Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXI. Dem Untergang entgegen.

Am Abend vor dem Unglück hatte der Sturm, wie bereits erwähnt, nachgelassen, wenn auch noch mehrere Stunden lang eine frische Brise wehte. Das Eis war aber doch schon in Bewegung geraten, und es war an keinen Stillstand zu denken, ehe nicht jede kleinste Lücke in der Oberfläche ausgefüllt war. Am Achterende der »Antarctic« blieb lange ein kleiner Spalt offen, der sich dann bei dem Todesstoss schloss. Ein paar Tage lang hatte das Eis geschroben, im selben Augenblick aber, als die »Antarctic« zertrümmert wurde, trat plötzlich tiefe Stille ein, man spürte keine Bewegung mehr. Wäre ich Fatalist, so würde ich unbedingt glauben, das Eis habe die bestimmte Aufgabe gehabt, unser Schiff zu vernichten; sobald das Werk vollbracht war, habe es sich beruhigt. Es war aber wirklich ganz eigentümlich.

Die erste Nacht verlief ruhig, die Lage des Schiffes war unverändert und das Eis lag ganz still. Am Morgen fing man an, das Eis und den Schnee um das Steuer herum abzugraben, um zu sehen, wie es dort aussah. Nach grosser Arbeit kamen wir an die Wasserfläche hinab. Es war gerade kein erbaulicher Anblick, der uns hier entgegentrat: an der Steuerbordseite standen ein paar Nähte zwischen den Planken klaffend offen, und das Steuer war mitten durchgebrochen. Dass der Propeller noch da war, sahen wir, in welchem Zustand er sich aber befand, wusste niemand zu sagen. Die Nähte unter wie über dem Wasser wurden, so gut es anging, mit Dichtbaumwolle verstopft, aber das half nur wenig, das Hauptleck war offenbar an einer andern Stelle.

Wir erhielten jetzt auch einen Überblick über die Katastrophe. Die »Antarctic« lag mit dem Achtern auf dem tief unter Wasser vorgeschobenen scharfen Sockel einer Eisscholle, wohin sie durch den Druck einer andern Eisscholle geschoben worden war.

Es befanden sich mehrere Pumpen im Schiff, von denen zwei auf Deck standen: die eine war jedoch unbrauchbar, da sie infolge der Eispressung arg beschädigt war. Diese Pumpen wurden durch die Dampfwinde getrieben. Unten im Maschinenraum stand eine dritte Pumpe, die jeden Tag in Tätigkeit war, um die »Antarctic« wasserfrei zu halten, die, wie die meisten alten Holzschiffe, immer ein wenig leckte.

Während der nun folgenden Tage veränderte sich die Lage des Schiffes nicht; das Wetter war noch immer gut und fast windstill. Aber die Tage waren lang und unruhig. Man hatte im Anfang kaum Ruhe, unten in der Kajüte still zu sitzen; die Gedanken drehten sich unaufhörlich um die Situation. War dies wirklich das Ende? Sollten unsere kostbaren Sammlungen niemals das Vaterland erreichen? Sollten wir selber vielleicht alle mit dem Schiffe hier in den kühlen Wogen begraben werden? Würde nie ein Mensch erfahren, wie die »Antarctic« im Eise verschwand? In welchen Mutmassungen würde man sich in der Heimat ergehen, wenn jegliche Nachricht von uns ausblieb? Ach, es war hart, sehr hart, nach so viel Arbeit, nach so vielen mit Erfolg gekrönten Anstrengungen nie das Vaterland wieder erreichen zu sollen, hier unten zu verschwinden – . Aber noch war ja das Unglück nicht geschehen! Noch war unsere alte, geliebte Schute uns erhalten. Verwundet war sie in dem Kampf mit der Übermacht, schwer verwundet vielleicht, aber liess die Wunde sich nicht verbinden, konnten wir das entfliehende Leben nicht zurückhalten? Die Hoffnung endet nimmer. Wir glaubten noch an bessere Zeiten, bald musste ja der Westwind kommen, das Eis würde sich verteilen, wir würden die Winterstation erreichen, ja, vielleicht konnten wir uns sogar noch nach den Falklandsinseln hinüberwagen! Wer konnte es wissen? Wenn sich das Leck nicht verschlimmerte, lag keine Gefahr vor, die Pumpen konnten das Wasser, das eindrang, wieder entfernen.

