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Die Paulet-Insel

XXIII. Kleider und Speisen, Haus und Heim.

Wir waren ziemlich müde, als wir nach 6½ stündigem Rudern an Land kamen, ohne seit dem vorhergehenden Abend das geringste genossen zu haben. Wir durften aber doch noch nicht ruhen, denn wir mussten alle Sachen höher ans Ufer hinauf schaffen, da es Ebbe war. Nachdem wir ein paar Stunden gewartet hatten, gelang es den Köchen doch endlich, ein wenig Mittagessen zu beschaffen. Dies ward eine denkwürdige Mahlzeit. Nicht, dass sie in ihrer Zusammensetzung so bemerkenswert gewesen wäre, denn sie bestand nur aus Konservenfleisch, Kaffee, Butter und Schiffszwieback, aber es war das letztemal, dass wir anderes Fleisch assen, als das, was unsere Jagden lieferten, das letztemal, dass wir Zucker und Kaffee bekamen, das letztemal, dass wir nach Herzenslust in Brot und Butter schwelgen konnten. Mit einer gewissen Andacht legten wir den Zucker in die Tassen, – ich glaube, ich nahm doppelt so viele Stücken als sonst, obwohl ich weniger süssen Kaffee vorziehe.

Der Strand, an dem wir unsere Boote hinaufzogen, war ziemlich schmal, dann folgte ein Abhang, über den wir unsere Sachen hinauftragen mussten. Dieser Abhang war jetzt frei von Pinguinen und bot, da er zwischen recht steilen Hügeln gelegen war, einen besseren Schutz gegen den Wind, als der übrige bewohnbare Teil unserer Insel. Nachdem wir auf seinem Kamm unser Zelt errichtet und den Boden mit flachen Steinen bedeckt hatten, gewann ich Zeit zu einer kleinen Rekognoszierungswanderung, von der ich eine kurze Schilderung geben will.

Die Paulet-Insel liegt ungefähr auf dem 55° 50' w. L. und dem 63° 35' s. Br. Sie ist fast kreisrund und dürfte einen Umkreis von ca. ½ Meile haben. Die Insel ist durch und durch aus vulkanischem Gestein, Basalten und dergleichen erbaut und macht den Eindruck einer recht typischen Kraterinsel, deren Mitte ein kleiner runder See einnimmt, zu dem die Seiten sehr steil herabfallen. Von der nach Norden und Nordwesten gelegenen Wand ist nicht mehr viel übrig; hier war es, wo wir uns niedergelassen hatten. Der nach dem Strande zu abfallende Teil ist mit einer vermutlich sehr alten Guanoschicht bedeckt, die mit zahlreichen Geröllsteinen vermischt ist.

Von hier aus steigt die Insel in Plateaus an bis zu der im Osten, Süden und Westen befindlichen Felswand. Der höchste Punkt liegt 385 m über dem Meer. Die Kraterseiten sind meistens sehr steil, und nur von einigen wenigen Punkten aus kann man den Gipfel erreichen. Die ganze Insel ist mit einer Menge von Verwitterungsprodukten bedeckt, die natürlich den Aufstieg ungeheuer erschweren; Bergrutsche treten sehr oft ein. Nur nach Nordosten und nach Norden zu liegt ein einigermassen breiter Strandstreif, im übrigen fallen die Bergwände steil ins Meer ab, und nur mit Mühe kann man zur Ebbe vorüberkommen, wenn die See ganz zurückgetreten ist. Im Winter stellt sich die Sache anders. Da ist der Strand mit einem Eis- und Schneewall bedeckt, auf dem man relativ bequem umherwandern kann. Die Farbe der Insel ist dunkel-schwarzgrau oder schwarz; nur hier und da heben sich, ganz wie in andern vulkanischen Gegenden, rotbraune Anhäufungen von Verwitterungsprodukten ab. Eine Menge schöner Einzelheiten findet man überall, kühne und elegante Klippenbildungen, auf die ich noch zurückkommen werde.

