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Eine kleine Charakterstudie über unseren Walther und seine »Erzieher«.

Wenn aber schon ich, der ich von Zeit zu Zeit die Weltteile durchjage, wie ein neuer Mazeppa, wenn selbst ich so von dem beengenden Eindruck eines Kämmerchens angegriffen wurde, wie muß dann der Seele des armen Walther zu Mute gewesen sein, zwischen den Wänden seiner Wohnung und in den engen Banden seiner ganzen traurigen Welt!

Der arme Junge war in Windeln und Umschlägen herangewachsen seit seiner Geburt. Krumme Beine, biblische Geschichte, englische Krankheit, Verse über Tugend und artige Kinder, hübsch Händchen geben, kniende Abendgebete, zornige Gottesgerichte, schwarze Männer für unartige Kinder, Augen zu, vor und nach der Butterstulle, Schlafen mit krummen Knien, Sünde thun, Angst vor zerrissenen Hosen, Gottesdienstübungen, mit und ohne fühlbare Begleitung – armer Walther!

Ich weiß wohl, Tausende und Abertausende haben kein besseres Los, aber gerade darum sage ich: armer Walther. Vielleicht daß der Ausruf einen weckt zu der Klage: arme Walthers!

Und wäre es auch nicht so, so ist doch, was für den einen paßt, zu weit oder zu eng für einen anderen, und Walthers Seele hatte ihren besonderen Leisten.

Das spaßige Räuberlied, das in ihm durch ein eben gelesenes Buch entstanden war, zeigt, wie seine jungfräuliche Seele von den Eindrücken dessen, was ihm groß erschien, berührt wurde. Er war noch ganz Kind, und obendrein ein gutes Kind. Er hatte keiner Fliege wehthun können, und die höchst kriminalistische Richtung seines Liedes kam allein aus dem Wunsche, auf einmal das Höchste zu fassen, das Erste zu erreichen, der Erste zu sein in dem Gebiete, das seine kindliche Phantasie ihm geschaffen hatte.

Räuber ... gut! aber dann auch ein flotter Räuber, ein Räuber über alle Räuber, ein Räuber ohne Gnade, zum Spaß!

Von dem Frauenschänden hatte er eigentlich keine Vorstellung. Er sagte es um des Reimes willen, und weil er aus ein paar Sätzen seines Buches den Eindruck hatte, daß das etwas besonders Unterhaltendes sein müßte.

Hätte er für seine vierzehn Stüber zufällig den Grandisson – langweiligen Angedenkens – in die Hände bekommen, so wäre sein Gedicht diesen Mittwoch ganz anders ausgefallen, und er hätte vielleicht – ja sicher hätte er Schlachterskeesje die Hand zur Versöhnung gereicht und ihm vielleicht noch ein paar Schieferstifte geschenkt, mit vollkommener Verzeihung für diesen oder jenen Grafen aus falschem Hause.

Denn das ist das Eigenartige von Gemütern, wie Walthers war, daß sie, was sie sind, ganz sind, und, in welcher Richtung auch, weiter gehen, als auf der Oberfläche der Eindrücke zu liegen schien, die ihnen die Richtung gegeben hatten.

Von solchen Charakteren würde man viel erwarten dürfen, wenn nicht der Zufall – d. h. diese oder jene natürliche Ursache, die wir nicht kennen und daher aus Scham vor unserer Unkunde Zufall nennen – wenn nicht solch ein Zufall sich den Spaß machte, diese Walthers in einem Kreise geboren werden zu lassen, in dem sie nicht verstanden und daher mißhandelt werden.

Denn das ist auch eine von unseren Eigenartigkeiten, daß wir gern jemand mißhandeln, dessen Seele anders organisiert ist als die unsere. Wie bewegt sich die Uhr? fragt das Kind und hat keine Ruhe, ehe es das Räderwerk, das es nicht versteht, entzwei gemacht hat. Da liegt sie nun in Stücken, und der kleine Bösewicht entschuldigt sich, er wollte doch wissen, wie es gemacht war.

So wollen auch die erwachsenen Kinder von der Art, die wir der Kürze halber Menschen nennen, wenn ihnen der Zufall ein kostbar Werk in die Hände spielt – ein Werk, das anders zusammengesetzt ist als gewöhnliche Nürnberger Eierlein – fortwährend untersuchen, wie es gemacht ist. Und sie ruhen meist nicht eher, als bis sie ihre Unkenntnis an dem unglücklichen Gegenstande gerächt haben, der sich vermaß, von jenen Eiern etwas verschieden zu sein.

Lange vor Scheiterhaufen und Katechisiermeistern war ein Mann, der sich damit befaßte, die Vorübergehenden »zurecht« zu machen. Er legte sie in sein Bett und reckte sie nach seinem Maße aus, wenn sie zu kurz waren, oder wenn sie zu lang waren, hackte er ab, was herausragte.

Den Mann hat Theseus totgeschlagen, und daran hat Theseus wohlgethan. Aber er hat die Bettstelle stehen lassen, und das ist nicht gut, denn die Erben des Systematikers vom rechten Maß setzen das Geschäft mit ungeschwächten Kräften fort.

Weil aber jetzt mein Fenster offen steht, will ich für diesmal den geschätzten Leser damit nicht weiter belästigen. Es könnte sonst so aussehen, als wollte ich auch andere auf meiner Bettstelle zurecht machen.

Das will ich aber nicht, und darum erzähle ich wieder etwas anderes.


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