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General von Kinkel, der Gouverneur von Innsbruck, hatte so eben sein Diner vollendet und begab sich in sein Kabinet, wohin er einige der höheren Officiere berufen hatte, um ihnen seine Instructionen zu ertheilen. Es waren heute am elften April allerlei Nachrichten aus Tyrol angelangt, und obwohl diese Nachrichten den bairischen General nicht beunruhigten, so fand er sie doch etwas seltsam und ungewöhnlich. Er hatte erfahren, der Obristlieutenant von Wreden habe, Trotz der Ordre des Generals von Kinkel, dennoch höchst voreiliger Weise den Posten bei Brunnecken aufgegeben, und die Laditscher Brücke abgetragen. Es waren ferner dunkle Gerüchte gekommen von Aufständen unter den Bauern in der Umgegend von Innsbruck, und sogar auf den nächst belegenen Bergen wollte man schon bewaffnete Bauernschaaren entdeckt haben.
Man hat dieses Bauernvolk viel zu milde und gütig behandelt, sagte General von Kinkel achselzuckend, als seine Officiere ihm jetzt von allen diesen Dingen Nachricht gaben. Wir werden Strenge anwenden, einige Exempel statuiren, und Alles wird wieder ruhig und unterwürfig werden. Was will denn dieses Bauernvolk? Ist es schon so übermüthig, daß es vermeint, sich gegen unsere tapfern regulairen Truppen halten zu können?
Es hofft auf die Hülfe Oesterreichs, erwiderte Obrist von Dittfurt, und wie man sagt, soll General von Chasteler den Bauern versprochen haben, in diesen Tagen zu ihrer Hülfe in Tyrol einzuziehen.
Elendes Mährchen, rief der General mit einem verächtlichen Lächeln. Die Oesterreicher werden nicht so vermessen sein zur Offensive zu schreiten, denn sie wissen gar wohl, daß der große Kaiser Bonaparte jeden Angriff auf bairisches Gebiet als einen Angriff auf Frankreich selbst betrachtet, und daß wir selber die frechen Eindringlinge mit überlegener Macht aus unsern Bergen zurückschlagen würden.
So lange die Berge noch uns gehören, und nicht von den Bauern besetzt sind, Excellenz, sagte der eben eintretende Major von Beim.
Was wollen Sie damit sagen? fragte der General auffahrend.
Ich will damit sagen, daß die Bauern in immer stärkeren Massen auf Innsbruck heranrücken, daß sie sogar schon unsere äußersten Piquets angegriffen und zurückgeworfen haben, und daß diese eben flüchtend in die Stadt gekommen sind.
Dann ist es Zeit, zu großen und strengen Mitteln zu greifen, rief General Kinkel zornig. Obrist von Dittfurt, schicken Sie sogleich eine Depesche an den Obristlieutenant von Wreden, der in Brixen steht. Schreiben Sie ihm in meinem Namen, daß ich sehr ungehalten sei über das Aufgeben seiner Stellung bei Brunnecken und das Abtragen der Brücke von St. Lorenzen. Ich lasse ihm befehlen, energisch zu Werke zu gehen, er soll jeden Bauer, der mit den Waffen in der Hand betroffen wird, sofort erschießen, jedes in Insurrection befindliche Dorf in Brand stecken lassen, ferner wieder bis Brunnecken und weiter hinaus seine Patrouillen vorschieben. Durch diese Patrouillen soll er in Erfahrung zu bringen suchen, ob wirklich dem zusammengerotteten Landvolk österreichische Truppen nachfolgen. Bringen Sie mir diese Depesche zur Unterzeichnung, und senden Sie dann sofort einen Courier mit derselben ab. Als General von Kinkel am Abend des 11. April diese Depesche absandte, war Obristlieutenant von Wreden schon am Tage zuvor von den Tyrolern besiegt und waren die Oesterreicher schon in Brixen eingezogen, und ganz Tyrol schon im Aufstand, ohne daß die Baiern in Innsbruck eine Ahnung davon hatten.
Der Obrist von Dittfurt begab sich an den Schreibtisch und begann die Depesche zu schreiben. Elendes Bauernvolk, murrte er vor sich hin, als er dem General die Depesche zur Unterschrift reichte, eine Demüthigung ist's schon, daß man überhaupt nur seine Gedanken auf sie richten und sich mit ihnen beschäftigen muß.