Es war still und öde auf unserer Insel, als wir landeten. Haslum sollte leider recht bekommen, die Pinguine hatten sich zum grössten Teil schon fortbegeben. Die zurückgebliebenen waren alte Tiere, die gerade brüteten, sie sassen still und bescheiden da, obwohl unsere Ankunft sie natürlich ein wenig aufregte. Fast alle gehören sie der schwarz-weissen Adeliae-Pinguin-Art (Pygoscelis Adeliae) an; nur ein verschwindend kleiner Teil weissgrauer, rotschnäbeliger Esel-Pinguine (Pygoscelis papua) – nach ihrer schreienden Stimme so genannt, hüpften umher und spielten anscheinend Besuch. Einen vereinzelten Eudyptes, der sich von den andern durch die schönen orangengelben Federbüschel an den Seiten des Kopfes unterschied, sahen wir am Tage unserer Ankunft an Land kommen. Allerlei andere Vögel kamen noch vor. Die Megalestris, die grosse, braune Raubmöwe, hatte noch nicht alle ihre Jungen flügge. Der Albatros, Ossifraga, schwebte leise durch die Luft, hin und wieder einen raubgierigen Blick auf die Erde werfend. Die kleine, weisse Chionis hüpfte um unser Zelt herum und sammelte alles Essbare auf.

Brütender Adeliae-Pinguin

Vergebens sahen wir uns nach einem Seehund um. Es musste hier doch welche geben. Fänden wir doch nur bald einen! Rohes Pinguinfleisch schmeckt gar nicht gut.

Sich hinzulegen und auf festem Grund und Boden zu schlafen, überzeugt, dass man auf demselben Längen- und Breitengrad erwachen wird, auf dem man sich niedergelegt hat, – welch herrliche Genüsse bot doch unser Leben!

Der steinerne Fussboden in unserm Zelt war zwar nicht gerade weich. Wir würden aber wohl trotzdem vorzüglich geschlafen haben, wenn nicht ein Sturm ausgebrochen wäre. Er kam in rasender Fahrt aus Nordwesten, rüttelte an der Zeltstange und klappte mit dem Zelttuch; und wirklich, es gelang ihm, einen Zipfel loszureissen, und wäre nicht ein aufmerksamer Jüngling aufgestanden, um den Schaden sofort auszubessern, so würde wohl nicht viel von unserer Residenz übrig geblieben sein.

Den 1. März. Jetzt beginnt das Eskimo-Leben! Es macht sich am Mittagessen bemerkbar, das aus Pinguinsuppe besteht. Sie ist ganz gut, von frischen Tieren gekocht.

Dann gingen wir aus, um nach Seehunden auszuschauen, und diesmal war uns das Glück hold. Wir trafen nicht weniger als acht Stück an, und die mussten natürlich ihr Leben lassen. Unter Jubelrufen schleppten wir das Fell und die besten Fleischstücke nach dem Zelt. Zufrieden mit unserer Jagdbeute, krochen wir in unsere Säcke, und bald war das Kartenspiel in vollem Gange beim Scheine von ein paar qualmenden Tranlampen. Über diesem Abend lag das Gepräge völliger Wildnis.

Der Wind hatte den ganzen Tag hindurch arg getobt, und nach allen Richtungen hin sahen wir jetzt offenes Wasser. Die Hoffnung, des zurückgelassenen Proviants habhaft zu werden, schien sich nicht erfüllen zu sollen.

Der 1. März war ein Sonntag, deswegen gingen wir den ganzen Tag nur auf Seehundsjagd aus. Dann aber hatten wir an anderes zu denken. Es war anzunehmen, dass wir mit unserm kleinen Zelt nicht auskommen würden. Einem Sturm hatte es freilich getrotzt, aber wer konnte wissen, wie es das nächste Mal gehen würde. Ausserdem war es gar nicht danach angetan, die Kälte abzuhalten, und einen ganzen Winter auf diese Weise zu leben, war völlig ausgeschlossen.

Wir mussten uns also ein Haus bauen. Zuerst sahen wir uns nach einem geeigneten Platz um. Die Ebene unten am Strande, östlich von unserm Zelt, war gleichmässig und gut und erschien daher verlockend, aber die Winde rasten dort ungehindert, und es wäre schwer gewesen, Baumaterial da hinunter zu schaffen. Der Hügel, auf dem wir wohnten, war freilich nirgends ganz eben, aber er bot doch mehr Schutz gegen den Wind, denn sowohl rechts als auch links ragten Berge auf; und was nicht zu verachten war, der eine dieser Berge war mit den feinsten, flachen, gleichmässig dicken Basaltplatten bedeckt, die sich vorzüglich zu Bausteinen eigneten. Wir beschlossen also, die Hütte am Fusse dieses kleinen Berggipfels zu erbauen. Gesagt, getan. Wir machten uns daran, die grösseren, unregelmässig abgerundeten Basaltblöcke, die in den alten Guano eingebettet lagen, loszubrechen. Dieser Guano hatte den Vorteil, geruchlos zu sein, im Gegensatz zu dem frischeren an andern Stellen der Insel, der einen furchtbaren Gestank verbreitete. Man konnte es nicht vermeiden, sich Schuhe und Kleider damit zu beschmutzen, und auf diese Weise den Duft in unser Zelt zu übertragen. Bald gewöhnte man sich jedoch derartig daran, dass man nichts mehr davon verspürte, und dann kam der Winterfrost und machte mit einem Schlage dem ganzen Leidwesen ein Ende.

