt aus der Heimat von der Expedition mitgenommen waren, hatten die Gefährten mit nach der Winterstation genommen, da es ganz ausserhalb des eigentlichen Arbeitsplanes lag, weitere Schlittenfahrten zu unternehmen. Aus den uns zu Gebote stehenden Mitteln mussten wir uns nun eine Ausrüstung zusammensuchen, so gut es eben ging.

Die erste Sorge galt einem tüchtigen Schneeschuhschlitten. Ein solcher war für meine Fahrt nach dem Lago Fagnano an Bord hergestellt worden. Er war stark verbraucht durch die Benutzung in den unwegsamen Wäldern des Feuerlandes, ward nun aber mit einem neuen Beschlag aus Bandeisen versehen. Während der ersten Fahrten über den Tauschnee glitt er ganz leicht dahin, aber im Oktober, auf unserer zweiten Fahrt nach Süden, wo wir fast ausschliesslich eine Temperatur von weit unter Null hatten, waren die rostigen Beschläge sehr hinderlich, und der Schlitten bewegte sich sehr schwer über den harten Schnee dahin.

Nach der Heimkehr hat man mich verschiedentlich gefragt, warum wir keine Segeltuchkajaks mitgenommen hätten, die auf dem Schmelzwasser im Meereis von Nutzen hätten sein können. Der Grund lag darin, dass wir nur ein Kajak an Bord hatten und es uns an Material gebrach, noch weitere herzustellen. Bei drei Kajaks hatten wir auch drei Schlitten für je einen Mann haben müssen, doch verfügten wir nur über einen, der für drei Männer bestimmt war. Und schliesslich, mit Kajaks wären wir hier kaum weiter gekommen, wie jetzt ohne solche, denn die Schmelzgewässer waren mit Schneeschlamm angefüllt oder mit dünnem, frisch gefrorenem Eis bedeckt, das freilich oft unter unserer Last brach, auf der andern Seite aber die Benutzung von Kajaks unmöglich gemacht hätte. Es befanden sich verschiedene Paare Schneeschuhe an Bord, so dass wir in der Beziehung nur zu wählen hatten. Die beiden Schlafsäcke aus Guanacofellen, die für Wennersgaard und mich zu der Fagnanoreise angefertigt waren, nahmen Grunden und ich jetzt in Gebrauch, während sich Duse einen ebensolchen Sack aus an Bord befindlichen Guanacofellen machen liess.

Ein Zelt mussten wir auch haben, und hier blieb uns nichts weiter übrig, als mein kleines Privatzelt zu nehmen, das nur für zwei Personen berechnet war. Der Platz war denn auch dementsprechend.

Zur Bereitung unserer Speisen nahmen wir zwei Primusapparate und 10 Liter Petroleum sowie zwei Aluminiumkochtöpfe mit. Diese wurden während des Kochens zusammen mit dem Primusapparat in ein zylindrisches Schutzgefäss, den sogenannten Kochapparat, gestellt, der die Zirkulation der erwärmten Luft um die Kochgeschirre regulierte und das Kochen im Freien bei allen Witterungsverhältnissen ermöglichte.

An Geschirr nahmen wir nur drei Suppenschüsseln aus emailliertem Eisenblech und dazu gehörige Esslöffel mit. Messer, Teller, Tassen, Gabeln und Teelöffel betrachteten wir als überflüssigen, beschwerenden Luxus.

Ausser diesen Ausrüstungsgegenständen hatten wir uns mit einer Menge nützlicher und notwendiger Kleinigkeiten versehen, z. B. einer Mauserpistole mit 50 Patronen, zwei Fernrohren, Schneebrillen, einem Vorrat an Medikamenten, verschiedenen Leinen und Schnüren, Nägeln, Hammer, Zangen, eingelöteten Streichhölzern usw.

Von persönlichen Gebrauchsgegenständen müssen erwähnt werden: verschiedenes Schuhwerk, ein Paar hohe Schnürstiefel und ein Paar besohlte Bandschuhe für jeden Mann. Als Reserve nahm ich für mich noch ein Paar unbesohlte Bandschuhe mit.

In der Bibliothek an Bord befanden sich nur zwei Reisebeschreibungen, die uns als Vorbild für unsere Proviantberechnung dienen konnten: A.E. Nordenskjölds Bericht über die Eiswanderung in Grönland im Jahre 1883, sowie Nansens »Auf Schneeschuhen durch Grönland«. An der Hand dieser beiden Werke arbeiteten wir unsern Proviantierungsplan aus, mit dem wesentlichen Unterschied, dass unsere Tagesration bedeutend schwerer (1267 g) berechnet werden musste, als die Nansens (etwa 1 kg), da dieser speziell konzentrierten, wasserfreien Schlittenfahrtproviant verwendete, der uns nicht zu Gebote stand.

Unsere tägliche Ration war folgendermassen zusammengesetzt:

Brot 600 g
Margarine 67 g
Konserven. Fleisch und Fisch 413 g
Zucker 27 g
Kaffee 20 g
Schokolade 68 g
Suppe 72 g
  ______
Summa  1267 g  

Unsere Proviantausrüstung, nach obenstehenden Tagesrationen für drei Mann auf 25 Tage berechnet, stellte sich wie folgt:

Hartes Brot   7 kg
Cakes   1 kg
Schiffsbrot   35 kg
Konserviertes Fleisch   30 kg
Konservierte Makrele   1 kg
Margarine   5 kg
Zucker   2 kg
Kaffee   1,5 kg
Kakao   0,5 kg
Schokolade   4,5 kg
Tee   0,2 kg
Getrocknete Konservensuppen 0,6 Zus.
5,4 kg
Bouillonkapseln 0,1
Gedörrtes Obst 1,5
Gezuckerte Milch 1,0
Hafergrütze 0,5
Fruchtgelee 0,7
Gedörrte Gemüse 1,0
Salz   0,1 kg
Kognak   0,5 kg
    ______
Summa   93,7 kg

Unsere ganze Ausrüstung, einschliesslich des Schlittens und der Schneeschuhe, hatte ein Totalgewicht von 240,5 kg.

