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Die Nacht hatte den erschöpften Baiern endlich ein wenig Ruhe, ein wenig Erholung gebracht. Unfern von der Brixener Klause hatten sie spät am Abend Halt gemacht, und auf bloßer Erde drunten im Thal hatten sie ihr Nachtlager aufgeschlagen. Die grünen Matten nur waren ihr Bett, ein Stein ihr Kissen gewesen, aber sie hatten doch in Ruhe und Sicherheit einige Stunden des Schlafes genießen können, denn sie kannten die Gewohnheiten der Tyroler, sie wußten, daß diese niemals die Nacht zu irgend einem Unternehmen, nicht einmal zur Jagd benutzen, und daß bis zum Aufgang der Sonne von ihnen daher nichts zu fürchten sei.
Aber jetzt schon dämmerten die ersten Lichtstreifen der Morgenröthe empor, es war daher Zeit an den Weitermarsch zu denken. Obristlieutenant von Wreden erhob sich von seinem Lager, das ihm die Soldaten aus Moos und Baumzweigen bereitet hatten, und hielt, begleitet von seinen Officieren, eine Schau über sein kleines Heer, das düster und still sich zu formiren begann. Ein Zug ernsten Sinnens umdüsterte Wreden's Angesicht, als er durch die Reihen dahin schreitend, die Zahl seiner Krieger überschaute. Mit nahe an vierhundert Mann war er gestern bei der Brücke von St. Lorenzen angekommen, jetzt war ihm kaum noch die Hälfte geblieben, die andere Hälfte seiner Soldaten lag zerschmettert, erschlagen an der Brücke von St. Lorenzen, oder war mit klaffenden Wunden, erschöpft von Schmerz und Blutverlust nachher auf dem Marsch noch umgefallen und liegen geblieben.
Und diese Armen werden auch noch heute aufgerieben werden, wenn uns nicht schnelle Hülfe kommt, murmelte der Obristlieutenant vor sich hin, wir Alle sind verloren, wenn das elende Bauernvolk vor uns bis zur Brixener Klause gelangt ist. Wir Alle sind verloren, denn wir sind abgeschnitten von allen Freunden, rings eingeschlossen von Feinden, und ihnen gehören die Berge mit ihren Schlupfwinkeln und Verstecken, wir haben für uns nur das Thal und die offene Ebene. Aber all' dieses Klagen ist nutzlos, wir müssen unsere Pflicht thun! Das Leben des Soldaten gehört seinem Eid' und seinem König, und wenn er fällt im Dienst, so hat er seine Pflicht gethan.
Und mit starker Entschlossenheit und kühnem Muth warf der Obristlieutenant sein Haupt rückwärts, und blickte festen, strahlenden Auges auf seine Soldaten hin.
Vorwärts, rief er, vorwärts Kinder! Auf gegen das schlechte Bauernvolk, das unserm König die Treue nicht halten will, die es ihm doch gelobt hat! Vorwärts! Vorwärts!
Der Zug setzt sich in Bewegung, ihnen voran reitet der Obristlieutenant von Wreden. Sein Auge schweift weit umher über die Ebene, die sich jetzt vor ihnen aufthut. Plötzlich haftet es auf einem Punkt dort drüben an der Bergstraße, die nach Süden, nach Italien führt.
Was ist das? Blitzt es da nicht auf, wie Gewehrläufe, ist es nicht, als sähe man da eine bunt schillernde, blau und roth und goldigglänzende Schlange sich heran ringeln? Sie kommt näher und näher, sie läßt sich jetzt schon unterscheiden in ihren einzelnen Gliedern. Ja, diese einzelnen Glieder sind Soldaten, diese Schlange besteht aus Regimentern, die in geschlossener Reihe daher ziehen.
Obrist Wreden stieß einen Freudenschrei aus und sprengte vorwärts. Schon erkannte er deutlich die Uniformen, die hohen Stabsoffiziere, welche dem Zuge voranritten. Es waren Freunde, es waren Franzosen, welche da heranmarschirten, und ihnen voran ritt der General Bisson.
Wreden sprengte vorwärts, den General zu begrüßen, und ihm in kurzen geflügelten Worten sein eigenes Mißgeschick und seine Besorgniß vor den kommenden Stunden auszusprechen.
