Paul Neubauer
Maria
Paul Neubauer

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II.
Hollywood

Um ein Uhr war ich beim amerikanischen Konsul, wo ich Frank und Genia traf. Frank betrachtete mich mit mitleidigen Blicken und gab sich kaum Mühe, seine Freude zu verbergen, deren Ursache ich nicht kannte.

»Konsul Archer, mein Freund« – sagte er gravitätisch, »hat mir eben sagen lassen, daß er uns gleich empfängt. Ich dachte schon . . .«

»Da hast du falsch gedacht!« sagte ich, und während ich mich über die Heftigkeit meiner Antwort wunderte, sann ich über den Grund seiner Freude nach. – »Falsch gedacht, denn ihr seht, ich bin hier!«

Ich blickte die Beiden herausfordernd an.

Sein Mitleid verstärkte sich.

»Du bist vielleicht . . .«

40 »Aber Frank!« – sagte ich sanft. »Frank! Du wolltest sagen, daß ich vielleicht eifersüchtig sei?« – Ich ließ meine Blicke beleidigend von ihm zu Genia wandern, die ihn um einen ganzen Kopf überragte. Er verstand die Richtung und lächelte mit ironisch zusammengekniffenen Lippen. Genia gab meinen Blick aus ihren großen, ernsten Augen zurück.

»Eifersüchtig bist du nicht; denn du begleitest eine fremde Frau, kommst am hellen Morgen nach Hause, überläßt mich Frank und kümmerst dich nicht um mich. Du hast übrigens recht« – sagte sie lächelnd; »denn ich selbst war doch gegen unsere Verlobung. Menschen, wie wir es sind, mit einem Fuß in Europa, mit dem andern in Amerika, verloben sich nicht!«

Ich mußte über den Ernst, mit dem sie diese Sätze hervorbrachte, lachen und küßte ihr die Hand. Sie war bezaubernd in ihrem Frühlingskostüm, von dem Helle und Duft ausging.

»Diese Frau Maria ist übrigens . . .,« begann Frank.

»Kanntest du sie schon früher?« fiel ich ihm scharf ins Wort.

Da öffnete sich die Tür, und Herr Archer verbeugte sich gemessen. Frank schien mit dem Amerikaner wirklich befreundet zu sein. Sein Reisepaß war augenblicklich mit dem Sichtvermerk versehen. Genia, polnische Staatsbürgerin, erhielt den ihren nach Erledigung einiger Formalitäten. Bei meinem Dokument meldeten sich plötzlich Schwierigkeiten. Ich sollte mich erst ausweisen, wo ich in den Jahren 1920–23 gewesen war und was ich getrieben hatte. Ferner besaß ich kein Affidavit, die Erklärung eines amerikanischen Staatsbürgers, daß er für mich hafte. Und 41 noch einige kleine Sekkaturen. Ich bat Frank, zu intervenieren, da der Konsul sein Freund sei. Er hielt eine kleine Rede und hüstelte viel, um seine Verlegenheit zu verbergen. Ich beobachtete mit einem Auge Genia, mit dem andern den Konsul. Herr Archer hatte verstanden und schüttelte den Kopf: eine schwere Sache! Kaum zu machen! Frank ereiferte sich. Unter seinem Monokel leuchtete verräterisch das große, rote Mal. Ich entschuldigte mich und ging hinaus. Draußen saß ein rotwangiger Yankee, der Diener.

»Sagen Sie mal!« – und ich drückte ihm eine Dollarnote in die Hand – »wann sind die Herrschaften, mit denen ich jetzt beim Herrn Konsul bin, gekommen?«

»Gegen halb eins,« sagte der Mann ohne nachzudenken. »Der Herr schickte seine Karte hinein, worauf der Herr Konsul ihn empfing. Die Gnädige wartete im Vorzimmer. Der Herr konferierte beinahe eine halbe Stunde mit dem Herrn Konsul.«

Sehr weise und gelassen trat ich ins Zimmer des Herrn Archer. Franks Gesichtsausdruck war nicht zu entziffern, aber Herr Archer versicherte:

»Ich werde alles tun. Mein Freund sagt, Sie wollten heute Abend fahren. Ich bitte, besuchen Sie mich um fünf Uhr. Ich glaube, es wird in Ordnung sein.«

»In Ordnung?« – fragte ich in Gedanken und mit dem Rücken zu Herrn Archer. »Glauben Sie, daß es in Ordnung sein wird?«

»Ich glaube!« sagte beleidigt und scharf der Yankee, der seinem Diener auf ein Haar glich, so daß ich herumfuhr und eine Dollarnote aus der Tasche nahm, um sie ihm einzuhändigen, zum Glück aber den Irrtum noch rechtzeitig bemerkte.

42 »Nun, dann ist also alles in Ordnung!«

»Ich garantiere nicht dafür,« sagte er.

»Das können Sie beim besten Willen nicht!« lachte ich, bot ihm die Hand und ging lachend als erster hinaus. Dem Diener gab ich die Dollarnote, die ich dem Konsul hatte geben wollen. Er schaute mich verwundert an, und Frank bemerkte, ich sei meiner Gewohnheit gemäß wieder einmal ausgibig verschwenderisch.

»Der Konsul kann es nicht garantieren!« – lachte ich den Yankee an. »Aber Sie garantieren es, nicht wahr?«

»Was?« fragte er verdutzt.

