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XVIII. Ein wunderbarer Tag.

Der 8. November 1903. – Die Ankunft der argentinischen Entsatz-Expedition. – Bodman erzählt von seinem Zusammentreffen mit derselben. – Wir machen Anstalten, die Station zu verlassen. – Larsen, K. A. Andersson und Begleiter treffen von der Paulet-Insel ein.

 

Der 8. November brach, wie so viele der verflossenen Tage, mit windstillem, schönem Wetter herein. Wir verzehrten unser Frühstück, ich blieb während des Vormittags im Hause, an einen längeren Ausflug konnte ich nicht denken, ehe nicht alle wieder zu Hause waren, wir erwarteten jedoch Bodmans Rückkehr im Laufe des Nachmittags.

Es regte mich deswegen nicht weiter auf, als jemand in die Wohnstube kam, wo ich sass und schrieb, und zu mir sagte: »Komm doch einmal heraus und sieh nach, es kommt jemand über das Eis daher, aber es sieht so merkwürdig aus, ganz, als seien es vier Personen.« Ich konnte mir nicht denken, dass die Seymourfahrer so früh heimkehrten, aber sie mussten es ja doch sein, und die Erzählung von den Vieren beruhte wohl auf einem Irrtum.

Nach wenigen Minuten waren wir alle vor dem Hause versammelt, wo wir so unzählige Male gestanden und auf das Eis hinaus gespäht hatten. Wer ein Fernrohr zur Hand hatte, nahm es mit hinaus. Man sah allerdings etwas Schwarzes, das sich da draussen bewegte, Einzelheiten konnte man aber nicht mit Bestimmtheit unterscheiden. Auffallend war es aber, dass es mehr als zwei Gestalten zu sein schienen, und es sah wirklich so aus, als seien es Menschen. Wir sahen uns um, niemand von den Kameraden fehlte, wir waren alle sieben versammelt; auch Hunde konnten es nicht sein, die meisten von ihnen lagen ja zerstreut auf dem Hügel, auch pflegten sie sich nicht auf diese Weise zu nähern. Nein, dann konnten es viel eher Pinguine sein, die sich auf das Treibeis begeben hatten. Aber auch das war unmöglich, der an der Spitze war zweifelsohne ein Mensch, und die andern waren von gleicher Grösse und sahen genau so aus wie er. Jetzt traten sie auf einmal ganz deutlich hervor, es waren vier Gestalten, vier Menschen, die sich uns über das Eis näherten.

Oft benimmt man sich im entscheidenden Augenblick, wenn etwas Unerwartetes eintrifft, ganz anders, als man hätte glauben sollen. Wohl waren wir alle von einer tiefen Bewegung ergriffen, wohl riefen wir uns ermunternde Worte zu, doch hätte ein Uneingeweihter wohl kaum glauben können, dass uns plötzlich die Gewissheit unserer Erlösung geworden sei. Ein paar von uns blieben auf der Station zurück, alle die andern stürzten aber im Galopp auf das Eis hinab, um den Ankommenden entgegen zu laufen, ohne einen Gedanken an Vorbereitungen irgendwelcher Art. Einer von den Kameraden schnallte seine Schneeschuhe an, obwohl das Eis so schlecht war, dass er sie sofort wieder abschnallen musste. Bald hatten wir eine beträchtliche Strecke zurückgelegt, wir fanden, dass diejenigen, denen wir entgegen eilten, sich sonderbar langsam bewegten, aber es war nur eine durch unsere Ungeduld hervorgerufene Erscheinung. Zuweilen entzog sie ein Eishügel unsern Blicken, und man hätte glauben können, das Ganze sei nur ein Gaukelspiel unserer Phantasie gewesen. Jetzt trennte sich einer von den Kameraden und eilte auf uns zu. Wer kann das sein? »Das ist gewiss Larsen,« sagten wir, und alle glaubten, seinen festen Gang zu erkennen. »Nein, Larsen ist es nicht,« meinte ein anderer. »Sollte es nicht Aakerlund sein?« »Nein, Aakerlund hat keine solche Mütze, es ist doch Larsen, der uns als erster begrüssen will.« – »Wollen wir nicht Hurra rufen?« fragte jemand. »Nein, noch nicht,« lautete meine Antwort; »wir müssen erst ganz sicher sein.« – Einen Augenblick später sahen wir ganz deutlich, dass es Aakerlund war, der uns entgegen kam. Jetzt sollte sich das Rätsel lösen. Kaum wagte jemand, eine Frage zu stellen, als wir zusammentrafen; er war der erste, der redete. »Da draussen liegt ein argentinisches Schiff, aber von der »Antarctic« haben sie nichts gehört.«