Nun, jetzt haben Sie nichts mehr zu befürchten, sagte General Bisson mit einem zugleich stolzen und freundlichen Lächeln. Nicht der Zufall, sondern das Schicksal hat gewollt, daß wir uns hier begegnen sollten. Ich bin von meinem Kaiser beordert, mit einer Colonne von viertausend Mann von Mantua nach Regensburg zu marschiren, und ich bin eben auf dem Weg dahin. Unsere Straße führt uns also durch die Brixener Klause, und es versteht sich von selbst, daß Sie mit Ihren Truppen sich uns anschließen. Unsern vereinten Kräften wird es doch gelingen, diese elenden Brigands von Bauern in die Flucht zu schlagen!
Ja, wenn wir sie auf offener Ebene hätten, seufzte Obristlieutenant von Wreden. Aber in ihren Bergen und Schluchten kämpfen unsere Tausende vergeblich gegen Hunderte. Sie haben die Bollwerke ihrer Berge für sich.
Wir werden sie hinter diesen Bollwerken hervorzutreiben wissen, sagte General Bisson hochmüthig. Ich denke, dies Lumpengesindel wird das übrigens gar nicht abwarten, sondern schon Reißaus nehmen vor dem Anblick meiner Colonne. Schließen Sie sich also mit Ihren Leuten meinen Regimentern an, mein Herr Obrist, und lassen Sie uns ohne Scheu durch die Brixener Klause dahin marschiren.
Eine halbe Stunde später hatten sie den dunkeln, schaurigen Engpaß, die Brixener Klause, erreicht, und in festem, gleichmäßigem Tactschritt marschirten die vereinten Baiern und Franzosen daher auf der schmalen engen Straße, zu deren beiden Seiten schroffe, graue Felsmassen sich empor heben, hier und dort von kleinen Tannenwaldungen unterbrochen, dann wieder mit steilen moosbewachsenen Felsenwänden emporsteigend und oben gekrönt mit schneeigen Häuptern, die in der Morgensonne wie helles Silber glänzten. – Immer tiefer marschirte die Colonne Soldaten hinein in den Engpaß. Jetzt hatte sich vor und hinter ihnen die Straße mit ungeheuren Felswänden geschlossen, wie in einem tiefen, ungeheuren Felsenkessel waren sie eingeschlossen.
Eine lautlose, fürchterliche Stille umgab sie, nur hier und dort vernahm man das Rauschen irgend eines Wasserfalles, der mit silbernen Schaumwellen von der Höhe niederstürzte, zwischen Felsblöcken dahin rollte, um drunten im Thal als murmelnder Bach dahin zu gleiten, dann und wann auch ließ sich das heißere Gekrächze irgend eines Raubvogels droben in der Luft hören, – sonst war Alles still.
General Bisson, der in der Mitte der Colonne ritt, neigte sich lächelnd dem Obristlieutenant Wreden zu. Sagte ich es Ihnen nicht, mein lieber Obrist, sagte er, dieses Bauerngesindel hat Reißaus genommen, sobald es unserer ansichtig geworden. Mit Ihren paar hundert Mann konnten sie es vielleicht aufnehmen, aber gegen meine viertausend Mann –
Ein laut donnernder Schuß unterbrach seine Worte, ein zweiter, ein dritter und vierter Schuß folgte. Die Höhen schienen auf einmal lebendig geworden. Einem ungeheuren Kriegsschiff gleich, das anfangs ruhig und friedlich dagelegen, dann seine Kanonenluken öffnet, so schienen auf einmal diese eisiggrauen Wände alle ihre Schießscharten zu öffnen, um aus ihren Feuerschlünden Tod und Verderben auszuströmen.
Von der Felswand da vorn, von den Felswänden zu beiden Seiten, von der steilen Höhe, die sich da hinten vorgeschoben und den schauerlichen Paß schloß, von allen Seiten zugleich schmetterten die Schüsse hernieder, und jeder Schuß traf seinen Mann, mit jedem Schuß sank in den Reihen der Soldaten einer zusammen, dann hörte man das Triumphgeschrei der Tyroler, die nun auf einen Moment aus ihren sichern Verstecken hervortraten, auf den Felsblöcken tanzten, mit lauten höhnischen Worten den Feind begrüßten, und schnell wieder verschwanden, so daß die Schüsse, welche die Soldaten hinaufzielten, nur wirkungslos an den Felswänden abprallten.
