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Es war ein wundervoller Maimorgen, die Sonne schien so klar und fröhlich drein, die Vögel sangen in allen Büschen und Bäumen, und die bunten reizenden Frühlingsblumen hauchten in allen Gärten ihre Düfte aus. Die Natur hatte ihr Feierkleid angezogen, und doch trauerte die Menschheit, die Sonne schien glänzend und hell, und doch waren die Augen der Menschen trübe und glanzlos, und statt sich des frischen Grüns und der Blüthen des Frühlings zu freuen, trauerten sie, fühlten ihre Herzen erstarrt und unter einer Eisdecke der Sorgen und Schmerzen begraben.
Das macht, der Kaiser Napoleon hatte wieder seine stolze Hand über Deutschland ausgestreckt, er war wieder im Triumph dahergekommen, hatte die Oesterreicher bei Regensburg und Landshut geschlagen und war am 12. Mai 1809 als Triumphator in Wien eingezogen.
Zum zweiten Male hatte die kaiserliche Familie, flüchtend vor dem Sieger Napoleon, ihre Residenz verlassen, zum zweiten Mal residirte der fremde Kaiser in Schönbrunn, mußte sich Wien beugen unter der Hand des Allgewaltigen. Fern nach Ungarn hin hatte sich der Kaiser Franz mit seiner Gemahlin und seinen Kindern begeben, und Wien, dessen Einwohner anfangs begeistert geschworen, ihre Stadt zu vertheidigen bis auf den letzten Mann, sie lieber den Flammen als den Franzosen zu übergeben, Wien hatte dennoch am 12. Mai schon dem Kaiser Napoleon und seiner Armee die Thore geöffnet. Es hatte sich der Nothwendigkeit wohl fügen müssen, denn in der Nacht zuvor hatte der Erzherzog Maximilian mit seinen wenigen, zur Vertheidigung Wiens bestimmten Truppen die Stadt verlassen, hatte hinter sich, um Napoleon von der weiteren Verfolgung abzuhalten, die große Taborbrücke abgebrannt und war glücklich entkommen, den aufgegebenen Wienern es überlassend, sich mit dem Sieger zu einigen und seine Gnade und Großmuth anzuflehen.
Sie hatten sich also wohl entschließen müssen, ihren Groll und ihre Wuth in ihrem Herzen zu verbergen und sich der Gnade ihres Ueberwinders dahinzugeben, sie hatten ihre Thore dem Feinde geöffnet – aber nicht ihre Herzen. Da drinnen wüthete der Zorn und die Beschämung und trieb den Männern Flüche und Verwünschungen auf die Lippen, den Frauen Thränen in die Augen.
Auch Joseph Haydn, der Greis mit dem silberweißen Haar, fühlte noch in sich das Herz eines Mannes, und seine zitternden Lippen verwünschten den Triumphator, den unerbittlichen Feind Oesterreichs, und riefen den Zorn des Himmels hernieder auf diesen französischen Kaiser, der stets von Frieden und Versöhnung sprach und stets Unfrieden erregte und Händel suchte. Die neuesten Unfälle Oesterreichs hatten den alten Maestro tief gebeugt und erschüttert, und der Strahlenglanz der Freude, der damals, bei der Aufführung der Schöpfung, das Antlitz Joseph Haydn's verklärte, war jetzt lange schon auf seinem sorgenvollen und traurigen Antlitz verblichen. Sein Blick war trübe und düster und oft von Thränen umwölkt, und wenn er, wie er an jedem Morgen das zu thun pflegte, sein Kaiserlied spielte, konnte er es doch nicht mit Worten und Gesang begleiten, denn die Thränen erstickten seine Stimme und die Worte voll Zuversicht und Siegeshoffnung verfolgten ihn wie schmerzlicher Hohn.
Er lebte jetzt ganz still und einsam in seinem kleinen Häuschen auf der Mariahilfer Vorstadt, und nicht einmal wie sonst verließ er dasselbe, um sich mindestens an den Sonntagen in die Messe zu begeben. Der Anblick der französischen Uniformen verletzte sein Herz, und es that ihm weh, seine geliebten Wiener im Druck und der Erniedrigung zu sehen.
Gott ist überall, sagte Haydn zu seinem treuen Diener Conrad, und er wird auch mein Gebet hören, wenn ich es nicht in der Kirche, sondern in meiner stillen Kammer an ihn richte. Aber heute, Freund, heute will ich zum lieben Gott beten in der freien Natur. Sieh, wie köstlich die Sonne scheint und wie blau der Himmel ist. Es ist Sonntag heute. So ziehen wir denn heute ein sonntäglich Kleid an. Conrad, gieb mir meinen schönen Ring vom großen König von Preußen und dann komm' zur Messe in meinem Gärtlein!
Conrad holte geschäftig die Festtagskleider seines Herrn herbei, er half ihm die seidenen, silbergestickten Gewänder anzulegen und steckte ihm den großen Brillantring, den einst Friedrich der Große dem großen Meister der Töne gesandt, an den Finger. Dann reichte er Joseph Haydn den Hut dar und das starke, mit goldener Krücke gezierte Bambusrohr, damit der wankende Greis sich darauf stütze. Langsam, die rechte Hand auf seinen Stab gelehnt, mit dem linken Arm sich stützend auf die Schulter seines Dieners, schritt Joseph Haydn nun hinaus aus seinem Zimmer. Hinter ihm her, mit ernsthaften, gravitätischen Schritten, ging die alte Katze, das Erbstück von Haydn's verstorbener Frau, und deshalb von dem alten Maestro besonders in Ehren gehalten. Leise knurrend und ihren schönen, vollen Schweif bald hoch emporhebend, bald ihn zusammenrollend, folgte sie, dicht an die Füße ihres Herrn geschmiegt, ihm über den Vorplatz und über den Hof nach dem kleinen Gärtchen.
