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Ganz Windisch-Matrey war heute wieder in freudiger Bewegung, denn ein Doppelfest wollte man heute feiern, die Heimkehr der Männer von Windisch-Matrey, welche so tapfer für das Vaterland gestritten und geholfen, es frei zu machen, und dann sollte, wie es vor dem Auszug beschlossen worden, heute auch das Hochzeitsfest Elise Wallner's gefeiert werden.
Sie hatte ihr Wort eingelöst, sie hatte sich bewährt als ein treues und tapferes Tyroler Kind, und Anton Wallner, ihr Vater, zürnte ihr jetzt nicht mehr, er wollte sie belohnen für ihre Tapferkeit und Kühnheit, er wollte sie glücklich machen. Deshalb hatte er heimlich, und ohne daß Elise es auch nur ahnte, einen Boten voraufgesendet nach Windisch-Matrey und hatte seinem Weib befohlen, das Haus festlich zu schmücken und den Herrn Pfarrer zu bitten, daß er sich in die Kirche begebe, um dort die Trauung zu vollziehen. Nach der Kirche hin wollten die heimkehrenden Streiter ziehen, und wenn sie dort Gott gedankt für die Befreiung Tyrols, dann sollte der Pfarrer im Beisein der ganzen Ortschaft die Trauung Elise Wallner's und ihres Geliebten vollziehen.
Seit der Frühe des Morgens waren daher alle Frauen und Mädchen von Windisch-Matrey in ihren stattlichen, kleidsamen Sonntags-Gewändern auf der Straße, und eifrig bemüht, den Weg zu schmücken, welchen die Heimkehrenden daherziehen mußten, und die Kirche mit Kränzen und Guirlanden zu zieren.
Nur Frau Wallner war daheim geblieben, denn sie hatte das Hochzeitsmahl zu bestellen, und mit ihren Mägden war sie schon den ganzen gestrigen Tag mit den Veränderungen zu demselben beschäftigt. Auch heute gab es noch gar Vielerlei zu schaffen und zu thun; in der großen Gaststube mußte der Tisch für die Hochzeitsgäste gedeckt werden, in der Küche mußten die Braten bereitet werden, und außerdem galt es noch, das ganze Haus festlich zu schmücken und den Eingang desselben mit Blumenguirlanden zu zieren.
Dabei könnt' mir der Schröpfel aber gar gute Dienst' leisten, sagte Frau Wallner eifrig. Hab' überall zu schaffen, und der Schröpfel rührt gar nit die Hand', sitzt wie ein Klotz vor der Thür des lieben Herrn von Hohenberg und kümmert sich halt um gar nichts. He, Schröpfel, Schröpfel, komm doch mal hieher! Die Hausfrau ruft Dich!
Aber an der Treppe, die hinunter führte auf den Flur, erschien das braunrunzlichte Gesicht Schröpfel's.
Wenn die Frau mir 'was zu sagen hat, so mag sie herauf kommen, rief er hinab. Ich bin hier angestellt und ich darf meinen Posten nit verlassen, auch nit der Frau Wallner zu Lieb', bis ich abgelöst werd'.
's ist halt ein närr'scher Gesell, sagte Frau Wallner lachend, aber ich muß ihm den Willen thun.
Sie eilte mit raschem Schritt die Treppe hinauf. Droben vor der Thür des Zimmers, in welchem der Gefangene sich befand, stand der lahme Knecht, das Gesicht dicht an das braune Hotz der Thür gedrückt.
Nun, Schröpfet, fragte die Frau lachend, kannst durch's Holz hindurchlugen, daß Du da stehst und's Aug' an die Thür lehnst, als wär' sie ein Kuckfenster?
Es ist auch ein Kuckfenster, sagte Schröpfel leise, einige Schritte zu der Hausfrau heranhinkend. Ich hab' mir vier kleine Löcher in die Thür gebohrt, und durch die kann ich's ganze Zimmer überschauen und immer wissen, was der Gefangene thut. Schaut, Frau, da unten das Loch, das ist mein Kuckfenster, wenn er im Bett liegt und schläft, dadurch kann ich dann gerad' in sein Gesicht sehen. Das Loch hier ein Bissel höher, das brauch ich, wenn er am Tisch sitzt und schreibt oder liest, und das hier oben, das ist dazu, wenn er auf- und abspaziert, dann reicht's wieder gerad', daß ich sein Gesicht sehen kann.
Bist ein wunderlicher Gesell, sagte Frau Wallner kopfschüttelnd. Bewachst den armen kranken Gefangenen, als wär' er 'n Adler, der immer bereit wär' aus dem Nest zu fliegen.