Wenn man nur aufhören könnte zu denken! Wozu unser Gehirn noch anstrengen? Wussten wir doch, dass unser Urteil schon gefällt war, – nur der Urteilsspruch war uns noch nicht bekannt gegeben. Aber wir konnten die Gedanken nicht verscheuchen.

Das Rasseln der Pumpen, derselbe unaufhörlich schnarrende Misston, Stunde für Stunde, Tag für Tag, erinnerte uns beständig an unsere Lage, trieb uns von Zeit zu Zeit auf Deck hinauf, um die letzten Nachrichten einzuholen, um einen Blick in den Raum zu werfen und zu sehen, wie hoch das Wasser stand. Nie werde ich diesen Laut vergessen, jedes rasselnde Geräusch wird mich stets an die längsten Tage meines Lebens erinnern. Vielleicht werden einstmals noch längere kommen, jetzt erscheint mir das ganz unmöglich. Ich gewöhnte mich schliesslich so an diese Musik, dass ich mitten in der Nacht erwachte, sobald sie verstummte.

Das Eis zeigte in den letzten Tagen keine Veränderung. Von Zeit zu Zeit kletterte jemand in die Tonne hinauf und hielt Ausguck, aber es sah immer gleich trostlos aus.

Am Morgen des 16. Januar erwachte ich in aller Frühe davon, dass sich das Schiff bewegte. Eine Veränderung musste eingetreten sein. Ich zog mich schnell an und eilte auf Deck hinauf. Es hatte sich plötzlich in dem Eise vor dem Bug eine Spalte gebildet, und die »Antarctic« schwamm wieder teilweise auf dem Kiel. Das Eis war von den Seiten des Schiffes zurückgewichen, es waren ebene Wände mit einem deutlichen Abdruck des Schiffes bis zu einer Höhe von zwei Metern. Wir lagen jetzt förmlich in einem kleinen Eisdock, – ein Trockendock war es leider nicht –, aber seit das Schiff auf rechtem Kiel lag, leckte es glücklicherweise weniger.

Die folgenden Tage brachten keinerlei Veränderung – der Westwind blieb noch immer aus, bald hatten wir Windstille, bald wehte eine schwache Brise aus Nordost. Es war unsagbar trübselig, und wir ergriffen mit Begier jede Gelegenheit, uns zu beschäftigen.

Eines Nachmittags belustigten wir uns sogar mit Schneeballwerfen auf Deck, und die Wurfgeschosse umsausten die Masten. Mit Schneebällen wohl versehen, kletterte der Steuermann unbemerkt in den Mastkorb, von wo aus er die Situation eine Weile beherrschte. Aber die Munition nahm bald ein Ende, er wurde hart angegriffen, glitt schliesslich behende wie ein Affe an einer der Pardunen entlang und verschwand.

In der Nacht zum 21. Januar wurde unsere Hoffnung neu belebt, aus Nordwesten blies ein frischer Wind. Die ganzen Eismassen lösten sich vom Lande, gerieten in südöstlicher Richtung ins Treiben und die »Antarctic« trieb natürlich mit. Wir hatten keinen brennenderen Wunsch gehabt. Ich stand auf Deck und beobachtete aufmerksam mit dem Fernrohr, wie sich das Eis vom Lande wegbewegte, ein Anblick, über den wir uns von Herzen freuten. Es war Festtag an Bord, Sr. M. König Oscars Geburtstag, und wir waren beinahe in festlicher Stimmung. Die schwedische Flagge wurde unter der Gaffel gehisst, die norwegische auf dem Besanmast, und um 8 Uhr wurde Salut geschossen, 21 Schüsse aus zwei Kanonen. Am Mittag versammelten sich alle Mann bei einem Glase Punsch an Deck und es wurde ein Hoch auf den König und auf den Kronprinzen ausgebracht. Die Stimmung war eitel Sonnenschein, das Wetter war herrlich, es wehte ein frischer Nordwestwind, und das Leck war besser denn je, denn jetzt konnte die Maschinenpumpe allein das Schiff flott halten. Wir gingen umher und stiessen miteinander an: »Prosit, Ihr Jungen, wir werden den alten Kasten am Ende noch mit nach Stockholm zurückbringen!«

