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Nachklänge des allerletzten punischen Krieges. Niederlage von Hannibal-Laps gegen Scipio-Pennewip. Die Litteratur der Zukunft. Der Leser erfährt, was alles noch passieren kann.

Ja, es läutete – und noch einmal: es war also »zu uns.«

Jüffrau Pieterse holte Atem, und daran that sie wohl, finde ich, wenn es auch eigentlich thöricht ist zu sagen, daß man etwas gut finden würde, wenn man ein anderer wäre als man ist. Es kommt mir aber so vor, weil ich an ihrer Stelle Atem geschöpft hätte. Erstens, weil ich mir vorstellen kann, daß sie es lange nicht gethan hatte. Ferner, weil ich weiß, wie man in widrigen Umständen auf jede Änderung Hoffnung setzt, und sogar auf die Veränderung jeder Kleinigkeit. Und endlich, weil ich mir vorstelle, daß Jüffrau Pieterse in diesem Punkt wohl ein Mensch wie jeder andere gewesen sein wird.

»Ach, meine Lieben,« sagte sie, »seid doch friedlich, es werden die Herren sein.«

Die Damen behaupteten, die Herren könnten es noch nicht sein, weil es noch zu früh war, und gerade dieser Zweifel, diese Ungewißheit, ob es wohl die Herren sein könnten, gab der Krisis eine günstige Wendung.

Ungewißheit wirkt immer lähmend, gleichgültig, ob sie mit der Sache in Zusammenhang steht, die uns gerade beschäftigt, oder nicht. Dazu kommt, wenn man einmal in seinem Zorn gestört worden ist, findet man nicht leicht den richtigen Punkt wieder, wo man stehen geblieben ist.

Jüffrau Laps machte diese Erfahrung; sie versuchte es, aber es ging nicht. Ihr »Ein Säugetier, hat man so was gehört, ein Säugetier!« wurde überstimmt durch das »Meine Zeit! sonst kommt er nie vor zehn!«

Jüffrau Pieterse bemächtigte sich schleunigst dieser Ableitung, und sie bewog die Gesellschaft, wieder Platz zu nehmen.

Trudchen wurde beauftragt, die Kinder »zurecht« zu bringen – die recht schlecht dabei wegkamen – und die Gastgeberin hatte gerade eine neue zoologische Verhandlung im Sinn, die einen rückhaltlosen Frieden unter den kriegführenden Parteien zustande bringen sollte, als die Thür geöffnet wurde und Meister Pennewip vor der verstörten Gesellschaft erschien. Er war auch verstört, der Leser weiß es.

Die Homöopathen bekommen hier wieder einmal Oberwasser, denn die Überraschung seiner Ankunft wirkte günstig auf die eingeleiteten Friedensunterhandlungen. Stillschweigend wurde ein Waffenstillstand geschlossen zwischen den kriegführenden Parteien – nicht ohne Vorbehalt auf der Lapsseite, den Streit wieder aufzunehmen, sobald der Neugier um die Ursache von Pennewips Ankunft Genüge geschehen wäre – und sie entschloß sich hierzu um so leichter, als man dem Mann ansehen konnte, daß er etwas sehr Gewichtiges auf der Pfanne hatte. Die Perücke rief deutlich Mord und Brand, und das liebte sie, die gute Jüffrau Laps.

»Guten Abend, Jüffrau Pieterse, ich bin Ihr unterthäniger Diener. Sie haben, wie ich sehe, Besuch, aber ...«

»Das macht nichts, Herr Lehrer; treten Sie nur ein und nehmen Sie Platz.«

Die Gesellschaft »machte nichts« und »nehmen Sie nur Platz.« Es herrscht eine eigenartige Umgangsform im Bürgerstand III, 7, b¹ (Pp) .

»Trinken Sie ein Täßchen mit, Herr Lehrer?«

»Jüffrau Pieterse,« sagte der Mann in würdevollem Ton, »ich bin nicht hierher gekommen, um Salbeimilch zu trinken!«

»Aber nehmen Sie doch Platz, Herr Lehrer!«

Es ging zwar nicht leicht, aber man rückte zusammen, und es ging.

Pennewip räusperte sich mit Würde. Er sah in die Runde, holte eine Rolle Papier heraus, zog die Perücke schief und sprach:

»Jüffrau Pieterse! Sie sind eine brave, anständige Frau, und Ihr Mann ... verkaufte Schuhe ...«

Jüffrau Pieterse sah Jüffrau Laps mit einem Blick des Triumphes an.

