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XV. Winterseehunde und Frühlingsboten.

Eines Tages Ende Mai machten wir die unliebsame Entdeckung, dass wir einem drohenden Mangel an Feuerung gegenüberstanden. Bisher hatten die Tranqualmer in der Küche bis zum Abend gebrannt, und wir hatten täglich unsere drei regelmässigen Mahlzeiten zu uns genommen, nach denen wir uns oft recht fleischsatt fühlten.

Aber die Hälfte unseres Speckvorrates war jetzt schon verbraucht, und es hatte den Anschein, als hätten sich die Seehunde während der strengsten Winterzeit aus dieser Gegend zurückgezogen. Jetzt sahen wir uns gezwungen, eine Einschränkung in unserm Haushalt vorzunehmen, um an Feuerung zu sparen. Wir beschlossen, uns mit zwei Hauptmahlzeiten zu begnügen, und in der Mitte des Tages nur einige Fleischstücke aufzuwärmen, die zugleich mit dem Frühstück bereitet waren.

Auf diese Weise lebten wir ein gutes Stück in den Juni hinein. Da aber kamen wir zu der Erkenntnis, dass auch diese kleine Zwischenmahlzeit ein Luxus sei, der abgeschafft werden müsse. Am 23. Juni nahmen wir unser »Lunch« zum letzten Mal ein, aber schon am selben Tage trat ein Ereignis erfreulichster Art ein.

Draussen lag frische gute Nahrung für zehn Tage

Ich fungierte an diesem Tage als Koch. Während ich in der Küche sass, mit den Vorbereitungen zum Mittagessen beschäftigt, kehrten Duse und Grunden von einer Wanderung zurück, und berichteten ganz atemlos, draussen auf der Landzunge liege ein Seehund. In grösster Eile wurde die Büchse hervorgeholt und dann stürzten sie wieder hinaus. Gespannt sass ich da und lauschte, bis der Schuss knallte. Da setzte ich schnell einen Tropfen »Extra-Kaffee« auf, und dazu leisteten wir uns auch ein Extra-Stück Schiffsbrot. Dies war eine festliche Veranlassung von hoher Bedeutung. Ohne die alten Vorräte anrühren zu müssen, hatten wir jetzt für fernere zehn Tage Feuerung und frisches, gutes Fleisch, gar nicht zu reden von allen den Leckerbissen, dem Herzen, den Nieren, der Leber, die als unsere grössten Delikatessen auf dem Gebiete der Naturproviantierung galten. Das wichtigste war aber doch die Gewissheit, dass die Seehunde im Laufe des Winters nicht ganz verschwunden waren. Jetzt hatten wir die beste Hoffnung, mehr zu bekommen. Von Zeit zu Zeit hatten wir auch wirklich Gelegenheit, einen Seehund auf dem Eise in der Bucht zu schiessen. Sie kamen merkwürdigerweise einer nach dem andern. Wenn wir die letzten Stücke eines Tieres verzehrt hatten, stellte sich sehr bald wieder ein neues ein. Wir sagten oft zu einander, es sei, als ob ein freundliches Geschick sie uns sende, und wir glaubten zu spüren, wie unsere Kräfte zunahmen, dank dem guten, frischen Fleisch. Im ganzen erlegten wir während unseres Aufenthalts in der Hoffnungsbucht 21 Seehunde, wozu ich bemerken muss, dass wir von den ersten Herbstseehunden nur den Speck und die Haut und von dem letzten, der kurz vor unserm Aufbruch gen Süden geschossen wurde, nur die besten Bissen des Fleisches und die Leber benutzten.