Am 22. Januar hielten der frische Wind und das Treiben an. Das Eis fing an, sich ein wenig zu verteilen und trennte sich an der Backbordseite los, so dass wir jetzt ganz deutlich den Sockel der Eisscholle an der Steuerbordseite sehen konnten, auf der das Hinterteil des Schiffes ruhte. An Backbordseite bildete sich in der folgenden Nacht eine offene Stelle, und nachdem der Eisschlamm weggeschafft war, erhielten wir einen deutlichen Begriff von der Situation. Ich lag unten in meiner Koje und erwachte, infolge einer Unterhaltung, die der Kapitän und der Steuermann draussen in der Messe miteinander führten. Es klang gerade nicht sehr erbaulich, was ich da hörte, und ich bat mir deswegen genaueren Bescheid aus. »Ja, höre nur, welche herrlichen Entdeckungen der Steuermann schon in aller Morgenfrühe gemacht hat,« antwortete Larsen, »der Kiel ist beschädigt, das Steuer und der Achtersteven sind zersplittert, sogar einige Planken auf der Backbordseite, der Propeller ist zwar heil, aber die Achse ist aus dem hinteren Lager gedrängt und verbogen!« Das waren unheimliche Nachrichten. Am Vormittag waren K. A. Andersson und ich unten im Maschinenraum und halfen mit einem Hebel und einer Talje den Propeller herumdrehen, um ihn in die neue Lage einzufeilen. Der wird schon gehen, berichtet das Tagebuch, dahingegen ist es unsicher, ob das Achterschiff genügend zusammenhält, um die Schute lenz zu halten. Wir legten einen Reif um den hinteren Teil des Schiffes, um den zerfetzten Kiel zusammenzuhalten, und eine Kette um den Steven, die ein weiteres Undichtwerden verhindern sollte.

Noch immer stand das Schiff auf dem Eissockel, und es sah gar nicht so aus, als ob es die Absicht hätte, sich vom Fleck zu rühren. Wir fingen an, darüber nachzudenken, wie wir »unsern Sockel« am besten behandeln konnten. Zuerst versuchten wir, einzelne Teile der Eisscholle wegzuschlagen, und ein paar Tage hindurch waren alle Mann damit beschäftig; dadurch musste sich der Schwerpunkt der Eisscholle verrücken und das Schiff flott werden. Dann machte man Versuche mit Sprengen. Mit Pulver gefüllte Flaschen, die in eine Öffnung im Eise gesteckt wurden, bohrten eine Linie quer über die Eisscholle; es knallte laut, das Schiff erbebte ein wenig, Eis und Schnee wurden aufgewirbelt, und – das war das ganze Resultat. Am 29. Januar berichtet indes das Tagebuch: Wir sassen gerade unten in der Messe, bei unserer gewohnten Nachmittagspartie, als uns Rufe, und Lärm schleunigst auf Deck lockten. Unsere Eisscholle war geborsten, nur noch ein kleines Stück mit daranhängendem Fuss sass noch immer wie festgeleimt unter dem hinteren Ende des Schiffes fest. Durch die Bewegung verschlimmerte sich das Leck wieder, es war jetzt fast ebenso gross wie im Anfang, so dass ausser der Maschinenpumpe auch die beiden Deckpumpen unablässig arbeiten mussten.

Am Sonntag, den 1. Februar, arbeiteten wir wie Galeerensklaven, aber trotzdem blieb das Schiff mit starker Schlagseite nach Backbord liegen, und dies wäre beinahe unser Untergang geworden.