Wie schön es hier ist, sagte Haydn, in der Thür des Gartens stehen bleibend, und langsam umherschauend auf die Blumen und Gesträuche, auf die summenden Bienen und flatternden Schmetterlinge, oh, wie schön hat Gott die Welt geschaffen, und wie herrlich –
Wie herrlich leuchtet die Natur, unterbrach ihn Conrad, wie glänzt die Sonne, wie strahlt die Flur.
Du bist ein Narr, alter Conrad, sagte Haydn mit einem sanften Lächeln. Ich dachte eben gar nicht an meine Schöpfung, sondern an die Schöpfung des lieben Gottes. Und der hat die Musik der Schöpfung doch noch besser verstanden, und – höre einmal, wie die Nachtigall da drüben im Fliedergebüsch singt! Das ist eine Arie, wie sie nur in der Schöpfung des lieben Gottes vorkommt, und wie sie der Joseph Haydn mit all' seiner Kraft und seiner Begeisterung doch nimmer hat zu Stande bringen können. Oh, wie lieblich diese prima donna assoluta des lieben Herrgotts singt, und was das für göttliche Melodieen und Ausweichungen und Harmonieen sind, und wie – Aber, was ist das?
Das ist der Papagey, der 'ne Arie aus der Schöpfung Joseph Haydn's singt, rief Conrad mit einem triumphirenden Lachen. Und hören's nur, Herr Doctor, die prima donna assoluta des lieben Herrgotts ist ganz mäuschenstill geworden, und horcht mit Entzücken auf die göttlichen Melodieen und Ausweichungen und Harmonieen des lieben Herrn Joseph Haydn.
Du bist und bleibst ein Narr, Conrad, trotz Deiner siebenzig Jahre, sagte Haydn, den alten Paperl meine prima donna assoluta zu nennen, und ihn mit der Nachtigall zu vergleichen! Aber sag' mir um's Himmels willen, wo hat denn das Viecherl nur die Melodie gehört? Pfeift doch der Kerl die große Baßarie aus der Schöpfung 'runter, als wär' er der erste Sänger. Wo hat er's denn gelernt?
Ich hab's ihn gelehrt, Herr Doctor, sagte Conrad stolz, ich hab' ihm ein Vierteljahr lang Unterricht gegeben, und er hat sich Müh' gegeben, zu lernen, denn er wußt' wohl, daß wir Beide blos unserm lieben Herrn, dem großen Joseph Haydn, eine kleine Ueberraschung und Freude machen wollten.
Und darum also hab' ich den Paperl so lange nicht gesehn, sagte Haydn, leise sein Haupt wiegend. Mocht' aber nimmer nach ihm fragen, denn ich fürchtet, die Antwort würd' sein, das Viecherl sei todt, sei heimgegangen zu meiner lieben alten Frau.
Na, zu der würd' er doch nimmer gehen, lachte Conrad, die Beiden haben sich im Leben niemals vertragen, und immer mit einander gezankt; wo das Paperl 'nen Finger von der Frau Doctorin erhaschen konnt', da hat er mit seinem dicken Schnabel hinein gebissen, und sie hat ihn rechtschaffen dafür gehaßt, und hätt' ihn gern statt ihrer in die ewige Seligkeit geschickt. Aber der Paperl ist nicht gestorben, und der Herr Doctor brauchen sich nit um ihn zu ängstigen. So'n Paperl wird tausend Jahr alt, und deshalb hab' ich ihn in meiner Kammer eingesperrt gehabt ein Vierteljahr lang, und hab' ihn die schöne Arie pfeifen gelehrt, damit er sie noch nach tausend Jahren der Menschheit vorpfeifen und an den großen Musikmeister Joseph Haydn erinnern soll.
Ach, mein alter Conrad, seufzte Haydn, indem er sich auf dem Lehnstuhl niederließ, den Conrad ihm unter dem duftenden Fliedergebüsch hingestellt hatte, ach, mein alter Conrad, nach tausend Jahren weiß kein Mensch mehr von uns, und wir sind nichts mehr als Staub, der zum Staube zurückgekehrt ist. Aber Gott wird bleiben, und seine Sonne wird nach tausend Jahren noch so herrlich strahlen wie heute, und seine Nachtigallen werden noch dieselben Wundermelodieen seiner Schöpfung singen, wenn meine Schöpfung längst vergessen ist.
Er schwieg, und blickte, fromm die Hände in einander faltend, zum Himmel empor. Neben ihm auf der hohen Stange, das rechte Bein mit dem silbernen Kettchen an die Stange gefesselt, saß der Papagey und sah mit seinen scharfen flammenden Augen gar klug und bedächtig zu ihm hin; zu Haydn's Füßen hatte sich die Katze gelagert, und schaute mit philosophischer Ruhe auf die Fliegen, die von Blume zu Blume summten, und spitzte aufmerkend die Ohren, wenn drüben und hüben im blühenden Gebüsch ein kleines Vöglein raschelte, oder lustig im duftenden Wallnußbaum von Ast zu Ast hüpfte. Neben dem Lehnstuhl stand der alte Diener Conrad, sein treues redliches Angesicht mit einem Ausdruck unendlicher Zärtlichkeit seinem Herrn zugewandt, und ganz verloren in den Anblick dieses milden, lächelnden und stillen Greises, dessen große strahlende Augen langsam umherschweiften, und Gott und die Natur zu grüßen schienen. Von fern herüber tönte das Läuten der Glocken, welche die Gläubigen zur Kirche riefen, und deren Klänge wie das feierliche Accompagnement zu dem Gesange der Natur die Luft durchzitterten.