Ja, Sie haben Recht, seufzte der General, indem er unterzeichnete, dieses Volk, das nur den Dreschflegel zu führen versteht, wird alle Tage hochmüthiger und unleidlicher, und ich freue mich wahrhaft darauf, dieses Gesindel ein Mal wieder gründlich zu demüthigen, und zum Gehorsam zurückzuführen. Deshalb keine Schonung, keinen Pardon mehr! Wer mit den Waffen in der Hand betroffen wird, der soll sofort mit dem Tode bestraft werden. Wir müssen diese Insurrection im Keim ersticken, und dann wollen wir ohne Erbarmen die Verräther strafen. Nun, was soll's? fragte er heftig, sich an den eintretenden Ordonnanz-Officier wendend.
Excellenz, ich habe zu melden, daß sämmtliche vor Innsbruck aufgestellte Piquets in die Stadt zurückgeworfen sind. Die Bauern haben sich schaarenweise auf allen Bergen ringsum gesammelt, und von hier aus wahrhaft mörderisch unsere Piquets beschossen. Nur wenige Mann von jedem Piquet sind zurückgekehrt, die Andern liegen erschossen da draußen.
Die Sache also scheint ernsthaft zu werden, murrte General von Kinkel. Alle Piquets zurückgeworfen! Das heißt also, die Bauern stehen unmittelbar vor der Stadt?
Die ganze Umgegend von Innsbruck ist in vollem Aufstand, Excellenz, und es scheint, auch die Bürger von Innsbruck sind sehr geneigt, sich der allgemeinen Insurrection anzuschließen. Es finden Zusammenrottungen auf den Straßen statt, und ich vernahm, als ich hierher ging, allerlei drohende Redensarten, begegnete überall nur finstern, trotzigen Gesichtern.
Ah, ich will dieses aufrührerische Volk schon zum Schweigen bringen, und ihre Gesichter sanft und bescheiden machen, rief der General mit drohendem Ton. Alle Plätze der Stadt sollen besetzt, die Innbrücken mit Kanonen bepflanzt werden. Patrouillen sollen die ganze Nacht durch die Straße wandern, und jeder Bürger, der nach neun Uhr auf der Straße betroffen wird, oder Licht in seinem Hause hat, wird erschossen. Eilen Sie sich, meine Herren Officiere, befolgen Sie meine Befehle buchstäblich. Lassen Sie durch die Patrouillen in allen Straßen die Bürger auffordern, sich ruhig zu verhalten und nach neun Uhr sich nicht mehr auf der Straße treffen zu lassen, bei Gefahr ihres Lebens.
Dank diesen Befehlen des Generals herrschte am Abend auf den Straßen von Innsbruck tiefe Stille, kein Mensch war auf den Straßen zu sehen, und wenn die Patrouillen dahermarschirt kamen, fanden sie auch nicht einen einzigen Uebelthäter mehr, an dem sie ihre strenge Kriegsjustiz üben konnten. Aber sobald die Patrouillen sich um eine Straßenecke gewandt hatten, tauchten hier und dort hinter den Häuserpfeilern, den Brunnen oder Crucifixen einzelne dunkle Gestalten hervor, schlüpften leise und mit Katzengeschwindigkeit an den Häusern entlang, und klopften hier und dort an die Scheiben der Fenster. Dann öffneten sich diese leise, man hörte flüstern, hörte das Rauschen eines Papiers, und die Gestalten schlüpften weiter, um am nächsten Hause dasselbe Klopfen und Flüstern zu beginnen.
