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Der würdevolle Besuch des Herrn Hauspastors, der anders abläuft, als der scharfsinnigste Leser ahnen kann. Über Sprache und Gnade, das Haus an der Ecke, die kompromittierte Frau aus Babylon u. dergl. Nachpredigt mit Gefühl.

Da der Leser viel Erfahrung hat – seit Jahren suche ich vergebens jemand, der sich über Mangel an dieser Ware beklagt – wird er wissen, daß Vergnügen sowohl wie Kummer nie so groß sind, wie sie uns aus der Ferne scheinen.

Es war also vorauszusehen, daß der Hauspastor, der über Walthers Haupte schwebte, nicht so schwer herniederkommen würde, als ohne diese philosophische Betrachtung zu erwarten stand. Und so war es auch.

Der Mann war eigentlich ein Bönhase in seinem Fach. Er gehörte zu der Klasse der Katechisiermeister und Krankenbesucher, was wir so heutzutage »inneren Missionar« nennen, und verhielt sich zu einem wirklichen Pastor wie ein Hühneraugenschneider zu einem Arzte. Aber für die Hühneraugen des Bürgerstandes III, 7, b¹ (Pp)langte es noch. Und wenn das nicht so gewesen wäre – jeder muß sich nach der Decke strecken, und Menschen, die zur Miete wohnen, und noch dazu ganz oben, können für ihre Seelennahrung kein Griechisch beanspruchen.

Walther sollte denn auch in ganz gewöhnlichem Holländisch abgekapitelt werden.

Jüffrau Pieterse hatte eine reine Jacke an, Stoffel hatte die Pfeife sinken lassen, und auch für Jüffrau Laps war ein Stuhl hingesetzt. Sie hatte darum ersucht, dabei zu sein, »um der Erbauung willen« sagte sie. Die Mädchen waren ausgegangen, da der Hauspastor, wenn er Eindruck machen wollte, immer gewaltig mit den Armen schlenkerte, und man also vorhersah, daß man Platz brauchen würde.

»Jünklink,« sprach der Mann, und es schien sofort Eindruck nötig zu sein.

»Jünklink ...«

Es ist sehr auffallend, wie Glaube und Gnade Einfluß haben auf die Aussprache der gewöhnlichsten Worte. Der Hauspastor würde gewiß nicht gesagt haben: lanke Pfeife oder junke Erbsen – aber die Heiligkeit verwandelt alles. Und nicht allein die Aussprache, auch die ganze Sprache, die Wort- und Satzbildung – ja, ich gehe so weit, daß ich Zweifel hege an der Rechtsinnigkeit eines Menschen, der auf alltägliche Manier, ohne Salbung oder Schwung, mit mir über das Wetter spricht oder nach meinem Befinden fragt. Selbst im Husten und Niesen muß die Gnade sich offenbaren, oder die Sache ist nicht reinlich. Paß einmal ordentlich auf, ob ein Hauspastor sich nicht anders die Nase schneuzt als ein gewöhnlicher Mensch!

»Jünklink, du bist tief gesunken ...«

Jüffrau Laps nickte; das war ein richtiges Urteil. Stoffel sog an seiner Pfeife mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Gottseligkeit. Jüffrau Pieterse faßte nach ihrem Schürzenzipfel, für den Fall, daß sie heulen müßte.

»Jünklink, oder richtiger gesagt: junge Tochter ...«

Die Versammlung blickte etwas verwundert drein, aber man hielt dies für ein Sichversprechen. Auch muß man bei geistlichen Zusprachen nicht aufs Wort deuteln. Das ist für den Sprecher lästig und führt zu nichts.

»Junge Tochter, kraft meines Amtes, und durch den Ruf zum Hohenpriester des Herrn ... denn jeder, der das Evangelium verkündigt, ist ein Hoherpriester des Herrn ... in dem Herrn ...«

Der Mann sah um sich, als suche er Zustimmung.

Jeder nickte.

»In dem Herrn ...«

Neuer Blick, um Zustimmung zu erbitten. Der Blick hatte Erfolg, aber ich kann nicht verschweigen, daß sein langes Beharren bei dem »Herrn« doch Erstaunen hervorrief.

Diesmal schlug man die Augen nieder, um ihn zu zwingen fortzufahren.