»Daß es in Ordnung ist!«

Er faßte es berechtigtermaßen als Witz auf und lachte herzhaft mit.

»Ganz gewiß! Alles in Ordnung! In bester Ordnung!«

Frank warf mir auf der Straße mein Benehmen vor. Schließlich sei Herr Archer der amerikanische Konsul! Das konnte ich nicht leugnen, wollte aber nicht zugeben, daß Herr Archer an meinem Benehmen etwas Anstößiges finden konnte. Ich war vielleicht ein wenig zerstreut und guter Dinge . . . Schüttete doch der erste Frühlingstag seine Lichter, sein Blau und Grün über die grauen Straßen aus! Das mußte selbst der Herr Konsul bemerkt haben. Frank wurde nervös und besorgt.

»Und wenn du das Visum nicht bekommst? Ich habe alles getan . . .« Ich sandte einen Blick zum unendlich blauen Himmel empor.

»Du hast alles, wirklich alles getan!«

43 »Mußt du heute mit jedem deiner Worte beleidigend wirken?« Genias Stimme erklang bittend und besänftigend. Wir gingen einige Schritte schweigend.

»Ich bin heute wirklich in einer verrückten Verfassung!« – gab ich dann zu. »Daher schlage ich vor: Ihr geht allein zu Frau Adele zum Mittagessen. Ihr erklärt einfach, ich hätte mich in der Nacht verirrt . . . so war's doch auch . . . sei sehr müde. Ich bäte um Entschuldigung. Um fünf Uhr bin ich bei Herrn Archer. Die Hotelrechnung werde ich begleichen, das Gepäck zur Bahn befördern lassen. Unser Zug fährt um sieben Uhr. Wir treffen uns eine Viertelstunde vor Abgang draußen.

»Und wenn du das Visum nicht erhältst?« – beide gleichzeitig: er lauernd, Genia ruhig.

»Fahre ich auch mit. Hier habe ich nichts zu suchen.«

Es war zwei Uhr. Frank und Genia stiegen in die Straßenbahn. Ich winkte noch, als schon ein anderer Wagen vor mir stand. Die Leute lachten. Ich lachte mit. Dann drehte ich mich scharf auf dem Absatz herum und schlenderte weiter. Im Hotel zahlte ich die Rechnung und ließ das Gepäck besorgen, dann kaufte ich einen Strauß weißer Rosen für Maria. Um viertel drei winkte ich ein Auto heran. Während der Fahrt versuchte ich die Straßen wiederzuerkennen, die ich gestern durchwandert hatte, aber ich erkannte sie nicht. Ich erkannte auch die Stadt nicht. Sie kam mir beschwingt vor. Alle Häuser flogen meinem Auto entgegen. Die Brücke, über die ich sauste, war eine moderne, elegante, im Raum schwebende Eisenkonstruktion, nicht die steinerne des vergangenen Tages. Das Auto sprang die Serpentine des Hügels 44 empor, raste eine Allee hinunter und hielt mit einem Ruck vor einem alten Haus. Auch das Haus war mir fremd, aber die Straße und die Hausnummer stimmte. Ich bezahlte das Auto und trat durchs Eisentor. Auf der Terrasse stand Maria.

»Ich habe bereits zu Mittag gegessen!« – log ich und deutete auf den Tisch, der für zwei Personen gedeckt war.

»Warum entschuldigen Sie sich nicht einfach?« – fragte sie ruhig. »Sie haben mich wohl warten lassen, dafür haben Sie aber auch noch nicht gegessen.«

»Wieder eine Niederlage!« lachte ich ärgerlich. »Das wird nicht gut enden.«

»Wann erlitten Sie die erste?« – ganz nebensächlich.

»Als ich Sie heute Morgen anrief.«

»Nun, ob Sie bei mir oder bei Adele essen . . .«

Den Kaffee tranken wir auf der Terrasse, vor der ein mächtiger Kastanienbaum zu sprießen begonnen hatte.

»Um fünf Uhr soll ich mir den Bescheid von Herrn Archer holen,« schloß ich mein Referat über das Ergebnis des heutigen Vormittages und der Nacht, in der ich umhergeirrt war.

»Der Weg ist doch nicht sehr kompliziert. Sie hätten ihn finden müssen! Es tut mir leid, daß Sie Unannehmlichkeiten hatten.«

»Und was ist nach alldem Ihre Meinung: werde ich das Visum bekommen?«

»Sie fragen mich, als wäre ich der Konsul Archer. Da kann ich beim besten Willen nicht antworten.«

»Aber Sie kennen Frank! Sie kannten ihn schon früher!«

45 »Frank . . . Nun, Sie wollen doch mit ihm nach Hollywood . . . Sie haben die Filme doch gemeinsam geschrieben! Außerdem . . . ich kenne ihn nur sehr flüchtig.«

»Und warum haben Sie mich herausgerufen?« – fragte ich, sie plötzlich überfallend. »Mich kannten Sie doch noch flüchtiger!«

»Ich dachte . . .«

»Nun?« – drängte ich unvorsichtig.

Maria lächelte. Ruhig und grausam. Fast nur mit den stahlgrauen Augen. Mit Blicken, die sich zum Lächeln Zeit ließen, um das Gegenüber zu verwirren.