Zum zweitenmal innerhalb eines Monats standen wir einem dieser Augenblicke gegenüber, wo sich die ganze Sinnenwelt in Nebel auflöst vor dem intensiven Gefühl einer alles umstürzenden Nachricht, die uns in ihren Wirbel hineinzieht. Wir waren so unerschütterlich überzeugt gewesen, dass in dieser Jahreszeit kein anderes Schiff als die »Antarctic« kommen könne, dass auch nicht der leiseste Zweifel in uns aufgestiegen war, als wir die Ankommenden gesehen hatten. Hätte man uns den Verlust des Schiffes mitgeteilt, so wäre das ein vernichtender Schlag gewesen, aber nichts weiter. Jetzt, im Zusammenhang mit dem Gefühl der Befreiung auf diese unerwartete Weise und der unerhörten Verantwortung, die der binnen wenigen Stunden zu fassende Beschluss in sich trug, blieb ich einen Augenblick wie vom Blitz getroffen stehen. Tiefe Trauer lag auf aller Mienen, wir begriffen alle, wie wenig Hoffnung uns geblieben war, die Kameraden von der »Antarctic« je wiederzusehen.

Jetzt hatten wir aber keine Zeit zu Grübeleien, auch war der Augenblick nicht danach angetan, unsere Tatkraft durch Trauer oder Sorgen beeinträchtigen zu lassen. Wir mussten vorwärts eilen, den beiden Offizieren entgegen, die sich uns in Bodmans Gesellschaft langsam näherten. Sobral war der erste, der seinen Gedanken Ausdruck verlieh, er meinte, alle Anstrengungen mussten nun darauf gerichtet sein, die »Antarctic« wieder zu finden. Doch müsse man ja die Entscheidung dem Befehlshaber der Entsatzexpedition überlassen.

Und dann kam der Augenblick, in dem wir einander draussen auf dem Eise begrüssten, wir, die wir allmählich nach langen Monaten gelernt hatten, dies Eis und diese kahlen Klippen als unser Heim und Königreich zu betrachten, und unsere beiden Gäste und Retter, der kommandierende Kapitän Julian Irizar, Befehlshaber des Entsatzschiffes »Uruguay«, und Leutnant J. Jalour. Was wir zuerst zu einander sagten, weiss ich nicht mehr, es währte aber nicht lange, bis uns die Situation klar war: Als man nichts wieder von der »Antarctic« hörte, hatte die argentinische Regierung eigens für uns eines der Schiffe ihrer Flotte ausgerüstet, das jetzt vor der Seymour-Insel lag, während man auch in Schweden beschloss, eine Entsatzexpedition zu entsenden und zu diesem Zweck den Walfischfänger »Frithiof« geheuert hatte, der der Führung von Kapitän Gyldén, dem Befehlshaber der »Antarctic« auf der Gradmessungsexpedition im Jahre 1901, anvertraut werden sollte. Kapitän Irizar war im Juli mit Gyldén in Stockholm zusammengetroffen, seither hatte man aber keine Nachricht von der schwedischen Expedition gehabt, man wusste nicht einmal mit Bestimmtheit, ob sie aus Schweden abgegangen sei. Auch von der französischen Entsatzexpedition unter Dr. Charcot hörten wir jetzt.