»Durch meine Hohepriesterschaft ... in dem Herrn ... sage ich dir, daß du gleich bist der Hure von Babylon, die da hurete mit den Königen der Erde ...«

Möge niemand unter meinen Lesern die Nase rümpfen, weil ich des Hauspastors Rede richtig wiedergebe. Ich gebe zu, daß ich, der ich kein Christ bin, mir die Freiheit nehmen würde, jedem, der sich in meinen vier Pfählen eine solche Sprache herausnähme, vor die Thür zu setzen. Aber Christen können sich doch anstandshalber nicht beklagen, wenn man sie mit Worten aus ihrer Bibel anredet.

Das war es auch nicht, was die Zuhörer verblüffte. Jüffrau Laps vernahm sogar sehr gern etwas über den schlechten Ruf jener babylonischen Frau. Sie hatte dabei etwas in ihrer Haltung, was verriet, daß sie niemals in Babylon gewesen war, und daß die Geschichte sie also nicht betraf. Jüffrau Pieterse und Stoffel waren die unverhüllten Plattheiten der Sprache Kanaans zu sehr gewöhnt, als daß sie darüber verwundert oder entrüstet gewesen wären. Nein, das Erstaunen der Gesellschaft hatte einen ganz anderen Grund.

Man wird zugeben müssen, daß Meister Pennewip sehr wenige Todsünden ausgelassen hatte, als er Walthers Sündenregister verlas. Und sieh! da kommt der Hauspfarrer und läßt das Brandstiften beiseite, vergißt das Rauben, macht kein Wort von Mord und Totschlag, läßt das Frauenschänden im Dunkeln ... und an Stelle alles dessen beschuldigt er Walther der Hurerei mit den Königen der Erde!

Das war etwas ganz Neues, und wie sie auch die kanaanitische Bildersprache gewöhnt war, das fand Jüffrau Pieterse ein bißchen stark. Sie fragte also bescheiden:

»Exküs ...«

Das »Exküs« hatte sie von der Kuchenbäckerjüffrau. So geht es. Man schimpft auf das Fremde, aber man nimmt es an. Indes war der Fall ernsthaft genug, um den Gebrauch eines Fremdworts zu rechtfertigen.

»Exküs, Herr Pfarrer! Walther hat ...«

Auch Jüffrau Laps wollte etwas sagen, aber sie wurde unterbrochen:

»Schweige, du Frau von den Mauern Jerichos! die du ein Haus der Unzucht bewohnst an den Wällen der Stadt ...«

»Aber Herr Pfarrer! Die Jüffrau wohnt hier unten vorn!«

»Ja, und mein Vater war ...«

»Hör' auf mit deinem Geschwätz, o du Delilah-Rachab! Und Sie, Frau, ich sage Ihnen ... so wahr der Herr lebt ... dies Mädchen ist versunken ...«

»Aber Herr Pfarrer ... Walther ist ein Junge!«

»Schweigt und hört die Worte des Hohenpriesters! Ich sage euch, sie ist versunken im Pfuhl des Lasters ...«

»Herr Pfarrer ...«

»Lassen Sie ihn,« flüsterte Jüffran Laps, »dahinter steckt noch was. Er wird mit einem Umwege auf Walther zurückkommen ... sie machen's manchmal so.«

Darin hatte sie recht.

»Dies Mädchen,« fuhr der Hauspastor fort, mit einem Ausdruck eines Eindrucks, der viel Platz brauchte, und der uns zwingt, die Weisheit der Töchter des Hauses zu bewundern, die durch ihre Entfernung für seine Beredsamkeit Raum schafften, »dies Mädchen ist ... ein Mädchen!«

»In Gottes Namen,« seufzte Jüffrau Pieterse.

Aber diese Zustimmung kostete sie Anstrengung. Nichts ist schwerer, als ein Wunder zu glauben, das man sieht. Die Wunder, die man nicht sieht, machen einen Unterschied.

»Ja, dies Mädchen ist ein Mädchen ... und was mehr sagt ... sie ist ein Weib! Ja, sie ist ein Weib ... und hat gehurt ...«

»O liebe Christenseelen, ich kann daraus nicht klug werden!«

»Ich aber,« sagte Jüffrau Laps, »ich verstehe es ganz gut.«

»Ja, Schlange ... du verstehst mich! Dein Gewissen erklärt dir die Worte, die strömen von den Lippen des Mannes Gottes ... und deine Verderbtheit läßt dich mit den Fersen gegen den Stachel lecken ...«

Jüffrau Laps hatte wohl gemerkt, daß der Pastor sich mit Vorliebe an sie wendete. Sie hatte das als eine Huldigung für ihre tiefere Kenntnis im Glauben angenommen, und als einen Wunsch des Sprechers, daß die Erhabenheit seiner Worte besser begriffen werden sollte, als das von dem armen Patienten und den übrigen zu verlangen war. Aber sie meinte, nun doch ein Wörtchen mitreden zu sollen über die Verderbtheit, um gegen die Meinung zu protestieren, als ob diese ihr Privateigentum wäre:

»Ja, gewiß, verdorben sind wir alle ... alle ohne Ausnahme ... indessen ...«

»Schweig, gottlose Frau Babylons! und ziehe aus aus deinem Hause an den Mauern der Stadt ... du bist verdammt ...«

»Wie?« fragte Jüffrau Laps verwundert, und jetzt auch ein wenig beleidigt.