Aber nicht blos mit den Schüssen aus ihren Stutzen kämpften die Tyroler gegen den Feind, der da unten in der schauerlichen Tiefe dahin zog. Die Natur hatte ihnen noch andere Vertheidigungsmittel aufbehalten, sie hatte ihnen Bäume und Felsen gegeben. Sie stießen die Bäume, welche der Sturm gefällt, welche ein Jahrzehnt vielleicht schon, von Felsstücken festgehalten, drohend über dem Abgrund gehangen, von ihrer Stütze fort, und rollten sie die Höhe hinunter, sie brachen überhängende Felsblöcke ab, daß sie mit Donnerkrachen, Massen von Steingeröll losbröckelnd, in die Tiefe rollten, und dort, einer furchtbaren Lawine gleich, diejenigen zerschmetterten, welche sich in ihrem Bereiche befanden. Und wenn diese Bäume, diese Felsblöcke niederrollten, wenn sie Tod und Verderben, Entsetzen und Verwirrung in die Reihen der Soldaten trugen, dann benutzten die Tyroler den Moment um zu zielen, Und mit ihren Schüssen neue Opfer niederzustrecken.
Und kein Entkommen war möglich für diese armen Soldaten, welche, der Wuth ihrer Feinde Preis gegeben, nicht einmal den Trost hatten sich rächen zu können.
In stummer Verzweiflung, mit Thränen der Wuth zogen die Franzosen und Baiern dahin, die Leichen der Brüder, welchen die Nachrückenden auf ihrem schauerlichen Wege begegneten, durften sie nicht aufhalten, sie mußten über sie hinmarschiren, den sterbenden Freund selbst konnten sie keine Hülfe bringen, unter ihren Füßen zertreten mußte er seine Seele aushauchen!
Endlich jetzt lichtet sich das Thal, die Felswände da vorn schieben sich zur Seite, und treten mehr auseinander, und eine helle breite Ebene thut sich vor ihnen auf.
Die Soldaten begrüßen diesen Anblick mit einem lauten Aufschrei des Entzückens, den ihre Offiziere nicht im Namen der Disciplin zu tadeln wagen, denn aus einem offenen Grabe hervorgehend, fühlt auch der Soldat sich nur als Mensch, und dankt Gott für das Geschenk des neuen Lebens. Hunderte sind gefallen, aber mehrere Tausende sind zurückgeblieben, und ihre schmerzliche Wuth, ihr glühender Rachedurst sehnt sich nach Befriedigung, nach Kampf.
Und das Schicksal schien ihren Wunsch erfüllen zu wollen. Dort am Ende der Ebene, durch welche die Soldaten jetzt dahinwandern, dort an dem Ufer der Eisack, zeigt sich ein buntes Getümmel. An den Ufern des Flusses, die Berghöhen zur Seite, zieht es sich empor, eine bunt schillernde, bewegliche Masse.
Ja, das sind Tyroler, das sind unsere Feinde, schrieen die Baiern, die Franzosen mit grimmiger Freude, und im Geschwindmarsch schritten sie vorwärts dem Ufer des Flusses entgegen.
Die Bauern scheinen uns den Uebergang über den Fluß verwehren zu wollen, sagte der General Bisson mit einem verächtlichen Achselzucken.
Sie haben sich vor der Laditscher Brücke aufgestellt, und zwar so dicht, daß ich sie gar nicht sehe, erwiderte Obristlieutenant Wreden. Plötzlich stieß er einen Schrei der Ueberraschung aus, und blickte starr nach dem Ende des Thals hin, wo die Felsen wieder näher an einander traten, und mit einer raschen Krümmung die wüthende Eisack von einer Seite des Thals hinüberschießt zur andern Seite. Dort hatte sich sonst der stolze majestätische Riesenbogen der Brücke von Laditsch erhoben. Seit vielen Jahrhunderten hatte dieser wunderbare Brückenbogen den Felsen hüben mit dem Felsen drüben verbunden, denn er war ein Denkmal der alten Römerzeit, und schon Cäsar mit seinen Heeren mochte über diese Brücke dahingegangen sein, als er auszog, das freie Germanien zu unterjochen.