Die Basaltblöcke mussten wir mit den Händen losbrechen, da wir über keine andern Gerätschaften verfügten.

Und dann wurden die Steine den Abhang hinabgerollt und kamen ganz willig an der Stelle an, wo der Grund gelegt werden sollte.

Einige von uns sassen da, bereit, sie in Empfang zu nehmen und gleich in die richtige Lage zu bringen. Wir legten doppelte Reihen und füllten alle Zwischenräume mit kleinen Steinen und Guano, natürlich dem alten, geruchlosen, aus. Ehe wir es uns versahen, war die Grundmauer fertig, und wir betrachteten mit hoffnungsvollem Stolz unser Meisterwerk der Baukunst. Der Stil war ganz neu und originell und kann sehr wohl als »Paulet-Stil« bezeichnet werden. Wahrscheinlich ist er noch nirgends sonst vertreten, – im übrigen hoffe ich, dass keiner meiner Leser gezwungen sein wird, ihn in Anwendung zu bringen.

In der Nähe der Hütte waren die besten Steine bald verbraucht, nun mussten wir eine Strecke weiter gehen und den Hügel hinanklettern, um geeignetes Material zu finden. Es war keine kleine Arbeit, Stunde auf Stunde die flachen Steine auf dem Rücken herunter zu schleppen. Da war es amüsanter, zu bauen, die einzelnen Blöcke so gut wie möglich aneinander zu passen, hier und da kleinere Stücke darunterzulegen, und dann die Zwischenräume auszufüllen und mit Erde auszumauern. Natürlich bauten wir überall eine doppelte Mauer. Die Arbeit ging nicht schnell von der Hand; wir mussten für 20 Mann ein Dach schaffen, und das Haus musste dicht sein, um gegen Wind und Wetter zu schützen. Man wurde müde und durstig, musste sich von Zeit zu Zeit verschnaufen und einen Schluck aus dem Wassereimer trinken. Das Wasser stammte aus dem kleinen Kratersee. Es war ein wenig zu grünlich gelb und hatte einen Beigeschmack – aber es hatten freilich auch Tausende von Pinguinen rings umher an den steilen Felsabhängen genistet, und alles Flüssige war in den See hinabgeflossen. Wir kehrten uns jedoch nicht an solche Kleinigkeiten, und als Suppe verkocht, schmeckte es gar nicht so übel.

Unsere Beköstigung war in diesen Tagen harter Arbeit nicht dieselbe wie späterhin. Wir assen dreimal am Tage. Des Morgens Kaffee oder Tee mit Schiffszwieback, mittags Seehund- oder Pinguinsuppe und am Abend dieselbe Suppe, jedoch mit einem Schiffszwieback dazu. Als aber die Bauwoche zu Ende war, mussten wir Hungerpfoten saugen.

Wie ich bereits erwähnte, erwarteten unsere Kameraden die »Antarctic« zwischen dem 25. Februar und dem 10. März. Später sollten sie sich natürlich nach Snow Hill zurückziehen, aber unter allen Umständen war es von Bedeutung, dass sie erfuhren, wie es uns ergangen war, denn wenn eine Entsatzexpedition hier herunter kam, konnten sie sich dann die Mühe sparen, nach uns zu suchen.

Es sah schön aus am Morgen des 3. März und um 7½ Uhr verliess ein Boot mit dem ersten Steuermann, K. A. Andersson und drei Matrosen unsere Insel, um nach dem Ort zu rudern, wo sich die Mitglieder der Winterstation und, wie wir glaubten, auch G. Andersson und Duse aufhielten. Unglücklicherweise bestand ihr ganzer Proviant aus einigen wenigen Konservendosen, die ganz unzulänglich für einen Mann, geschweige denn für fünf waren. Der Weg war keineswegs kurz, er betrug ungefähr 30 englische Meilen.