Unser erstes Zusammentreffen mit den argentinischen Offizieren

An Bord der »Uruguay« befanden sich keine Briefe oder andere direkte Mitteilungen für uns. Alles andere war neben den angedeuteten Nachrichten von geringer Bedeutung. Bodman, der ja bereits Gelegenheit gehabt hatte, seine Fragen zu stellen, eilte nach Hause, um den Empfang vorzubereiten, wir übrigen begleiteten unsere Gäste, die nach dem langen und ungewohnten Marsch ziemlich müde waren. Über das Zusammentreffen zwischen Bodman und den argentinischen Offizieren berichtet der erstere in einer schwedischen Zeitung:

Wir hatten beschlossen, rechtzeitig aufzustehen, um die Rückkehr anzutreten, ehe die Sonne auf das Fis eingewirkt hatte, als ich aber sah, dass die Uhr erst einige Minuten über fünf war, fand ich es reichlich früh und legte mich noch einmal hin. Mein Schlummer wurde jedoch schon gegen 5½ Uhr durch ganz sonderbare Laute vor der Zelttür gestört, gleichzeitig hörte ich jemanden draussen rufen: »Sobral, Sobral! Is Sobral here?« Wie der Wind war ich aus dem Schlafsack heraus und riss die Zelttür auf. Welch eine Unmenge von Gedanken drängten sich in diesem Augenblick in meinem Gehirn! Wer konnten diese Menschen sein? Das war die erste Frage, und die Antwort liess nicht lange auf sich warten. Von der »Antarctic« waren sie nicht, es musste eine argentinische Expedition sein, denn woher sollten sie zuerst nach Sobral fragen.

Aus dem Zelt herausgekommen, sehe ich zwei Marineoffiziere mit den vergnügtesten Gesichtern vor mir, und bald ist die Unterhaltung im vollen Gange. Es war der Chef und einer der Leutnants von dem Kanonenboot »Uruguay«, das am 8. Oktober von Buenos Aires nach Ushuaia und von dort am 1. November südwärts abgegangen war. Infolge der günstigen Eisverhältnisse hatte man schon am 6. November die Cockburn-Insel in Sicht bekommen und den nächsten Tag zwecks Rekognoszierung in dem Fahrwasser um dieselbe herum zugebracht. Dann nahm man einen östlichen Kurs, um am Rande des Ufers nach der Winterstation zu forschen. An diesem Morgen waren sie bei Kap Seymour gelandet, um eine dort beobachtete Signalstange genauer zu untersuchen. Hier fanden sie die Inschriften »Jason 1892« und »Andersson, Sobral, Oktober 1903«. Als sie dann bald darauf das weisse Zelt erblickten, folgerten sie natürlich, dass sich Sobral darin befinden müsse.

Das von uns bewohnte Tal zwischen dem Snow Hill-Gletscher und dem schneefreien Land (In der Mitte ist das Magnethaus sichtbar)

Allmählich wurde die brennendste Neugier befriedigt, man fertigte die obligatorischen ersten Photographien an, und dann wurde beschlossen, dass wir uns unverzüglich auf den Weg nach dem Stationsplatz auf Snow Hill begeben wollten. Das Zelt wurde in grösster Eile abgebrochen, ich zog ein Paar Stiefel an, denn infolge meiner Überraschung hatte ich völlig vergessen, dass ich in Strümpfen da stand und fror. Als Proviant nahmen wir die sämtlichen Tafeln Schokolade mit, die wir finden konnten, um uns für den Mangel an Süssigkeiten zu entschädigen, der in der letzten Zeit recht fühlbar gewesen war. Welch ein Genuss, als nach all dieser Arbeit Kapitän Irizar eine Zigarre hervorholte und sie mir freundlichst anbot!