Oh wie schön, wie schön, flüsterte Haydn, warum kann ich nicht jetzt mit diesem Seufzer der Freude mein altes Leben aushauchen, das doch zu nichts mehr nütze ist, warum kann ich nicht sterben mit diesem Gebet des Dankes gegen Gott auf den Lippen, und so meine Seele zum Himmel emporwirbeln, wie der Vogel da sich eben aufschwingt zur Sonne!
Oh Herr, was reden's denn schon vom Sterben, rief Conrad ängstlich; Sie müssen noch lange leben, der Welt zum Ruhm, und den Menschen zur Freude!
Und mir selber zur Last, seufzte Haydn. Es ist aus mit mir, Conrad, hab' keine Kraft mehr zum Leben. Der unglückliche Krieg, der hat mich zu Boden gedrückt, und mein armes Herz gebrochen. Haydn's eigene Worte. Siehe: Zeitgenossen. IV. S. 36. Als der Napoleon jetzt zum zweiten Mal in Wien einmarschirte, und unser guter Kaiser Franz zum zweiten Mal fliehen mußt', da hatt' ich ein Gefühl, als ob mein Herz mitten von einander riß, und der Riß wird nimmer wieder heilen. Ich werd' mich verbluten an dem Unglück meines Vaterlandes! Ach, daß mein Oesterreich und mein Kaiser so tief gedemüthigt werden konnten, daß sie sich beugen mußten unter der Hand des Kaisers von Frankreich! Ich kann's nicht fassen und begreifen, daß der liebe Gott das zuläßt, und daß er nicht seine Donnerkeile hernieder schleudert auf das Haupt dieses heuchlerischen französischen Kaisers, der den Feuerbrand des Krieges über ganz Europa dahinschleudert, dabei immer scheinheilige Friedensworte auf den Lippen trägt, und sich den Anschein giebt, als wollte er Alle versöhnen, während er doch Alle nur zu entzweien trachtet. Oh Conrad, wenn ich an diesen Kaiser Napoleon denke, und an das viele unschuldige Blut, das er vergossen, und an die vielen tausend Menschenopfer, die seiner Herrschsucht gefallen, dann bäumt sich mein Herz auf in grimmigem Schmerz, und ich fange sogar an zu zweifeln an der Güte und Gerechtigkeit Gottes! – Aber stille, stille, mein wildes Herz, unterbrach er sich selber, indem er mit ängstlichem Flehen zum Himmel empor blickte. Gott wird alle Dinge zum Besten fügen, er wird eines Tages mit dem Winken seiner Hand den französischen Usurpator von seinem Thron stoßen, und Oesterreich wieder groß und mächtig aus seiner Erniedrigung empor steigen lassen. Er wird Deutschland in Schutz nehmen gegen die Unbill Frankreichs, und wird die Schmach rächen, welche jeder deutsche Mann von Frankreich erduldet hat. Das ist die Hoffnung, welche ich mit mir in mein Grab nehme, das ist die Zuversicht auf Dich, oh mein Gott!
Er streckte beide Arme zum Himmel empor, und betete leise. Dann erhob er sich langsam von seinem Sessel, und wandte sein Haupt grüßend und lächelnd nach allen Seiten hin.
Conrad, sagte er sanft, ich nehme heute Abschied von der Natur, denn mir ist, als würde ich meinen lieben kleinen Garten, und die Blumen und Vögel, die Sonne und den Himmel niemals wiedersehen. Oh, so lebe denn wohl, Du große, heilige Natur, ich habe Dich treu und rein geliebt mein Leben lang, und habe, so viel mir Gott dazu Kraft gegeben, Dich gefeiert und verherrlicht in meinen Werken. Lebewohl, Natur, Lebewohl Sonnenschein und Blumenduft, Joseph Haydn nimmt von Euch Abschied, denn sein Tagewerk ist vollbracht, und seine Seele ist müde! Komm, mein alter Conrad, führe mich in's Haus, und in mein Zimmer. Ich kann nicht mehr, ich bin müde, ach so müde!
Er schlang seinen Arm um Conrad's Hals, und die andere Hand auf seinen Krückstock gestützt, ging er langsam und keuchend den schmalen, von Buchsbaum eingefaßten Steig dahin.
In diesem Augenblick begann die Nachtigall im Gebüsch wieder ihr schmetterndes Jubellied und zu gleicher Zeit erhob der Papagey seine knarrende schnarrende Stimme, und begann in hellen Tönen die Arie aus Haydn's Schöpfung zu pfeifen.
Haydn stand still und horchte. Merk' auf, sagte er leise, wir wollen jetzt einmal ein Orakel über mein Leben und Sterben fragen. Wenn der Papagey zuerst verstummt, so sterbe ich bald, wenn die Nachtigall verstummt, so gönnt mir Gott noch ein längeres Leben.
Er blickte fromm zum Himmel empor, auf dessen blauer Fläche einzelne weiße Wölkchen wie silberne Schwäne dahin zogen, und seine Lippen bewegten sich in leisem Gebet.
Die Nachtigall sang noch immer ihre wunderbaren, jauchzenden Liebeslieder, und der Papagey suchte sie zu übertönen mit seiner schönen und kunstvollen Melodie.