»Ich dachte, wir essen zusammen und machen bei schönem Wetter einen kleinen Autoausflug. Übrigens: da kommt gerade unser Auto. Das Wetter ist herrlich! Eine halbe Stunde von hier ist ein entzückender, kleiner Ort, eine Sommerfrische. Wollen Sie? Jetzt ist halb vier.«

»Und das Visum um fünf Uhr?«

»Wir trinken draußen Kaffee. Um halb fünf telephonieren Sie in die Stadt. Herr Archer wird Ihnen Bescheid geben, und falls es nötig sein sollte, sind wir um fünf Uhr in der Stadt, und ich sage Ihnen vor dem Gebäude des amerikanischen Konsuls Lebewohl.«

Der große Hispanowagen glitt über eine breite Straße dahin. Der Frühlingssturm sauste über uns hinweg. Marias Schleier wehte, als gäbe er der Stadt die ich im Rücken spürte, unablässig Zeichen. Um vier Uhr stiegen wir aus. Die Sommerfrische lag noch verödet. Wir waren die ersten Gäste. Ich meldete für dreiviertel fünf Uhr das Gespräch an und bestellte den Kaffee auf die Terrasse des Hotels. Nach zehn 46 Minuten meldete der Kellner atemlos, die Stadt wäre am Apparat.

»Nun, Herr Konsul?« fragte ich.

»Leider nicht zu machen! Der Herr Generalkonsul . . .«

Ich hängte ab. Gesenkten Hauptes trat ich auf die Terrasse:

»Ich fahre nicht . . . nach Hollywood.«

»Dann können Sie in Ruhe Ihren Kaffee trinken. Oder nicht?«

»Wollen sehen, wollen sehen!« – trommelte ich mit den Fingern auf den Tisch.

»Was wollen Sie sehen?« fragte Maria harmlos. »Wann fährt Ihr Zug?«

»Um sieben Uhr, Frau Maria. Und Rendezvous habe ich mit Frank und Genia ein Viertel vor Abfahrt.«

»Also Zeit genug.«

Während wir den Kaffee tranken, berührte Maria die Angelegenheit mit keinem Wort. Das Gespräch verlief harmlos und liebenswürdig. Ein Gespräch, das zwei Menschen führen, die in einer Stunde auseinandergehen und sich voraussichtlich nie mehr sehen werden. Zu Beginn war ich verwirrt. Ich dachte unablässig daran, daß mir nun Hollywood entglitten war. Es blieb mir nichts übrig, als entweder meinen Anteil an den Filmen dem Manager zu verkaufen oder mich auf Franks Ehrlichkeit zu verlassen. Das Spiel mit Meer, Sonne und Wind war vorbei. Ich hatte keine Möglichkeit, ein Visum zu erlangen.

»Glauben Sie wirklich, Frau Maria, daß Genia mit Frank . . .«

»Sie ist Ihre Braut!« – antwortete sie sofort.

47 Da erzählte ich ihr ganz genau die Szene, die sich am amerikanischen Konsulat abgespielt hatte, und verheimlichte nicht meine Bedenken.

»Und Sie würden es auf die Probe ankommen lassen?« – fragte sie.

»Wie meinen Sie?«

»Erscheinen Sie nicht am Bahnhof. Wenn Sie nicht dort sind, darf Genia nicht fahren.«

»Sie raten mir schlecht! Sie wissen es als Frau, daß man mit Frauen nicht spielen darf. Und hauptsächlich darf man sie in ernsten Situationen nicht allein lassen!«

»Frauen müssen zwar meiner Ansicht nach Proben bestehen können, aber ich will Ihnen natürlich nicht raten; denn es könnte Sie reuen.«

Wir setzten das Gespräch fort, aber ihr Vorschlag fraß sich immer tiefer in mich hinein. Ich wußte noch nichts, und schon stand alles fest. Maria schilderte sehr ergötzlich diese Stadt und ihre Menschen. Nicht besser, nicht böser als die Menschen der anderen Städte. Ich befragte sie über gemeinsame Bekannte. Ihre Antworten zeigten einen geradlinigen Humor von besonders ausgeprägter Verstandesschärfe. Sie sagte keinem Menschen Böses nach und redete über Unarten so, als wären sie nur da, um sie zu amüsieren.

Es dunkelte. Ich riß die Uhr hervor. Sie zeigte halb sieben. Noch konnte ich zurecht kommen. Das große Auto stand vor der Terrasse. Ankurbeln, dachte ich . . . .

»Wenn die Menschen weniger jagen und hetzen würden . . .,« sagte Maria.

Ankurbeln! Jagen! Hetzen! dachte mein Kopf, und während das Herz hetzte, blieb der Mund stumm. 48

». . . Sie wären ganz gewiß glücklicher, zufriedener! . . .« beendete sie.

Ich biß die Zähne zusammen und wartete. Der Kopf sank mir zur Seite, weil das rechte Ohr angestrengt in die Ferne lauschte. Das Auge aber bohrte sich in Marias Blick. Spielte sie mit mir aus Langweile? Diese Frau, die ich gestern zufällig kennen lernte?

Das Auge sah nichts. Marias Gesicht war die Ruhe selbst. Die Schatten ringsum wuchsen und nahmen seltsame Formen an. Die letzte Sonne fiel schräg über die Terrasse, und die großen Baumstämme legten sich über unseren Tisch. Das Ohr hörte die Stimmen der absoluten Stille.

