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V.
Die Schlacht von Wagram.

Endlich! rief der Erzherzog Johann, den Brief jubelnd emporhaltend, den ihm so eben ein Courier des Generalissimus aus dem Lager von Wagram gebracht hatte. Endlich soll etwas Entscheidendes geschehen. Graf Nugent, General Frimont, kommen Sie hier herein. Ein Courier des Generalissimus!

Der Erzherzog hatte mit diesen Worten die Thür des Cabinets geöffnet, und die Herren, die im Vorsaal sich befanden, lebhaft zu sich gerufen.

Ein Courier des Generalissimus, wiederholte er noch einmal, als die beiden Generäle jetzt zu ihm eintraten.

Ew. Hoheit sehen also Ihren Wunsch erfüllt, nicht wahr? fragte Nugent. Der Generalissimus nimmt die Hülfe an, die Sie ihm geboten? Er will, daß Ihre Truppen und die des Palatins zur Verstärkung seiner Armee von hier abmarschiren?

Nein, er hat mir auf das Erbieten nicht geantwortet, es scheint, der Generalissimus meint unserer nicht zu bedürfen, um zu siegen. Aber er schreibt mir, er werde mit der ganzen Armee vorwärts rücken und es dürfe nächstens zu einer entscheidenden Schlacht kommen. Der Feind sei noch immer auf der Insel Lobau, und arbeite dort eifrig an einem Brückenkopf und an der Schlagung einer Brücke, um über die Donau zu setzen.

Und man sucht dies nicht auf alle Weise zu verhindern? rief General Frimont heftig. Man duldet es, daß der Feind sich Brücken schlägt? Man wartet es ruhig ab, daß er wieder die Insel verläßt, und hindert ihn nicht?

Mein Freund, sagte der Erzherzog sanft, lassen Sie uns nie vergessen, daß es uns nicht ziemt, die Handlungen des Generalissimus zu kritisiren, sondern daß wir nur da sind, um zu gehorchen. Machen Sie es, wie ich, schweigen wir und unterwerfen wir uns. Seien wir aber froh, daß endlich überhaupt etwas geschehen wird. Bedenken Sie doch nur, wie lange diese Unthätigkeit, diese Erwartung schon dauert. Am zweiundzwanzigsten Mai ist die Schlacht von Aspern geschlagen, heute schreiben wir den dritten Juli, und nichts ist in dieser ganzen Zwischenzeit geschehen. Der Feind ist seitdem gänzlich unangefochten auf der Insel Lobau geblieben, hat seine Verwundeten pflegen, seine Truppencorps ordnen, seine Brückenköpfe bauen, seine Brücken zimmern können, und der Generalissimus hat mit seiner ganzen Armee am Ufer der Donau gestanden, und ist sehr bemüht gewesen, den thätigen Feind müssig zu beobachten. Danken wir also Gott, daß der Feind wenigstens endlich dieser müßigen Situation überdrüssig ist, daß er endlich wieder die Initiative ergreift, und die Entscheidung herbeiführt. Der Generalissimus meldet, daß der Feind schon unsere Vorposten gestern durch Artillerie verdrängt und einige Infanterie in die Mühlau übergesetzt habe. Der Generalissimus ist, wie ich Ihnen schon sagte, vorwärts gerückt, und hofft in den nächsten Tagen auf eine entscheidende Schlacht.

Und dennoch hat der Generalissimus die Hülfe nicht angenommen, die Ew. Hoheit ihm boten? fragte Graf Nugent kopfschüttelnd.

Nein! Der Generalissimus befiehlt vielmehr, daß wir hier in Preßburg bleiben, und den Feind auf alle mögliche Weise beschäftigen, damit dieses Corps nicht auch zur Hauptarmee Napoleon's gezogen werde. Nun, auf denn, meine Herren! Beschäftigen wir den Feind. Thun wir wenigstens unser bescheiden Theil zu dem großen Werk, das der Generalissimus vorhat. Helfen wir ihm siegen, denn der Sieg gehört dem Vaterland. Wir wollen also heute eine Schiffbrücke schlagen, und einen Ausfall aus dem Brückenkopf machen. Sie, General Frimont, beordern die Batterien von Komorn herauf. Sie, General Nugent, schreiben dem Erzherzog Palatin, was der Generalissimus befohlen. Sie melden ihm ferner, es sei nicht mehr zu bezweifeln, daß der Feind Alles nach Wien abrücken ließe, daß alle seine Colonnen schon sich dorthin zögen. Es käme Alles darauf an, ihn zurück zu halten; ich sei daher entschlossen, aus dem Brückenkopf auszubrechen, und ich bäte den Palatin, seinerseits auf dem rechten Donauufer mitzuwirken. An's Werk, meine Herren, an's Werk! Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Der Befehl lautet: wir sollen den Feind hier auf alle mögliche Weise beschäftigen. Beschäftigen wir ihn also!