Conrad's Antlitz verklärte sich zu einem seligen Grinsen. Mein Paperl hat einen langen Athem, sagte er, und die Nachtigall wird's nicht mit ihm aufnehmen können, er wird sie übersingen.
Aber die Nachtigall schien, angereizt von diesem Wettstreit des Gesanges, jetzt alle ihre Kunst und ihre Kraft aufwenden zu wollen; den schmetternden Trillern folgten lange, sehnsuchtsvolle Flötentöne, die wie eine Jubelhymne der Zärtlichkeit die Luft erfüllten, und die andern Vögel alle verstummen und den Wind schweigen machten, und die Blumen aus ihrem süßen Schlaf der Frühlingsbetäubung zu wecken schienen, daß sie sich schüttelten in seliger Lust, und ihre Blumenkronen sanft emporhoben zu dem blühenden Flieder, in dessen dunkelstem Gesträuch die große und doch so bescheidene Sängerin sich verborgen hielt.
Ja, die ganze Natur schien voll seliger Andacht diesem wunderbaren Flötengesang der Nachtigall zu lauschen, und auch der Papagey konnte dem Zauber nicht länger widerstehen. Er stockte in seinem Lied, begann dann auf's Neue, stockte wieder, und – verstummte.
Haydn ließ seine gefalteten Hände langsam herab sinken, und wandte den Blick vom Himmel niederwärts. Ich mußt' es wohl, flüsterte er leise, das Orakel hat entschieden, und die Schöpfung Joseph Haydn's muß verstummen vor der Schöpfung Gottes. Komm in's Haus, Conrad, mich friert, und ich bin müde. Aber zuvor noch gieb mir einige von meinen duftenden Freunden, einige von meinen lieben Blumen. Sie sollen mir da drinnen in meiner Stube erzählen von der Herrlichkeit der Welt!
Conrad pflückte mit eiligen Händen von den Narcissen, den Rosen, Nelken und dem Flieder einen vollen Strauß, zerdrückte die Thränen, die ihm in die Augen getreten, und geleitete seinen Herrn sorgsam in das Haus zurück.
Eben hatte er ihn auf seinen Lehnstuhl niedergleiten lassen, und das gestickte Kissen sorgfältig ihm unter die Füße geschoben, als sich draußen der laute schrille Ton der Hausglocke vernehmen ließ.
Sieh nach, Conrad, was es giebt, sagte Haydn, den vollen Blumenstrauß in seinen beiden Händen haltend und ihn mit zärtlichen Blicken betrachtend.
Conrad schlüpfte hinaus und kehrte nach kurzem Verweilen hastig zurück.
Es ist ein fremder Herr da aus Berlin, sagte er, der gar sehr bittet, den Herrn Doctor zu sehen. Der Theaterdirector Schmid ist bei ihm, und läßt den Herrn Doctor doch sehr bitten, daß er dem fremden Herrn, der ein sehr berühmter Dichter sein soll, erlaubt, ihn zu sehen.
Wenn der Schmid bei ihm ist, so laß sie kommen, sagte Haydn milde, und es wird gewiß das letzte Mal sein, daß ich den lieben alten Freund auf Erden sehe.
Conrad stieß die Thür auf, und winkte den Herren, welche draußen standen, einzutreten. Leise auf den Zehen, mit ehrfurchtsvollen Mienen traten die Beiden über die Schwelle, wie von Mitleid oder frommer Scheu ergriffen, blieben sie neben der Thür stehen, und schauten mit zärtlichen Blicken auf den Greis hin, der eben, betäubt vielleicht von der Frühlingsluft, seine Augen geschlossen und das Eintreten der Fremden gar nicht gehört hatte.
Das ist er? flüsterte der Eine der beiden Herren, ein Mann von stolzer, voller Gestalt mit einem von Genialität und Geist strahlenden Angesicht. Das ist er? wiederholte er noch einmal, die großen flammenden Augen auf den Greis hingerichtet.
Ja, das ist Joseph Haydn, sagte der Andere leise, und über sein breites gutmüthiges Gesicht flog ein Ausdruck tiefer Trauer. Aber still, er schlägt die Augen auf!
Und er näherte sich Haydn, der ihm beide Hände entgegenstreckte, und ihn mit einem sanften Lächeln begrüßte.
Kommen Sie, noch einmal dem alten Freund vor seinem Sterben Valet zu sagen? fragte er sanft. Wollen Sie Abschied von mir nehmen, mein guter Freund Schmid?
Nein, nicht Abschied, sondern guten Tag will ich dem Meister wünschen, sagte Schmid herzlich, und bitten will ich ihn, den Herrn hier freundlich zu begrüßen. Es ist der berühmte Schauspieler und Dichter Iffland aus Berlin. Er war nach Wien gekommen, noch bevor die Franzosen hieher kamen, und als die Franzosen die Stadt einnahmen, konnte er nicht mehr heraus, sie hielten ihn fest, und erst jetzt, nach langem Bitten und Flehen, wollen sie ihm erlauben nach Berlin zurückzukehren.
Aber ich konnte Wien nicht verlassen, ohne den großen Haydn gesehen zu haben, rief Iffland mit seiner schönen tönenden Stimme. Was würden die Berliner von mir sagen, wenn ich den berühmtesten Genius unserer Zeit nicht gesehen hätte.
Mein Herr, sagte Haydn seufzend, sehen Sie mich an, und erkennen Sie an dieser Ruine, wie zerbrechlich der Mensch mit all' seinem Ruhm ist!
Der Mensch nur ist zerbrechlich, aber der Genius ist unsterblich, rief Iffland, und Joseph Haydn ist ein Genius, dessen Ruhm nimmer verhallen wird.
