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Walthers Traum. Die vornehme Kutsche.

Der Mond stand am Himmel und langweilte sich; die undankbaren Menschen schliefen und achteten seiner nicht, sollte er sich nicht ärgern? Er strömte sein Leid, das noch durch die gewaltige, Jahrtausende alte Schuld geborgten Lichtes vermehrt wurde, in herzbrechenden Elegien aus, bis der Nachtwind sich seiner erbarmte. Hopp, hopp! fuhr er in die Bäume, und die Blätter tanzten, hopp, hopp! fuhr er über die Dächer, und die Ziegel flogen, die Schornsteine verbeugten sich demütig, die Mühlen tanzten mit den Stämmen, die sie zersägen sollten, auf den Mauern und Schanzen. Da saß ein schlafend Mädchen im Grase... ob's Femke war? Die Wäsche tanzte nach der Musik des Windes um sie her, die Hemden machten possierliche Knixe und boten sich höflich die Manschetten; Schlafmützen, Vorhemdchen, Beinkleider tanzten Menuett, Strümpfe und Kinderkleidchen, Kragen und Taschentücher walzten immer dichter und dichter um das schlafende Mädchen herum, ihre Locken begannen zu flattern ... ein Lächeln, ein Seufzer ... sie sprang auf, der Wirbel ergriff sie, hob sie ... o Himmel ... Femke, Femke!

Und Walther griff nach der Erscheinung, die er in einer Wolke von Strümpfen, Socken, Unterbeinkleidern, Hemden und Kragen davonsausen sah, auf dem Wege zum Monde ...

»Mutter, Walther kneift mich!« rief Laurens, der Schriftsetzer lernte, und Jüffrau Pieterse stöhnte, daß die Jungens nicht einmal in der Nacht Ruhe halten konnten.

Das »Haus« Pieterse versammelte sich an Walthers Bett. Da war die edle Stammfrau, gehüllt in eine ehrfurchtgebietende Jacke, die in breiten Falten auf den Rock von schwarzem Merino niederfiel. Da war Trudchen mit ihren dummen blauen Augen. Myntje und Pietje – ach was rede ich! So hießen ja die Mädchen nicht mehr, nach dem großen Umzuge. Trudchen war eine Gertrude geworden, wie eine morganatische Fürstin von Hessen. Myntje hieß jetzt Mina, und wer ihr einen Gefallen thun wollte, sagte Mine, das klang französisch, fand sie. Aber ihr dummes Gesicht war noch dasselbe wie vorher. Und Pietje hieß Petro. Stoffel hatte gesagt, das wäre ein vornehmer Name.

Er selbst kam auch zum Vorschein und setzte sogar seine Mutter, die doch so viel von ihm erwartete, in Erstaunen. So würdevoll war Gang und Haltung.

»Was fehlt dir denn, Junge?« rief jedes Walther zu.

»O Mutter, Mutter ... Femke!«

»Der Junge ist närrisch« – das war das einstimmige Urteil der Familie Pieterse.

Und ganz unrecht hatten sie nicht. Walther fieberte.

»Sie wollen sie wegtragen ... immer in die Runde ... sie griff nach dem Rauch ... Tochter der Sonne, entscheide... hier ist Telasco ... du sollst nicht sterben, Aztalpa ... Femke, bleibe, bleibe, ich will auf die Wäsche acht geben ... ich will die Hirschkuh schießen... ein Witwersmann mit Gott ... zusammen durch das elfenbeinerne Thor ... da ist sie wieder ... Omikron, bleibe!«

»Wenn wir einen Pfarrer rufen ließen?« fragte die Mutter zögernd. Sie wußte nicht, ob gebetet werden mußte oder gestraft ... oder beides.

Und jetzt hatte, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben, Stoffel einen guten Gedanken:

»Mutter, ich glaube, daß hier ein Doktor nötig ist... Walther ist krank,«

So war es. Der arme Junge hatte ein Nervenfieber. Das war ein Glück für ihn, denn der Arzt, der ihn behandelte, war ein Menschenkenner, der durch liebevolle Zurechtweisung einen heilsamen Einfluß auf Walthers Gemüt ausübte. Aber das konnte erst später geschehen, denn im Anfang der Krankheit war die Krankheit des Kindes gefährlich.

Auch für Jüffrau Pieterse war diese Bekanntschaft nützlich. Der Doktor machte ihr zu ihrer großen Verwunderung klar, daß man seine Kinder nicht wie Gepäckstücke in der Bettstelle einpacken soll. Daß Luft, Licht, Leben, Bewegung, Genuß nötig ist, um Seele und Leib zu entwickeln. Daß Strafen, ob mit oder ohne den Herrn, nichts nützen. Daß ihr Gottesdienst besser wegbleiben sollte – und mehr Dinge von der Art, die Jüffrau Pieterse noch nie gehört hatte, und gegen die sie sich doch nicht auflehnte, denn der Doktor...

»Ach, liebe Jüffrau Laps, Sie müssen's mal so einrichten, daß Sie hier sind, wenn er kommt. Er schreibt die Rezepte mit einer goldenen Feder und sein Kutscher hat ein braunes Bärenfell um den Hals ...«

Ja, so eine goldene Feder und ein Bärenfell! Ach, wenn doch alle Menschen, die die Wahrheit predigen, ihren Kutscher vornehm ausstaffieren könnten, dann würde es wohl bald mit vielen Vorurteilen vorbei sein. Aber meistens ist das nicht so.

Ja, ich kenne sogar viele wahrheitsliebende Leute, die überhaupt keinen Kutscher haben, sei es mit oder ohne Bärenfell.

Und auch die ... goldenen Federn sind oftmals in falschen Händen.

»Ich wollte bloß, daß Jüffrau Zipperman mal käme, wenn gerade der Doktor hier ist. Geh', sag's ihr doch mal, Schertrüde ... daß Waltherchen krank ist, mein ich ... und sag' ihr, wir frühstücken so gegen zwölf ... so spät kam er gestern. Und du, Leentje, geh' mal zum Kaufmann ... wir brauchen Salz... und mach' 'n Wörtchen ... 's ist nicht ums Klatschen ... du weißt, Klatscherei kann ich nicht leiden ... ich möcht' bloß wissen, ob's die Menschen gesehen haben. Und du, Petro, denk' dran, daß du mir 'ne reine Mütze giebst, wenn er wiederkommt... denn dasist ein Mann, so ein Doktor! Ich bin noch ganz hin, wie er so sagte ... und dann gaff' ihn nicht immer so an, Mina, das paßt sich nicht ... aber ich bin doch wirklich neugierig, ob die im Laden ihn gesehen haben!«

Ich möchte nicht gern hart urteilen, aber wahrhaftig, es kommt mir vor, als ob Jüffrau Pieterse allmählich an Walthers Krankheit Geschmack bekam.

Es ist doch etwas Vornehmes, so eine Doktorkutsche vor der Thür.


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