Am 6. Juli schossen Grunden und ich einen Seehund, dessen Magensack mit Fischen vollgepfropft war (nach den fragmentarischen Köpfen zu urteilen, die ich in der stark zermalmten Masse fand, wahrscheinlich Macruriden). Dieser Fund verlieh unsern bisher ziemlich unbestimmten Plänen, einen Angelversuch zu machen, neue Fahrt, und sobald wir von der Seehundjagd heimgekehrt waren, bat ich Duse, seine Handfertigkeit zur Anfertigung eines Fischereigeräts zu benutzen. In der Knochenscheide seines Messerschaftes fand er ein passendes Rohmaterial, und bald hatte er hieraus einen Haken mit scharfer Spitze, einen Widerhaken und einen Hocker zum festknoten am oberen Ende geschnitzt. Einen kurzen Angellappen verfertigten wir aus einem kleinen Stück Angelschnur, das übrig geblieben war, nachdem wir das meiste zu Nähgarn verwendet hatten. Die Leine selbst schnitt Duse aus einem Seehundsfell, sie war 1-1,5 cm breit mit etwas Fettbelag, der sich nicht entfernen liess, auf der einen und Haaren auf der andern Seite. Es war ein unförmliches Ding, 35 m lang und bildete in aufgewickeltem Zustand ein Knäuel, so gross wie ein Menschenkopf. Haken und Leine waren der Wilden aus dem Steinalter würdig. Statt des Senkbleis benutzten wir eine abgebrochene Zeltpinne, und als Köder verwendeten wir kleine Stücke Seehundspeck.

Am 25. Juli machten wir unsern ersten Angelversuch. Der äussere Teil des Sundes war eisfrei, aber innerhalb der Landzunge, westlich von der Hütte, konnten wir am Rande des Festeises eine Stelle mit passender Tiefe wählen. Der Tag war windstill, aber kühl. Es war kein angenehmes Stück Arbeit, die nasse Leine mit blossen Händen einzuholen, und mit Fausthandschuhen ging es noch schlechter, da diese bald voll Seewasser waren. Trotzdem tummelten wir uns fleissig mit unserer Leine. Grunden, der die meiste Erfahrung in dieser Sache hatte, meinte mehrmals, einen Anbiss zu spüren, aber die Leine kam allemal leer herauf. Er schwur jedoch mehrmals hoch und heilig, er habe Fische am Angelhaken gefühlt. Während Duse und ich auf dem Eise umherwanderten, um uns warm zu halten, fing er plötzlich an, die Leine mit grösserer Eile als bisher einzuziehen, und diesmal zappelte wirklich ein Fisch am Ende der Seehundsleine. Wir rissen die Mützen ab und begrüssten den sehnlichst erwarteten Gast mit lautem Hurra.

Jetzt hatten wir Blut geleckt und liessen nicht eher nach, als bis wir noch zwei weitere Fische gefangen hatten. Es waren fast fusslange Nototheniden mit grossem, breiten Kopf und mächtigem Maul. In Seehundsfett gebraten, mit einem kleinen Zusatz von Meerwasser, waren sie für uns ein unbezahlbarer Leckerbissen zwischen allen den einförmigen Fleischspeisen.

Sobald das Wetter es gestattete, gingen wir in der nächsten Zeit auf Fischfang aus. Es war für uns ein angenehmes »Picknick«, wenn wir an einem windstillen, sonnigen Tage mit ein paar schwarzen Seehundssteaks und einem halben Schiffszwieback zum Fischen nach der Bucht zogen. Einmal bekamen wir sechs Fische, ein andermal gar keine. Bald entdeckten wir, dass die Fische nicht nur an dem Köder anbissen, sondern auch das Fett von der Leine nagten. Diese war oft mit kleinen Seekrebsen, Amphipoden, dicht besetzt, die auch nach besten Kräften daran knabberten. Hierdurch wurde die Leine an einzelnen Stellen sehr dünn. Wir mussten sie sehr häufig nachsehen und die Stellen zusammenknüpfen, wo sie bei unsern Versuchen riss. Auf diese Weise war sie schliesslich voller Knoten. Eines Tages hatten wir einen mächtigen Biss, bei dem die Leine riss. Der Fisch ging mit Angelhaken und Senkblei davon. Wir ersetzten das letztere durch einen länglichen Stein, und Duse verfertigte einen neuen Haken aus einer Schuhschnalle aus Messing. Mit dieser neuen Angel fingen wir noch mehrere Fische, späterhin im August aber wollte der Fisch nicht mehr beissen. Gleichzeitig begannen wir auch mit unserer Frühlingsausrüstung, die unsere Zeit mehr und mehr in Anspruch nahm. Ungefähr zwanzig Fische waren unsere gesamte Beute, so dass uns unsere Fischerei mehr Beschäftigung und Zerstreuung als Speise eingebracht hatte.

