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Noch einmal Glorioso. Die Geschichte von den edelmütigen Inkasöhnen, weit von hier – lange her.

»Aber Walther, liest du denn zu Hause keine Bücher über den Glauben?«

So fragte Femke ihren kleinen Freund, als er am folgenden Tage wieder auf dem umgekehrten Korbe bei ihr saß.

»Ja, aber sie sind nicht hübsch?«

»Kannst du nichts auswendig?«

Walther sagte einen Vers eines protestantischen Kirchenliedes auf, das aber bei Femke keine Gnade fand. Sie fand indessen, daß er gut aufsagte.

»Liest du nichts anderes?«

Walther dachte nach. Er durchflog Stoffels Bibliothek: Werke der dichtliebenden Gesellschaft ... Erdkunde von Ippel ... Über Rechtschreibung ... Reglement über die Brandwacht ... Geschichte Josefs, von Hülshoff ... der brave Heinrich... Vater Jakob unter seinen Kindern ... Predigten von Pastor Hellendoorn ... Katechismus von demselben ... Hoorns Liederbuch ...

Er fühlte wohl, daß das alles Femke nicht imponieren konnte. Endlich:

»Ich weiß wohl was... aber 's ist nicht vom Glauben... 's ist von Glorioso ...«

Femke versprach zuzuhören und Walther erzählte. Erst sprach er abgebrochen, mit all den »und da ...und da ...«, die einmal dazu gehören, aber bald versetzte er sich in die Seele seines Helden und nun erzählte er besser, als er es in dem zerfetzten Buche gelesen hatte. Bei jeder Verwicklung, bei jeder Heldenthat sprang er von seinem Korbe auf und spielte die Thaten seines Helden vor, sodaß Femke davor erschrak. Aber prächtig fand sie es doch, und als er endlich fertig war, war ein Funke von seiner sonderbar geleiteten, aber aufrichtigen Begeisterung in ihr Herz gefallen, das, wie das seine, vor Entzücken klopfte über all das Schöne, was sie gehört hatte. Beider Wangen glühten, und wahrhaftig, wenn da gerade eine Treckscheut nach Italien gegangen wäre, ich glaube, Femke wäre augenblicklich mitgereist, um an so viel Gefahren und so viel Abenteuern teilzunehmen, und ... an so viel Liebelei. Und das allerschönste war, daß aus Walthers Geschichte hervorging, wie zuverlässig ein solcher italienischer Räuber im Glauben war.

»Weißt du nicht noch eine Geschichte?«

»Ja,« sagte Walther. »Ja, noch eine ... sie steht in einem kleinen Buche ... 's ist ein Kalender, glaub' ich,«

Und er erzählte die Geschichte von Telasco und Kusco und von der schönen Aztalpa, aus der Inkazeit in Peru.

Telasco und Kusco, Söhne des Königs aus dem Sonnengeschlecht, Zwillinge und beide dem Throne gleich nahe, beide aber in brüderlicher Liebe einander zugethan – wer sollte Inka werden? Es wurden Scheiterhaufen gemacht, für jeden einer, und Gebete stiegen zur Sonne empor, einen von beiden anzuzünden. Aber die Sonne zündete keinen an. Sie befahl statt dessen, daß Aztalpa, die Schwester, wählen sollte; wem sie die Hand reichte, der sollte Thron und Reich erben. Aber auch die Prinzessin, die Sonnentochter, konnte sich nicht entscheiden. Sie liebte beide und beide gleich sehr. Es wurde ein anderes Gottesurteil vorgeschlagen. Wer an einem bestimmten Tage beim Morgengrauen die erste Hirschkuh schießen würde, der sollte der Erkorene sein. Telasco hatte rote Pfeile und Kusco blaue. Der Morgen kam, beide Brüder lagen im Dickicht, die Hirschkuh nahte, beide schossen – beide fehlten. Da schwuren sie sich gegenseitig, »daß sie das nächste Mal nicht absichtlich fehlen wollten.« So geschah es: beide trafen, aber Telasco hatte mit Kuscos und Kusco mit Telascos Pfeilen geschossen. Da machte Telasco den Vorschlag, Aztalpa zu töten, damit keine Spaltung in das Reich käme, und dort oben würde sie beiden gleich nahe stehen. Alle willigten ein, als aber der Tag der Opferung gekommen war, stürzte Aztalpa vor Telasco auf die Knie und rief: »Laß mich den Tod empfangen von Kuscos Hand!« Da rief Telasco: »Aztalpa, du hast gewählt!« Alle verneigten sich vor Kusco, und als man sich nach Telasco umsah, war er verschwunden; man hat ihn nie wiedergesehen ...

So erzählte Walther, oftmals von Fragen unterbrochen, und Femke wunderte sich zwar über vieles, aber sie teilte doch seine Bewunderung und schließlich seine Begeisterung.

»Weißt du, Walther, wenn das Mädchen gewußt hätte, was Telasco mit seinem Vorschlag wollte, hätte sie es nicht gethan. Aber die Geschichte ist schön. Ich möchte wohl wissen, ob so etwas wirklich vorkommen kann.«

»Es war weit von hier und 's ist lange her, Femke. Übrigens, 's steht so im Buche. Aber jetzt muß ich nach Hause, denn ich habe keinen Stüber, um den Thorwächter zu bezahlen, wenn ich nach acht Uhr komme. Ach, Femke, wenn doch die Geschichte mit meinem Gedichte erst in Ordnung wäre.«

»Es wird schon gehen. Denke nur an Telasco. Der hatte auch etwas Schweres zu verrichten.«

»Nein, ich werde an das Mädchen denken. Guten Abend, Femke ...«

Walther bekam einen Kuß, so herzlich, wie er ihn mit seiner Geschichte verdient hatte. Und von Aztalpa träumend, die auf die Wäsche aufpaßte, ging er durch das Aschenthor und nach Hause. Der Mond schien hell, und es verdroß ihn, daß er nicht noch bei Femke bleiben konnte. Er stellte sich vor, daß er jetzt bei Mondlicht noch besser erzählen würde. Aber es ging nicht, wegen des Stübers, den er nicht hatte.


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