Pinguinkolonie auf der Paulet-Insel

Sie waren noch nicht lange fort gewesen, als der Wind nach Nordwesten umsprang und stärker wurde. Unermüdlich schleppten wir den ganzen Vormittag Steine, worauf der Bau wieder in Angriff genommen wurde. Die Mauer wuchs jetzt sehr schnell obwohl es eine ganz schwere Arbeit war, die flachen Steine, die kaum mehr als 1 dm dick waren, aneinander zu fügen. Wir waren sehr besorgt um die Ruderer, der Wind wurde immer heftiger und war ausserdem ungünstig für sie. Deswegen sahen wir sie mit einer gewissen Erleichterung gegen 3 Uhr wieder in unsern Kreis zurückkehren. Sie hatten eine schlimme Fahrt gehabt und waren sämtlich bis auf die Haut durchnässt.

Den 4. März. Es wehte den ganzen Tag sehr. Die Erebus- und Terror-Bucht waren jetzt ganz eisfrei. Wir hatten das Land offenbar noch in der elften Stunde erreicht. Schon am 1. März hatten wir starken Seegang, der die Schraubeisstücke natürlich schnell zertrümmerte.

Es geht allenfalls an, Steine zu tragen, wenn das Wetter schön ist, weit schlimmer ist es bei einem solchen Sturm. Ich hatte bald keine Haut mehr auf dem Rücken.

Wir versuchten ein neues Gericht, aus den Produkten des Landes bereitet, nämlich Seehundsteak in Speck gebraten. Ich fand, dass es recht gut schmeckte, solange ich davon ass, aber hinterher spielte es förmlich Rutschbahn durch meinen ganzen Körper. Dahingegen fand ich, dass hart gebratene Stücke Seehundspeck fast so gut schmeckten, wie gebratenes Schweinefleisch, und das will viel sagen. Leider schrumpfte der Speck dabei so sehr zusammen, dass dies Verfahren unpraktisch war.

Wir erlegten in diesen Tagen hin und wieder einen Seehund, sogar einen Seeleoparden, ohne dass wir uns Zeit genommen hätten, ihnen besonders nachzuspüren. Aber am 5. schoben wir das Boot ins Wasser, und Larsen machte sich in Gesellschaft des Bootsmanns auf und ruderte rund um die Insel herum. Nach einigen Stunden kehrten sie zurück und wurden mit Jubel empfangen, denn – im Boot lagen ausser einer Menge Steaks acht prächtige Seehundshäute mit dicken Fettschichten.

Das Haus wuchs ununterbrochen in die Höhe. Die Türöffnung, die in die künftige Küche hinausführte, wurde in Ordnung gebracht, nachdem wir nach langem Suchen ein paar flache Steine gefunden hatten, die gross genug waren, um sie oben zu decken. An der entgegengesetzten Wand sparten wir Platz für ein Paar Fenster aus. Wir hofften immer noch, mit Niederschlägen verschont zu werden, bis wir das Dach aufgesetzt hatten, aber dies Glück sollte uns nicht zu Teil werden. Am Abend brach ein Schneegestöber herein, und der Schnee setzte sich in allen Ecken und Winkeln unseres Neubaues fest.

Weddellseehund auf dem Eise

Wir fühlten uns nicht recht wohl. Der Magen opponierte gegen das viele Fleischessen. Aber wir hatten nichts anderes, denn von Kaffee und Schiffszwieback wird man nicht satt. Die meisten gewöhnten sich jedoch bald an die Diät; ich war wohl von allen am schlimmsten daran, denn ich befand mich mehrere Wochen recht schlecht.

Der nächste Tag war sehr unangenehm. Das Schneegestöber wurde immer schlimmer, ein frischer kalter Wind blies von Süden her. Es war keine Kleinigkeit, in diesem Wetter im Freien zu arbeiten, und die Steine auf dem Berge waren fast ganz verschneit, so dass man doppelte Mühe hatte, die passenden herauszufinden.

Dasselbe unangenehme Wetter hielt noch den 7. an. Doch wurden am Nachmittag die notwendigsten Arbeiten im Hause beendet, und nun fingen wir an, den Dachstuhl anzufertigen, der aus zwei schmalen Brettern in der Mitte, mit Sparren aus Zeltstangen zu beiden Seiten bestand. Als Dachfirst verwendeten wir ein paar zusammengebundene Bootshaken. Dann wurde das Segel darüber gezogen und in die Mauer hineingebaut, die Fenster wurden verstopft, vor die Türöffnung hängten wir eine Persenning, und am Abend hielten wir unsern Einzug. Es lag viel Schnee auf dem Fussboden und in allen Mauerspalten, aber dagegen liess sich jetzt nichts machen.