Angelhaken. Aus einer Schuhschnalle verfertigt. Natürl. Gr.

Schon früh im Spätwinter stellten sich Frühlingsboten ein, die unter den obwaltenden Verhältnissen keineswegs ausschliesslich angenehmer Art waren. Unsere Lage war auch sehr eigentümlich.

Von Norden her sollte der Entsatz kommen, aber um von demselben erreicht zu werden, mussten wir gen Süden, nach der Winterstation wandern. Falls nämlich die »Antarctic« mit Mann und Maus untergegangen war – eine Möglichkeit, der wir uns trotz unserer Hoffnungen nicht verschliessen konnten –, wusste niemand, dass wir hier lebend zurückgeblieben waren. Wenn wir nicht von hier fortkamen, konnte es geschehen, dass wir im Laufe des Sommers ein Entsatzschiff durch den Sund fahren sehen würden, ohne uns durch Signalfeuer oder dergleichen bemerkbar machen zu können. Unser Leben hing offenbar davon ab, dass wir Snow Hill erreichten, und um dorthin zu gelangen, war Eis erforderlich, über das wir gehen konnten. Das Treibeis, das im vorhergehenden Sommer unser unbezwingbarer Feind gewesen, das alle unsere Pläne gekreuzt und uns hier gefesselt hatte, war jetzt unser ersehnter Freund. Fast aber sah es so aus, als sei alles Eis verschwunden. Während des ganzen Winters hatte das Eis abgenommen. Zuweilen, wenn wir nach den Südweststürmen hinauskamen, lag die Bucht still, blauend, eisfrei bis an das Ufer, da, und uns überkam das unter diesen Umständen sehr erklärliche wehmütige Gefühl, dass es vielleicht kein Stückchen Eis mehr zwischen uns und den bewohnten Gegenden gäbe. Vielleicht blieb der Golf eisfrei, vielleicht würde der kommende Sommer das völlige Gegenteil des vergangenen sein. Wir machten die kühnsten Pläne: Über Land- und Strandeis wollten wir gehen, soweit wir konnten, dann wollten wir aus dem Schlitten als Rahmen und der Bodenpersenning des Zeltes als Segeltuch ein flaches Fahrzeug machen, in dem einer von uns den Versuch, Snow Hill zu erreichen, wagen sollte. Dieser Plan gewährte uns den Trost einer Hoffnung, wenn die Eisverhältnisse am finstersten aussahen. Gegen Ende der Überwinterung stellte es sich indes heraus, dass die Bodenpersenning völlig verschlissen und vermodert war. So musste denn der Bootsbau als unausführbar aufgegeben werden.

Da zappelte wirklich ein Fisch am Ende der Leine aus Seehundsfell

Am 7. August unternahmen Grunden und ich einen Ausflug auf das Landeis, um uns einen Überblick über die Eisverhältnisse im Golf zu verschaffen. Was wir hier sahen, war in hohem Masse ermunternd. Vor der Rosamel-Insel und den Inseln, die wir jetzt die Argentinia-Inseln nennen, lag ein weisses Feld aus Packeis, in dem wir dieselben Eisberge wiederzuerkennen meinten, die schon im Februar dort gelegen hatten.

Unser nächstes Rekognoszierungs-Unternehmen galt den Eisverhältnissen in dem nächstgelegenen Teil des Kronprinz Gustav-Sundes, den wir auf dem Wege nach der Vega-Insel passieren mussten. Am liebsten wären wir alle drei, oder doch wenigstens zu zweien gegangen, aber unsere Schuhe waren jetzt so arg mitgenommen, dass es nötig war, alle längeren Wanderungen so viel wie möglich zu beschränken. Da ich nun der am wenigsten Verschlissene war, so sollte es mir vergönnt sein, den Kameraden aus dieser Richtung frohe Botschaft zu bringen.