Lassen Sie sich nachher von meinem Bedienten die Geschichte von der Nachtigall und dem Papagey erzählen, sagte Haydn mit einem matten Lächeln. Die Schöpfungen des Menschen vergehen, aber die Schöpfungen Gottes dauern ewiglich.
Aber auch die Schöpfungen der Menschen kommen ja von Gott, denn er gab ihnen die Kraft dazu, erwiderte Iffland eifrig. Was Sie Großes und Herrliches geschaffen, sollte das nicht ebenso von Gott kommen, wie die Blumen, welche Sie da in den Händen halten, und an deren Duft Sie sich erfreuen?
Ja, sie sind schön, diese Blumen, sagte Haydn, seinen Strauß sinnend betrachtend.
Sicher eine Liebesgabe irgend einer der vielen Verehrerinnen unsers Meisters? fragte Schmid lachend.
Haydn sah lächelnd zu ihm empor, und schüttelte leise sein Haupt. Nein, sagte er, es ist das letzte Andenken von der Natur, von der ich Abschied nahm. Ich habe heute meine Andacht in der Natur gehalten, und das ist der Rosenkranz, an dem ich beten will. Ach, ich liebe die Natur so sehr!
Und Sie haben Diejenigen, welchen das Ohr und Auge noch vor den heiligen Reizen der Natur geschlossen waren, sehen und hören gelehrt, sagte Iffland. Ihre Jahreszeiten, das ist das herrlichste Lobgedicht auf die schöne Gotteswelt!
Ja, die Jahreszeiten, rief Haydn fast heftig, die Jahreszeiten haben mir den Todesstoß gegeben! Es war gar schwer, sich an den Worten zu begeistern. Die Worte sagten so wenig, wirklich so wenig! Oft habe ich mich ganze Tage mit einer Stelle plagen und martern müssen, und ich erreichte doch nicht, was ich wollte. Die Worte drückten meine Musik nieder. Nun, – es ist vorbei und abgethan! Ja, Sie sehen, es ist vorbei. Die Jahreszeiten sind Schuld daran, sie haben meine letzte Kraft erschöpft! Ich habe überhaupt in meinem Leben viel und schwer arbeiten müssen, habe gehungert, gedurstet und gefroren in meinem elenden Dachstübchen, von dem ich immer hundert und dreißig Stufen herunter zu steigen hatte, bis ich auf die Straße kam. Die Entbehrungen, die Arbeit, der Hunger, Alles was ich in meiner Jugend gelitten, das kommt jetzt nach und wirft mich nieder! Aber es ist eine Niederlage mit Ehren, – es war sauere Arbeit! Allein Gott hat geholfen. Das habe ich nie deutlicher gefühlt, als eben heute, und darum ist mir so wohl, oh, so wohl, daß ich weinen muß vor seliger Rührung! Lachen Sie mich deshalb nicht aus! Ich bin ein alter schwacher Greis, und wenn mich etwas bewegt, muß ich weinen! Ehedem war das anders! Ach, ehedem!
Er richtete den von Thränen umdüsterten Blick nach dem Fenster hin, und schaute gerade aus, wie in weite Ferne.
Ehedem war ich ein starker, kräftiger Geist, seufzte er, und als ich meine Schöpfung schrieb, da waren Flammen in meiner Seele, und Mannesgluthen in meinem Herzen.
Diese Flammen und diese Begeisterung, sie sind geblieben in Ihrem Werk, und sie werden nimmer darin erlöschen, sagte Iffland. Joseph Haydn's Schöpfung ist unsterblich und voll ewiger Jugend. Davon haben Ihnen die Wiener Zeugniß gegeben, als sie neulich Ihr herrliches Meisterwerk hörten.
Aber ich habe ihnen Zeugniß gegeben, daß ich ein Greis geworden, der seine eigene Schöpfung nicht mehr zu ertragen vermag. Ich mußte den Saal verlassen, lange vor dem Ende.
Sie hätten gar nicht hingehen sollen, rief Schmid eifrig. Die Aufregung hätte Ihrer Gesundheit schaden können.
Sie hat mir auch geschadet, sagte Haydn, aber die Rücksicht auf meine Gesundheit durfte mich nicht zurückhalten. Es ist nicht das erste Mal, daß Haydn Ehre widerfuhr, und ich wollte zeigen, daß ich diese noch zu tragen fähig sei. Ach, es war ein seliger Abend, und niemals habe ich eine bessere Aufführung meiner Schöpfung gehört.
Es war die Apotheose des großen Künstlers, welche man feierte, sagte Iffland bewegt.
Es ist wahr, man hat viel, zu viel für mich gethan, seufzte Haydn lächelnd. Die Wiener sind ein so gutes Volk, und sie lieben mich wahrhaft.
Oh, darin stehen die Berliner den Wienern nicht nach, rief Iffland. Auch in Berlin kennt und liebt Jedermann den großen Joseph Haydn, und seine Schöpfung wird auch dort als Meisterwerk anerkannt. Noch kürzlich hat man sie in Berlin zum Besten der Armen aufgeführt, und die Einnahme betrug über zweitausend Thaler.
Ueber zweitausend Thaler für die Armen, wiederholte Joseph Haydn mit leuchtenden Augen, oh, meine Arbeit hat also den Armen einen guten Tag gebracht. Das ist herrlich, das ist der schönste Lohn für ein Leben voll Anstrengung und Müh'! – Aber, fuhr er nach kurzer Pause fort, das Alles ist nun vorbei! Ich wirke nichts mehr! Ich bin ein blätterloser Stamm, der heut oder morgen in sich zusammenbrechen wird.