Plötzlich aber war die Bahnhofshalle da! Menschengewirr. Schwitzende Träger. Abschiedsgefühle zerrannen im Gelärm. Frank und Genia vor der Waggontür! Die Plätze belegt. Auch der meine. Franks Einglas bohrte sich in die Reihen der Hastenden. Sein Gesicht drückt immer mehr zunehmende Gewißheit aus: er weiß, daß ich nicht kommen werde . . . Genia bleibt ruhig. Noch zwei Minuten bis zur Abfahrt. Aber sie ist ruhig! Sie hatte gesagt: Menschen, die mit einem Fuß in Europa, mit dem anderen in Amerika stehen, sollen sich nicht verloben . . . Dies ist ihre Ruhe. Wundersame Genia, große Künstlerin! Sie kennt die Beschaffenheit der Lebenswellen. Sie weiß: Atom fügt sich an Atom, weil ein blinder Wille es befiehlt. Sie weiß: der Zufall gilt uns als Notwendigkeit. Sie ist ganz ruhig. Sie ist in sich gefestigt, obwohl sich der Zug in einer Minute in Bewegung setzen wird. Jetzt weiß sie auch, daß ich nicht mehr kommen werde. Und sie weiß, daß ich 49 bei Maria bin . . . Sie lächelt gütig. Ihr Lächeln drückt nicht Verzeihen aus, denn sie hat nichts zu verzeihen. Sie spielt mit dem Leben, das die Menschen so ernst nehmen. Sie ist überreich und beschenkt die Bettler des Lebens, die es ernst nehmen, weil sie arm sind . . . Sie lächelt . . . Nicht verzeihend, auch nicht spöttisch oder verächtlich. Spielerisch lächelt sie, wie Gott, wenn er in den Modellierton greift, um neue Figuren zu kneten . . . Eine halbe Minute noch . . . Ankurbeln! Ankurbeln! brüllt mein Hirn, aber die Lippen sind aufeinandergepreßt, und der Mund schweigt.

Da: ein Pfiff! Frank, der eingestiegen war, streckt seine Hand heraus und zieht Genia empor. Bevor sich die Tür schließt, sehe ich zwei Augenpaare: Frank grinst Hohn. Genia – – Ihre großen Grauaugen sind plötzlich voller Licht. Licht und Güte. Aber doch nicht Güte! Leichtsinn, der Trotz ist! Trotz, der Spiel ist. Und das Spiel, das göttliche Spiel . . .

»Ich liebte Genia! – –«

Als wäre da der Rand der Erde, so ratterte der Zug durch die Station der kleinen Sommerfrische. Die Hand, die ich auf meinem Kopf fühlte, war leicht und weich. Ich blickte auf: Maria!

»Glauben Sie wirklich . . .«, stotterte ich. Leicht strich ihre Hand über mein Haar.

»Sie dürfen sich nicht gehen lassen! Es ist nur eine Probe.«

»Für mich oder . . .«

»Für sie!« – sagte sie ruhig. »Wenn es sich bloß um das amerikanische Visum handelt, können Sie ruhig sein. Meine Freundin Adele, Sie sehen, ich nenne sie Freundin, hat einen guten Bekannten. Er 50 heißt Granville und ist amerikanischer Staatsbürger. Er wird ihnen das Visum verschaffen, wenn es sich nur um das Visum handelt; denn er ist mit dem Generalkonsul befreundet. Machen Sie sich nach dieser Richtung also keine Sorge!« – Das harte Gesicht war in diesem Augenblick weich.

»Warum haben Sie mir das nicht früher gesagt?«

Da wurde ihr Gesicht wieder gleichgültig.

»Ich habe nicht daran gedacht!«

Unsere Blicke hackten sich fest ineinander: es war ganz dunkel geworden. Der Zug rannte in der Ferne hörbar – unhörbar. Und der Kellner trat lautlos zu uns.

»Speisen die Herrschaften auf der Terrasse?«

Ich blickte ihn an: ein alter Kellner mit dem glattrasierten Gesicht der Bediensteten. Erstarrtes Leben. Dann traf mein Blick Maria, und ich sagte:

»Legen Sie im Zimmer zwei Gedecke auf. Und für den Chauffeur . . .« Doch der große Hispanowagen war nicht mehr da. »Zwei Gedecke also . . .« Als wir am gedeckten Tisch saßen, den der alte Kellner mit viel Verständnis hergerichtet hatte, lächelte Maria plötzlich fein:

»Wir wären also glücklich beim Abendessen gelandet. Mittagessen, Kaffee und Abendessen! Fehlt nur noch das Frühstück, und der erste Tag ist komplett.«

»Sie meinen, der letzte Tag!« sagte ich. Ich war gereizt und fühlte, daß mein Zustand sich verschlechterte. Diese Frau jagte mich in ein Abenteuer hinein. Sie hatte mich in diese verödete Sommerfrische herausgelockt. Ihretwegen irrte ich nachts in den Straßen umher. Ihretwegen war ich nicht an den 51 Zug gegangen. Ihretwegen, die ich gestern noch nicht kannte, saß ich da, ohne Interesse, und konnte mich doch nicht entschließen, abzubrechen. Genia war vielleicht schon weit weg, und ich saß da, als hielte mich eine undefinierbare Schwerkraft fest. Von alldem war ich selbst die einzige Ursache, und da ich das wußte, steigerte sich meine Nervosität und mit ihr meine Erbitterung Maria gegenüber.

Sie überhörte meine Grobheit.

»Wohin fahren Sie morgen?«

Diese natürliche Frage riß plötzlich eine klaffende Leere in mir auf.