Jetzt aber war dieser Brückenbogen verschwunden, oder vielmehr er war in der Mitte auseinandergebrochen, und zwischen seinen beiden Endpunkten gähnte ein furchtbarer Abgrund, in dessen Tiefen die Eisack dahin brauste.
Die Tyroler haben die Brücke zerstört, rief Wreden entsetzt.
Ach, die Brigands! sagte Bisson verächtlich. Wir werden also eine Nothbrücke werfen müssen, um hinüber zu kommen.
Ja, die Tyroler hatten die Brücke von Laditsch zerstört, und während ein kleiner Theil von ihnen rasch weiter gezogen war, um die Mühlbacher Klause zu besetzen, hatten die Andern unter Anton Wallner's Leitung sich an dem jenseitigen Ufer der Eisack aufgestellt, um den Feind an dem Uebergang des Flusses zu hindern. Alle Männer aus dem nahen Dorfe Laditsch hatten sich mit den Schaaren Anton Wallner's vereinigt, und auf den Bergen standen die Schützen aus allen Ortschaften, von der Sturmglocke herbeigerufen, und bereit, dem Feinde jeden Fuß breit des geliebten Bodens streitig zu machen.
Jetzt näherten sich die Colonnen der Baiern und Franzosen, Schüsse tönten herüber und hinüber. Vorwärts! commandirte Anton Wallner, und mit seinen muthigen Pusterthalern rückte er vorwärts, dem anmarschirenden Feinde entgegen bis dicht an die Brücke.
Die Kugeln pfiffen um ihn her, aber er kümmerte sich nicht darum, er sah nur den Feind, nicht den Tod, nicht die Gefahr!
Desto besser aber sahen sie die Tyroler! Droben in ihren Bergen hatten sie Muth und Entschlossenheit, hier drunten in der Ebene, auf gleichem Terrain mit dem Feind, fühlten sie sich unbehaglich und geängstet. Zudem war ihnen der Feind so sehr überlegen, an Zahl nicht allein, sondern auch an Bewaffnung. Die Tyroler besaßen nur theilweise Schießgewehre, mehr als die Hälfte von ihnen war nur mit Dreschflegeln, Heugabeln und Knitteln bewaffnet. Die Soldaten hatten nicht allein ihre Schießgewehre, sondern auch Kanonen, deren Kugeln jetzt über die Ebene dahin donnerten, und den Tod in die Reihen der Tyroler trugen.
Angst und Entsetzen bemächtigte sich jetzt der muthigen Schützen, sie wandten sich um, sie wollten fliehen, den Berg hinauf.
Aber da stellt sich ihnen ein unerwartetes Hinderniß entgegen. Da tritt eine Schaar beherzter Weiber, die aus den nahen Dörfern herbeigeströmt sind, ihnen entgegen. Mit drohenden Scheltworten empfangen sie die Fliehenden, mit erhobenen Armen, mit flammenden Augen, mit Verwünschungen und Hohngelächter treiben sie sie zurück, den Berg wieder hinunter, nicht achtend der Kugeln, die um sie her sausen, nicht achtend des Feindes, der immer näher heran kommt.
Die Fliehenden müssen sich umwenden, sie müssen wieder hinein in den Kampf, der nun immer wüthender sich entspinnt. Drüben neben den Trümmern der Brücke stehen die Tyroler, hier an den diesseitigen Trümmern der Brücke stehen die Soldaten, und die französischen Sappeurs rücken vorwärts, um über den zertheilten Brückenbogen eine Nothbrücke zu schlagen, und mit derselben die getrennten Enden des Römerbaues wieder zu vereinen.
Das Feuer der Tyroler wird jetzt schwächer, ein lautes Jammern und Klagen geht durch ihre Reihen hin. Sie fühlen sich ermattet von so viel Anstrengung, der Hunger plagt sie, der Durst peinigt sie, ihre Kraft ist erschöpft.
