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Was die Jüffrau mit ihrem Verse für Not hatte. Ein seltsames Wiedersehen.

»Aber, liebe Jüffrau Pieterse, was soll denn nun aus meinem Ohm werden? Sie sind nun einmal eingeladen, und ich habe ihm doch gesagt, daß es einen Vers geben soll.«

»Sehr schlimm, Jüffrau Laps. Sie sehen doch, daß das arme Wurm jetzt keine Verse machen kann. Was denken Sie von Stoffel? Wenn wir ihn fragten.«

»Mir ist's recht, wenn's nur ein Vers ist. Sonst bin ich blamiert.«

Stoffel wurde also eingeladen, Walthers Stelle zu vertreten. Er machte Einwendungen.

»Mutter, du verstehst das nicht so, aber eigentlich kommt mein Respekt dabei zu kurz. Wenn man immer mit der Jugend zu thun hat, weißt du, dann ist der Respekt die Hauptsache, und so ein Vers ...«

»Aber die Jungens auf deiner Schule brauchen's ja nicht zu wissen ...«

»Das Wort kommt immer weiter als der Mann, Mutter. Du weißt das nicht. Auf der Diakonieschule da war auch so einer, der Verse machte, und was ist aus ihm geworden? Er ist nach Indien, Mutter, und er ist mir noch die Hälfte von einer Flasche Tinte schuldig. Siehst du, Mutter, das kommt davon. Jeder muß auf sein Fach sehen. So ein Vers ... na ja, für so einen Jungen wie Walther ist es ja ganz gut ... aber wenn man selbst Lehrer ist ...«

»Und Meister Pennewip?« rief Jüffrau Laps.

»Richtig!« rief Stoffel, als ob gerade diese Erwähnung ihn in seiner Beweisführung unterstützte. »Ganz richtig, sehen Sie, gerade Meister Pennewip ...«

»Ich habe ein Gedichtchen von ihm gelesen, Stoffel.«

»Ganz recht ... du hast ein Gedichtchen von ihm gelesen ... das ist ... das kommt ... ja, Jüffrau Laps, wie soll ich Ihnen das nun gerade erklären? Sie begreifen, in so einem Fach, wie der Unterricht ist, da giebt's alle Arten von Dingen. Da haben Sie zum Beispiel die Geographie. Nun will ich bloß eins sagen: Madrid liegt am Manzanares, verstehst du, Mutter?«

»Ja, ja. Stoffel, das ist beispielsweise, als ob du sagen wolltest ...«

»Amsterdam am Y. Ganz genau so. Und dann haben Sie wieder sehr viel andere Dinge, Jüffrau Laps, denn Sie können sich gar nicht vorstellen, was da alles dazu gehört. Ein Krämer mischt Zucker mit was anderem, da muß ich nun ganz genau ausrechnen, wie teuer er's Pfund verkaufen muß, ohne Schaden zu nehmen, stellen Sie sich vor! Und dann haben Sie die Gesellschaftsrechnung, und die Brüche, und die Zeitwörter ... aber nun muß ich weg, sonst schlagen die Bengels alles kaputt.«

Stoffel ging diesen Mittag früher zur Schule als sonst, und ließ Jüffrau Laps recht ungetröstet zurück. Das arme Menschenkind konnte nicht fassen, wie Madrid und der Krämer und die Brüche Hindernisse für Stoffels Reimgenie oder Schulmeisterwürde sein konnten. Jüffrau' Pieterse schwatzte die Sache zurecht, so gut es ging, und schickte die Laps zu Meister Pennewip selbst.

Der Mann erschrak gewaltig, als das zornige Säugetier ihn besuchte, aber als er ihren Wunsch hörte, wurde er ruhiger.

»Zu welcher Klasse gehört Ihr Ohm, Jüffrau?«

»Na ... zu der Klasse ... meinen Sie wieder mit Muschelschalen und Eiern?«

»I wo, Jüffrau, ich meine, auf welcher Stufe er steht ... ich frage, auf welcher Höhe ... ich wiederhole, auf welcher Stufe ... wenn Sie mich verstehen – es ist ein Gleichnis, Jüffrau – auf welcher Stufe der Leiter der Gesellschaft?«

»Im Korngeschäft, Meister. Meinen Sie das?«

»Das genügt nicht, Jüffrau Laps. Man kann im Korn sein... als Kuchenbäcker ... als Brotbäcker ... als Kleinhändler ... als Großhändler ... als Zwischenhändler ... und alle diese Berufe haben wieder deren eigentümliche Unterabteilungen. Da haben Sie zum Beispiel Josef in Ägypten. Dieser Gottesmann, ... der von einigen in die Klasse der Erzväter gerechnet wird, während andere behaupten ... doch das wollen wir dahingestellt sein lassen – sicher ist, daß Josef Korn aufkaufte und auf der höchsten Stufe stand, denn, Jüffrau Laps, wir lesen ersten Mose 41 ...«

»Ja, das weiß ich ... er fuhr in Pharaos Wagen, und er trug einen weißseidenen Rock. Mein Oheim ist Fakter, das war mein Vater auch.«

»Sooo ... o ... o ... Fakter, oder richtiger gesagt Faktor ... ei, ei ... davon sagt Mose nichts ... und ich weiß nicht, in welche Klasse ...«

»Mein Ohm ist Witwer ...«

»Da haben wir schon den Unterschied. Wir lesen ausdrücklich, daß Josef Asnath freite, die Tochter Potipheras, des Priesters zu On, und wir lesen nirgends, daß sein Ehegespons schon tot war, als er sich auf den Kornhandel legte. Also, Jüffrau Laps ... ich würde vorschlagen, wenn es Ihnen ernst ist, Ihren Ohm in einem frommen Liede zu besingen ... begeben Sie sich zu einem meiner Schüler ... Klaasje van der Gracht.«

Und Meister Pennewip erklärte ihr, wo das Wunderkind zu finden war.