»Wohin? Ich habe es nie gewußt, wohin ich fahre! Ich fuhr drauf los und verweilte wenig. Alles hängt davon ab, ob Genia noch da ist, wenn ich ins Hotel zurückkehre. Sie durfte keinesfalls mit Frank fahren! Aber ich glaube nicht . . .«

»Wenn Ihre Braut mit ihm gefahren wäre, würden Sie hier bleiben?«

»Nie! Unmöglich!« schrie ich erregt.

»Fast möchte ich annehmen dürfen, daß Sie bleiben wollen.« Ich blickte zur Seite, um ihrem Blick auszuweichen. Sie will mich zurückhalten, dachte ich, ohne mir den Grund ihres Handelns klarmachen zu können. Sie hat ein Interesse an mir! Ich wollte sie zum Geständnis zwingen.

»Es wundert mich,« ich spielte den Erregten, »daß Sie zu dieser Annahme gelangen! Es liegt doch nicht der geringste Grund vor! Warum sollte ich hier bleiben?!«

Sie wich geschickt aus.

»Sie sind nicht eben galant!«

52 »Klugen Frauen gegenüber ist Galanterie eine verfehlte Methode und veraltet.«

»Nun gut! Wir kommen auch ohne Galanterie aus. Ich behaupte trotzdem, daß Sie bereits der Gedanke des Bleibens beschäftigt.«

»Was sollte ich in dieser kleinen Stadt, die plötzlich, weil es den Friedensstiftern von Versailles so paßte, zur Großstadt avanciert ist, anfangen? Und was Genia, deren Bilder nach Paris, nach Amerika gehören?«

»Genias Bilder werden in Amerika sein!« sagte Maria ganz ohne Ironie, aber die Bestimmtheit, mit der sie das behauptete, brachte mich aus der Fassung.

»So gewiß und besiegelt ist es für Sie, daß meine Braut durchgebrannt ist?«

»Keineswegs. Ich hatte an die Bilder Ihrer Braut gedacht. Ob Genia vom Bahnhof zurückgekehrt und augenblicklich im Hotel ist, davon können Sie sich in weniger als einer Viertelstunde überzeugen. Rufen Sie das Hotel an.«

Die Wut, die mir in diesem Augenblick im Gesicht stand, trachtete ich nicht erst zu verbergen. Sie behandelte mich mit einer Leichtigkeit und Schlagfertigkeit, die ich nicht zu parieren vermochte. Noch nicht einmal einen Vorwurf konnte ich ihr machen: eine Frau hatte mich zum Mittagessen und zu einer hübschen Frühlingsfahrt eingeladen. Ich hatte der Einladung Folge geleistet. Das Abendessen konnte als Revanche gelten. Dennoch besiegte sie mich mit jedem ihrer Worte. Schon wollte ich ans Telephon, da hielt mich ein Einfall zurück: ich wollte dieser Frau eine Lektion erteilen, die sie mit ihrem scharfen Verstand nicht parieren konnte. Wenn Genia mit Frank fort 53 ist, dann räche ich mich an ihr und gleichzeitig an dieser Frau, die es mitverschuldet hat . . . Noch heute! Die einzige Rache, die mir bleibt!

»Ich rufe das Hotel nicht an,« sagte ich ruhig; »denn die Probe ist wert, bis ans Ende durchgeführt zu werden. Übrigens muß ich zugeben, daß Sie selbst nicht ganz mit Unrecht vermuteten, ich könnte mich entschließen, in dieser Stadt zu bleiben.«

»Sie könnten sich entschließen?« fragte sie, und der Tonfall verriet kein Gefühl, weder Freude noch Erstaunen. »Trotz Hollywood?«

»Trotz Hollywood. Ich habe kein Visum, und es würde unendliche Wege und Mühe kosten, die erforderlichen Schriften zu besorgen.«

»Ach, das ist eine Kleinigkeit! Ich sagte Ihnen, Herr Granville wird gern bereit sein.«

Ich schlug um:

»Ich habe eigentlich gründlich die Lust verloren!« Ich blickte sie dabei an.

»Jetzt sind Sie galant!« sagte sie lächelnd. »Aber ich würde Ihnen nicht raten, in dieser Stadt zu bleiben.«

»Haben Sie nicht soeben das Gegenteil behauptet?«

»Nein. Wir sprachen gestern davon, heute nicht. Und gestern sprach ich von mir und nicht von Ihnen, dem ich nicht raten würde, zu bleiben. Für Sie wären die Lebenskonturen hier zu klein.«

Das Gespräch wogte auf und ab. Sie zeigte mir deutlich die Unmöglichkeit meines Vorhabens. Ihr Mann sei Fabrikdirektor und sie als Frau mit ihm festgewurzelt. Das müsse man ganz anders beurteilen. Im Stillen freute ich mich darüber, sie genarrt zu haben, denn ich dachte mit keinem Gedanken ans 54 Bleiben. Je weiter der Abend in die Nacht hereinversank, um so fester stand meine Überzeugung, ich würde Genia bei meiner Rückkehr im Hotel vorfinden. Der Augenblick schien mir gekommen, wo ich meinen Plan ausführen konnte.

»Sie können also wirklich galant sein?« lächelte sie.

Nach den ersten Gläsern erlitt ich einen Rückfall. Ich wollte fort. Angst überfiel mich. Aber der Trotz siegte.