Gebt uns zu essen! Gebt uns zu trinken! rufen sie den Weibern entgegen, die hinter ihnen den Bergsteig besetzt halten bis hinauf zu jenem einzeln stehenden Hause, dem Wirthshaus zur Eisack, in das die Kugeln der Feinde schon manches Loch und manche Bresche geschlagen.
Muthig, Ihr Brüder, muthig! ruft Elise Wallner. Ich hole Euch Stärkung!
Und wie eine Gazelle springt sie den Berg hinauf, hüpft sie von Stein zu Stein bis zu dem zerschossenen Hause hin. Die Kugeln fliegen um sie her, sie lacht dazu, und wendet sich nicht einmal um, die Gefahr zu überschauen. Muthig springt sie weiter, und jetzt hat sie das Haus erreicht, jetzt verschwindet sie in der Thür, und kaum ist sie hinein, schlägt eine Kugel gerade über der Thür in die Mauer ein. Aber nur kurze Zeit, da erscheint Elise Wallner wieder in der Thür. Auf ihrem Haupt trägt sie ein Faß, das sie mit den beiden erhobenen Armen dort festhält. Mit heiterm Blick, mit rosigen Wangen, mit lächelnden Lippen, ein reizendes Bild der Anmuth, der muthigen Unschuld steigt sie den Bergpfad wieder hinunter, und selbst die Kugeln des Feindes haben Respect vor ihr, sie zischen zu beiden Seiten an ihr vorüber, aber sie treffen sie nicht. Tänzelnd springt Elise den Felsweg hinab, jetzt ist sie drunten bei der Brücke, bei den Tyrolern, die mit einem lauten Jubelschrei das muthige Mädchen willkommen heißen.
Da auf einmal fühlt sie einen Ruck in dem Faß auf ihrem Kopf, und in einem hellen kalten Strom stürzt dessen Inhalt ihr zugleich über das Gesicht und den Nacken dahin.
Eine Kugel hat das Faß getroffen und ist mitten durch dasselbe hindurch gegangen.
Elise lacht hell auf, hebt mit ihren vollen schönen Armen das Faß von ihrem Haupt, und hält mit ihren beiden Händen die beiden Löcher zu, daß der Wein nicht auslaufen kann.
Nun kommt, Ihr Burschen, ruft sie mit lauter, fröhlicher Stimme. Kommt und trinkt, sonst läuft der Wein aus. Der Feind hat es angezapft, er wollt' uns die Müh' ersparen. Kommt und trinkt.
Tritt zurück, Liesel, schreit Panzl ihr zu, tritt hinter den Felsblock dort, damit die Kugeln Dich nit treffen.
Ich thu's nit, sagte Elise mit flammendem Angesicht, ich verstecke mich nit. Bin ein treu Tyroler Kind und Gott beschützt mich hier wie dort! Kommt her, Ihr Bursche, und trinkt. Bringt Eure Gläser, oder besser noch, haltet Euren Mund an's Faß und trinkt!
Zwei junge Tyroler Schützen springen heran. Elise hielt lächelnd das Faß empor, die beiden jungen Manner knieen vor ihr, und legen jeder ihren Mund an das von der Kugel gemachte Spundloch, und saugen sich fest an dem Wein, und schauen mit verliebten, leuchtenden Blicken empor zu dem Heldenmädchen, das lächelnd zu ihnen niedersieht.
Jetzt habt Ihr genug getrunken, nun geht wieder hin in den Kampf für's Vaterland, sagte sie dann, und winkt zwei andere Schützen herbei, sich an ihrem Faß zu erlaben. Die jungen Männer aber springen von dannen, und sie wissen selber nicht, ist es der Wein, oder ist es der Anblick der lieblichen Tyrolerin, der sie mit Begeisterung und Muth durchglüht.
Auch die zwei anderen Tyroler haben getrunken. Da fliegt wieder sausend eine Kugel daher, streift dicht vorüber an Elisen's Wangen, und macht sie einen Moment taumeln und schwanken.