Man spürte schon das Herannahen des Winters. Die heftigen Windstösse wirbelten den Schnee umher, und selbst im Hause sammelten sich Schneewehen an, wir konnten den Eingang nicht dicht halten; wir waren ja zwanzig Menschen und mussten frei aus- und eingehen können. Das Thermometer zeigte den ganzen Tag 8-10 Grad Kälte. Es war vorläufig noch recht kühl im Hause, aber wir hofften auf bessere Zeiten, sobald wir die Küche vor den Eingang gebaut und das Zeltdach mit Seehundsfellen bedeckt haben würden. Hierzu gebrauchten wir von diesen unserer Berechnung nach dreissig Stück; einige lagen schon fertig draussen auf dem Hügel, waren aber ganz steifgefroren. Sobald sie auftauten, sollten sie auf das Segeltuch festgenäht werden. Und wenn dann erst Fenster und Türen an Ort und Stelle befestigt waren, brauchten wir nicht zu erfrieren.

Als Bereicherung unserer Speiseordnung fingen wir nun an, in der Suppe gekochten Speck zu essen. Allzu viel davon durften wir nicht verbrauchen, aber ein wenig war schon eine Verbesserung. Ich bin fest überzeugt, dass wir einzig und allein dem Speck unsern guten Gesundheitszustand während der Überwinterung zu verdanken hatten. Fett kann ja gewissennassen vegetabilische Nahrung ersetzen, und von letzterer hatten wir nur einen ganz geringen Vorrat. Zuerst verschlangen wir die Speckstücke, ohne den Mut zu haben, einmal zuzuschmecken, schliesslich aber konnten wir sie mit wirklichem Genuss zerkauen, falls sie nur frisch waren.

Das schlechte Wetter hielt eigensinnig an, aber es hinderte uns nicht, unsere Küche zu bauen. Für den Koch war es wirklich zu dunkel, und diejenigen, die in der Nähe der Tür lagen, waren jeden Morgen ganz eingeschneit. Deswegen war die Freude gross, als nach ein paar Tagen die Küche, in der auch der Proviant verwahrt werden sollte, fertig war. Sie hatte nur drei sehr einfache, gleich hohe Mauern und war mit einem aus Persenning und Segeltuch hergestellten Dach bedeckt. Bei der Einrichtung des Hauses hatte Steuermann Andreasen Gelegenheit, seine Geschicklichkeit zu zeigen. Er setzte Fenster ein, er zimmerte Türen mit Schlössern und allem Zubehör. Ja, wir hatten wirkliche Fenster, und sogar zwei Stück. In der Offiziersmesse der »Antarctic« hingen ein paar Bilder in Glas und Rahmen. Die hatten wir mit an Land genommen, und nachdem die Bilder herausgenommen waren, setzten wir Glas und Rahmen in die Fensteröffnungen. Wenn auch nur wenig Licht durch diese engen Fenster drang, war es doch ungleich besser, als beständig in völliger Finsternis zu sitzen. Geeignetes Material für die Türen zu finden, war nicht leicht. Aber der Steuermann wusste Rat. In den Booten waren allerlei Einrichtungen, die, ohne ihre Brauchbarkeit zu verringern, herausgenommen werden konnten, und aus diesen Bretterstücken gelang es ihm, die beiden erforderlichen Türen, einen Türrahmen und einen Riegel quer darüber zu zimmern; über das ganze wurde dann Segeltuch genagelt. Die innere Tür ging auf Angeln, die äussere auf Zapfen, nach antikem Muster.

Die Winterstation auf der Paulet-Insel, als sie von der Expedition verlassen wurde