In lebhafter Unterhaltung legten wir den Heimweg ziemlich schnell zurück, wenngleich Aakerlund und ich gern unsere Schritte noch mehr beschleunigt hätten, um den Kameraden daheim die jubelnde Nachricht mitzuteilen. In der Nähe des Stationshauses wurden wir von den Kameraden bemerkt, die uns mit Sturmesschritten entgegen kamen. War das ein Umarmen und Begrüssen! Ich eilte vorauf, um die schwedische Flagge zu hissen, und aufzutischen, was wir zivilisierten Menschen noch zu bieten hatten. Soweit Bodman. – Allmählich langten wir auf der Station an, stolz, unsere Gäste an unserm Tisch begrüssen zu können, auf den Aakerlund eine wahre Festmahlzeit aufgetragen hatte. Wie unsern Gästen das alles erschienen sein mag, weiss ich nicht, sie waren viel zu höflich, um uns ihre Kritik hören zu lassen, das Ganze musste ihnen ja ziemlich dürftig, schmutzig und eingeräuchert vorkommen.

Auf das freundlichste bot uns Kapitän Irizar seine Gastfreundschaft an Bord der »Uruguay« an, die uns wieder in die Zivilisation zurückführen sollte. Er fragte, wie lange wir nötig hätten, um zum Aufbruch bereit zu sein, und war sehr angenehm überrascht, als ich ihm sagte, dass wir nötigenfalls in zwei Tagen fertig sein könnten. Die wichtigste Frage aber war, was geschehen könne, um unsere vermissten Kameraden von der »Antarctic« aufzufinden. Es lagen zwei Möglichkeiten vor: entweder mussten wir uns nach der nächsten Telegraphenstation begeben und an der Hand der dort eingezogenen Nachrichten unsern Entschluss fassen, oder auch wir mussten, ohne uns vorher mit der Aussenwelt in Verbindung zu setzen, sofort unsere Nachforschungen nach der »Antarctic« beginnen. Kapitän Irizar war offenbar sehr für die erste Alternative, doch liess er mich verstehen, dass er sich soweit wie möglich nach unserer Auffassung in Bezug auf die Aussicht, Kapitän Larsen und seine Begleiter wiederzufinden, richten werde.

Verwitterte freistehende Basaltpfeiler bei unserm Winterplatz

Nach eingehender Beratschlagung mit den Kameraden teilte ich Kapitän Irizar mit, dass wir sein Anerbieten mit Dank annähmen, und erwog dann noch einmal die Möglichkeit einer Rettung der »Antarctic«. Er wollte jedoch keinen endgültigen Entschluss in dieser Sache fassen, ehe er an Bord noch einmal seine Instruktion durchgelesen und sich mit seinen Offizieren beraten habe.

Es konnte natürlich keine Rede davon sein, mit den Arbeiten zu beginnen, so lange unsere Gäste bei uns verweilten. Die Stunden enteilten uns nur zu schnell, und Kapitän Irizar lag sehr daran, so bald wie möglich zu seinem Schiff zurückzukehren. Um den Herren die Rückkehr zu erleichtern, liess ich Jonassen die Hunde vor den Schlitten spannen, da die Eisverhältnisse derartig waren, dass man bequem lange Strecken fahren konnte. Duse wünschte sehr, den einen Tag, der uns noch blieb, zu Kartierungsarbeiten auf der Seymour-Insel zu verwenden, und, von Grunden begleitet, verliess er daher gleichzeitig mit unsern Gästen unsere Station – wie er glaubte, zum letzten Mal.