Denn die Frommen nehmen Verderbtheit und Verdammnis gern an, wenn die Sache kollektiv gehalten ist, aber sie werden böse, wenn man erklärt, daß bei ihnen persönlich etwas hapert.

»Wie? Wie meinen Sie das, Herr Hauspastor?«

»Ich sage, daß du verdammt bist, Frau aus Josua zwei ... es hangen rote Schnüre aus deinem Fenster ... und du hast gehurt mit den Königen der Erde ...«

Bis dahin war alles gut. Das Huren mit Königen hat etwas Vornehmes und schadet nicht. Aber:

»Mit den Königen der Erde und mit dem Briefträger, der solchen dicken Backenbart hat ...«

Das war schlimmer als das »Säugetier!«

Ehe noch Jüffrau Laps Zeit hatte, den Mann Gottes in Stücke zu reißen und so ihre Ehre wiederherzustellen, stürzte Leentje ins Zimmer:

»Der Bursche ist betrunken, Jüffrau, total betrunken ... er hat an der Ecke ›gebittert‹ ... da haben sie ihn hinausgefeuert ... die Jungens laufen hinter ihm her ...«

Und sie zeigte durch das Fenster nach der Straße, wo in der That die Straßenjungen mit Gejauchze eine Predigt nachmachten, die der Hauspastor gehalten haben mußte, denn sie riefen: Ho, ho, Stachelschlange, Schlange mit Fersen, halt deinen Schwanz aufrecht!

Total betrunken war nun der Hauspastor nicht, aber angetrunken war er. Im Weinhaus an der Ecke hatte er Betstunde gehalten, und Leentje, die das wußte oder vermutete, war hinausgelaufen, um Sicherheit zu haben und durch die Offenbarung der Thatsache Walthers Strafe abzukürzen. Hierbei kam ihr der Hauspastor selbst zu Hilfe, der in dem Weinhaus die Geschichte jenes Briefträgers gehört und sich nachher in dem Patienten geirrt hatte, der zu behandeln war.

»Ja,« fügte Leentje hinzu, »'s ist nicht bloß jetzt ... 's ist nicht immer gleich schlimm ... aber das letzte Mal, mit Habakuk ...«

»Schweig du, und gehe an deine Arbeit,« sagte Jüffrau Pieterse, die sich schämte, weil sie sich in der Art des Weinbergs, den der Hauspastor bearbeitete, geirrt hatte.

Mir kommt dieser Irrtum schon verzeihlich vor, und ich nehme an, daß er noch ziemlich lange hätte weitergehen können, wenn die kluge Leentje nicht ein Ende gemacht hätte.

Nicht ohne Mühe beschützte man den Hauspastor gegen die Wut von Jüffrau Laps. Stoffel half dem Mann die Treppe hinunter, so gut es ging, und überließ ihn dann den Straßenjungen, die augenblicks ein Liedchen auf ihn machten, voller Schlangen und Genever. Ich habe dies Gedicht nicht mehr auffinden können. Schade. Und eins machen und für den echten Text ausgeben, ist gegen mein Princip.

Sobald Jüffrau Laps sich einigermaßen gefaßt hatte, wählte sie das bessere Teil und beschuldigte sich selbst falscher Auffassung.

»O ... o ... o ...! Da sieht man wieder einmal, wie viel Übung dazu gehört, um in der Lehre festzustehen. Ich erinnere mich jetzt ganz genau, wie in der Bibel von verkehrten Handlungen der Töchter Jerusalems gesprochen wird. Das meinte er mit seinem Briefträger. Mein Vater war im Kornhandel, und es weiß also jeder, wer ich bin. Die Sache ist klar ... aber ich fühle je länger je mehr Bedürfnis nach Übung ... Übung, wissen Sie?«

»Aber liebe Jüffrau Laps, der Mann war betrunken ...«

»So sagt Leentje, aber ...«

»Und all das Volk auf der Straße ... hören Sie doch!«

»Ganz wie beim Propheten Elisa. Auch den beschimpften die Kinder auf der Straße ... und dann kamen Bären ...«

»Hei ... hei ... acht auf deine Fersen!« klang es von draußen.