Die ganze Länge des Hauses betrug ungefähr 34 Fuss, wovon 24 auf den Wohnraum kamen, der ungefähr 22 Fuss breit war. Die Küche war nur ca. 12 Fuss breit. Die Längswände hatten eine Höhe von 3½ und 4 Fuss, je nachdem der Boden nach dem Strande zu abfiel, die Giebel waren 8 Fuss hoch, bildeten also einen sehr stumpfen Winkel. Sogar ich konnte aufgerichtet unter der Mittellinie des Hauses stehen, und mehr war ja nicht nötig. Die Türen waren niedriger, und man musste sich daher bücken, wenn man hinein wollte. Der Fussboden im Wohnraum war 20 zu 18 Fuss gross und wurde zum grössten Teil von den Schlafsäcken eingenommen. An den Längswänden entlang bauten wir niedrige, 7 Fuss breite Betten aus Stein, mit einer Grenzmauer aus grösseren flachen Steinen nach aussen und im übrigen aus kleineren runden Pflastersteinen. Hier lagen die Schlafsäcke, zehn auf jeder Seite, querschiffs die Hütte war unser Schiff –, wollte man einen Schlafsack nach der Längswand verlegen, hiess es »an Bordseite«, die Querwand hiess »Schott«, der Fussboden »Deck« usw. Hinter dem Schlafsack hatte jeder seine Sachen, da war sogar ein kleines Wandbrett für Tabak, Pfeife, Nähgerätschaften, Messer usw.

Zwischen den Betten befand sich ein vier Fuss breiter Gang, der den einzigen gemeinsamen Raum bildete. Wenn uns das Wetter verhinderte, uns im Freien aufzuhalten, wimmelte dieser Gang von Lustwandelnden, was den Norwegern Veranlassung gab, ihn nach der Hauptstrasse, in Christiania Karl Johan zu taufen. Viel Hausgerät war nicht vorhanden. In den Fensternischen standen ein paar Primusbrenner, an der Mauer hing eine Brotwage, die Larsen aus einer Kakaodose angefertigt hatte, darunter stand ein Sack oder eine Tonne mit Brot, jeder hatte seinen Teller, sein Messer, seine Gabel sowie Löffel und seine Tasse.

Plan der Steinhütte auf der Paulet-Insel. A Mittelgang. B Betten. C Fenster. D Wände. E Zwischenraum mit Guano gefüllt. F Thüren. G. Küche. H Herd.

Das Hauptmöbel in der Küche war der Herd, der in einer Ecke stand, darüber war ein Loch in das Segeltuch geschnitten, um den Rauch abziehen zu lassen, und der Heizer Johansson, ein sehr pfiffiger, geschickter Bursche, verfertigte sogar einen Schornstein aus einer Konservenbüchse. Neben dem Herd stand ein Eimer, der Speck enthielt, ein zweiter mit süssem und ein dritter mit Salzwasser, ferner Kisten, auf denen das Fleisch geschnitten wurde, eine Axt, um es zu zerhauen, Messer u. a. m. Das Küchengeschirr bestand aus einem grösseren und drei kleineren Kesseln, sowie zwei Kaffeekannen. In der Küche wurde aller Proviant aufbewahrt, mit Ausnahme von fünf Brotfässern, die eingeschneit unten am Hügel lagen, sowie den auf der Insel eingesammelten Fleischvorräten, die wir vor dem Hause eingruben. Es war klar, dass wir selbst in den sehr tragfähigen Fangbooten keine grossen Proviantvorräte hatten transportieren können. Wir waren zwanzig Mann, hatten eine Menge Säcke mit Kleidern und Betten, allerhand Hausgerät, den Herd, Petroleum und allerlei andere schwere Gegenstände, die wir notwendig brauchten. Die Liste über Proviant und andere Waren, die wir bei unserer Ankunft auf der Paulet-Insel aufstellten, lautete: Schiffszwieback ca. 600 kg, Zucker ca. 25 kg, Kaffee ca. 30 kg, Tee ca. 14 kg, Erbsen ca. 70 kg, Konserven-Fleisch und -Fisch 165 Dosen verschiedener Grösse, kondensierte Milch 16 kleine Dosen, Reis ca. 15 kg, Sago ca. 20 kg, mehrere kleine Dosen mit Saft, Eingemachtem und Früchten, braune Bohnen ca. 15 kg, getrocknete Gemüse ca. 160 kg, Margarine, Zeniths 90 kg, dito Pellerins 10 kg, eingemachte Kronsbeeren ca. 15 kg, Kakao 12½ kg. Konservengemüse ca. 600 Portionen, Reismehl 1¼ kg, Fischmehl 1 kg, Senf verschiedene Dosen, Salz, Zitronensaft acht Flaschen, Zitronensäure 3 kleine Dosen; Petroleum 240 Liter, Kerzen 300 Stück, Zündhölzer.