Ein Schrei des Entsetzens tönt von den Lippen Derer, die es sehen, Elise aber lächelt schon wieder, und mit froher Stimme ruft sie: Eilt Euch, Ihr Bursche! Sonst kommt noch eine Kugel und macht noch zwei Löcher in's Fässel, und dann fließt die liebe Gottesgabe in's Gras hin! Eilt Euch also!
Wieder sprangen zwei andere Bursche heran, um zu trinken, und dann wieder zwei, und immer wieder zwei, bis das Faß geleert war.
Jetzt habt Ihr Euch gestärkt, rief Elise, jetzt frisch auf zum Kampf!
Und mit erneuertem Muth und glühender Kampfbegier stellten sich die Tyroler an dem Ufer auf, um die Franzosen zu verhindern, die Nothbrücke zu vollenden.
Aber unaufhaltsam donnerten in ihren Reihen die Schüsse der Feinde, schon häufte sich ein Berg von Leichen vor den Tyrolern auf, ihre Schüsse wurden seltener, und allmählig bemächtigte sich ihrer ein panischer Schrecken. Sie wichen zurück; selbst das Hohngeschrei der Weiber, die ihnen den Weg vertreten wollten, vermochte sie nicht mehr aufzuhalten. Sie stießen die Weiber bei Seite, sie sprangen vorwärts, den Felsenweg hinauf.
In diesem Moment ertönte von dem Feind herüber ein lautes Triumphgeschrei. Die Tyroler stutzten und blickten zurück, und sahen, was sie mit Entsetzen erfüllte, sahen, daß es den Sappeurs gelungen, die Nothbrücke über die Eisack zu schlagen, daß nichts mehr den Feind verhindere, aus das jenseitige Ufer zu kommen.
Ergebt Euch! Streckt Eure Waffen! rief der Obristlieutenant Wreden vom jenseitigen Ufer herüber.
Die Tyroler schwiegen und schauten mit stummem Entsetzen die Brücke an.
Auf einmal ertönte eine Stimme über ihnen von der Höhe herab, gleichsam als käme sie aus den Wolken nieder. Diese Stimme rief: Die Kaiserlichen kommen! Die Oesterreicher, unsere Retter kommen!
Und im selben Moment erschien da oben auf den Höhen von Schaps eine Anzahl Reiter. Sie sprengten im Galopp die Höhe herunter, ihnen folgten im vollen Lauf einige hundert Mann Jäger und Infanteristen.
Ein lautes, unermeßliches Jubelgeschrei der Tyroler ertönte, und fand seinen donnernden Widerhall in den Bergen und Klüften.
Die Franzosen und Baiern aber stutzten, denn dieses unerwartete Erscheinen der Oesterreicher überraschte sie; sie hatten nicht einmal deren Anrücken vermuthet. Sie zauderten und wagten nicht den Fluß zu überschreiten.
Dieses Zaudern des Feindes, und zugleich das Nahen der Oesterreicher erfüllte die Tyroler mit Entzücken. Sie warfen ihre Gewehre hin, um einander zu umarmen, um die Hüte lustig empor zu schwenken, während Andere, den Stutzen im Arm, als wär's ihre Liebste, lustig umhersprangen und tanzten, wieder Andere jodelten und sangen, mit der Zunge schnalzten, und auf die Finger pfiffen nach echter Tyroler Art. Andere aber auch gab es, die von Rührung und Andacht erfüllt, auf ihre Kniee niedersanken, um Gott zu danken für diese wunderbare Rettung, für den so lang ersehnten Anblick der lieben österreichischen Uniform.
Drüben indeß hatten die Franzosen und Baiern, entsetzt über das Nahen der Oesterreicher, deren Zahl sie noch nicht zu ermessen vermochten, im ersten Schreck eine rückgängige Bewegung gemacht. Aber dies dauerte nicht lange. Wenn wir nicht Alle hier umkommen wollen, müssen wir sehen uns durchzuschlagen, sagte General Bisson. Vorwärts also, vorwärts!
Die Truppen setzten sich in Bewegung, und begannen über die Brücke zu marschiren.
Aber jetzt auch waren die Oesterreicher ganz nahe gekommen. Die Tyroler empfingen sie mit dem lauten Jubelgeschrei: Es lebe Kaiser Franz! Es lebe Oesterreich!