Wie bereits erwähnt, wurde für etwaigen späteren Bedarf dort, wo wir an Land gingen, ein Proviantdepot errichtet, dessen Zusammenstellung aus folgender Tabelle ersichtlich ist:

Schiffsbrot 225 kg
Margarine 30 kg
Konserviertes Fleisch 95 kg
Konservierter Hering u. Fisch 105 kg
Zucker 10 kg
Kaffee 5 kg
Kakao 5 kg
Tee 1 kg
Konservierte Suppen 35 kg
Gedörrtes Obst 3 kg
Gezuckerte Milch 8 kg
Gerstgrütze 25 kg
Getrocknete Gemüse 12 kg
Salz 7 kg
  ______
Summa 566 kg

Dieser Depotproviant war für uns und für die Mitglieder der Winterstation während der Wartezeit auf die Rückkehr der »Antarctic« bestimmt (siehe unten die schriftliche Verabredung mit Larsen), oder genauer, sie war für neun Mann auf zwei Monate berechnet. Durch meine Schuld wurde indes ein geringeres Quantum Brot mitgenommen, als wie es nach diesem Plan veranschlagt war (270 kg nach einer Tagesration von 500 g), und der Mangel machte sich um so fühlbarer, als es meine Absicht gewesen war, einen Extra-Reservevorrat dieses wichtigen Proviantartikels mitzunehmen.

In dem Depot befand sich ausser dem oben aufgezählten Proviant ein grösseres Zelt mit dazu gehörigem Tisch, ein Fass mit 40 Liter Petroleum, ein Bündel kleiner Lichte, fünf Liter reiner, 96 prozentiger Spiritus, eine grössere Dose mit Zitronensäurekrystallen, ein Gewehr, ein Blechkasten mit 295 Patronen und ein anderer, ebenfalls verlöteter Kasten mit Streichhölzern. Duse und ich fügten jeder noch einige Reservekleider hinzu.

Um die Dürftigkeit dieser Depotausrüstung recht zu verstehen, muss man die. eigentümliche Lage kennen, in der wir uns um diese Zeit befanden. Freilich waren die Eisverhältnisse so ungünstig, dass ein Versuch, über Land vorzudringen, sich als notwendig erwies. Auf der andern Seite aber glaubten wir keinen Grund zu haben, unsere bisherige, optimistische Auffassung von den wissenschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten während des Sommers aufzugeben. Eine alte antarktische Erfahrung lehrt, dass man gerade oft auf relativ eisfreies Wasser von beträchtlicher Ausdehnung stösst, nachdem man einen Packeisgürtel von ansehnlicher Breite durchbrochen hat. Hatten wir selber doch das eisfreie Bransfield-Bassin nach einer langwierigen Arbeit durch das Eis an der Aussenseite der Süd-Shetlands-Inseln erreicht. So hofften wir denn, dass sich dasselbe in dem Gebiet der Joinville-Insel und des Kap Seymour wiederholen würde. Wahrscheinlich entsprachen die groben Packeismassen, die jetzt die Erebus- und Terrorbucht anfüllten, einer bedeutenden eisfreien Fläche weiter südlich. Wir sprachen bei der Trennung hoffnungsvoll von einem Zusammentreffen der »Antarctic« und der Schlittenpartie auf der Winterstation. In diesem Falle würde es sich nach Anbordnahme der Kameraden von der Winterstation darum handeln, ob man den Versuch machen sollte, weiter südlich vorzudringen, mit der Möglichkeit, einzufrieren, wozu dann jede Kleinigkeit von den nicht allzu reichlich bemessenen Vorräten an Proviant und Kleidern dringend erforderlich war. Aus diesem Grunde wollten wir Nordenskjölds Handlungsfreiheit nicht beschränken, indem wir ein grosses und teures Depot errichteten, das bei einer eventuellen Fahrt gen Süden wieder abgeholt werden musste. Nach unserm Programm sollte das Depot nur das allernotwendigste enthalten, nicht mehr, als dass es, falls die Verhältnisse es erforderten, ganz ausser Betracht gelassen werden konnte.

Ehe ich das Schiff verliess, traf ich mit Kapitän Larsen folgende Vereinbarung:

1. Falls die »Antarctic« die Winterstation erreicht: Hat die Landpartie bis zum 25. Januar die Winterstation nicht erreicht, so muss man annehmen, dass sie den Weg versperrt fand, und muss auf dem Depotplatz nach ihr suchen.

2. Falls die Landpartie die Winterstation erreicht: Hat die »Antarctic« nicht bis zum 10. Februar die Verbindung mit der Winterstation erreicht, so gehen sämtliche dort anwesende Personen über Land nach dem Depotplatz ab. Die »Antarctic« hat dann den Depotplatz zwischen dem 25. Februar und 10. März aufzusuchen; vor dem letztgenannten Tage darf die Nachforschung auf dem Depotplatz nicht ohne zwingenden Grund unterbleiben.

Dies waren die Voraussetzungen, unter denen wir hinausgingen, um über das Inlandeis Snow Hill zu erreichen.


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