Wir gingen sofort an die verschiedenen Arbeiten, die noch vorlagen. Natürlich konnten wir nicht daran denken, mehr als unsere Sammlungen, die wichtigsten Instrumente und unsere wertvollsten Privatsachen mitzunehmen. Mir lag in erster Linie die Pflicht ob, einen Bericht an den Chef der schwedischen Entsatzexpedition zu schreiben und darin das wenige mitzuteilen, was uns von den letzten Plänen an Bord der »Antarctic« bekannt war. Die Plätze, an denen unserer Ansicht nach Untersuchungen über den Verbleib des Schiffes angestellt werden mussten, waren die Umgebung der Hoffnungsbucht, die Paulet-Insel und die Danger-Inseln. Niemand von uns dachte in dieser Nacht daran, sich schlafen zu legen, schweigend arbeitete ein jeder für sich, ich selbst war am Schreibtisch mit der Einleitung zu meinem Bericht beschäftigt. »Nach reiflicher Überlegung haben wir beschlossen, von dieser Gelegenheit Gebrauch zu machen und in die Heimat zurückzukehren,« schrieb ich, als plötzlich die Hunde draussen anfingen zu bellen und zu heulen. Unter gewöhnlichen Umständen würden wir, in der Voraussetzung, dass es sich um eine Hundeschlacht handle, hinausgestürzt sein, um die Kämpfenden zu trennen, jetzt bezeugten wir keine so grosse Eile; jemand von uns stand aber doch auf und warf einen Blick durch die offene Tür. Als er zurückkam, sagte er, er habe unten auf dem Eise Leute gesehen, »sechs oder acht Personen, wie es scheint«.

Chef der argentinischen Entsatzexpedition.

Es war die Rede davon gewesen, dass uns Kapitän Irizar einige Leute vom Schiff schicken wollte, die uns beim Packen behilflich sein konnten, da war es denn sehr wahrscheinlich, dass es diese Leute waren, die jetzt kamen. Die Uhr war freilich erst halb 11, da konnte er unmöglich schon die Stelle erreicht haben, wo das Schiff am Morgen gelegen hatte, aber irgend eine Erklärung für ihr schnelles Erscheinen würde sich schon finden lassen. Wir waren jetzt alle so von unsern Arbeiten in Anspruch genommen, dass es lange währte, bis einer von uns sich die Mühe machte, nachzusehen, wer es denn eigentlich war. Als wir aber nach einer Weile immer noch nichts von ihnen hörten, fingen wir schliesslich doch an, uns zu wundern, was dies zu bedeuten habe. Schliesslich ging Bodman hinaus, um das Rätsel zu lösen.

Es war noch lange bis Mittsommer, und obwohl die Nacht hell und milde war, herrschte doch eine ziemlich starke Dämmerung. Da draussen auf dem Hügel stand eine Gruppe von Männern und sah zu der Flagge hinauf, die noch von unserm Hause wehte. Leise näherte sich Bodman ihnen, es waren ja Fremdlinge, und er würde schwerlich eine Sprache finden, in der er sie anreden konnte. Da sperrt er plötzlich die Augen vor Verwunderung weit auf – ist es ein Phantasiegebilde, das die ängstlichen Gedanken des Tages hervorgerufen haben, oder sollte wieder einmal die Wirklichkeit die kühnsten Hoffnungen und Phantasien übertreffen? Die nächsten Sekunden würden Entscheidung darüber bringen, ob die Zeit der Wunder noch nicht vorüber ist; mit zaghaften Schritten geht er auf eine Gestalt zu, die sich von der Gruppe getrennt hat und ihm nun entgegenkommt.

Im nächsten Augenblick entsinkt unsere Arbeit unsern Händen, wilde, durchdringende Hurrarufe tönen an unser Ohr: »Larsen, Larsen ist hier!« schreit Bodmans Stimme. Wir haben in der letzten Zeit ja so viel erlebt, dass uns nichts mehr unmöglich erscheint, aber noch immer will ich meinen Ohren nicht trauen. Es muss ein Irrtum sein, die Unruhe des Tages hat Bodman veranlasst, seine Wünsche in Worte zu kleiden. Ich stürze jedoch mit allen den andern hinaus und im nächsten Augenblick sind alle Zweifel zerstreut. Dort auf dem Hügel in dem Dunkel der Sommernacht begrüsse ich Larsen, K. A. Andersson und ihre vier Kameraden, die nach langer Trennung gerade im rechten Augenblick von ihrem Überwinterungsplatz auf der Paulet-Insel eingetroffen sind, um sich mit uns zu vereinen.