Dies mag gar nicht so wenig aussehen, wenn man nicht bedenkt, dass wir so viele waren. Indessen bildeten diese Vorräte einen ganz verschwindenden Teil von dem, was wir verzehrten. Das Brot wurde so verteilt, dass jeder täglich ein Stück erhielt; nur an den Tagen, als wir das Haus bauten, gab es zwei. Der Zucker wurde ausschliesslich und in sehr geringen Quantitäten zu Reis, Saftsuppe und Kakao verwendet. Der Tee hatte infolge des langen Transports jede Spur von Aroma verloren. Die Erbsen reichten nur für eine dünne Suppe jeden Sonntag, und auch dazu nicht ganz. Das Konservenfleisch und den Konservenfisch sparten wir für eine künftige Bootsfahrt auf. Aus der Milch konnten wir nur ein paarmal Suppe kochen, während der Reis nur viermal einen Brei und zweimal eine Suppe gab. Von der Margarine wurde jeden Tag an jeden Mann ein kleines Stück ausgeteilt. Die getrockneten Gemüse, die zum grössten Teil aus gelben Wurzeln bestanden und nach nichts schmeckten, wurden täglich in der Suppe gekocht, wozu auch die Bohnen mehrmals verwendet wurden. Die Konservengemüse wurden teils zu dem gebratenen Seehundsfleisch gegessen, teils, in der Regel zweimal wöchentlich, zu Suppe verkocht. Jeden Sonnabend brieten wir auf dem Primusbrenner, im übrigen bewahrten wir das Petroleum auf für den Fall, dass das Seehundsfett einmal auf die Neige gehen sollte. Auch die Kerzen benutzten wir sehr wenig.

Als wir die Insel verliessen, waren von unsern Vorräten noch folgende Sachen übrig: Alles Konservenfleisch, mit Ausnahme von dem, was auf der Bootsfahrt vom 31. Oktober bis 8. November mitgenommen war; ferner: Brot ca. 50 kg, Kaffee 12-15 kg, Tee ca. 4 kg, getrocknete Gemüse ca. 50 kg, Margarine 5 kg, Kakao 1 kg, Konservengemüse ca. 150 Portionen, Kronsbeeren ca. 3 kg, sowie etwas Sago. Früchte. Eingemachtes, Zitronensaft und Zitronensäure. Ausserdem hatten wir noch ungefähr 140 Liter Petroleum und ca. 200 Kerzen. Niemand wird uns der Versehwendung beschuldigen, aber das wenige, was uns zu Gebote stand, war immer ein Lichtblick, die Möglichkeit, eine kleine Abwechslung in unsern Speisezettel zu bringen.

Wie aus der Proviantliste hervorgeht, würden wir sehr bald verhungert sein, wenn wir nicht recht ansehnliche Verstärkungen erlangt hätten. Während wir das Haus bauten, erlegten wir von Zeit zu Zeit einen Seehund, aber dies Fleisch war zu jener Zeit sehr unbeliebt, die meisten fanden, dass Pinguinsuppe besser schmeckte. Es war ganz unwahrscheinlich, dass wir hinreichend Fleisch für den Winter schaffen konnten, denn schon jetzt waren die Seehunde sehr selten. Wir beschlossen, einen Vorrat an Pinguinen für den Winter zu sammeln und berechneten, dass wir 3000 bis 4000 Stück haben mussten.

Von Tag zu Tag verringerte sich der Stamm; schon mehrere hatten gemausert und säumten nicht, von dannen zu ziehen. Aber noch am 11. März, als wir uns endlich in der Lage befanden, das grosse Blutbad zu beginnen, waren noch mehrere Tausend da. Die Sache war gar nicht so leicht. Während der ersten Tage ging es freilich noch, es währte aber nicht lange, bis die Tiere begriffen, um was es sich handelte, und entflohen, ehe wir noch in ihre Nähe gekommen waren. Dass sie so schnell scheu wurden, war ganz auffallend. Wir waren nicht in der Lage, Pulver an sie zu verschwenden, sondern schlugen sie mit Stöcken tot. Dies gelang uns zu Anfang einigermassen, dann aber war es fast unmöglich, sie zu erreichen. War der Boden schneefrei, so erhielt man allemal etwas Jagdbeute, war er aber mit Schnee bedeckt, so stellte sich die Sache anders: Wir sanken hinein, und die Pinguine stürmten davon. Sie legten sich auf den Bauch und stiessen sich mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit mit den Füssen vorwärts.