Schon am vorhergehenden Tage hatte eine starke Eisscholle mit einem bösen, vorspringenden, unterseeischen Eissockel diesen unter den Bug der »Antarctic« geschoben. Gegen Abend fing das Eis an, unruhig zu werden und ein wenig zu schrauben. Wir hatten gerade unser Abendbrot verzehrt, die Uhr war ungefähr 9. Ich klappte mein Tagebuch zu, in das ich eben die ziemlich uninteressanten Ereignisse eingetragen hatte, und glaubte mit diesem Tage fertig zu sein. Diesmal aber sollte eine Seite im Tagebuch nicht ausreichen. Ich war gerade im Begriff, auf Deck zu gehen, als ich fühlte, wie sich das Schiff schnell auf die Backbordseite neigte. Ich eilte die Treppe hinauf, um zu sehen, was geschehen war. In der Tür begegnete ich dem Kapitän, der mir zurief: »Komm und hilf uns die Boote und den Proviant auf das Eis schaffen, denn das Schiff ist auf dem besten Wege, sich herumzudrehen!« Die »Antarctic« ruhte mit dem Vorder- und dem Hinterteil auf Eis, und jetzt, wo die Schraubung von der Seite kam, kippte sie über. Es waren noch sechs Zoll bis zum Speigatt, bei der leisesten neuen Bewegung würde sie die Takelage in das Eis schlagen und sich nie wieder aufrichten. Hier war keine Zeit zu verlieren. Wir liessen die Boote herunter, und bald standen sie auf einer Scholle an Steuerbord. In dem tiefen und losen Schnee war die Arbeit sehr schwer. Ich stand da und zog an dem einen Ende, es war nebelig, ein kalter Wind wehte, und es schneite stark. Endlich war also der Schluss, die Entscheidung gekommen, endlich eine Veränderung – sie war willkommen, wie sie auch ausfiel, trug sie doch gewissermassen eine Befreiung in sich.

Gegen 1 Uhr war alles klar, so dass wir, falls es nötig sein sollte, das Schiff jeden Augenblick verlassen konnten. Natürlich war es bei dieser Hast nicht möglich, auch nur die Hälfte von dem mitzunehmen, was wir hatten mitnehmen wollen. Eine Partie Kleider, die Schlafsäcke, die fertig waren, einige Fass Brot, eine Partie Petroleum, sowie einige Kisten gedörrtes Gemüse, das war alles.

Es war kalt und windig, wir gingen in die Messe hinab und setzten uns hin, um zu plaudern. Scherzen und Lachen wie gewöhnlich – kann man das begreifen? Aber es war so.

Die Lage war unverändert und wir dachten daran, uns zur Ruhe zu begeben. Seit der Katastrophe schlief der Kapitän immer in voller Bekleidung oben im Kartenhaus. Andersson und ich waren allein unten. Wir schliefen nicht gleichzeitig, sondern teilten die Nacht in Wachen ein. Um 4 Uhr warf ich mich auf die Koje, in Kleidern und mit Stiefeln, die Mütze neben mir. Wie ein Stock schlief ich ein paar Stunden.

Am nächsten Morgen hatte das Schiff sich ganz brav aufgerichtet, dann aber lag es den ganzen Tag da und schlingerte.

Während die andern damit beschäftigt waren, die »Antarctic« zu reparieren, Teile des Eissockels wegzuschlagen und dergleichen, fing ich an, mich auf das schlimmste vorzubereiten. Meine photographischen Platten waren gross und schwer, 18 zu 24 cm, ich konnte nicht daran denken, sie mit an Land zu nehmen. Es war nicht viel Kopierpapier an Bord vorhanden, aber was da war, benutzte ich, um wenigstens die wichtigsten Bilder zu retten.