'S ist auch so was dran, sagte Schröpfel nachdenklich. Krank ist er nit mehr und die Flügel sind ihm gar sehr wieder gewachsen in diesen acht Tagen, daß er hier ist; er möcht', glaub' ich, gar gern wieder ausfliegen von hier.
Denk' gar nit dran, sagte Frau Wallner achselzuckend. Er liebt ja mein Liesel, und ich denk', wer das Mädel einmal liebt, der wird nit davonfliegen wollen, ehe sie mit ihm fliegt.
Ich weiß nit, ich denk' mir so allerlei, sagte Schröpfel lakonisch. Er ist ja halt doch immer nur 'n Baier, und die haben einmal halt kein' Treu und Glauben. Ich hab' geschworen, daß ich ihn bewachen und nit aus den Augen lassen will, und ich denk', meinen Schwur muß ich halten, und darum geh' ich nit von der Thür fort, bis ich abgelöst werd'.
Willst also nit herabkommen und mir helfen, die Kränze und Guirlanden anbringen und den Tisch decken und die Messer putzen?
Nein, herzliebe Hausfrau, so gern ich's auch thät, ich darf's nit thun. 'Ne Schildwacht darf nimmermehr ihren Posten verlassen, sonst nennt man das Desertion, und der Hausherr hat mir immer gesagt, das sei eine große Schande für 'n ordentlichen Kerl. Da ich aber 'n ordentlicher Kerl bin und mit meinem lahmen Bein für's Vaterland nichts weiter thun kann, als daß ich den Gefangenen bewache, so bleib' ich hier Schildwacht und desertire nit.
Nun, so laß es bleiben, rief die Hausfrau halb ärgerlich, halb lachend. Aber das kannst wenigstens thun, daß Du hineingehst und dem lieben Herrn sagst, er soll sich nur freuen, denn heut' käm's Liesel zurück, heut' sollt' also Hochzeit sein und dann wär' er frei. Sollt' sich also bereit halten, denn wenn die Glocken anfangen zu läuten, dann kommt der Zug und dann sollen wir mit ihm in die Kirche gehen, wo der Herr Pfarrer uns erwartet.
Das werd' ich ihm natürlich sagen, brummte Schröpfel, und Frau Wallner eilte mit flinker Geschäftigkeit die Treppe wieder hinab.
Ja, sagen werd' ich's ihm, sagte Schröpfel leise vor sich hin, soll mich aber wundern, ob's ihn freuen wird. Die ersten Tag', wie er's Wundfieber hatte, da hat er gar seltsame Ding' gered't und gar viel gescholten und gehöhnt über's schöne Liesel, die sich in den Kopf gesetzt hätt', eine vornehme Dame zu werden. Jetzt, wo er wieder gesund ist, da schimpft er wohl nit mehr, aber schaut immer düster drein, und nit ein einziges Mal in den ganzen acht Tagen hat er nach seiner Braut gefragt. Gott's Zorn komm' über den verwünschten Boarfok, wenn er's Mädel nit mehr lieb hat und wenn's nit sein Ernst gewesen ist, sie zu seinem Weib vor Gott und dem Herrn Pfarrer zu machen. Ich will zu ihm 'nein gehen, und ich werd' ja sehen, wie er's aufnimmt.
Ulrich von Hohenberg saß auf dem ledernen Sorgenstuhl und schaute mit träumerischen Sinnen zum Fenster hinaus. Er drehte sich nicht um, als der Knecht zu ihm eintrat, er schien sein Kommen gar nicht bemerkt zu haben, sondern starrte immer noch zum Himmel empor, auch dann noch, als Schröpfe! schon dicht neben ihm stand. Das Antlitz des jungen Mannes war noch bleich und angegriffen, und unter seinen früher so hellen und strahlenden Augen zeigten sich jene bläulichen Kreise, die ein Zeichen inneren Leidens, sei's der Seele oder des Körpers, zu sein pflegen. Doch hatte er, seit das Wundfieber ihn verlassen, niemals geklagt, und auch die an sich nur unbedeutende Wunde hatte sich schon wieder geschlossen und schritt der Heilung zu.
Es mußten daher wohl geistige Schmerzen sein, welche dem Hauptmann Ulrich von Hohenberg ein so kränkliches und trübes Aussehen gaben, und diese Vermuthung war es eben, welche Schröpfe! mißtrauisch machte, und ihn veranlaßte, seinen Gefangenen Nacht und Tag mit argwöhnischem Haß zu beobachten.
Er stand einige Minuten geduldig und wartete auf eine Anrede des Herrn Hauptmanns, als dieser aber immer noch ihn ganz unbemerkt ließ, legte er ihm entschlossen eine Hand auf die Schulter.
Herr, wachen's auf! rief er mürrisch.
Der Hauptmann zuckte leicht zusammen, und schüttelte mit einer unwilligen Bewegung die Hand des Knechts von seiner Schulter fort.