Die bairischen Patrouillen ahnten nichts von diesen dunklen Raben, die überall hinter ihnen herflatterten, als witterten sie in ihnen schon die Todesbeute; den Bürgern von Innsbruck aber dünkten diese Nachtvögel, die an ihre Fenster klopften, glückverkündende Tauben zu sein, wenn sie auch statt des Oelblattes nur ein Blatt Papier daher brachten. Aber dieses Blatt Papier enthielt Worte, welche alle Herzen beben machten vor Freude und Glück, dieses Blatt Papier verkündete, daß die Oesterreicher bereits in Tyrol eingezogen, daß General Chasteler schon auf dem Anmarsch nach Innsbruck begriffen, daß der Kaiser Franz den Tyrolern die Grüße seiner Liebe sende, und Erzherzog Johann seinen geliebten Tyrolern jeden von Italien kommenden Feind fern halte, ja mit seiner Armee Tyrol befreien und beschützen werde. – Einige der tapferen Passeyrer Schützen hatten es gewagt, sich trotz der Baiern in die Stadt Innsbruck einzuschleichen, und die Patrouillen konnten es nicht verhindern, daß die Bürger von Innsbruck die Freudenkunde von dem Annahen der Oesterreicher empfingen, daß die Tyroler ihnen zuflüsterten: Morgen in der Frühe haltet Euch bereit. Morgen stürmen wir die Stadt, steht uns alsdann bei, werft von Euren Fenstern Steine und Töpfe und was Ihr sonst habt, auf die Baiern, haltet Eure Thüren offen, damit wir hinein können, sorgt für Speise und Trank! Morgen kommen wir! Morgen muß Innsbruck befreit werden von den Baiern!
Und endlich kam dieses Morgen. Endlich dämmerte der Morgen des zwölften April herauf.
Die Baiern hatten gethan, was der kommandirende General von Kinkel ihnen befohlen, sie hatten alle Plätze besetzt, sie hatten auf den Brücken, die über den Inn führten, Kanonen aufgepflanzt.
Aber die Tyroler fürchteten in ihrer Begeisterung diese Kanonen nicht. Sie stürmten heran mit wildem Geschrei, bewaffnet mit Stutzen, Musketen, Heugabeln, Morgensternen, langen Bajonettestangen, oder auch nur mit Dreschflegeln. Sie warfen sich mit unwiderstehlicher Gewalt, mit verwirrendem Getöse, einer wilden Lawine gleich, den Baiern entgegen, drängten diese zurück, erschossen die Kanoniere neben den Geschützen, und waren jetzt schon Sieger der großen Mühlauer Brücke.
Ein ungeheures Triumphgeschrei verkündete diesen ersten Sieg den Bewohnern von Innsbruck, dann sprangen die Tyroler vorwärts, über die Brücke und in die Straßen der Höttinger Vorstadt hinein. Die Thüren der Häuser öffneten sich den Dahereilenden, sie sprangen hinein oder stellten sich hinter den Häuserpfeilern auf, und aus den Fenstern und aus den Verstecken hervor schossen sie auf die Baiern, die dort auf der obern Innbrücke Posto gefaßt hatten, und von hier aus den Tyrolern ihre Kugeln sandten. Doch diese Kugeln strichen nur wirkungslos durch die Straßen dahin, die flinken Tyroler bargen sich, so oft sie kamen, in den Häusern, hinter den Mauern. Aber dann, wenn die Kugeln gefallen waren, traten sie hervor und jodelten und lachten, und neckten und spotteten während sie schossen, bis die ergrimmten Baiern auf's Neue schossen, die singenden Tyroler auf's Neue hinter ihren Verstecken verschwanden.
Auf einmal tönte von der eroberten Mühlauer Brücke her lautes Jubeln und Vivatrufen, und eine hohe, heldenkühne Gestalt, umgeben von einer Schaar bewaffneter Tyroler, erschien auf der Brücke.
Es war Joseph Speckbacher, welcher, nachdem er in rascher verwegener That Hall erobert und vom Feinde befreit hatte, jetzt mit seiner kühnen Schaar daher gezogen kam, den Tyrolern beizustehen im Kampf um Innsbruck.
Die Tyrolerschaaren umringten ihn jubelnd, und erzählten ihm vom Kampf, und daß sie die Baiern schon von der Brücke vertrieben und in die Stadt zurückgeworfen hätten.
Und jetzt bleibt Ihr hier stehen, statt vorwärts zu marschiren? fragte Speckbacher, mit flammenden Blicken nach dem Feind hinüber schauend. Was soll's denn, Ihr lieben Bursche? Warum geht Ihr nit los auf den Feind?
Ohne eine Antwort abzuwarten, riß Speckbacher seinen Hut ab, schwenkte ihn hoch über sich und rief mit laut jubelnder Stimme: Vivat Kaiser Franz! Nieder mit dem bairischen Schwanz!
Ein allgemeines Jubelgeschrei gab Antwort auf diesen glücklich improvisirten Reim Speckbacher's; wie aus einem Munde schrieen und jauchzten Alle: Vivat Kaiser Franz! Nieder mit dem bairischen Schwanz!