Am 2. September, um 9 Uhr morgens, brach ich auf. Die Schneeschuhe, die ich so viel wie möglich benutzte, um meine Schuhe zu schonen, waren schwer zu lenken, denn das Landeis war hart und glatt, mit einer ungewöhnlichen Menge von kleinen Kämmen, Unebenheiten und Vertiefungen, die die Stürme verursacht hatten. Schliesslich sah ich mich gezwungen, meine Schneeschuhe abzunehmen und zu Fuss zu gehen. Trotz dieser Beschwerlichkeiten war es eine herrliche Wanderung. Es tat wohl, einen ganzen Tag der Finsternis und dem Schmutz der Steinhütte den Rücken zu wenden, und es war mir, als sei die düstere Einförmigkeit des Winters durch diese erste längere Wanderung über das Inlandeis gebrochen.

Mit gespannter Erwartung wanderte ich auf den Eisrücken hinauf, von wo wir auf der ersten Schlittenfahrt die Bucht der tausend Eisberge erblickt hatten. Ich war jetzt ein wenig mehr westwärts gegangen, und als ich oben auf der Höhe stand, lag daher die Aussicht quer über den Sund bis an den Teil der Vega-Insel, wo wir im Januar eine Auffahrt gefunden hatten, frei vor mir. Das Glück blieb uns hold; ungebrochen breitete sich das Eis über den Teil des Sundes aus, der in meinem Gesichtskreis lag, ganz bis an die Vega-Insel heran.

Ich setzte mich auf den Gipfel des Schneewalles, und verzehrte seelenvergnügt die drei Schiffszwiebacke, aus denen mein Proviant bestand, während ich den mächtigen Haddington-Kegel betrachtete, dessen sonnenbeschienene Schneekuppel in der Ferne nach Süden zu hoch über alles andere Land aufragte, auf seiner andern Seite das Geheimnis des Schicksals der sechs Snow Hill-Bewohner wahrend.

Gegen 4 Uhr nachmittags war ich wieder daheim mit der frohen Botschaft, dass das Eis fest lag, wenigstens bis an die Vega-Insel hinan.

Schon früh im August hatten wir mit der Ausrüstung für eine neue Schlittenfahrt begonnen. Unser dafür aufgesparter Proviant an Fleischkonserven bestand aus nur drei Dosen Fleischpudding, zwei Dosen Frikadellen, einer Dose mit Schweinebraten, einem Blutpudding und einem Lamm in Kohl, alles in allem auf ungefähr 22 Mahlzeiten berechnet. Wir konnten also nur einmal täglich Konservenfleisch essen, und mussten im übrigen unsern Bedarf durch Seehunds- oder Pinguinfleisch decken. Wir mühten uns deswegen mit der Herstellung von »antarktischen Konserven« ab. Während einer ganzen Reihe von Tagen war der Koch zwischen der Bereitung der regelmässigen Mahlzeiten eifrig damit beschäftigt, auf beiden »Tranqualmern« Fleisch zu braten. Auf diese Weise erhielten wir einen Vorrat von circa 300 kleinen Steaks, für 20 Mahlzeiten berechnet, die wir in grössere Blechdosen packten. Im übrigen rechneten wir sehr darauf, das Depot wiederzufinden, das im Januar auf der Vega-Insel errichtet war.

Von zwei Proviantartikeln hatten wir, dank unserer Sparsamkeit, während der Überwinterung ziemlich viel für die Schlittenfahrt übrig behalten. Die Zuckerstücke wurden sorgfältig in einem passenden Blechkasten gepackt; es stellte sich heraus, dass wir noch 554 Stück davon hatten. Kaffee konnten wir unserer Berechnung nach zwei- bis dreimal täglich, jedesmal drei gestrichene Esslöffel voll, kochen, d. h. an einem Tage mehr, als wir während der Überwinterung eine ganze Woche hindurch verbraucht hatten.

Ich habe schon an anderer Stelle erzählt, dass wir ein kleines Bündel Kerzen mitbekommen hatten, die wir abgesehen von den drei Mittsommerkerzen – aufgespart hatten, um unser Zelt während der Abende auf der Schlittenfahrt zu erleuchten. Jetzt kam Duses Konstruktionstalent uns sehr zu nutze, indem er einen hölzernen Leuchter anfertigte, der an einer Schnur aufgehängt werden konnte. Eine andere Arbeit, die viel Zeit nahm, war das Schnitzen von hölzernen Brillen als Ersatz für meine und Duses Schneebrillen, die wir verloren hatten, die eine auf der ersten Schlittenfahrt, die andere während der Überwinterung. Duse machte sich zwei sehr hübsche, lose, mit einer Schnur verbundene Brillenteile aus einer eichenen Fassdaube, während ich meine Brille aus einem Stück herstellte; das sonderbare Aussehen derselben wurde noch erhöht durch die Zeuglappen, die ich an den Seiten befestigen musste, da das Holz das Licht nicht gänzlich ausschloss. Beide Typen erfüllten ihren Zweck und waren während der ganzen Fahrt nach Snow Hill in Gebrauch. Die Sehspalte war bei beiden horizontal, mit einem senkrechten Ausschnitt nach unten, um den Gesichtskreis nach dieser Richtung hin zu erweitern.