Der 3. Februar war ein denkwürdiger Tag. Am Vormittag war alles unverändert, das Eis war so dicht wie immer, obwohl die ganze Masse etwas umhertrieb. Wir befanden uns jetzt ungefähr in der Mitte zwischen der Paulet- und der Cockburn-Insel. Gegen Abend stiess die fatale Eisscholle vorn hart auf und warf die »Antarctic« hintenüber. Das konnte unsere alte Eisscholle nicht vertragen, der Sockel zerbarst, die Eisscholle kehrte die Seite nach oben, und wir waren wieder flott. Aber der Stoss war zu heftig gewesen, das Leck wurde schlimmer und schlimmer, die Deckpumpen rasselten in Eiltempo, die Maschinenpumpe arbeitete wie gewöhnlich mit voller Kraft, und wir mussten mit einer Handpumpe nachhelfen. Eine Wirkung hatte die Sache wenigstens. Die Pumpe gewährte uns einige Zerstreuung, wir arbeiteten ununterbrochen, und auf diese Weise gelang es uns, den Wasserstand zu halten. Am nächsten Tage wurden abermals Versuche gemacht, die beschädigten Stellen zu dichten, und das Leck wurde etwas kleiner. Mit einem Baum gelang es uns, die vordere Scholle loszustossen, und nun waren wir frei und ledig. Wenn sich jetzt nur das Eis zerteilte, konnten wir uns auf die Paulet-Insel begeben. In der Befürchtung, dass die Maschine das Achterschiff zu sehr erschüttern würde, legten wir neue Reifen und Ketten herum, um den Kiel und den Hintersteven zusammenzuhalten.

Bisher zerteilte sich freilich das Eis noch nicht, aber es wurde recht unruhig. Die Schraubungen gehörten nicht zu den Seltenheiten, und man musste unausgesetzt auf das Hinterteil acht geben: zuweilen gelang es uns erst in der letzten Minute, die Befestigungen zu lösen, – – ja, einmal gelang uns das nicht, ehe das Eis einen Reifen durchgefeilt hatte, als sei es ein Zwirnsfaden. Uns zunächst lag die Cockburn-Insel; am 6. schätzten wir die Entfernung auf nur 14 Minuten. Mehr als einer war überzeugt, dass man von der Winterstation Ausguck nach dem Schiff gehalten hatte und es jetzt sehen musste.

Die Boote und der Proviant hatten bis dahin ruhig auf ihrer Eisscholle gelegen, als aber das Eis anfing, unruhig zu werden, schleppten wir alles wieder an Bord, um uns nicht der Möglichkeit auszusetzen, es eines schönen Tages auf eigene Faust an uns vorübersegeln zu sehen.

Ich fing an, mein Herbarium durchzusehen. Vorsichtigerweise hatten wir die bisher gemachten Sammlungen im September 1902 in Port Stanley an Land gebracht, aber mein teuerstes Eigentum, das Herbarium von den Ufern und Inseln des Orléans-Kanals, befand sich natürlich an Bord, und einen Teil dieser gepressten Pflanzen konnte, ich möglicherweise, mitnehmen, obwohl es seine Schwierigkeiten haben würde, sie trocken zu halten, was ja notwendig ist. Es war eine wahre Qual, hier ein Moos, dort eine Alge auszuwählen und dann den Rest beiseite zu legen, – es geschah mit einem Seufzer, und zwar mit einem tiefen. Welche Opfer hätte ich nicht gebracht, um meine Sammlungen behalten zu können! K. A. Andersson und ich sprachen uns wieder und wieder über dies Thema aus. Noch hatten wir die Hoffnung nicht aufgegeben, das ganze Schiff auf Grund zu bringen, und dann waren ja die Sammlungen gerettet. Aber wenn – wir vermochten den Gedanken kaum zu Ende zu denken. Ich hoffte noch immer, dass mein »Notherbarium« nicht der kostbare Schatz werden möge, der es später doch wurde.

Den 7. Februar. Bisher hatten wir während dieser Zeit keinen eigentlichen Sturm ausgestanden, aber am Abend fing der Wind an, sich aufzunehmen, bis er zu einem förmlichen Sturm wurde. Die Eisschollen donnerten gegen die Schiffswände. Gegen 3 Uhr kleidete ich mich an und ging hinauf. Wir lagen in einer kleinen offenen Stelle, mit einer Eisscholle auf jeder Seite, an die wir mit drei starken Trossen befestigt waren. Die Eisscholle an der Steuerbordseite hatte einen abscheulichen Sockel, den sie unaufhörlich auf drohende Weise dem empfindlichen Hinterteil des Schiffes näherte. Wir mussten bald hier, bald dort eine Eisscholle fernhalten, eine Trosse anziehen und die, andern lösen, Schreie und Rufe ertönten von allen Seiten, während die Orkanböen mit rasender Gewalt über das Eis dahinfegten. Der Sturm aus Süd-Südwest liess erst gegen Abend nach, das Eis war ins Treiben geraten und die Cockburn-Insel wieder in weite Ferne gerückt.

