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Betrachtungen, wie man ein großer Mann werden kann. Besuch bei M'sjö Willär, der so klug war. Steckenpferde. Der Leser wird mit Versen bedroht und schließlich um Anerkennung ersucht für die geschickte Art und Weise, wie ihn der Verfasser, nach vergeblichem Herumirren, zu Walther zurückführt.

Ich achte mich nicht berufen, in dem Streit zwischen Pennewip und Leentje, betreffend dessen Parteilichkeit für Schlachterskeesje, ein Urteil abzugeben. Aber das feurige Gefühl für Recht und Billigkeit, das mich seit meiner ersten Jugend plagte – ach, seit Jahren warte ich vergebens auf die zweite! – und die alberne Sucht, nach Milderungsgründen zu suchen, wenn auch die Missethat bewiesen wäre, nötigen mich doch zu sagen, daß Meister Pennewips Los als mildernder Umstand für jeden, der an acht Todsünden schuldig befunden war, gelten konnte.

Ich habe gefunden, daß viele große Männer ihre Laufbahn als Schweinehirten anfingen – siehe alle biographischen Nachschlagebücher – und es scheint also, daß dieser Beruf die Elemente bietet, um die Menschen zu regieren oder zu fördern. Was nicht dasselbe ist.

Wenn etwa Theologen meine Erzählung bekritteln sollten und diese Gelegenheit ergreifen, um mich weitgehender Unkenntnis zu beschuldigen, weil ich eine Hauptsünde mehr zähle als ihnen bekannt sind, und des Verbrechens, daß ich das Menschengeschlecht als eine Abart von Schweinen hinstelle, so antworte ich, daß ja noch eine neue kanonische Sünde entdeckt werden kann, die sie noch nicht studiert haben. Und das muß ihnen doch so angenehm sein wie die Grippe dem Apotheker.

Neue Aufgaben, meine Herren!

Und was die Verwandtschaft mit den Ferkeln angeht, so denke man einfach an die Verwandtschaft von Kohle und Diamant, und jeder wird zufrieden sein, selbst die Theologen.

Aber – nach dieser Anmerkung über die herrlichen Aussichten, die jemand hat, wenn er seine zarte Jugend im Verkehr mit den grunzenden Kohlendiamanten des Tierreichs erlebt hat – ich habe mich schon mehrfach gewundert, daß in den Lebensbeschreibungen berühmter Männer so wenig Schulmeister vorkommen, da doch alle Ingredienzien, die eine Schweineweide zu einer Genieküche machen, in so großem Maße in der Schulstube zu finden sind.

Das Umgekehrte kommt öfter vor. Alle Tage sieht man weggejagte Prinzen der lernfaulen Jugend Unterricht geben. Dionysius und Ludwig Philipp sind die einzigen nicht, und ich selber habe einmal versucht, einem Amerikaner das Französische beizubringen. Es ging aber nicht.

Wenn die Königswahlen einmal wieder in die Mode kommen sollten, würde es mich freuen, wenn die Wahl des Volkes sich mit Vorliebe auf die Personen richtete, die den Menschen verhältnismäßig studiert haben, wie man die Geographie auf Globen oder Handatlassen lernt. Alle Tugenden, Neigungen, Leidenschaften, Irrtümer, Missethaten, die in der wirklichen menschlichen Gesellschaft Punkte unentbehrlicher Übung ausmachen, findet man auf kleinem, besser zu übersehendem Felde, schon auf der Schulbank, und die hochberühmten Künste manches Staatsmannes kommen, genau besehen, zurück auf das »Beine stellen,« das bei den Macchiavells von drei Fuß Höhe ein und alles ist.

Die Aufgabe eines Schulmeisters ist denn auch nicht leicht, und ich habe nie verstanden, warum er so karg besoldet wird, oder, da das nun einmal so sein zu müssen scheint, wie man noch immer Leute findet, die nicht lieber für dasselbe Geld als Unteroffizier gehen und das Laden in zwölf Tempos – vielleicht bin ich mit der Zeit nicht mitgegangen – unterrichten, was doch sicher weniger Kopfzerbrechen macht und mehr Luft mit Sauerstoff giebt.

Auch wäre ich lieber Pfaffe. Der hat doch immer mit Leuten zu thun, die in der Sache mit ihm eins sind, und die aus freiem Willen ihm zuzuhören kommen, während der Lehrer dauernd mit Abneigung zu kämpfen hat, und mit der höchst gefährlichen Nebenbuhlerschaft von Kreiseln, Murmeln und Papiermännchen, – von Zuckerwerk, Zahnwechsel, Scharlach und schwachen Müttern ganz zu geschweigen.