Ich wache, sagte er, es ist daher gar nicht nöthig, mich anzufassen. Was soll's? Was wollt Ihr von mir?
Will Euch nur sagen, daß heute Morgen die Unsern heimkommen, und daß es heut großer Festtag ist in Windisch-Matrey. Denn die Unsern haben gesiegt, das Land ist frei vom Feind. Der Hausherr, der Wallner, hat geschrieben, daß die tapfern Tyroler in drei Tagen 's ganze Land frei gemacht, daß sie achttausend Mann Infanterie und tausend Mann Cavallerie zu Gefangenen gemacht, acht Kanonen, zwei Fahnen, und zwei französische Adler erobert haben. Außerdem sind viel tausend Mann Franzosen und Baiern in den Engpässen und Klausen und in den Gefechten umgekommen. Von den Unsern aber sind gar wenig Leut' umgekommen, und gefangen genommen ist nit ein Einziger. Gallerie der Helden. Andreas Hofer. S. 47. Jetzt ist's ganze Land frei, und die Unsrigen, die Sieger, kommen heim.
Nicht ein Zug in dem Antlitz des Hauptmanns hatte verrathen, daß er den Bericht Schröpfel's angehört hatte, er starrte wieder ruhig zum Himmel empor, und weder Trauer noch Ueberraschung über die unerhörten Nachrichten sprach aus seinen Zügen.
Sie fragen nit einmal, Herr, ob Elise Wallner auch mit heimkommt? fragte Schröpfet ingrimmig. Ich sollt' doch meinen, das müßt' Sie kümmern, und Sie müßten darnach fragen, denn die Liesel ist ja Ihre Braut.
Sie ist nicht meine Braut! rief der Hauptmann, ungestüm auffahrend, mit Zornesröthe auf den Wangen und Flammen im Blicke.
Sie ist wohl Eure Braut, sagte Schröpfet gelassen, ich hab's selber gehört, wie die Jungfer ihrem Vater und allen Männern von Windisch-Matrey zugerufen hat: Er ist mein Bräutigam. Ich lieb' ihn und Ihr dürft ihn nit tödten. Und weil sie das gesagt hat, darum haben Euch die Männer das Leben geschenkt, obwohl der Anton Aichberger Wallner gar zornig war und wollt's der Tochter nimmer vergeben, daß sie ihr Herz an einen Landesfeind, einen Baiern, und noch dazu an einen vornehmen Herrn, und nit an einen rechtschaffenen Bauern gegeben. Aber's Liesel bat und jammerte so flehentlich, daß der Vater wohl Erbarmen haben mußt' und versprach ihr, er wollt' Alles vergeben, wenn sie's beweisen thät, daß sie keine Landesverrätherin, sondern ein richtiges und tapferes Tyrolermädel sei, und daß er dann wollt' erlauben, daß sie ihren bairischen Bräutigam heirathen könnt'. Und jetzt hat sie's bewiesen, daß sie ein tapferes Tyrolermädel ist, und im ganzen Land spricht man davon, was die Liesel Wallner für Heldenthaten gethan, und wie muthig und kühn sie allzeit gewesen. Und heut, Herr Hauptmann, heut kommt sie heim, Eure Braut, die Euch das Leben gerett't hat, und die 'nausgegangen ist, blos um Heldenthaten zu thun, damit sie Euch damit verdienen, und ihren Vater gewinnen möcht', daß er Euch ihr zum Mann gäb'. Ich sag's Euch, Herr, in einer Stunde oder zwei kommt die schöne Elise Wallner, Eure Braut, heim.
Eine dunkle Gluth flog einen Moment über das Antlitz des jungen Mannes hin, und als sie dann schwand, war seine Blässe nur noch auffallender und erschreckender.
Elise Wallner hat also sehr tapfer gefochten gegen – gegen meine Landsleute? fragte er, nach Athem ringend.
Nein, gefochten hat sie nit, Herr, aber mitten in den Kugelregen ist sie gegangen, um die verwundeten Tyroler fortzutragen, und zu verbinden, und 'n Heuwagen hat sie vorgefahren gerad' gegen den Feind hin, und hinter'm Heu waren die Unsern versteckt, und 'n Fässel mit Wein hat sie den Unsern gebracht, als die Kugeln um sie her pfiffen, und dann zuletzt hat sie die gefangenen Baiern mit den andern Weibern nach Schloß Steinach transportirt.
Der junge Mann stieß einen dumpfen Schrei aus, und schlug seine beiden Hände vor sein Angesicht. Welche Schmach, oh, welche Schmach! ächzte er verzweiflungsvoll, und in seines Herzens Kümmerniß schien er die Anwesenheit des Knechts ganz vergessen zu haben, denn er weinte, weinte so bitterlich, daß die Thränen in dicken Tropfen zwischen seinen Fingern hervorquollen.