In der Nacht zum 10. fing das Eis wieder an, sich zu zerteilen, und bald sah man von der Tonne aus im Osten wie im Norden eisfreie Stellen. Im Maschinenraum waren Anordnungen getroffen, um das Kondensierungswasser von dem zu nehmen, was hereinleckte, wodurch wir gewissermassen noch eine Pumpe mehr bekamen. Am Vormittag sollte eine Probe mit dieser Einrichtung abgehalten werden. Aber bei jedem Schlag des Propellers erzitterte der ganze Schiffsrumpf gewaltig, und als die Maschine nach einer halben Stunde stillstand, strömte das Wasser mit einer solchen Gewalt herein, dass alle Hoffnungen vernichtet schienen. Durch angestrengte Arbeit mit allen fünf Pumpen gelang es dann, das Niveau ein wenig zu senken.

Die Erschütterung war dadurch hervorgerufen, dass die Propellerachse gegen das hintere Achsenlager stiess, aus dem sie bei der Katastrophe herausgedrängt war. Mit grosser Mühe schlugen wir das Achsenlager weg, und ein grober Draht, der rund um den Achtersteven und über den Bug gelegt war, wurde angezogen, um die Reste in der richtigen Lage zu halten.

Wir hatten nun Gelegenheit gehabt, das Achterschiff auch von der Steuerbordseite zu untersuchen, und das Unglück lag jetzt in seiner ganzen Ausdehnung klar vor uns. Die Optimisten hatten verloren!

Das ganze hintere Drittel des Kiels war verschwunden und hatte ein paar Planken mit weggerissen. Es war ein Loch entstanden, das keine Menschenmacht hier draussen zu verstopfen vermochte. Der sanguinischste Wunsch beschränkte sich jetzt auf den Stossseufzer: »Könnten wir das Schiff doch nur an Land bringen!«

Es dürfte hier am Ort sein, mit einigen Worten zu erklären, wie der Schaden entstanden war. Man hat von gewisser Seite der Expedition den Vorwurf gemacht, dass sie sich einem alten, vermoderten Schiff anvertraut habe. Wohl muss ich zugeben, dass, wenn wir ein neu erbautes Fahrzeug von derselben Konstruktion wie die »Antarctic« gehabt hätten, dieses vielleicht etwas widerstandsfähiger gewesen wäre, aber es war doch nichts gegen ihren damaligen Zustand einzuwenden, trotz ihres hohen Alters, das sich auf 30 Jahre bezifferte. Dass das Holz noch frisch war, konnten wir deutlich sehen, übrigens ist wohl anzunehmen, dass jedes Fahrzeug von dem gewöhnlichen Eismeertypus in der Lage der »Antarctic« mehr oder weniger schwer beschädigt worden wäre. Wenn das Eis an der Backbordseite das Schiff gegen den scharfen, vorstehenden Eissockel an der Steuerbordseite presste, hob es sich, so lange die Seite schräg verlief, an diesem in die Höhe. Dann aber war der Kiel im Wege, und die Folge davon war, dass er ganz einfach entfernt wurde. Um eine solche Umarmung aushalten zu können, hätte es einer »Fram« bedurft. Kurz, hätte die »Antarctic« keinen Kiel gehabt, würde sie wahrscheinlich noch jetzt auf den Wellen tanzen.