Pennewip war ein Mann von der alten Schule. So würde er uns wenigstens vorkommen, wenn wir ihn vor uns sähen in seiner grauen Schuljacke, seiner Schoßweste, den kurzen Hosen mit Schnallen, und das alles gekrönt von einem braunen Perückchen, das er fortwährend hin und her schob, und das zu Anfang der Woche immer so lockig war, wenn nicht Regen in der Luft stand. Denn Locken können Feuchtigkeit nicht vertragen, und Sonntags kam der Mann mit der Brennschere.

Aber das Altfränkische ist vielleicht bloß Einbildung. Wer weiß, am Ende war er zu seiner Zeit modern, und wie bald wird man von uns dasselbe sagen! Jedenfalls, der Mann nannte sich »Meister«, und seine Schule war eine Schule und kein »Institut,« was auch die Sache weniger gut kennzeichnet, und es ist auch kein Fortschritt, die Dinge anders zu nennen, als sie heißen. Auf seiner Schule, wo nach der naiven Gewohnheit jener Tage Jungen und Mädchen durcheinander saßen, lernte man – oder konnte man lernen – Lesen, Rechnen, Schreiben, vaterländische Geschichte, Psalmensingen, Nähen, Stricken, Aufpassen und Religion. Das alles war an der Tagesordnung, aber wer sich in Anlagen, Eifer oder Gehorsam auszeichnete, der bekam noch obendrein Unterricht im Versemachen, eine Kunst, an der Pennewip viel Gefallen fand.

Er bereitete die Jungen vor, bis sie eingesegnet werden konnten, und mit Hilfe seiner Frau führte er die Mädchen bis zu einem Sticklappen mit einem roten Vaterunser auf schwarzem Grunde, oder auch einem gespießten Herzen zwischen zwei Blumentöpfen. Dann waren sie ausgebildet und daher fertig, um Großmütter unseres gegenwärtigen Bürgerstandes zu werden.

Naturkunde gab es damals nicht. Dieser Punkt läßt auch heute noch zu wünschen; es soll allerdings besser geworden sein. Es ist einem Kinde nützlicher zu wissen, wie das Korn wächst, als es in einer fremden Sprache nennen zu können. Aber es könnte sich beides wohl vertragen.

Die Bürgerschulen waren recht mangelhaft in der Zeit, da Walther und Schlachterskeesje langsam um die Arena der Ehre herumkrochen, aber ich glaube, daß man von unseren heutigen »Instituten« nicht viel anderes sagen kann. Ich gebe jedem den Rat, einmal eine Schule von der Art wie die, in der er seine Jugend verlebt hat, zu besuchen, und ich bin überzeugt, daß mancher Vater, der es mit seinen Kindern gut meint, sie nach dieser Probe lieber zu Hause behalten möchte. Man kommt zu der Überzeugung, daß doch in der Schule des Meister Willer, der so klug war, daß er sich aus lauter Klugheit »M'sjö Willaire« nennen ließ, doch bitterwenig zu lernen war.

Ohne diese Probe leben wir weiter im Glauben an die Klugheit des M'sjö Willaire, wie wir ja auch immer jemand für groß halten, den wir in unserer Kindheit kannten, und den wir später nicht wiedersahen ...

Als ich vorhin behauptete, daß die Schulmeister zu karg besoldet würden, geschah das nicht, weil ich die Entlohnung als unzureichend ansah im Verhältnis zu der gelieferten Quantität Kenntnis, Wissenschaft und Menschenbildung. Ich hatte nur die Bitterkeit des Brotes im Auge, das man mit so schwerer Arbeit erkaufen muß, und die ungenügende Schadloshaltung für die Marter des Mannes, der sein Leben in einem Wespennest verbringt.

Außer dem Versemachen ritt Meister Pennewip noch ein Steckenpferdchen, das ihm mehr als jedes andere auf einen Thron Anspruch gab. Er war besessen von der Rubrizierungswut, – eine Leidenschaft, die wenigen bekannt ist, obwohl sie nicht so selten vorkommt. Ich habe die Krankheit nie recht begriffen, aber ich habe alles Suchen nach der ersten Ursache aufgesteckt, sobald ich einsah, wie schwer mit Steckenpferden aus fremdem Stall umzugehen ist. Ich will mich also mit einer kurzen Beschreibung von Pennewips unschuldigem Tiere begnügen.

Er brachte alles, was er sah, wahrnahm oder erlebte, in Familien, Klassen, Genera, Species und Unterabteilungen, und machte so das ganze Menschengeschlecht zu einem botanischen Garten, dessen Linné er war. Er betrachtete das als die einzige Möglichkeit, um einen helleren Blick für die Endziele der Schöpfung zu bekommen, und um alles Dunkel in und außer der Schule aufzuhellen. Ja, er ging so weit, zu behaupten, daß Walthers Neues Testament wieder zum Vorschein gekommen wäre, wenn Jüffrau Pieterse nur hätte angeben können, zu welcher Klasse der Mann gehörte, der es in schwarzes Leder eingebunden hatte. Aber das wußte sie nicht.