Dessen Fall aber ganz Deutschland erschüttern wird, wie ein großes, Allen gemeinsames Unglück.
Ja, es ist wahr, man hat mir viele Liebe bewiesen, und mir viel Ehren erzeigt, sagte Haydn sinnend.
Alle Völker und alle Fürsten haben Ihnen gehuldigt, rief Iffland. Der Lorbeerkranz, nach dem wir andern Dichter und Künstler unser ganzes Leben lang ringen, und den man uns gemeinhin nur im Tode bewilligt, Ihnen ist er in schöner, herrlicher Fülle zu Theil geworden. Nicht Einen, sondern viele Lorbeerkränze hat Europa Ihnen dargebracht, und wie ein siegreicher Held können Sie zurückschauen auf Ihr Leben, denn jede Ihrer Thaten war ein Sieg, und für jeden Sieg haben Sie Lorbeerkränze und Trophäen empfangen.
Ja, ich habe viele Andenken an meine Vergangenheit, sagte Haydn lächelnd. Ich will sie Ihnen zum Abschied zeigen. Conrad, gieb mir meine Schätze!
Conrad öffnete die Chatoulle des großen Schreibtisches, der neben Haydn stand, und in welchem sich eine Masse großer und kleiner Etuis, Kasten und Cassetten befand.
Jetzt sollen Sie meine Schätze sehen, rief Haydn fröhlich. Und nun zeigte er ihnen zuerst eine schöne, aus Ebenholz und Gold gearbeitete Cassette. Es war dies ein Geschenk, das die junge Fürstin Esterhazy erst vor wenigen Wochen dem vielgeliebten und verehrten Freunde ihres Hauses dargebracht, und auf dessen Deckel ein herrliches Miniaturgemälde sich befand, das die Scene bei der letzten Aufführung der Schöpfung, die Scene, wo Haydn die begeisterte Huldigung des Publikums empfing, in meisterhaften Zügen darstellte. Dann zeigte er ihnen die große goldene Medaille, welche er im Jahre 1800 aus Paris erhalten, als eine Huldigung von den zweihundert und funfzig Tonkünstlern, welche dort am Weihnachtsabend jenes Jahres die Schöpfung aufgeführt und ganz Paris mit dieser Aufführung entzückt hatten. Viele andere Medaillen von musikalischen Gesellschaften und Conservatorien folgten dann, ferner kostbare Brillantringe, Dosen und Busennadeln von Kaisern und Königen. Zuletzt noch mit besonderer Weihe zeigte Haydn das kunstvoll geschriebene und in silberner Kapsel befindliche Diplom des Bürgerrechts, das die Stadt Wien ihm verliehen und dessen Anblick noch jetzt seine Augen aufleuchten machte vor Freude.
Sorgsam hatte er jedes einzelne Stück, nachdem er es gezeigt, und seine Bedeutung erklärt hatte, vor sich auf den Tisch gelegt, und jetzt, als alle Schätze vor ihm lagen, betrachtete er sie mit einem glücklichen Lächeln, und nickte ihnen zu wie alten, lieben Freunden.
Lachen Sie nicht über mich, sagte er dann, das Auge fast flehend zu Iffland erhebend. Ich habe alle diese Dinge sehr lieb, und ich freue mich deshalb, wenn ich sie von Zeit zu Zeit mit meinen Freunden betrachten kann. Sie werden sagen, das sind die Spielzeuge der alten Männer! Aber für mich sind sie mehr, ich zähle an diesen Liebesandenken mein Leben rückwärts und werde dabei auf Augenblicke wieder jung! Alle diese Sachen sollen nach meinem Tode in theure Hände fallen, und ich hoffe, daß, wenn ich nicht mehr bin, man meine Erinnerungsschätze um meinetwillen werth halten werde. Joseph Haydn hatte alle seine Pretiosen und Ehrengeschenke, ferner seine Manuscripte und Musikalien der Fürstlich Esterhazy'schen Familie vermacht, deren Wohlwollen und Güte er sehr viel verdankte, und die durch sein ganzes Leben ihn geehrt und geliebt hatte.
Möge der Tag noch fern sein, wo Deutschland um seinen Liebling, um Joseph Haydn, Trauer anlegt, rief Iffland.
Dieser Tag ist nahe, sehr nahe, sagte Haydn ruhig, ich fühle das heute deutlicher als je, mein Ende ist nahe, – meine Kräfte sind aufgezehrt.
Lassen Sie uns gehen, flüsterte Schmid, auf Haydn hindeutend, der erschöpft in seinen Lehnstuhl zurückgesunken war, und das bleiche Haupt an die Polster lehnte.
Iffland heftete lange und mit schmerzlicher Wehmuth seine Blicke auf die ächzende, zusammengesunkene Gestalt da im Lehnstuhl. Und das ist Alles, was von einem großen Künstler, von einem Genius, der die Welt entzückte, übrig geblieben ist, seufzte er. Ach, welch ein zerbrechlich Gefäß ist doch der Körper, ein elend Gehäuse für den Gott, der darin Wohnung genommen. Kommen Sie, Freund, lassen Sie uns still von hinnen gehen. Nur ein Andenken möchte ich noch mit mir nehmen, eine Blume aus dem Strauß, den Haydn vorher in Händen hielt. Ob ich es wage, sie mir eigenmächtig zu nehmen?
In diesem Moment schlug Haydn die Augen wieder auf, und heftete sie mit sanftem Ausdruck auf Iffland. Ich habe Alles gehört, was Sie sprachen, sagte er, ich war nur zu schwach, um zu sprechen. Sie wollen eine meiner Blumen? Nein, Sie sollen sie alle haben!