Am Abend wurde das Eis unruhiger denn je. Ich sass da und erfreute mich an dem Anblick einer heissen Tasse Tee und einiger vorzüglicher Butterbrote, während der Lärm auf Deck mehr und mehr zunahm. Ich lief von meiner Mahlzeit weg, um nachzusehen, ob sich etwas Besonderes ereignet hätte. Die Eisscholle tanzte hin und her, Eisberge und »Kosar« »Kosar« stammt aus dem Norwegischen und bedeutet hohe Eissschraubungen. mit Sockeln, deren blaugrüner Schimmer im Wasser schon von weitem nichts Gutes verhiess, drohten jeden Augenblick mit dem Schiff zu kollidieren. Bald setzte man das Boot aus, um eine Trosse an einem »Kos« festzumachen, bald musste es schleunigst wieder an Bord gezogen werden, damit es nicht vom Eis eingeschlossen wurde. Nach NW. und W. zu sahen wir immer mehr offenes Wasser, es war klar, die Entscheidung stand vor der Tür. Es war jetzt 2 Uhr nachts. Wir waren in eine grössere offene Wasserfläche hineingetrieben und fuhren nun los. Der Augenblick, als das Segel gesetzt wurde, erschien mir diesmal ungewöhnlich feierlich. Die »Antarctic« schwebte wieder frei dahin! Es sah aus, als beseele sie ein neues Leben, als fühle sie, was auf dem Spiel stand, als wolle sie alle Kräfte aufbieten, um das errettende Land zu erreichen. Nie, meinten wir, habe sie die Wellen so schnell durchschnitten. Wir gerieten in eine Gruppe von Eisbergen hinein, die auf dem Meeresboden standen. Hier herrschte eine wirbelnde Strömung, alle Anstrengungen waren vergeblich, sie wollte dem Steuer nicht gehorchen. »Maschine klar!« – Es war ein verhängnisvoller Augenblick, als der Propeller wieder zu schnurren anfing. Ich ging auf die Brücke. Dort stand Larsen, die Spannung war ihm aufs Gesicht geschrieben, – weisst du was es für einen Schiffer bedeutet, sein Schiff zu verlieren? Das Eis fing an, dichter zu werden, die »Antarctic« machte volle Fahrt, wir mussten versuchen, so weit wie möglich an die Paulet-Insel heranzukommen.

»Was meinst du, werden wir sie halten können, wenn wir nun stoppen?« fragte ich Larsen. »Ja, das kommt darauf an, es ist schwer zu sagen, ich glaube es kaum,« antwortete er mir. Ich glaubte es nicht, das steht fest.

Ein letztes Lebewohl

Jetzt waren wir am Ende des klaren Wassers angelangt. Unten im Schiff fing das Wasser schon an zu steigen, man lief wirr durcheinander und guckte durch die grosse Luke. »Es steigt! Mit aller Macht an die Pumpen!« Wir arbeiteten aus Leibeskräften, von Zeit zu Zeit einen Blick in den Maschinenraum werfend: es stieg noch immer! Da, auf einmal schien es weniger zu werden; hurra, – es fiel, – einen Augenblick später aber stürzte das Wasser mit unwiderstehlicher Kraft herein. Sechs Pumpen waren in Bewegung, alle strengten sich bis zum äussersten an, Fluten von Wasser strömten durch Schläuche und Röhren heraus, die Winde arbeitete mit fürchterlicher Gewalt, wie nie zuvor, ein ohrenbetäubender Lärm, alle Arme waren in Tätigkeit – alles vergebens! Leise, aber sicher stieg das Wasser, jetzt verschwand das Kielschwein, um nie wieder aufzutauchen. »Alle Mann wecken, sie sinkt!« Es ist heraus: sie sinkt! Hier war keine Zeit zu Grübeleien. Schnell ans Werk, es war noch viel zu tun. Proviant wurde auf Deck herauf und von da sofort auf eine grosse Eisscholle hinabgereicht, an der das Schiff mit starken Trossen vertäut wurde. Bald waren alle Mann auf Deck. Berge von Säcken und Tonnen, Fässern und Kisten lagen bunt durcheinander auf der Eisscholle. Matratzen, Planken und Stangen, Werkzeug, Segel und dergleichen, alles lag hier beieinander. Starr vor Entsetzen wurden die Katzen auf das Eis hinab getragen und in eins der Bote gesetzt. Die armen Tiere, bei all der Unruhe des letzten Monats hatten sie ihr Recht gar nicht bekommen, sie waren ganz eingeschüchtert. Wir erwarteten, dass sich die Ratten zeigen sollten, sobald ihnen die Füsse nass wurden, aber nicht eine einzige wurde sichtbar, obwohl sie nach Hunderten zählten.