»Ja, Herr Lehrer, das that er!«

»Fallen Sie mir nicht in die Rede, Jüffrau Pieterse. Ihr heimgegangener Gatte verkaufte Schuhe. Ich habe Ihre Kinder auf meiner Schule gehabt von so klein auf, bis zur Einsegnung. Ist es nicht so, Jüffrau Pieterse?«

»Ja, Herr Lehrer,« antwortete sie betreten, denn sie bekam Angst vor der nachdrücklichen Würde in Pennewips Ton.

»Und ich frage Sie, Jüffrau Pieterse, ob Sie, so lange Sie durch Vermittlung Ihrer Kinder mit meiner Schule etwas zu thun hatten, Klagen hatten – ich meine: begründete Klagen, – über die Art und Weise, wie ich – mit Hilfe meiner Ehefrau – Ihren mannigfachen Kindern Unterricht gegeben habe, Lesen, Schreiben, Rechnen, vaterländische Geschichte, Psalmsingen, Nähen, Stricken, Sticken und Religion? Das frage ich Sie, Jüffrau Pieterse!«

Unheimliche Stille. Die Jüffrau von hinten unten hatte allen Grund zufrieden zu sein.

»Das frage ich Sie, Jüffrau Pieterse,« wiederholte der Lehrer, während er den Nasenkneifer aufsetzte, der damals für altfränkisch galt, aber einige Jahrzehnte später wieder neumodisch werden sollte.

»Aber, Herr Lehrer ...«

»Kein Aber, Jüffrau Pieterse. Ich frage Sie, ob Sie Klagen gehabt haben ... ich meine natürlich: begründete Klagen – über meinen Unterricht im Lesen, Schreiben, Rechnen ...«

»Nun, nein, Herr Lehrer, ich habe keine Klagen, aber ...«

»So? Keine Klagen also? Nun denn, dann erkläre ich Ihnen ... wo ist Ihr Sohn Walther?«

»Walther? Ach ja ... ist er noch nicht nach Hause gekommen, Trude? Walther ist spazieren gegangen mit den Hallemans, Herr Lehrer. Es sind sehr anständige Kinder, Herr Lehrer, und sie wohnen ...«

»So ... mit den Hallemans ... die auf die französische Schule gehen! So ... ei! Ei... so! ... Also von den Hallemans lernt man solche Dinge ... von den Hallemans III, 7, a1?, vielleicht a ... ja, wer weiß ... es kann am Ende II sein – es ist nicht anders ... Unmoralität, Verderbtheit ... auf der französischen Schule ... Nun also. Jüffrau Pieterse, ich sage Ihnen, daß Ihr Sohn ...«

»Wie?«

»Ich sage Ihnen, daß Ihr Sohn Walther ...«

Der Lehrer sah in die Runde, als wollte er die atemlose Stille einsaugen, die die Folge seines gespenstischen Vortrags war.

Jüffrau Laps beeilte sich, den triumphierenden Blick von soeben mit Zinseszins der unglücklichen Gastgeberin zurückzugeben, die wieder großes Verlangen nach ihrem Riechfläschchen hatte, nicht so sehr, weil sie über Walther, diesen Jungen, der ihnen schon so viel Verdruß gemacht hatte, wieder etwas Ungünstiges hören sollte, als aus Ärger darüber, daß Jüffrau Laps Zeuge einer Beschuldigung war, die dieser gewiß für den zoologischen Streit neue Waffen liefern sollte. So kam es denn auch.

»Hab' ich's nicht gesagt? Von diesem Walther kommt auch nie was Gut's. Man beginnt mit der Bibel und endigt mit was anderem! Ja, Herr Lehrer, ich wundere mich darüber gar nicht ... aber auch gar nicht. Ich sah es lange kommen. Was kann man auch erwarten von einer Familie ...«

Jüffrau Pieterse begriff mit Blitzesschnelle, daß sich hier eine Gelegenheit bot, um den verlorenen Vorteil wiederzugewinnen. Stoffel hatte gesagt: es stand im Buche. Was im Buche stand, mußte der Lehrer wissen. Also:

»Herr Lehrer,« rief sie, »ist es wahr oder nicht, daß Jüffrau Laps ein Säugetier ist?«

Ich bin überzeugt, daß Pennewip diese Frage in die Klasse der sonderbaren Herzensergießungen einreihte, besonders nach seiner noch unvollkommenen Beschuldigung gegen Walther. Er sah über die Brille hin und beschrieb mit seinem Blick langsam einen Kreis, wobei er überall vorgestreckte Köpfe, lange Halse, offene Münder und angehaltenen Atem antraf. Vor allem Jüffrau Laps hatte etwas Bedrohliches in Miene und Haltung, was deutlich sagte: antworte oder stirb, bin ich ein Säugetier?