Und mit freudiger Thätigkeit, mit rastlosem Eifer ging man an's Werk, alle Anstalten zur Schlagung einer Brücke wurden getroffen, man machte alle Vorbereitungen zu einem großartigen militairischen Unternehmen, das den Feind beschäftigen, das ihn am Abmarsch hindern sollte. Der Erzherzog Johann selbst leitete Alles, war überall gegenwärtig, wo es galt, eine Schwierigkeit zu durchbrechen, ein Hemmniß bei Seite zu schaffen. In seinem glühenden Eifer scheute er sich nicht, selber Hand an's Werk zu legen, und die Soldaten jubelten, wenn sie ihn so thätig und arbeitend mitten in ihren Reihen sahen.

Am fünften Juli, in der Frühe des Morgens, war die zum Uebergang bestimmte Brücke geschlagen, der Brückenkopf armirt, und Alles zum Ausfall bereit. Der Erzherzog, der die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, kehrte eben von der Besichtigung aller militairischen Anstalten zurück, als ihm mitten auf der Brücke ein Courier in vollem Galopp entgegensprengte.

Wie er den Erzherzog erblickte, sprang er vom Pferde, und keuchend, mit zitternder Hast, reichte er dem Erzherzog ein Schreiben des Generalissimus dar.

Sie sind sehr hastig geritten? Man hat Ihnen also sehr große Eile anempfohlen? fragte Johann.

Ich bin in zehn Stunden von Wagram hierhergeritten, Hoheit, sagte der Courier athemlos, man hatte mir die größte Eile zur Pflicht gemacht.

Und Sie haben Ihre Pflicht getreulich erfüllt. Gehen Sie, und ruhen Sie sich!

Er nickte dem Courir freundlich zu, und begab sich in sein Quartier, um das Schreiben des Generalissimus zu lesen.

Dieses Schreiben stieß alle früher erhaltenen Befehle um. Der Erzherzog hatte vor vier Tagen vergeblich seine und des Palatins Mitwirkung zur Schlacht angeboten. Damals hatte man ihm auf sein Erbieten nicht einmal geantwortet, jetzt im letzten Moment, jetzt begehrte der Generalissimus mit Ungestüm die Hülfe seines Bruders. Jetzt verlangte er, daß dieser sofort aufbrechen, nur die nöthigste Mannschaft an dem Brückenkopf zurück lassen, und mit aller übrigen disponiblen Mannschaft sich in Marsch setzen solle, um den Feind, der schon von der Lobau über den schmalen Donauarm anrücke, in die Flanke zu nehmen.

Als der Erzherzog diesen Befehl las, umspielte ein bitteres Lächeln seine Lippen. Sehen Sie, sagte er traurig zum General Frimont, jetzt bedarf man meiner, jetzt auf einmal scheint es, als ob wir zur Gewinnung einer Schlacht ganz unentbehrlich sind. Jetzt scheint Alles darauf anzukommen, daß wir zu rechter Zeit da sind, wohin man uns so spät, vielleicht zu spät, beordert! – Ah, was ist das? Was bringen Sie mir da, Nugent?

Ein zweiter Courier vom Generalissimus ist so eben angelangt, und bringt dies Schreiben.

Sie sehen, wir werden jetzt sehr geehrt, man behandelt uns als sehr wichtige Hülfe, seufzte der Erzherzog. Dann entfaltete er rasch das Papier und las.

Der Generalissimus meldet jetzt, sagte er, daß er seinen Plan geändert habe, und nicht mehr an dem Ufer der Donau eine Schlacht liefern, sondern sich weiter bis hinter Wagram zurückziehen wolle. Er befiehlt, daß wir im Eilmarsch bis nach Marchegg vorrücken, wenn wir dort drei Stunden gerastet, gleich weiter bis nach Siebenbrunn marschiren, und uns dort aufstellen sollen. Gut denn, meine Herren, befolgen wir die Befehle des Generalissimus! Heute Nacht um ein Uhr muß Alles marschbereit sein, und wir brechen auf! So viel Zeit aber bedürfen wir, um unsere in weiter Linie aufgestellten Truppen zu benachrichtigen und zusammenzuziehen. Können wir früher in Bereitschaft sein, so brechen wir früher auf. Die größte Eile! Das sei das Losungswort des heutigen Tages!