Dann wandten sie sich mit flammender Begeisterung dem Feinde zu. Nieder mit den Boarfoks! Drauf! Drauf! Nieder mit ihnen! tönte es von allen Seiten, und mit aller Kraft des Zorns, der Gluth stürzten sich die Tyroler dem Feinde entgegen. Ihre Sensen, ihre Dreschflegel mäheten ganze Reihen nieder, ihre Kugeln fehlten niemals ihr Ziel. Berge von Leichen häuften sich auf, Bäche von Blut flossen nieder in die Fluthen der Eisack, und ihre purpurroth gefärbten Wellen trugen rauschend die Kunde weiter durch das Tyroler Land: Der Kampf hat begonnen! Der Kampf für's Vaterland!
Aber die Zahl der Feinde war dennoch zu beträchtlich, als daß es den Tyrolern und dem kleinen Vortrab der Oesterreicher gelungen wäre, sie ganz zu vernichten. Mit dem Muth der Verzweiflung, des Zorns brachen sich die Baiern und Franzosen Bahn durch die begeisterten Feindesreihen, Hunderte von ihnen blieben als Leichen auf der blutigen Wahlstatt zurück, aber fast zweitausend Mann noch zogen weiter den Weg nach der Mühlbacher Klause, nach Sterzing dahin.
Anton Wallner winkte seine Tochter zu sich, und trat mit ihr hinter einen Felsvorsprung. Zuerst, Liesel, mein Heldenmädel, gieb mir einen Kuß, sagte er, indem er einen Arm um sie schlang, und sie fest an seine breite Brust drückte. Bist heut' Deines Vaters Stolz und Freud' gewesen, und ich hab' gesehen, daß die lieben Engelein Dich beschützen, und deshalb die Kugeln Dir gar nichts anhaben können. Und darum sollst jetzt auch für's Vaterland den Dienst thun. Muß einen Boten schicken an den Andreas Hofer, aber die Männer, die brauch' ich zum Kampf, und leicht könnt' der Feind mir meinen Boten wegfangen. Aber so'n Tyroler Madel, die lasten sie schon passiren, und haben kein Args an ihr. Willst Du also mein Bote sein zum Andreas Hofer –
Ich will's sein, Vater!
So lauf', mein Mädel, lauf' die Bergweg' dahin, kannst ja klettern und laufen wie ein Gemsel, wirst also dem Feind, der drunten die langen Weg' marschirt, weit vorauf sein. Lauf' also nach Sterzing zu. Da wirst, wenn Alles so ist, wie wir's verabredet haben, den Andreas Hofer finden. So sagst ihm von mir, die Kaiserlichen wären schon im Anzug von Salzburg her, und ich hätt' meine Pflicht gethan, und mein Wort gelöst. Das ganze Pusterthal sei im Aufstand, und wir wären munter an der Arbeit, und trieben den Baier und den Franzmann zum Land'l 'naus. Sag' ihm aber auch, er soll auf seiner Huth sein, denn wir hätten den Feind nit ganz vernichten können, und er würd' bald bei ihm in Sterzing sein! Soll'n sich also bereit halten, den Feind zu empfangen, wie er's verdient.
Das ist Alles, Vaterle?
Ja, Liesel, das ist Alles. Erzähl' dem Anderl, was hier geschehen ist, und vergiß auch nit, ihm zu erzählen, wie Du's Fässel gebracht hast, damit die Bursche sich Courage trinken sollten.
Nein, Vaterle, das erzähl' ich nit. Es würd' aussehen, als meint' ich schier, ich hätt' was Besonderes gethan, und wollt' gelobt sein. Aber jetzt leb' wohl, Herzensvater. Ich lauf' zum Andre Hofer hin!
Leb' wohl, Herzensliesel. Die Englein und die heilige Jungfrau werden Dich halt beschützen. Ich hab' keine Furcht um Dich!
Und ich auch nit, Vaterle! Die guten Berggeister gehen mit mir! Leb' wohl!
Sie warf ihm mit den Fingerspitzen einen Kuß zu und sprang den Bergpfad empor, leicht und flüchtig wie eine Gazelle.