Jetzt vorwärts, vorwärts! Die Brücke müssen wir haben! rief Speckbacher. Wer sein Tyrolerland lieb hat, der folge mir nach!
Und in raschen Sätzen, einem zürnenden Bären gleich, sprang er vorwärts der Innbrücke zu.
Die Tyroler rannten, hingerissen von seiner Gluth, ohne zu zaudern, ohne zu überlegen, hinter ihm her, gerade hin auf die Brücke, von welcher die Schlünde der Kanonen ihnen drohend entgegen starrten.
Aber die Tyroler fürchteten nicht die Kanonen, der Tod hatte keine Schrecken mehr für sie, ihr Muth flammte auf in heller Begeisterung, und diese Begeisterung verlieh ihnen unwiderstehliche Kraft und Gewalt. Sie unterliefen die Kanonen, sie erschlugen die Kanoniere mit den Kolben ihrer Gewehre, oder hoben sie bei den Haaren empor und schleuderten sie über den Rand der Brücke hinunter in den brausenden Inn. Dann drehten sie die Geschütze um, und neben ihnen stellten sich einige Studenten aus Innsbruck, die sich den Tyrolern angeschlossen hatten, als Kanoniere auf.
Schaaren von Baiern rückten jetzt auf der Straße daher, die Bauern jubelten ihnen entgegen, die Kanonen donnerten, und schmetterten ganze Reihen der Baiern nieder. Sie wichen zurück, und die Tyroler, die es sahen, stürmten jauchzend vorwärts, drangen in die Stadt, gewannen Straße nach Straße.
Und wohin sie kamen, fanden sie an den Bürgern Hülfe und Beistand; überall, sobald sie in einer Straße erschienen, sobald sich der Kampf mit den ihnen entgegenrückenden Baiern entspann, überall öffneten sich die Fenster, verwandelten sich in Schießscharten, aus denen man niederschoß auf die Baiern; jedes Haus ward eine Festung, jeder Thurm eine Citadelle. Die Baiern, so von allen Seiten, vom Rücken, von der Front, von der Höhe selbst angegriffen, von Straße zu Straße gehetzt, wie wilde Thiere, auf die man Jagd macht, die Baiern verloren endlich alle Besinnung, alle Fassung. Viele von ihnen ließen sich ohne Widerstand, ohne Klage erschlagen, viele von ihnen kämpften mit dem Muth der Verzweiflung, kämpften noch, als sie schon aus mehr als einer Wunde bluteten, und nicht mehr die Kraft hatten, sich aufrecht zu halten.
Und auf einmal jetzt ging ein Jauchzen und Vivatrufen durch alle Straßen dahin, und frohlockend flog durch die Schaaren der Tyroler die Kunde: Major Teimer ist angekommen, er führt ein paar Landsturm-Compagnien mit sich, und mit diesen tapfern Schaaren ist er schon weit vorgedrungen in die Stadt, schon bis zur Hauptwache hin! Er hat das Engelhaus, wo der commandirende General Kinkel wohnt, schon umstellt, und handelt schon mit dem General um Unterwerfung!
Diese unerhörte märchenhafte Siegeskunde fachte die Kampflust der Tyroler nur noch höher an. Mit unwiderstehlicher Gewalt drangen sie vorwärts, in mächtigen Schaaren stürzten sie nach den Kasernen hin und entwaffneten dort alle diejenigen Soldaten, welche noch zur Ausrückung oder Ablösung zurückgeblieben waren. Dann stürmten sie wieder hinaus auf die Straße, weiter vorwärts nach der Hauptwache hin, denn dort hatte sich jetzt ein erbitterter Kampf entsponnen. Dort stand Obrist von Dittfurt an der Spitze seines Regiments, fest entschlossen, lieber zu sterben, als dem elenden Bauerngesindel sich zu ergeben.
Aber dieses elende Bauerngesindel strömte in immer dichteren Schaaren heran, und eine Abtheilung Schützen war schon, von Teimer angeführt, sogar bis in das Haus des Generals, bis in sein Wohnzimmer eingedrungen. Aus den Häusern rings umher aber schossen die Tyroler auf die Soldaten, die, knirschend vor Grimm und Schmerz, nicht einmal die Genugtuung hatten, Vergeltung üben zu können, denn ihre Feinde bargen sich hinter Mauern und Verstecken, sie selber standen wehrlos und mußten es dulden, daß Schuß nach Schuß ihre Kameraden niederstreckte.