Dank diesem Losungswort waren schon um Mitternacht alle Truppen beieinander, und eben sollte der Abmarsch beginnen, als ein neuer Courier des Generalissimus anlangte, und dem Erzherzog die Meldung brachte, daß der Feind in Bewegung sei, und daß der Generalissimus jetzt beabsichtige, ihn anzugreifen und eine Schlacht zu forciren. Erzherzog Johann solle so rasch als möglich nach Siebenbrunn vorrücken, wohin ein starkes feindliches Corps sich gewandt habe.

Und so rasch als möglich rückte der Erzherzog Johann jetzt mit seinen zehntausend Mann vorwärts nach Marchegg hin. Die Truppen waren von den Arbeiten und Anstrengungen der letzten Tage ermüdet, sie hatten seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen, aber der Erzherzog und seine Generäle und Offiziere wußten sie immer wieder anzuregen, aufzuheitern, zu rüstigem Fortschreiten zu befeuern. So war endlich Marchegg erreicht, und dort sollte drei Stunden gerastet werden.

Aber kaum hatte man Marchegg erreicht, als auf schaumbedecktem Roß der Flügeladjutant des Generalissimus, Graf Reuß, dahergesprengt kam. In sieben Stunden war er von Wagram bis Marchegg geritten, denn es galt, den Erzherzog zu noch größerer Eile anzufeuern. Die Schlacht war schon in vollem Gange. Der Generalissimus bedurfte auf das Dringendste der Hülfe des Erzherzogs. Dieser sollte daher mit seinen Truppen nicht in Marchegg rasten, sondern sogleich weiter marschiren und über Siebenbrunn nach Loibersdorf unaufhaltsam vorrücken. Bei Siebenbrunn würde er den Feldmarschall Rosenberg treffen, und mit diesem vereint sollte er den Feind angreifen.

Auf denn bis Loibersdorf, sagte Johann seufzend, wir wollen thun, was in unseren Kräften steht, und man soll nicht sagen, daß wir säumig gewesen. Auf, auf, meine Braven! Das Vaterland ruft uns, wir müssen ihm gehorchen!

Aber die Truppen gehorchten nur leise murrend diesem Befehl, und Viele blieben erschöpft, bis zum Tode ermattet, in Marchegg zurück.

Und vorwärts ging es jetzt in rastloser Eile, in schweigender Ergebung. Das Antlitz des Erzherzogs war bleich, sein blitzendes Auge spähte in die Ferne, seine Brust hob sich in fieberischem Athmen, eine unnennbare Angst durchzitterte seine Seele, und immer aufs Neue trieb er an zur Eile, zu rascherem Marsch.

Jetzt hörte man in der Ferne den dumpfen Donner der Kanonen, und je weiter man kam, desto gewaltiger, desto furchtbarer erdröhnte er. Die Schlacht war also schon in vollem Gange, die größte Eile war nothwendig.

Vorwärts also, vorwärts! Jetzt endlich, um fünf Uhr Nachmittags, hatte man Siebenbrunn erreicht. Aber wo war der Feldmarschall Rosenberg? Was bedeutete es, daß der Kanonendonner jetzt fast ganz verstummt war? Und was für furchtbare Wahrzeichen waren es, die rings den Horizont umgaben? Große Rauchsäulen, brennende Dörfer ringsum, und dazu jetzt die Stille des Todes, die um so schauerlicher war nach dem stundenlangen Gebrüll der Kanonen, welches kurz zuvor noch die Erde erbeben gemacht. Wo war Feldmarschall Rosenberg?

Jetzt sprengte mit verhängtem Zügel ein Offizier daher, ein Bote vom Feldmarschall Rosenberg! Er ließ dem Erzherzog melden, daß er vom Feind zurückgedrängt, daß Alles vorüber, und gar nichts mehr zu machen sei.

Ich habe Befehl, nach Loibersdorf zu gehen, sagte der Erzherzog entschlossen, ich muß meinem Befehl nachkommen.