»Wen habe ich das Vergnügen zu sprechen?« fragte Pennewip, wahrscheinlich ohne zu bedenken, daß diese Frage die ganze Sache noch dunkler machte, weil es nun den Anschein bekam, als ob die tierische Qualität der Jüffrau Laps von ihrem Namen, Wohnort, Alter, von Familienbeziehungen und Beruf abhängig wäre.

»Ich bin Jüffrau Laps von unten vorn,« sagte sie.

»Ah ... so ... Jüffrau Laps, Sie gehören allerdings in die Klasse der Säugetiere.«

Ein zehnfacher Seufzer ging durch die Gesellschaft. Jüffrau Pieterse triumphierte wieder. In der Politik und im Bürgerstande ist ein vollkommenes Gleichgewicht nicht möglich. Die Parteien oder Mächte sind fortdauernd in auf- und absteigender Bewegung.

Die Macht Laps, die mit ihrem Stolze von vorhin nichts gewonnen hatte, versuchte, ob sie wohl mit der Gemütlichkeit mehr ausrichten würde:

»Aber Herr Lehrer, wie können Sie so was sagen? Mein Vater war im Kornhandel ...«

»Jüffrau Laps, antworten Sie mir ...«

»Ja, Herr Lehrer, aber...«

»Antworten Sie mir, Jüffrau Laps: wo wohnen Sie drin, oder richtiger: worin wohnen Sie?«

»Worin ich wohne? Nun ... in meiner Stube, hier unten ... zwei Fenster ... Vorderaufgang ...«

»Das war keinesfalls die Bedeutung meiner Frage, Jüffrau Laps. Derselben Bedeutung war, zu wissen, ob Sie zu der besonderen Klasse organisierter Wesen gehören, die sich in einer Austernschale aufhalten.«

»Ja, ja, Jüffrau Laps,« rief die triumphierende Gastgeberin, »das ist die Hauptsache, das ist aber auch gerade die Hauptsache!«

Und Stoffel fügte hinzu, daß eigentlich das wirklich die Hauptsache wäre!

Jüffrau Laps sah ein, daß sie ein verlorenes Menschenkind war, denn sie mußte zugeben, daß sie sich gewöhnlich nicht in einer Austernschale aufhielt.

Eine Illusion des armen Geschöpfs!

Mit Erstaunen sah sie den Lehrer an, der sich aber an den Eindruck seiner Fragen durchaus nicht kehrte, und mit einem gewissermaßen gerichtlichen Ausdruck in Ton und Perücke fortfuhr:

»Können Sie im Wasser leben? Haben Sie Kiemen?«

»Im Wasser? Aber ... Herr Lehrer ...«

Perücke links. Das bedeutete: kein Aber!

»Oder halb im Wasser, halb auf dem Lande?«

»Herr Lehrer, wie sollte ich ...«

Perücke rechts: keine Ausflüchte!

»Antworten Sie mir, Jüffrau Laps! Haben Sie kaltes Blut? Bringen Sie lebende Junge zur Welt?«

»Es ist Sünde, Herr Lehrer!«

Die Perücke hatte etwas von einem Sturmbock, und mit Recht. Denn jetzt kam die sturmbockige Frage:

»Können Sie Eier legen, Jüffrau Laps? das frage ich bloß. Können Sie Eier legen ... he?«

Das konnte sie nicht!

»Dann sind Sie ein Säugetier, Jüffrau Laps!«

Die Perücke kam wieder in die Mitte und in Ruhe. Sie hätte Jüffrau Laps aus dem Felde geschlagen.

Es interessiert mich zu wissen, wie der Leser sich die Gesellschaft nach diesem erschrecklichen Urteilsspruch vorstellt, gegen den es keine Berufung mehr gab, und Pennewips Miene hatte etwas Unerbittliches und keine Spur von Gnade war in seinen zusammengekniffenen Augenbrauen.

Mir ist der Gedanke gekommen, was wohl alles für verkehrte Ansichten über das, was nach dem eben Erzählten vorfiel, zu Tage kommen würden, wenn ich hier auf einmal mein Buch schlösse, und wie viel tausend Vermutungen die Menschheit jahrhundertelang beschäftigen würden, wenn ich jetzt – durch Leiermänner oder etwas anderes – verhindert würde, fortzufahren.