Er nahm den Strauß, sah ihn zärtlich an, und versenkte sein ganzes Gesicht einen Moment in den Strauß, den er dann mit sanftem Lächeln Iffland darreichte.
Leben Sie wohl, sagte er, gedenken Sie meiner bei diesen Blumen. Ich wollte, ich hätte Sie in glücklichern Tagen gekannt, wo ich noch im Stande gewesen, Ihren Geist zu genießen, und mich Ihrer Kunst zu freuen. Sie müssen ein großer Schauspieler sein, denn Sie haben ein so wundervolles, biegsames Organ. Ich möchte Sie wohl declamiren hören, und wären es auch nur wenige Strophen.
So erlauben Sie mir, daß ich Ihnen zum Abschied die Verse recitire, mit denen Wieland Ihre Schöpfung gefeiert, sagte Iffland, und einige Schritte vortretend, den Blumenstrauß in der Hand, die flammenden Augen auf Haydn gerichtet, der mit sanften Blicken zu ihm aufschaute, recitirte Iffland mit seiner vollen metallenen Stimme folgende Strophe Wieland's:
Wie strömt Dein wogender Gesang,
In unsre Herzen ein! Wir sehen
Der Schöpfung mächt'gen Gang,
Den Hauch des Herrn auf dem Gewässer wehen;
Jetzt durch ein blitzend Wort das erste Licht entstehen,
Und die Gestirne sich durch ihre Bahnen drehen;
Wie Baum und Pflanze wird, wie sich der Berg erhebt,
Und froh des Lebens sich die jungen Thiere regen.
Der Donner rollet uns entgegen;
Der Regen säuselt, jedes Wesen strebt
In's Dasein; und bestimmt, des Schöpfers Werk zu krönen
Sehn wir das erste Paar, geführt von Deinen Tönen.
Oh, jedes Hochgefühl, das in dem Herzen schlief,
Ist wach! Wer rufet nicht: wie schön ist diese Erde!
Und schöner, nun ihr Herr auch Dich in's Dasein rief,
Auf daß sein Werk vollendet werde!
Und nachdem Iffland so gesprochen, näherte er sich rasch dem Greise, beugte sein Knie vor ihm, und drückte einen glühenden Kuß auf Haydn's gefaltene Hände. Dann, ohne ein weiteres Wort zu sagen, erhob er sich rasch, und rückwärts gehend, wie vor einem Könige, näherte er sich der Thür, öffnete sie geräuschlos, und trat, gefolgt von Schmid, hinaus. Diese ganze Unterredung zwischen Joseph Haydn und Iffland ist wortgetreu und befindet sich in Iffland's »Theater-Almanach« 1811 S. 181–207.
Leben Sie wohl, rief Haydn mit bewegter Stimme ihnen nach, dann sank er tiefer in sich selbst zusammen. Tiefe Stille herrschte jetzt rings um ihn her; auf einmal ward diese Stille durch ein donnerähnliches Gekrach unterbrochen, das die Fenster klirren, die Wände zittern machte. Und wieder, immer wieder ließ sich dieser furchtbare Donner vernehmen, und rollte dahin wie die zürnende Stimme Gottes.
Und jetzt öffnete sich die Thür, und Conrad und Kathrinel, die alte Magd, stürzten herein. Ach Herr, Herr, jetzt ist Alles zu Ende, jetzt sind wir Alle verloren. Dicht vor Wien stehen die Oesterreicher und Franzosen, und die Schlacht hat angefangen!
Die Schlacht hat angefangen! rief Joseph Haydn, sich von seinem Lehnstuhl erhebend, und die Arme zum Himmel emporstreckend. Die Schlacht hat angefangen! Du großer, gerechter Gott da droben, schütze unser Vaterland, verleihe Oesterreich den Sieg über den übermüthigen Feind! Laß Oesterreich, laß Deutschland nicht zu Schanden gehen, hilf uns den stolzen Feind überwinden, der uns so lange schon gekränkt und gedemüthigt hat! Herr, mein Gott, schütze Deutschlands, schütze Oesterreichs Ehre! Schütze auch den Kaiser!
Und mit der Kraft und Schnelle eines Jünglings durchschritt Joseph Haydn das Gemach, ließ er seine Hände auf die Tasten niedergleiten, und begann mit vollen Accorden zu spielen die Melodie seines Kaiserliedes: Gott erhalte Franz den Kaiser!
Conrad und Kathrinel standen hinter ihm, und sangen mit leiser zitternder Stimme, draußen aber rollte der Donner der Kanonen unaufhaltsam fort, dazwischen hörte man das Geschrei des Volkes, das entsetzt durch die Straßen rannte, und das Hallen der Glocken, die von allen Kirchthürmen Wiens die Gläubigen zum Gebet riefen.
Auf einmal, mitten in der Melodie, verstummte Haydn, die Hände fielen kraftlos von den Tasten nieder, ein langer Seufzer tönte von seinen Lippen, – ohnmächtig sank er seinem treuen Conrad in die Arme. Seine Diener trugen ihn auf sein Lager, und bald gelang es ihnen, Haydn aus seiner Betäubung zu erwecken. Langsam schlug er die Augen auf, und sein erster Blick fiel auf Conrad, der weinend an seinem Lager stand.