Keine Feder vermag die grenzenlose Freude dieses ersten Augenblicks zu schildern. Eins war klar, die in das Dunkel der Ungewissheit gehüllte Spanne Zeit, die zwischen diesem Tage und unsern letzten Nachrichten von der Schiffsexpedition lag, umschloss Leid und Unglück. Dass unsere liebe, alte »Antarctic« nicht mehr existierte, erfuhr ich sofort, aber in diesem Augenblick empfand ich nur Freude bei dem Anblick dieser Männer, an die ich eben noch mit der tiefsten Hoffnungslosigkeit gedacht hatte; wusste ich doch, dass wir diese Gegend jetzt gemeinsam verlassen würden. Wie tief mich auch das Mitleid erfasste, als ich hörte, dass ein junger Seemann aus ihrem Kreise auf dem Wahlplatz geblieben war, so musste ich doch dankbar anerkennen, dass alle die andern ihre Gesundheit und ihr Leben erhalten hatten.

Im Triumph führten wir die Neuangekommenen in unser Haus. Alles, was sie, die einen Winter im tiefsten Elend durchlebt hatten, erfreuen und erquicken konnte, wurde schnell herbeigeholt, und diese Gäste hatten einen ganz andern Genuss von dem, was wir zu bieten vermochten, als unser Besuch am Vormittag! Das wunderbarste von allem war aber für sie das eigentümliche Zusammentreffen, dass sie unsere Station an demselben Tage erreicht hatten, wie die Entsatzexpedition, die sie noch weniger wie wir schon so früh im Sommer erwartet hatten.

Von wie ungeheurer Bedeutung war es doch, dass beide Partien gerade in dieser Reihenfolge eingetroffen waren! Wennersgaards Tod, der Verlust der »Antarctic«, die durchgekämpften Leiden, die ungewisse Zukunft – vor der Ankunft der Argentinier würde uns das alles ein harter Schlag gewesen sein, während die Freude über die Errettung der übrigen jetzt alles andere aufwog.

Ungetrübt sollte indes die Freude nicht sein. Ich hatte nicht gewagt, nach Nachrichten aus der Heimat zu fragen, aber noch ehe wir die mitgebrachte, jetzt 18 Monate alte Post erhielten, hatte ich auf demselben Hügel, wo ich so oft in Winterkälte und Sommersonnenschein gewandert war, der so viele lichte Hoffnungen und dunkle Stunden gesehen hatte, aus Larsens Munde erfahren, dass ich mein Vaterhaus nicht wiederfinden würde, dass ich in diesem Leben den nicht wiedersehen sollte, nach dem ich mich so oft gesehnt, dem ich alles erzählen wollte, was wir in diesen Jahren erlebt hatten.

Hätte ich doch in jener Stunde alles verlassen und über das Meer in die Heimat enteilen können! Jetzt galt es, um jeden Preis ein Gefühl zu unterdrücken, das für den Augenblick die Aufmerksamkeit von all der Arbeit ablenken konnte, die noch vor uns lag. Später würde schon eine Zeit kommen, in der man denken und ruhen konnte. Ich legte mich eine Weile in die Koje, machte aber gar nicht einmal den Versuch, zu schlafen. Bald hörte ich die Schlittenfahrer heimkehren, auch Duse, der von Kapitän Irizar erfahren hatte, wie bald unsere Abreise bevorstand, hatte die Vollendung seiner Kartierungsarbeiten aufgegeben und war heimgekehrt, um uns mitzuteilen, was er gehört hatte. Mit welchem Jubel auch er und seine Begleiter die angekommenen Kameraden begrüssten, brauche ich wohl kaum zu sagen.

Ich stand sehr bald wieder auf und ging an meine unterbrochene Arbeit. Bis zum Abend wollten wir fertig sein, jetzt lag kein Grund vor, die Zeit in die Länge zu ziehen. Mit der Hilfe, die wir jetzt erhalten hatten, liess sich auch der Transport leichter bewerkstelligen.


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