Das Ende naht

Um 8 Uhr waren wir mit unserer Arbeit fertig. Alle versammelten sich in der Messe. Zum letztenmal. War es denn wirklich wahr? Konnten wir die ganze Tragweite des Unglücks fassen, das uns zwang, für immer unser Heim zu verlassen, das uns so lieb geworden, das ein Zeuge unserer Sorgen und Mühen, unserer Freuden und Erfolge gewesen war?

»Stolz hat sie gelebt, stolz soll sie sterben! Ein Wohl auf die »Antarctic« und ein Dank für alles, was gewesen!« Wir leerten unsere Gläser bis auf die Neige. Dann kehrten wir wieder auf Deck zurück, einer nach dem andern. Ein letzter Blick zurück, er schweifte über den niedrigen Raum, in dem so viele Pläne verhandelt, so viele wissenschaftliche Fragen erwogen, so viele heitere Geschichten erzählt, so viele frohe Lachsalven erklungen sind. Lebe wohl, lebe, wohl für immerdar. Ich mochte nicht nach dem Schrank hinübersehen, in dem alle meine Pflanzen lagen. Es war ein sonderbares Gefühl

Das Wasser reichte jetzt bis an das Zwischendeck, es konnte sein, dass sie ganz plötzlich sank; da war es ratsam, sich auf das Eis hinab zu begeben. Die schwedische Flagge wurde unter der Gaffel gehisst, und die Standarten auf dem Gross- und Besanmast.

Und dann verliessen wir sie. Jetzt ertönte der Ruf: »Kappt die Vertäuungen!« Einige Axthiebe fielen, und sie glitt langsam eine Strecke dahin. Um sie noch weiter fortzuschaffen, griffen alle Mann zu und zogen sie an dem Teil der Eisscholle vorüber, auf dem unsere Sachen lagen. Wir schleppten sie förmlich zu Grabe. Es entsteht gewöhnlich, wenn das Wasser ein Schiff schnell füllt, ein solcher Wirbel, dass es sehr gefährlich ist, sich mit Booten in der Nähe zu befinden. Wir glaubten, dass die Eisscholle möglicherweise bersten könne.

Plötzlich entdeckte der Steuermann, dass er eine ganze Menge. Kautabak wie auch seine Feile an Bord vergessen hatte. Er und ein paar Mann ruderten im Boot heran. Sie kamen jedoch gleich wieder zurück, nachdem sie sich umgesehen hatten. Es sah so unheimlich aus! Unten in der Messe stand das Wasser jetzt einen halben Meter hoch, die Stühle schwammen umher, und ich erhielt einen letzten Gruss von meiner Kamera, die schwamm dort auch umher, zusammen mit Pflanzenbündeln und dergleichen.

In einer langen Reihe sassen wir auf dem Rande des Eises und konnten unsere Blicke nicht von der »Antarctic« wenden. Sie war wieder näher zu uns heran getrieben, die Entfernung betrug kaum 25 Meter mehr. Noch arbeitete die Maschine, das Feuer war freilich gelöscht, aber der Dampf war noch nicht ganz entwichen. Noch gingen die Pumpen, aber das Geräusch wurde immer schwächer – ihr Atem erlosch. Leise sank sie mehr und mehr, wir glaubten einen Augenblick, dass sie mit dem Vorderteil zuerst sinken würde, bald aber gewann sie ihr Gleichgewicht wieder. Jetzt entschwand der Name am Bug jetzt reichte das Wasser bis an die Reeling, und mit Gerassel stürzten die Eisstücke und die Wassermassen auf das Deck herein. Den Ton vergesse ich nie, so lange ich lebe. Es war unheimlich, es erschütterte mich bis in mein Innerstes!

Untergang der »Antarctic« – Bald waren von dem Schiff nur noch die Mastspitzen über der Wasserfläche zu erkennen.

Jetzt werden die blau-gelben Farben in die Tiefe hinabgezogen – – der Besanmast schlägt gegen den Rand unserer Eisscholle und zerbricht, dann fällt der Grossmast und bricht ab, die Tonne rasselt gegen den Eisrand, und der Wimpel mit dem Namen »Antarctic« verschwindet in den Wellen. Das Bugspriet – die letzte Mastspitze – –

Es ist vorbei.

Das Ende


 << zurück weiter >>