Wieder muß ich um Vergebung bitten, wenn mein Urteil zu scharf ist, aber ich habe Meister Pennewip in einem häßlichen Verdacht. Ich glaube, er hätte das Gedicht wohl geliefert, wenn Jüffrau Laps' Ohm vom König ein weißseidenes Gewand bekommen hätte, oder wenn er in einer Hofkutsche durch den Haag gefahren wäre. Aber den Faktor zu besingen, überließ er dem Genie des »fliegenden Theekessels« in der Peperstraat. Das war nicht schön von Pennewip. Was konnte der Ohm dafür, daß ihn seine Brüder nie in einen Brunnen geworfen hatten? daß er nicht an Araber verkauft worden war? daß er keine Träume auslegen konnte? und daß man heutzutage die Scharfsinnigkeit nicht mit Ringen, weißen Röcken, Galakutschen und Vicekönigstellen belohnt?

Also Jüffrau Laps stiefelte nach der Peperstraat und machte die Bekanntschaft des alten Herrn van der Gracht, der sich sehr geschmeichelt fühlte.

Es wurde würdevoll festgesetzt, daß Klaasje das Verschen noch denselben Abend fix und fertig machen sollte. Am nächsten Morgen sollte er es nun bei Jüffrau Laps aufsagen, und wenn es würdig befunden würde, der Beweis ihrer Gefühle gegen den Ohm zu sein, sollte Klaaschen zu dem Abend eingeladen werden. Und, hatte der Vater gesagt, er würde einen weißen Kragen umhaben, mit einer hochstehenden Priese.

»Ganz wie Josef,« sagte die Jüffrau, »in der Schrift steht doch alles.«

Und als sie heimkam, las sie ersten Mose 41 nach und suchte eine Übereinstimmung zwischen der Erhebung Josefs und Klaasjes Apotheose zu finden. In der Nacht träumte sie, sie hätte einen Mantel in der Hand.

Der Laureatus kam am Morgen und rasselte seinen Vers herunter. Wir werden ihn später hören, aber zunächst muß ich jetzt erzählen, was sich an jenem Nachmittag im Hause der Pieterses zutrug.

Walther lag schwach, aber nicht mehr fiebernd, im Bett. Der Arzt hatte Ruhe verordnet. Das Kind zählte die Blumen des Vorhangs und mühte sich, sie in seiner Vorstellung anders zu ordnen. Er ließ sie übereinanderspringen, ineinanderfließen. Er sah Gesichter darin – Gestalten – Armeen – Wolken ... alles lebte. Es war ermüdend, aber er konnte nicht anders. Und als er sich nach der Wand umdrehte, wurde es noch schlimmer. Die hieroglyphischen Schrammen in der Wand erzählten ihm allerlei, was er nicht zu wissen brauchte, und überschütteten ihn mit unnötigen Eindrücken. Er schloß die Augen, fand aber keine Ruhe. Ihm war, als würde er von der wilden Hochzeit mitgerissen und als müßte er an dem Feste teilnehmen, das der Nachtwind dem Monde gab. Alles drehte und wirbelte um ihn herum und zog ihn mit. Er griff mit beiden Händen an sein Haupt, als ob er seine Phantasien zum Stillstand bringen wollte, aber es half nichts. Die Vorhänge, die Schnüre, die Wand, die Blumen, der Tanz, der Wirbelwind, der Femke emporriß ... sein Griff, um sie festzuhalten ...

Das Kind brach in Thränen aus. Er wußte ja, daß alles nur Einbildung war. Er wußte, daß er krank war. Er wußte, daß Schornsteine nicht tanzen, und daß man kein Mädchen von der Erde holt, um dem Mond die Langeweile zu vertreiben ... und doch ...

Leise weinend rief er Femkes Namen, leise genug, um nicht von den anderen gehört zu werden, laut genug, um seinem bedrückten Gemüt Luft zu machen ...

»Was ist das?« rief er plötzlich. »Antwortet sie? Ist das auch Einbildung?«

Wirklich, Walther hörte seinen Namen, und es war Femkes Stimme!

»Ich muß wissen, ob ich träume!« sagte der Knabe und richtete sich in seinem Bette auf. »Das ist eine rote Blume ... das eine schwarze ... ich bin Walther ... Laurens ist Schriftsetzer... alles richtig ... ich träume nicht ...«

Und er lauschte wieder und bog sich aus dem Bett und öffnete Mund und Augen, so weit er konnte, als sollten Zunge und Gesicht dem Gehör zu Hilfe kommen ...

»O Gott ... Femkes Stimme! Ja, ja, sie ist es!«

Diesmal war es Gewißheit. Er sprang aus dem Bett, zur Thür hinaus, stürzte die Treppe hinunter, und fiel bewußtlos zu Füßen des Wäschermädchens nieder, das unten einen harten Kampf ausfocht mit der Pieterseschen Familie.


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