Von elenden Bauern sind unsere tapferen Soldaten besiegt worden, wimmerte er, von Weibern sind die bairischen Gefangenen transportirt worden!
Schröpfel stand wie erstarrt da, und dieser große, glühende Schmerz des sonst so stolzen und wortkargen jungen Mannes machte ihn ganz verwirrt und betroffen.
Auf einmal indeß trocknete der Hauptmann seine Thränen, und ließ die Hände wieder von seinem Antlitz gleiten.
Und Elise Wallner, sagt Ihr, hat die Weiber angeführt, welche die gefangenen Baiern transportirten? fragte er mit fester, beinah drohender Stimme.
Ja, das hat sie gethan, Herr, versicherte Schröpfel. Und jetzt ist ihr Vater wieder ausgesöhnt, und zum Beweis davon, will er noch heut Euch seiner Tochter zum Mann geben.
Der Hauptmann sagte nichts, nur ein stolzes spöttisches Lächeln umspielte einen Augenblick seine Lippen.
Ja, fuhr Schröpfel fort, heute noch soll die Hochzeit sein. Der Zug geht gleich, wenn sie hier ankommen, nach der Kirch' hin, da wird Dankgebet gehalten, und dann ist sogleich Eure Trauung. Der Aichberger Wallner hat geschrieben, und hat seiner Hausfrau befohlen, daß sie, sobald die Glocken an fangen zu läuten, auch Euch in die Kirch' transportiren soll, damit Ihr in der Sacristei wartet, bis sie Euch zur Trauung holen. Merket's also wohl, wenn die Glocken anfangen zu läuten, dann komm' ich und hol' Euch und bring' Euch in die Sacristei.
Der junge Mann schwieg, und blickte gedankenvoll vor sich hin, dann warf er mit einem Ausdruck kühner Entschlossenheit das Haupt in den Nacken.
Es ist gut, sagte er, ich werde mit Dir dahin gehen. Sagtest Du mir nicht, daß man mir vom Schloß meine Effecten hierher geschickt habe?
Ja, Herr, das liebe gnädige Fräulein hat Alles durch ihre Leute herschaffen lassen, und ist selber mitkommen. Und die ersten Tage, als Ihr das Wundfieber hattet, da ist sie wohl drei Mal des Tags hierher gekommen, und hat angefragt, wie's Euch geht, und hat geflennt und gejammert, und mich um Gotteswillen gebeten, sie einen kleinen Augenblick zu Euch 'nein zu lassen. Aber ich hat's geschworen, keinen Menschen zu meinem Gefangenen einzulassen, nit zu erlauben, daß er mit irgend Jemand sprechen dürft', und also könnt' ich auch für's liebe Schloßfräulein keine Ausnahm' machen. Aber sie kommt doch alle Tage, und fragt nach Euch, und so lange hat sie gebeten, bis die Hausfrau erlaubt hat, daß Euer Mittagsessen immer vom Schloß herunter geschickt wurde. Heute, wo Ihr ja frei werdet, da kann ich Euch das schon sagen, denn es schadet nun nichts mehr.
Nein, es schadet nun nichts mehr, sagte der Hauptmann mit einem eigenthümlichen Lächeln. Hört, ich will mich putzen zu der heutigen Feier, will meine Staatsuniform anziehen. Seit also so gut, und holt sie herbei.
Ich thu's, Herr Hauptmann, ich hol' die Staatsuniform, und gleich bin ich wieder hier, sagte Schröpfel froh, indem er eilig nach der Thür hin hinkte. Draußen aber blieb er stehen, und legte nachsinnend den Finger an die Nase. Jetzt weiß ich erst gar nit, was ich davon denken soll, murrte er vor sich hin. Erst schreit er laut auf, und sagt, die Liesel Wallner sei nit seine Braut, dann weint er gar jämmerlich, weil die Liesel Wallner die gefangenen Baiern transportirt hat, und zuletzt wieder, da will er seine Staatsuniform haben, und sagt, er will sich putzen zu der großen Feier. Na, wir werden ja nun bald sehen, ob er's ehrlich meint, und ob er's Liesel lieb hat. Wenn er aber denkt, ihr 'n Streich zu spielen, na, denn soll er sich in Acht nehmen, ich werd' ihn nit aus den Augen verlieren, werd' immer hinter ihm sein, und wenn er nit so ist, wie er sein soll und muß gegen's Mädel, die ihn lieb hat, und die ihm's Leben gerettet hat, so schlage ich ihn mit diesen meinen beiden Fäusten nieder, wie 'n tollen Stier. Ich thu's, so wahr mir Gott helfe!