Was mich angeht, so würde ich nicht im geringsten über Pennewips Klassifizierungssucht gesprochen habe, wenn ich nicht hätte von seiner Arbeit Gebrauch machen können, um meinen Lesern ein Bild des Kreises zu geben, in dem unser Held sich bewegte, wie ich auch besagten Pennewip gern hätte ungestört im Versemachen unterrichten lassen – was ja schließlich nicht verboten ist – wenn ich nicht voraussähe, bald ein paar Gedichte seiner Schüler zu einem hübschen Bilde nötig zu haben.

Nach den gewöhnlichen Haupteinteilungen von »beseelt« und »unbeseelt« – wobei der gute Mann dem Menschen schlechtweg eine Seele gab – kam ein System, das aussah wie eine Pyramide, auf der Gott mit Engeln, Geistern und weiterem Zubehör obenauf stand, während die Austern, Polypen und Muscheln ganz unten herumkrochen oder stilllagen, nach Belieben. In halber Höhe standen die Könige, Schulräte, Bürgermeister, Gesetzgeber und Geistliche, Doktoren in Gottesgelehrtheit. Darunter Professoren und Kaufleute, die nicht selbst arbeiteten. Dann Doktoren in profanen Dingen, soweit sie zweispännig fuhren, Advokaten, auch ungedoktorte Geistliche, Obersten von der Bürgerwehr, der Rektor der lateinischen Schule und dergleichen. Philosophen – aber sie mußten ein System aufgestellt haben – Doktoren mit einem Pferde oder ohne Pferd und Dichter kamen später. Ziemlich tief darunter und unweit der Muscheln hatte er die siebente Unterabteilung der dritten Klasse des Bürgerstandes placiert, und in der Gegend gehörte mein Held zu Hause.

Bürgerstand, III. Klasse, 7te Unterabteilung.Bürgersmenschen, die zur Miete wohnen.

a) Aufgang für Herrschaften. Drei Fenster Front. Zwei Stockwerke mit Hinterzimmern. Die Jungen schlafen allein, ziehen sich aber mit den Mädchen zusammen an. Strohschütten bei Geburtsfällen. Lernen Französisch, zu Weihnachten Gedichte. Die Mädchen heißen Lena, Maria, manchmal – aber selten – Luise. Sticken. Die Jungen gehen aufs Comptoir. Halten ein Mädchen, Nähmamsell, und eine »Person für die grobe Arbeit.« Wäsche zu Hause. Lesen Predigten von v. d. Palm. Sonntags Pökelfleisch, weißes Tischtuch, Liqueur nach dem Kaffee. Religion und Anstand.

b) Noch immer drei Fenster. Ein Stockwerk. Oben wohnen Nachbarn, die »zweimal läuten.« (Siehe b 2.) Leentje, Mietje; Luise kommt sehr selten vor. Die Hausthür wird mit einem Strick geöffnet, der von langem Dienst glänzt. Schlafen in einem Zimmer. Strohschütten bei Geburtsfällen. Dienstmädchen, »halbe Nähmamsell« und »Person.« Sonntags Käse, kein Liqueur, aber sonst Religion und Anstand wie oben.

b²) Zweimal läutende Nachbarn, Ungefähr wie oben. Ohne Mädchen, aber »Person.« Nähterin, Weißes Tischtuch, Käse von Zeit zu Zeit, aber selten. Religion wie oben.

c) Ein Stockwerk höher. Zwei Fenster Front. Kleines vorspringendes Hinterzimmer. Die ganze Familie schläft in zwei Betten. Von Strohschütten keine Spur. Die Jungen heißen Louw, Piet oder Gerrit und werden Uhrmacher oder Schriftsetzer. Manchmal zur See, aber selten. Fortwährend Zank mit den Nachbarn wegen des verstopften Ausgusses. Übrigens, Religion wie oben. Haben Bekanntschaft mit »ganz anständigen Leuten.« Lesen den »Harlemmer« zusammen mit III, 7, b² (Pp.). Kein Mädchen oder »Person,« sondern eine Nähterin mit sieben Stübern und einer Butterstulle ..

Da sind wir angelangt bei Jüffrau Pieterse.

Der Leser weiß nun ziemlich genau, was er sich von Walthers Umgebung zu denken hat, und er versteht auch, warum ich sein Gesichtchen »stadtfarbig« nannte, als wir ihn zum erstenmal sahen in der Hartenstraat ... auf dem Wege zum Ruhm... oder auf dem Wege zu dem, was Jüffrau Laps nicht sagen wollte ... jedenfalls aber auf der Bahn zu Dingen, die noch weiter unser Interesse beanspruchen werden.


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