Die Sache wurde noch dadurch erschwert, dass wir uns alle, nicht wohl fühlten. Harte Arbeit bei unzureichender, wenigstens ungenügend nahrhafter Kost hatte uns schon so elend und schwach in den Beinen gemacht, dass es ein wahrer Jammer war. Ich war nie sehr stark gewesen, aber die jetzige Diät bekam mir so schlecht, dass ich ein paar Tage bett- oder vielmehr sacklägerig war; so musste ich denn sehr bald von der Verfolgung abstehen und mich damit beschäftigen, die erschlagenen Tiere abzuziehen. Dies war doch wenigstens eine Beschäftigung! Bei 13 bis 14 Grad Kälte Stunde für Stunde dazuliegen und den Tieren die Haut über die Ohren zu ziehen, war allerdings ein etwas kaltes Vergnügen, das lässt sich nicht leugnen, und Handschuhe konnte ich dabei nicht anziehen. Aber man lernt, so lange man lebt, und Pinguine abziehen, das kann ich jetzt.

Mit jedem Tage wurden die Tiere seltener, und bald waren sie gänzlich ausgerottet. Der Winter stand vor der Tür.

In diesem Zusammenhang möchte ich einige Worte über unsere Bekleidung sagen. Jeder hatte Unterkleider zum Wechseln mitgenommen. Unsere Anzüge waren fast alle aus Fries; dieser oder jener hatte einen Extrarock oder ein Beinkleid mitgenommen, gewöhnliche Winterkleider. Aber ich glaube nicht, dass irgend jemand mangelhafter Bekleidung wegen ernstlich hat frieren müssen.

Mit den Schuhen war es schlechter bestellt; unsere gewöhnlichen Schuhe und Stiefel waren durchaus nicht warm genug, daher hörte man denn auch täglich von erfrorenen Füssen, während niemand über Kälte an einem andern Körperteil klagte.

Wir hatten noch eine Sorge für den Winter, die übrigens mit den Proviantverhältnissen in Zusammenhang stand. Es handelte sich nämlich um unser Dach, das zu Anfang nur aus Segeltuch bestand. Es hatte zwei grosse Mängel: einmal war es sehr undicht, und dann drohte es bald ganz zu verschwinden, da es durch das beständige Aufschlagen auf das Dachgerüst sehr abgenutzt wurde. An dem ersten dazu geeigneten Tage nähten wir daher die Seehundsfelle, die wir hatten, darauf fest, aber es währte noch eine ganze Weile, bis das Dach völlig damit überzogen war.

Und dann hielt der Winter seinen Einzug. Einige Daten aus meinem Tagebuch werden beweisen, dass er sofort als gestrenger Herr auftrat.

Den 14. März. Schlechtes Wetter und Schneesturm aus West-Südwest. Die Arbeit im Freien eingestellt. Den 15. März. Frischer Südwind und Schneegestöber, den ganzen Tag 12° Kälte. Doch machte ich einen Spaziergang, denn man wird so schlaff, wenn man beständig im Schlafsack liegt. Den 18. März. Wetter schlecht. Am Abend südwestlicher Schneesturm. Ich gab jedoch meinen Morgenspaziergang nicht auf.

Ein kleines Stück von unserer Hütte entfernt befand sich ein Brutplatz von Skarben. Es sind hübsche Vögel, lebhaft und anziehend, und es war ganz amüsant, sie zu beobachten. Heute aber, als ich meinen Spaziergang machte, waren sie alle verschwunden. Es war schon früher vorgekommen, dass die meisten von ihnen auf Fischfang ausgezogen waren, aber dann kamen sie doch am Abend alle wieder. Und nun kehrten sie nicht mehr zurück. Winter! Winter! Alles führt die Gedanken auf diese Zeit des Todes hin.

Den 19. März. Schon gestern Abend um 11 Uhr wehte ein scharfer Wind. Er nahm mit jeder Stunde zu. Unser Dach war noch nicht fertig, und mit furchtbarer Gewalt stürzten sich die Böen auf unser gebrechliches Futteral, das klappernd gegen die Sparren schlug. An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken, wir warteten nur auf den Moment, wo das Dach auf und davon fliegen würde. Merkwürdigerweise hat es gehalten. Als wir aber am nächsten Morgen hinaussahen, war das Küchendach spurlos verschwunden! Es war mehrere hundert Meter weggeweht und würde sicher seine Fahrt weit über das Eis dahin fortgesetzt haben, wenn es nicht von einer pfeilerförmigen, freistehenden Gruppe von Klippen unten am Strande zurückgehalten worden wäre. Die ganze Insel war verändert nach dem Sturm, denn unerhörte Schneemassen waren herabgefallen, man musste bis an die Knie darin waten.


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