Wie ich bereits früher erwähnt habe, besassen wir nur eine Segelnadel. Sie war jetzt im Frühling fleissig in Gebrauch, der Reihe nach machte sie von einem Tag zum andern die Runde unter uns. Einmal handelte es sich darum, die Schäfte von ein Paar verschlissenen Schnürstiefeln als Sohlen auf einem Paar Lappenschuhen festzunähen, ein anderer flickte seine Lumpen mit einem von der Fussbodenpersenning abgeschnittenen Stück aus, das gereinigt wurde, indem man es bei Tauwetter durch den Schnee schleppte. In einem dritten Fall handelte es sich darum, ein Paar Fausthandschuhe aus einer alten Mütze zu nähen.

Von Zeit zu Zeit im Laufe des Winters hatten wir die grösseren Löcher in unsern schmutzigen Strümpfen gestopft. Das Stopfgarn gewannen wir aus der braunen Zeltleine, die in ihre einzelnen Strähne zerfasert und dann zu allem möglichen, von Nähgarn bis zu Lampendochten, verwendet wurde. Vor der Schlittenfahrt wollten wir die Löcher in unsern Strümpfen mit etwas besserem und weicherem Material stopfen, deswegen schnitten wir die Schäfte von ein Paar Strümpfen ab und lösten sie zu Stopfgarn auf.

Bei der Sorge für die Fussbekleidung tauchte unwillkürlich die Frage auf, wie es um unsere Reinlichkeit stand. Einmal versuchte ich, ein Paar Strümpfe auf Eskimo-Art zu waschen, indem ich Urin als Auflösungsmittel für das Fett benutzte. Das Ergebnis war durchaus zufriedenstellend.

Gleich zu Anfang der Überwinterung gaben wir jeden Gedanken an ein Waschen von Gesicht und Händen auf, da wir doch sofort wieder durch das Fett und den Russ schmutzig wurden, womit wir an allen Ecken und Enden umgeben waren. Dahingegen wuschen wir ein paarmal im Laufe des Winters die Füsse in warmem Wasser in unsern einzigen Gefässen – den Essschalen.

Unsere wollenen Unterkleider waren jetzt durch den langen Gebrauch natürlich schmutzig und stark verschlissen. Ich will aus meiner eigenen Erfahrung berichten, da ich hierüber am besten orientiert bin. Von der »Antarctic« nahm ich zwei Hemden und drei Unterhosen aus Jägerwolle mit. Als der Januar zu Ende ging, glaubte ich, es würde höchstens noch einen Monat bis zur Rückkehr der »Antarctic« währen – und wechselte daher mein Hemd. Damit bin ich dann aber 7½ Monate gegangen, bis ich kurz vor dem Aufbruch das Hemd vom Januar, das jetzt als rein galt, wieder anzog. Zwei von den Unterhosen waren ganz verschlissen, dünn wie Gardinen und hier und da mit grossen Löchern versehen. Ich zog nun das am besten erhaltene Paar an und nähte die beiden andern als Futter hinein. Es wurde ein ziemlich unförmliches Kleidungsstück, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen, denn vorher wehte der Wind ziemlich unbehindert durch die ebenfalls sehr dünn gewordenen Beinkleider.

Alles, was wir zusammen an Reservekleidern besassen, waren ein Mantel und ein Paar Beinkleider. Grunden erhielt die letzteren an stelle seiner alten, die schrecklich zerlumpt waren, deren beste und am wenigsten schmutzige Teile aber trotzdem zum Ausflicken verschiedener anderer Kleidungsstücke benutzt wurden. Duse übernahm den Reservemantel, trennte seinen alten auseinander und machte daraus einen inneren Sack für seinen Schlafsack.