Die Nachtigall hat Recht gehabt, es geht zu Ende, sagte er mit einem matten Lächeln. Aber ich will nicht eher sterben, als bis ich weiß, daß die Oesterreicher den Feind besiegt, daß mein Kaiser eine Schlacht gewonnen hat! –
Und in der That, Joseph Haydn überwand mit der Stärke seines Willens noch einmal den Tod, der schon ihn mit seinem Finger berührt hatte. Er richtete sich wieder von seinem Lager empor, er wollte nicht sterben, so lange Oesterreich da draußen auf dem dampfenden blutigen Schlachtfeld um seine Wiedergeburt, oder um sein Ende kämpfte.
Zwei Tage, zwei fürchterliche Tage der Ungewißheit und des Schreckens folgten nun; fort und fort hörte man das Rollen des Donners, das Krachen der Geschütze, aber, obwohl die Wiener den ganzen Tag von der Höhe der Thürme hinabspäheten, so vermochten sie doch nichts zu unterscheiden. Ungeheure Wolken von Dampf lagerten ringsum, und hüllten die Dörfer Eßlingen und Aspern und die Insel Lobau in undurchdringliche Nebelschleier ein.
Joseph Haydn verbrachte diese Tage des zwei- und dreiundzwanzigsten Mai in stillem Schmerz, in sanfter Resignation, oft betete er, und dreimal an jedem Tage spielte er sein Kaiserlied.
So war der Morgen des vierundzwanzigsten Mai gekommen. Conrad war hinaus gegangen auf die Straße, um Nachrichten einzuziehen, denn der Kanonendonner war verstummt, die Schlacht war zu Ende. Wer hatte sie gewonnen? Das war die Frage, welche alle Herzen beben machte, welche jedes Gemüth mit banger Sorge erfüllte.
Auch Haydn's Gemüth war sorgenvoll, und um seine Ungeduld bis zu Conrad's Rückkehr zu überwinden, hatte er sich von Kathrinel an sein Clavier führen lassen.
Ich will mein Kaiserlied spielen, sagte er hastig, oft habe ich Trost und Erhebung daraus gewonnen in den Tagen der Unruhe und Bedrängniß, und wenn ich es spiele, wird mir immer so wohl und still zu Sinne. Es wird auch heute seine Kraft an mir bewähren. Haydn's eigene Worte. Siehe Zeitgenossen IV. Dritte Reihe 36.
Er begann zu spielen, ein glückliches Lächeln verklärte seine Züge, sein Auge richtete sich strahlend gen Himmel, und immer feuriger, immer machtvoller tönte seine Musik, in immer glänzenderen Phantasieen glitten seine Finger über die Tasten dahin. Da ward die Thür aufgerissen, und Conrad stürzte herein, keuchend vom raschen Lauf, glühend vor Aufregung, aber strahlenden Angesichts.
Sieg! rief er, Sieg!
Und er taumelte zu Haydn's Füßen nieder.
Wer hat gesiegt? fragte Haydn angstvoll.
Die Oesterreicher haben gesiegt, keuchte Conrad. Bei Aspern hat unser Erzherzog Carl den Kaiser Napoleon besiegt, das ganze Franzosenheer steckt jetzt auf der Insel Lobau, und an ein Entkommen ist nicht mehr zu denken. Tausend und tausend Leichen der Franzosen schwimmen auf der Donau dahin, und verkünden es aller Welt: daß Oesterreich die Franzosen besiegt hat! Hurrah! Hurrah! Unser Held, der Erzherzog Carl, hat den Erzschelm Bonaparte aufs Haupt geschlagen! Hurrah!
Hurrah! Hurrah! jubelte und schnarrte der Papagey von seiner Stange hernieder, und die Katze erhob ihr Haupt von dem Kissen, auf dem sie zusammengerollt gelegen, und schaute mit scharfen prüfenden Blicken zu dem Papagey hin, als habe sie sein Jubelwort verstanden.
Joseph Haydn sagte nichts. Er hatte die Hände gefaltet, und betete inbrünstig. Dann nach einer Pause rief er mit lauter freudiger Stimme: Herr, mein Gott, ich danke Dir, daß Du mein Vertrauen nicht hast zu Schanden werden lassen, sondern daß Du Oesterreich behütet und ihm geholfen hast, seinen Feind zu besiegen. Ich wußt' es wohl, Recht bleibt doch Recht, und das Recht ist bei Oesterreich, denn Frankreich, das heuchlerische Frankreich allein hatte diesen Krieg begonnen, und Oesterreich erhob das Schwert nur zur Vertheidigung seiner Ehre und seiner Grenzen! Recht bleibt doch Recht, und deshalb mußte Oesterreich in diesem Kampfe siegen, deshalb mußte Frankreich unterliegen! – Gott erhalte Franz den Kaiser! Ich aber, ich kann mich jetzt hinlegen und sterben! Oesterreich hat gesiegt! Das ist der letzte Freudengruß, den mir die Welt sendet! Mit diesem Gruß will ich sterben! Ja, sterben! Der Tod naht schon! Aber er trägt eine Lorbeerkrone auf seinem Haupte und sein Auge strahlt in Siegeslust! Heil Oesterreich! Heil dem deutschen Vaterlande!
Das waren Joseph Haydn's letzte Worte. Ohnmächtig sank er zurück. Zwar gelang es den Aerzten, ihn noch wieder in's Leben zurück zu rufen, zwar athmete und lebte er noch sechs Tage lang, aber sein Leben glich nur noch dem letzten matten Aufflackern des verlöschenden Lichtes, und in der Nacht vom dreißigsten auf den einunddreißigsten Mai kam der Tod, dieses matte Licht auszublasen.
In der Nacht vom dreißigsten auf den einunddreißigsten Mai 1809 starb Joseph Haydn.