Ich will einmal einen Augenblick der Phantasie nachgeben, und ich lese schon deutlich in den Tageblättern des fünfzigsten Jahrhunderts:

Erster Bericht.

Es hat wieder ein Gefecht gegeben zwischen den Lapsianen und den Stoffelianen. Die letzteren haben das Feld geräumt, aber nicht ohne ihren Glauben mit ihrem Blut zu besiegeln. Der heilige Lapp ist gerettet, hat aber ein Loch. Man sieht alle Tage einem neuen Treffen entgegen, bei dem wahrscheinlich die Krümmelianen, Katasterianen und Mabbelaren den glaubensverwandten Lapsianen beistehen werden, um dem Uebergewicht der Stoffelianen, die mit Hilfe der Pennewiper einen höchst verderblichen Einfluß in Ober-Asien ausüben, ein Ende zu machen. Ohne der Heiligkeit der Sache Abbruch thun zu wollen, meinen wir doch, daß wir Ober-Asiaten, die die Bildung zum Privateigentum gemacht haben, besser thäten, uns der Bebauung unserer Felder zu widmen und unsere Kühe zu melken, statt uns fortwährend um Dinge zu prügeln, die da vor so langer Zeit auf dem verlorenen Fleckchen vorgefallen sein sollen, das unsere Geschichtschreiber Europa nennen.

Zweiter Bericht.

Wie man hört, ist gestern von den Alt-Stotters über die Neu-Stotters ein großer Sieg erfochten worden. Seit einiger Zeit ist bekanntlich die Sekte der Stotters in zwei Teile gespalten. Die Alt-Stotters hatten das Vergnügen, die Neu-Stotters völlig auszurotten, sodaß nun die Frage nach der Farbe von Frau Stotters altem Umhang im Sinne der Überlebenden entschieden ist.

Dritter Bericht.

Eine neue Sekte von Stoffelianen hat sich aufgethan, die insofern von der alten Lehre abweicht, als sie in einigen Punkten die Unfehlbarkeit der Lehre Stoffel Pieterses in Zweifel zieht. Die Zweifel sind gegründet auf sein thörichtes Betragen in den »Niederlanden.« Das alte Erdbeeren-mit-Zucker-Dogma.

Die Alt-Stoffelianen haben ein Konzil gehalten, worin beschlossen wurde, die wahre Lehre in allen Ländern zu verkündigen, wo sie noch nicht durchgedrungen ist. Es soll eine allgemeine Kollekte gehalten werden, um Munition und Stoffelien anzukaufen. Auch wird ein Corps europäischer Wilder angeworben, die sich zwar halsstarrig weigern, dem wahren Glauben beizutreten, aber in Religionskriegen sehr brauchbar sind; wenigstens scheinen sie eine instinktmäßige Anlage dazu zu haben, wenn das Handgeld hoch ist.

Vierter Bericht.

Der Pfefferkuchen, den Jüffrau Laps kurz vor ihrem Tode zerbröckelt hat, soll entdeckt sein. Drei Theologen sind beauftragt, um das ehrwürdige Überbleibsel der Glaubensheldin zu prüfen. Reise-, Aufenthalts- und Erwerbskosten sollen dem Staate zur Last fallen und aus einer entsprechenden Erhöhung der Brot- und Feuerungssteuer bestritten werden.

Fünfter Bericht.

Bei allen rechtgläubigen Buchhändlern des asiatischen Reiches zu haben: Neuer richtiger und ausführlicher Bericht darüber, was sich auf III, 7, b 1 (Pp) ereignet hat, nachdem der Meister die kategorische Erklärung über die wahre Natur von Jüffrau Laps abgegeben hatte.

Alle wohlgesinnten Zeitschriften sprechen ihre Bewunderung über den homiletischen und exegetischen Wert des Prachtwerks aus, das nach dem südostafrikanischen Text, mit Hilfe der neuesten Quellen, aus dem Europäischen übersetzt, zusammengestellt ist.

Die Übersetzung der letzten Worte der Jüffrau Laps werfen ein ganz neues Licht auf die Bedeutung ihrer Tierwerdung und zeigen deutlich, wie ihre Säuge-Eigenschaft in genauem Zusammenhange steht mit dem wohlverstandenen Interesse von Volksbildung und anderer Zoologie. U. s. w.


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