Und weiter ging es gen Loibersdorf. Patrouillen wurden vorausgeschickt, und drangen vorwärts bis gegen Wagram. Ueberall lag das Feld voll Todter und Verwundeter, und klagend erzählten diese Letzteren von der furchtbaren Schlacht, die geschlagen worden, von der Schlacht, welche Oesterreich verloren habe!

Der Erzherzog hörte es mit bleichem Angesicht, mit schmerzzuckenden Zügen. Aber immer noch hoffte er auf eine Botschaft des Generalissimus, immer noch blieb er bei Loibersdorf stehen und wartete. Der Abend begann herabzusinken, tiefe Stille herrschte ringsum, nur zuweilen noch unterbrochen durch dumpfe, ferne Schüsse. Und immer noch keine Nachricht von dem Generalissimus!

Jetzt brachte eine der Patrouillen einen versprengten französischen Offizier, den man verhaftet hatte. Der Erzherzog ließ ihn vor sich kommen, und begehrte von ihm einen Bericht über das, was geschehen.

Und mit leuchtenden Augen, mit jauchzender Stimme gab ihm der französische Offizier diesen Bericht. Man hatte gestern und vorgestern eine große Schlacht geschlagen. Auf vier Brücken, die Napoleon in einer einzigen Nacht von zweihundert Zimmerleuten hatte schlagen lassen, war das französische Heer von Lobau über die Donau gegangen, und bei Wagram hatte es dem Erzherzog Carl eine Schlacht geliefert. Zwei Tage, den fünften und sechsten Juli, hatte diese mörderische Schlacht gedauert. Mit gleicher Kühnheit, gleicher Tapferkeit und Erbitterung war auf beiden Seiten gekämpft worden, aber zuletzt hatte der Erzherzog Carl doch das Schlachtfeld räumen, und sich zurückziehen müssen. Der Kaiser Napoleon hatte das Schlachtfeld behauptet, er hatte die Schlacht bei Wagram gewonnen.

Große Schweißtropfen standen auf der Stirn des Erzherzogs, während er diesem Bericht zuhörte, seine Augen füllten sich mit Thränen schmerzlichen Zorns, seine Lippen bebten, und mit einem Blick voll klagenden Vorwurfs schaute er zum Himmel auf.

Dann wandte er sich langsam zum General Frimont, der neben ihm hielt, und hinter dem man die düstern, traurigen Gesichter der Offiziere gewahrte.

Der Generalissimus hat eine Schlacht verloren, sagte er seufzend. Für uns ist dieses Unglück doppelt groß. Sie wissen, ob wir hätten früher kommen können! Wir sind noch eher da, als ich gemeldet hatte. Sie werden sehen, unser vermeintlich zu spätes Eintreffen wird alle Schuld der verlornen Schlacht tragen müssen. Dieser Umstand wird Manchem höchst willkommen sein! Man bedarf eines Sündenbocks, und ich werde dieser Sündenbock sein müssen! Des Erzherzogs eigene Worte. Siehe: Heer von Inner-Oesterreich. S. 236. – – –

Der Erzherzog Johann hatte sich nicht getäuscht, er hatte vielmehr in prophetischem Geist sein Schicksal vorhergesehen. Er sollte in der That der Sündenbock sein für die verlorne Schlacht! In der Ansprache, die der Generalissimus, Erzherzog Carl, nach einigen Tagen von Znaym aus an seine Armee erließ, und in welcher er ihr anzeigte, daß er mit dem Kaiser Napoleon einen vorläufigen Waffenstillstand abgeschlossen habe, beklagte er es, daß trotz der Tapferkeit, welche die Truppen bei Wagram auf so bewunderungswürdige Weise entfaltet, doch durch das zu späte Eintreffen des Erzherzogs Johann die Schlacht nicht gewonnen wäre, und der Generalissimus zum Rückzug gezwungen worden sei.

Erzherzog Johann vertheidigte sich nicht. Er blickte mit Thränen in den Augen zum Himmel auf und seufzte: Wieder eine Schlacht verloren, und diese Schlacht entscheidet über das Schicksal Oesterreichs! Jetzt wird sich Preußen nicht mit uns verbinden, denn wir haben den zweiten Schlag, den der König verlangte, nicht gethan, wir sind geschlagen worden, und Preußen wird müßig zuschauen, wie Oesterreich gedemüthigt wird! Oh Gott, Gott, schütze Oesterreich! Schütze Deutschland! Laß uns nicht zu Grunde gehen!


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