Wir versuchten übrigens alle drei, so viel wie möglich durch Aussen- und Innensäcke die Körperwärme in den Schlafsäcken zurückzuhalten. Alles erdenkliche kam hierbei zur Verwendung. Jeden Abend während der Schlittenfahrt zogen wir unsere Mäntel über das Fussende der Schlafsäcke, eine alte Filzdecke, die Grunden und ich teilten, schloss unsere beiden Schlafsäcke nach oben zu ab. Zugleich machten wir auch mehr oder weniger sinnreiche Einrichtungen, um, nachdem wir in den Schlafsack gekrochen waren, die Öffnung zuschnüren zu können, so dass nur ein ganz kleines Luftloch offen blieb. Hierdurch wurden die Schlafsäcke sehr schwer und sahen aus wie unförmliche Lumpenbündel. Aber sie erfüllten doch notdürftig ihre Aufgabe, indem sie uns in dem 2½ tägigen kalten Sturm, der uns unmittelbar nach dem Aufbruch überraschte, am Leben erhielten.

Nachdem wir alle unsere Privatangelegenheiten in Ordnung gebracht hatten, blieb uns noch eine Menge für die allgemeine Ausrüstung zu tun übrig.

Die grosse Dachpersenning wurde abgenommen und der Schlitten heruntergeholt. Er hatte sich in der Mitte ein wenig gebogen, infolge des Druckes, den Schnee und Steine auf ihn ausgeübt hatten, ward nun aber umgekehrt und mit Steinblöcken belastet, bis er seine alte Form wieder annahm.

Bei der Durchsuchung des Schlittens machten wir einen sehr erfreulichen Fund. Er war an Bord mit einem starken, guten Strick festgebunden gewesen, der jetzt durch eine minderwertigere Verschnürung ersetzt wurde. Der Strick wurde dann in seine einzelnen Teile zerlegt, die uns als Nähgarn beim Ausbessern des kleinen Schlittenfahrtzeltes sehr zu statten kamen. Dies Zelt, das im Herbst durch den Sturm übel hergerichtet war, ehe es abgebrochen und unter einige flache Steine gelegt wurde, nahmen wir jetzt in die Hütte hinein und tauten es auf, worauf Grunden es ausflickte, so gut es ging. Die Fussbodenpersenning, die bis dahin über den Vorplatz gespannt war, wurde durch ein provisorisches Dach ersetzt und jetzt unter dem Zelt befestigt. Aus den russigen Wänden des grossen Wohnzeltes schnitt Grunden lange Stücke, mit denen er das kleine Zelt ausflickte. Das gab einen sonderbaren Farbenkontrast: Russschwarze Flicken auf dem reinen, weissen Zelttuch, auf dem übrigens ein paar schwarze Fingerspuren davon zeugten, dass es während des Ausbesserns hin und wieder von einer russigen Hand berührt worden war.

Einige kleine wissenschaftliche Arbeiten hatten wir auch noch auszuführen, ehe wir aufbrachen. Duse vollendete seine Kartenskizze von der Hoffnungsbucht, und ich machte einige vervollständigende Beobachtungen in Bezug auf die grosse ehemalige Vergletscherung, die ich im voraufgehenden Kapitel beschrieben habe.

Als wir aber am 20. September alle Vorbereitungen beendet hatten, konnten wir uns nicht vom Fleck rühren. Der Schneesturm hielt uns einen Tag nach dem andern gefangen. Es war eine trübe Zeit. Die Spannung und die Freude der Ausrüstungswochen hatte nachgelassen, nachdem alles in Ordnung war, das Essen fing an, knapp zu werden, da alles für die Schlittenfahrt verpackt war, und durch die mächtigen Gucklöcher, die aus der Zeltwand herausgeschnitten waren, grinsten uns die rohen Steinmauern an.

Wir waren fest entschlossen, an dem ersten Tage, wo das Wetter einigermassen erträglich war, aufzubrechen, denn wir sehnten uns von ganzem Herzen fort aus dieser Behausung der Finsternis, der Grunden einstmals in bitterem Spott den Namen »Krystallpalast« beigelegt hatte.


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