»Warum sendet der Herr nicht seine Bären!« klagte Jüffrau Laps, die einsah, das beste Mittel, sich von diesem Briefträger reinzuwaschen, war, den armen Hauspastor zum Propheten zu erheben.

Und hierin hatte sie wieder recht. Was ein Prophet sagt, kann man aufnehmen, wie man will. Eine Braut ist eine Kirche. Ein Tempel ist ein Leib. Ein Vater ist ein Sohn. Ein Sohn ist ein Geist. Ein Geist ist ein Vater. Eins ist drei. Drei ist eins. Und ein Briefträger ist überhaupt nichts.

»Aber der Mann war betrunken,« wiederholte Jüffrau Pieterse, als ob sie hierin einen Grund fände, Hauspastors Rede nicht so ganz zu verwerfen, als wenn er bloß von Bibelwut besessen gewesen wäre.

»Und wäre er auch für den Augenblick gefallen, was würde das beweisen? Bleibt man nicht immer ein Mensch, und ist der Fall nicht nötig, um die Gnade zu erreichen. Sagen Sie: wo bleibt die Gnade ohne Fall?«

Das wußte Jüffrau Pieterse nicht und ich auch nicht.

Ich finde, Jüffrau Laps hatte wieder recht: ohne Fall keine Gnade und ohne Gnade kein Fall. Die Dinge gehören zusammen wie Schloß und Schlüssel, und wer da etwas wegnimmt, handelt verkehrt.

Wenn man ein Haus will stehen lassen, muß man nicht hier und da einen Pfeiler ausbrechen oder einen Eckstein herausreißen. Es sei, wie es ist, oder gar nicht.

Der Hauspastor war ganz in seinem Rechte, und Jüffrau Laps auch, wenn sie die Sache eigentlich bloß deshalb auf das Gebiet brachte, weil sie die Aufmerksamkeit von dem Briefträger ablenken wollte.

»Aber was sollen wir denn in Gottes Namen mit diesem ungezogenen Jungen anfangen?« rief schließlich Jüffrau Pieterse.

Stoffel verstand wohl, daß in Ermangelung des Hauspastors er zu der Predigt des Tages berufen sei. Er behandelte Hesekiel und die Abscheidung der zehn Stämme und fügte etwas von Matthäus dazu. Dann ging er auf die Makkabäer über und schloß mit Daniel, Paulus, dem Vaterunser und dem heiligen Geist.

»Sehr gut,« sagte Jüffrau Laps, »aber nun die Strafe?«

Denn die Frommen sind nie zufrieden, ehe etwas von Strafe dazu kommt, worin sie auch, im Hinblick auf die Schrift, ganz konsequent sind.

»Wasser und Brot,« schlug die Mutter vor, »oder ... was denken Sie von der Offenbarung?«

»Ja ... so ... ich würde die Psalmen ... oder die Geschlechtsregister ... Jakob zeugte Juda, Zadoch zeugte Achin ...«

»Ach ... das ist alles schon probiert und hat nichts genutzt.«

»Wenn wir ihn ein paar Kapitel auswendig lernen ließen und zwar rückwärts?«

Schade, daß der Vorschlag nicht durchging. Möglicherweise hätte dabei etwas herauskommen können, worin Schluß und Sinn steckte.

»Wenn ich ihn einmal zu mir nähme, Jüffrau Pieterse? Ums Geld ist's mir nicht zu thun ... Sie könnten Kostgeld geben ...«

Walther schauderte.

»Ach ja,« fuhr Jüffrau Laps fort, »Sie könnten Kostgeld geben ... und ich würde mit ihm Übungen machen ... denn ums Geld ist's mir durchaus nicht zu thun. Übung ... Andachtsstunde ... wissen Sie?«

Glaube nicht, Leser, daß solche Kapitel, wie dies, mir angenehm sind. Das Gegenteil. Aber ich meine, es ist Pflicht, »den Stein nicht zu umgehen, der auf dem Wege liegt«. Und diese sogenannte Religion ... ich sage absichtlich »sogenannte« ... liegt gerade quer über den Weg, und ich will sie wegkanteln, wenn ich kann.

Ich habe es nicht erfahren können, welche Marter man schließlich für Walther ausfindig gemacht hat. Ich denke, man wird ihn nach Herzenslust geprügelt haben, und das finde ich – alles wohlbedacht – schließlich noch für das beste.


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