»Seltsam!« sagte sie. »Morgen in dieser Stunde sind Sie irgendwo und wissen heute nicht, wo! Ein sonderbares Gefühl muß es sein . . .«

»Noch seltsamer, daß ich nicht wissen kann, ob allein oder mit Genia oder . . .«

»Würden Sie in diesem Augenblick die Gewißheit vorziehen?«

Ich schwieg. Maria hob das Glas, betrachtete die Sektperlen im Licht und stellte es wieder auf den Tisch, ohne zu trinken.

»Rufen Sie das Hotel an!«

»Ich will nicht! Ich will nicht!« flüsterte ich erregt. »Es ist etwas Wunderbares um die Ungewißheit!« – Ich trank ihr zu. »Trinken Sie den Augenblick, die Stunde, Frau Maria! Morgen ist weit, und morgen sind wir weit weg voneinander! Ihr Einfall war hübsch . . . es ist ein schöner Frühlingsabend . . . der erste im Jahr . . .«

Ich wollte sie zum raschen Trinken zwingen und mußte dabei mehr trinken als sie. Doch ich hatte Vertrauen zu meiner Kraft. Mir gegenüber saß doch nur eine Frau! Ich hatte fast bei allen Trinkerschlachten gesiegt, wie sollte ich hier unterliegen? Der Wein würde mich redselig machen, das wußte ich aus 55 Erfahrung, und ich durchdachte rasch die Umrisse der Erzählung, die ich auftischen wollte, um der Gefahr, mich zu verraten, vorzubeugen.

»Sie trinken viel zu schnell!« ermahnte sie mich.

»Und Sie sind furchtbar nüchtern!«

Ich bemerkte zu meiner großen Befriedigung, daß sie öfter zum Glas griff. In ihre Augen traten die ersten Lichter, die der Sekt ansteckt, und die Gesichtszüge verloren von ihrer beherrschten und beherrschenden Härte.

»Mein Leben verlief und verläuft einfacher als das Ihre,« sagte sie.

Schnell lockte ich sie weiter.

»Kein Leben ist einfach. Selbst das einfachste ist kompliziert und dem anderen unverständlich.«

»Das innerliche Leben schon,« sagte sie. »Aber das äußere . . .«

»Sie haben einen Mann, der für Sie sorgt!« fiel ich ein.

»Und?« fragte sie erstaunt.

»Und er ist doch in der Fabrik, die an der Stadtperipherie liegt, tagsüber beschäftigt!« – Ich wagte diesen Satz! Ich wollte, ich mußte die Antwort hören. Aber sie sagte nur:

»Und?«

»Eine Frau wie Sie muß Freiheit haben! Frei sein von jeder Konvention!«

»Eine Frau wie ich?«

»Eine so eigenwillige, kluge Frau!«

Eine Sekunde verstrich. Es war ganz still um uns wie im luftleeren Raum.

»Die Freiheit habe ich!« sagte sie dann. »Was soll ich mit ihr beginnen?«

56 »Das Leben! Ihr Leben! Ihr eigenstes Leben! Die Erfüllung Ihrer Wünsche!« stürmte ich.

»Und wenn ich keine Wünsche habe?«

»Sie verstellen sich! Sie haben brennende, verzehrende Wünsche!«

»Sie wissen zu viel! Mehr als ich!« – Es klang nicht nach Ironie, eher nach Interesse.

»Ich habe Sie schon einmal gefragt, ob Sie nie nach einem Hollywood der Erde Sehnsucht hatten. Unmöglich! Ich weiß Ihren Verstand als Verstellungskunst richtig einzuschätzen! Ich weiß, daß sich hinter ihm das Hollywood Ihrer Sehnsucht, der Sehnsucht aller Frauen, verbirgt!«

»Vielleicht,« sagte sie ganz leise, »vielleicht habe auch ich bei Herrn Archer vorgesprochen und wie Sie das amerikanische Visum nicht erhalten.«

»Der Vergleich hinkt!« ereiferte ich mich.

»Und vielleicht war ich schon in Hollywood,« sagte sie spielerisch, »und bin wieder zurückgekommen?«

»Fahren Sie noch einmal hin! Fahren Sie mit uns!«

»Frank ist sicher schon fort.«

Sie erwähnte Genia nicht, um mich um so entschiedener an sie zu erinnern. Wir tranken uns heiß. Das Ziel, das ich mir gesteckt hatte, schien näher zu rücken. Ich entdeckte Zeichen, die nicht trügen konnten. Kurze Blicke. Pausen. Worte . . . Sie verriet sich. Ich dachte nur ans Ziel. In dieser Stunde flossen wie in ein Sammelbecken die Ströme meines Lebens zusammen, und meine Kraft verzehnfachte sich. Sie nährte sich aus der Einsicht, daß mich Maria hergebracht hatte. Wenn sie bloß ein Spiel damit 57 bezweckt hatte, dann sollte aus dem Spiel Ernst werden! Ich lockte sie im Gespräch auf Irrwege. Sie folgte mir, es gelang ihr aber immer wieder, dem Gespräch eine Wendung zu geben, die sie vor der Niederlage schützte. Bei gefährlichen Stellen schaltete sie eine ganz kurze Pause ein und brachte dann die Antwort, die mir von unendlicher Wichtigkeit erschien, so gleichgültig hervor, daß ich den Sturm von vorn beginnen mußte. Bei unwichtigen Dingen, über die ich hinwegeilen wollte, verweilte sie. Ich konnte sie nicht packen, aber das eine erreichte ich dennoch: sie trank! Und jetzt, da wir die dritte Flasche begannen, trank sie bereits, ohne daß ich sie aneifern mußte. Sie trank hastig, machte kleine Schlucke, ganz nach Frauenart. Es war spät geworden. Sie ging zum Angriff über:

»Ich habe Wünsche! Sie sagten, brennende, verzehrende. Angenommen! Wohin mit ihnen?«

»Wozu die Frage? Sie kennen die Antwort so gut wie ich!«

»Ihr Männer denkt immer einseitig! Glaubt Ihr wirklich, alle Wünsche der Frau konzentrieren sich auf den Mann?«

»Was sonst?«

»Erfüllung kann der Wunsch der Jugend sein. Die reife Frau denkt anders.«

»Was gibt es außer dem Ziel der Erfüllung?«

»Den Schmerz!« – gab sie rasch zurück.

»Den Schmerz der Sehnsucht?«

Eine unwillige Bemerkung belehrte mich über meinen Irrtum.

»Diese unverwüstliche Poesie!« sagte sie mit offener Ironie.

58 Sie stand rasch auf. In die Wangen war Blut geschossen. Die Augen groß, als hätte sie sich soeben Atropin eingespritzt. Sie glänzten unheimlich. Der Kopf schob sich unbewußt nach vorn und in die Höhe. Der Mund, dieser urplötzlich sinnliche, wilde Mund mit feuerroten Lippen sah wie eine Wunde aus. Er lag im Raum unter dem meinen. Er bot sich dar. Er forderte, er schrie nach Schmerz, den ich, der Mann ihr zufügen sollte . . . Doch ich wußte: noch nicht! Ich ergriff ein Glas, drückte es ihr in die Hand. Sie trank es in einem Zuge leer. Dann sagte sie heiß:

»Wir wollen im Park . . . ein wenig . . . vor der Heimfahrt . . .«

Sie war mein! Sie konnte mir nicht mehr entrinnen. Die Besinnung bewahren, dachte ich, als wir hinausgingen. Ein Augenblick kann alles verderben. Kalt bleiben und jede ihrer Bewegungen beobachten.

Wir gingen durch den Park, durch die vollkommene Stille. Es war eine wundererfüllte Nacht, lau und geheimnisvoll. Die emporstrebenden Säfte nur verursachten in den Bäumen ein leises Knacken. Einmal ganz in unserer Nähe, dann in der Ferne. Die Bäume führten einsilbige Gespräche miteinander. Das Dunkel lauschte den unverständlichen Worten.

Maria atmete in tiefen Zügen die frische Luft ein. Ich spürte die verwirrende Wirkung und stellte mit Befriedigung fest, daß sie bei Maria ihr Werk tun und sie ganz berauschen würde. Wir flüsterten von Zeit zu Zeit. Nach zehn Minuten bemerkte ich, daß sich ihr Gang veränderte. Er wurde unsicher. Kaum merklich zunächst, doch sie schwankte. Ich versuchte mich einzuhängen. Leise drückte ich ihren 59 Arm. Sie merkte es nicht. Sie stützte sich ein wenig auf mich.

»Maria . . .«, flüsterte ich heiß an ihrem Ohr.

»Wollen Sie nicht das Hotel anrufen?« fragte sie flüsternd.

»Nein!« antwortete ich leidenschaftlich. »Jetzt sind Sie da! Niemand ist da, nur Sie!«

»Aber morgen?«

»Ich weiß nicht, Maria! Quälen Sie mich nicht! Ich weiß nur, was jetzt ist!«

»Sie rufen doch . . . das Hotel . . .«

»Nein! Nein! Ich rufe es nicht!«

»Aber ich will nicht . . .«

»Was wollen Sie nicht?« triumphierte ich. »Sie wollen! Sie wollen es seit der ersten Minute unseres Zusammentreffens! Maria, Sie müssen es wollen! Jetzt müssen Sie! Jetzt ist es nicht mehr Ihr Wille, sondern der meine! Allein! Sehen Sie, fühlen Sie! Wir sind allein. Die Nacht deckt uns zu . . . sie meint es gut mit uns . . . Sie müssen, Sie müssen . . .«

Ich packte sie bei den Schultern.

»Rufen Sie das Hotel an!« – Drohend und schwer klang es.

»Nein!« – Und ich riß sie an mich, umschlang sie, drückte ihren Körper an mich, um ihn in allen Teilen zu fühlen und zu entzünden, und beugte mich zu ihr herab, um sie zu küssen – –

Da lachte sie schrill auf. Ich ließ sie augenblicklich los und starrte sie an.

»Also nicht?! Ich wollte nur dies! Nichts weiter! Wir können gehen!«

Lachend eilte sie der Terrasse zu.

60 »Das Auto!« befahl sie dem Kellner, und ich folgte ihr mechanisch die Treppen hinauf.

»Warten Sie vor der Tür!« sagte sie hart zu mir. »Ich will mich im Zimmer reisefertig machen.«

Meine Betäubung wurzelte mich an die Schwelle. Ich stand im Dunkel. Bevor sie die Tür geschlossen hatte, sah ich eine Sekunde lang ihr Gesicht. Es war hart und wild zugleich. Genia . . . dachte ich und: Frank . . . Was wollte ich von dieser Frau? Von dieser Stadt? Warum war ich nicht auf den Bahnhof gegangen? . . . Im Zimmer hörte ich Wasser plätschern. Sie wusch sich. Ich, ein Hund vor der Tür dieser Fremden! Morgen erzählt sie es lachend ihrer Freundin . . . Mit dem ersten Zug auf und davon! . . . Wohin? Gleichgültig! Fort! Von hier fort! Der Heilige auf der Brücke . . . das steinerne Ungetüm! Ich ahnte es! Meine tolle Phantasie hatte mir wieder einen Streich gespielt! . . . Unten erklang die Autohupe. Der Wagen fuhr vor. Diese Fahrt mit ihr im Wagen in die Stadt! Diese halbe Stunde! Sie könnte allein fahren . . . Der Chauffeur ist Schutz genug! Ich übernachte hier, fahre morgen mit dem Zug in die Stadt. – Plötzlich zerrann mein Mut, der sich während meines Zusammenseins mit dieser Frau zum Übermut gesteigert hatte, und eine tiefe Trauer überkam mich. Ich dachte an Maria nicht gehässig. Von dieser Minute stand sie eingewachsen in mein Leben . . . etwas, was mein ist, ein Teil von mir, der nie mein gewesen . . . etwas, danach ich mich sehnen werde, von Zeit zu Zeit, in der Fremde nach der Fremden, die mein Eigen . . . Ich hörte das Wasser plätschern. Ein heller Klang. In die Trauer wob sich Freude. Ich werde wieder wandern . . . wieder jagen und 61 hetzen! Einkehren, um wandern zu können. Mit Wasser, Wind und Sonne spielen . . . wie ich es gestern Maria schilderte . . . Maria . . .

Da hörte ich sie rufen. Sie ruft den Chauffeur, dachte ich und blieb still. Sie rief noch einmal: es war mein Name. Leise drückte ich die Türklinke nieder und öffnete. Das Zimmer in Dunkel gehüllt. Ich konnte nichts unterscheiden. Dann drang in die Augen ein kleiner, gedämpfter Schimmer, der von der überhängten Nachttischlampe kam . . .

Wie nach einer unendlich langen Zeit traf mein Blick den Bereich des verhängten Lichts.

Maria saß auf einem Stuhl vor der Lampe. Sie hatte ein hauchdünnes arabisches Hemd über ihren Körper geworfen, durch dessen viele zarte Farben das Weiß ihres Körpers hervordrang. Aus dem Faltenwurf der breiten Ärmel griffen die schlanken Arme nach mir. Das Hemd wurde von einer Schnur gehalten, deren Quasten vom Stuhl niederbaumelten; sie hielt die Hülle unregelmäßig und nur in der Taille zusammen. Der Einschnitt zwischen den zarten und doch kräftigen Brüsten lugte hervor, und die gekreuzten Beine waren halb entblößt.

Ein Duft umgab sie, der mir augenblicklich die Sinne raubte. Der erste Gedanke war: Sie! Er verband sich irgendwie mit einem zweiten: Hollywood! Spiel mit Meer und Sonne!

Ihr Blick war Lockung, Befreiung, Gewähren, Feindschaft: Liebe . . . Ich stürzte einige Schritte vor . . .

Da stieß ich zum zweiten Mal auf den Blick. Er war nichts als Ruhe und vollendete Sicherheit der Ironie, fast der Verachtung. Ich trat näher. Ich 62 tastete mich den tollen Gefühlswiderspruch entlang. Wie aus unendlicher Weite plötzlich zurückgeschnellt.. Dann sah ich noch für einen Augenaufschlag den Blick Marias: das Grau der Augen war dunkel, fast schwarz, ihre Flamme so eiskalt wie die des fernsten Sternes. Sie lag reglos, die Arme, weiße Schlangen, unter dem Kopf verschränkt. Ihr Blick schien nicht mir zu gelten. Er war fremd, und das Licht, das er ausstrahlte, galt einer geheimnisvollen Macht, der sie ein Opfer darbrachte. Einer Macht, die sie bezwang, die dämonischer war als ihr Wille und unendlich mächtiger als die Macht ihres scharfen Verstandes . . . Sie flehte mich mit ihren Blicken an, sie nicht zu berühren . . . sie stieß mich mit diesem fremden Blick, der nicht mir galt, von sich und zog mich wieder an mit einer Gewalt, die so fremd und erschreckend war wie die andere, die mich zurückstieß . . . bis die beiden Gewalten sich im Blitz vereinigten, der von den Dingen die letzte Hülle riß und alles Irdische bis in seine verborgensten Winkel erhellte – – Und dann war nichts als unförmiges Dunkel, das alles überwogte.

– Ich sah Hollywood. Das Meer und die Küste. Die Villen aus Marmor und die Palmenhaine. Die Riviera Amerikas. Ich stand auf einer Jacht, und die Märchenwelt lief ihr entgegen wie ein schönes und verwöhntes Kind der Mutter . . . Und meine Hände streckten sich nach dem Wunder aus . . .

Maria schlief neben mir. Der Morgen war noch fern.

Später rückte er näher wie die blaue Küste von Hollywood.

*

63 Auf der Rückfahrt sprachen wir kein Wort. Vor dem Hotel küßte ich Marias Hand. Das Auto fuhr davon.

Der Portier wußte nichts von Genia. Sie war nicht zurückgekommen. Ich ging in mein Zimmer hinauf. Von dort konnte ich einen großen Teil der alten Stadt übersehen. Aber über die Häuser hinaus drang der Blick nicht. Unermeßlich weit hinter ihnen lag Hollywood . . . 64

 


 


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