Jetzt aber ließen sich da oben an dem Fenster des Generals von Kinkel zürnende, scheltende, befehlende Stimmen vernehmen und ein seltsamer Anblick bot sich jetzt den entsetzten Soldaten dar.
Man sah das zorngeröthete, flammende Antlitz Teimers, sah ihn zum Fenster hinstürzen und mit seinen muskelstarken Armen den General von Kinkel mit dem Oberkörper gewaltsam aus dem Fenster hinaus lehnend.
Ergebt Euch! donnerte Teimer; ergebt Euch, oder ich stoße Euch zum Fenster hinaus auf das Straßenpflaster! v. Hormayr: Geschichte Andreas Hofer's. I. S. 249.
Obrist von Dittfurt, rief der General Kinkel mit kläglicher Stimme hinab, Sie sehen, jeder Widerstand ist unmöglich. Wir müssen uns ergeben!
Nein, schrie der Obrist bleich vor Zorn, nein, wir ergeben uns nicht, nein, wir nehmen nicht die Schmach auf uns, vor der Bauerncanaille die Waffen zu strecken. Wir können sterben, aber wir ergeben uns nicht! Vorwärts, meine tapfern Soldaten, vorwärts!
Und im Sturmschritt eilte Dittfurt, gefolgt von seinen Soldaten, vorwärts auf den Haufen Tyroler hin, die sich eben gegen ihn heranwälzten.
Auf einmal schwankte er und taumelte rückwärts. Zwei Kugeln zu gleicher Zeit hatten ihn getroffen, und in hellen Strahlen schoß das Blut aus zwei Wunden hervor.
Aber diese Wunden, statt seinen Muth zu lähmen, befeuerten ihn noch mehr. Er überwand seinen Schmerz, seine Schwäche, und den Degen hoch schwenkend, drang er vorwärts.
Eine dritte Kugel pfiff heran und traf ihn mitten in die Brust. Er sank zusammen; das Blut quoll ihm in dichten Strömen aus Mund und Nase hervor. Die Tyroler stießen ein Jubelgeschrei aus und näherten sich dem Hingesunkenen, um ihm sein Schwert zu entreißen. Aber noch einmal raffte er sich empor; nicht lebend wollte er den Bauern in die Hände fallen, sterben mußte er, das fühlte er wohl, so wollte er denn sterben auf dem Bette der Ehre, den schönen Soldatentod, nicht als Gefangener der Bauern. Bleich wie ein Todter, gräßlich anzuschauen mit dem vom Blut überströmten Angesicht, und der wankenden, blutigen Gestalt, stürzte Dittfurt vorwärts, und mit Flüchen und wilden Verwünschungen, mit Bitten und Drohungen trieb er seine Soldaten vorwärts nach dem Spital, dort hin, aus welchem die Tyroler ihr mörderisches Feuer auf die Soldaten richteten.
Doch nur ein Paar Schritte erst war er vorwärts gestürzt, da traf ihn eine vierte Kugel und streckte ihn besinnungslos zu Boden.
Sein Regiment, von Entsetzen ergriffen, schrie den Tyrolern zu, daß es sich ergeben wolle, und zum Zeichen dafür, legten die Soldaten ihre Waffen nieder.
Das bairische Cavallerie-Regiment aber, um der Schmach solcher Niederlage zu entgehen, sprengte in wilder Unordnung durch die Straßen dem Thore zu, nach dem Hofgarten dahin. Dort aber hatte sich Speckbacher mit neuen Schaaren aufgestellt, mit den Schaaren der Bauern, die, meist nur mit Heugabeln bewaffnet, aus der nächsten Umgebung nach Innsbruck herangestürmt waren. Aber den entsetzten, verwirrten Cavalleristen erschienen diese Heugabeln als furchtbare, mörderische Waffen, die Läufe der Kanonen würden ihnen minder schrecklich gewesen sein, als diese furchtbaren, in der Sonne blinkenden, zweizackigen Heugabeln, mit denen die schreienden Bauern auf sie los stürmten, und die nicht blos die Reiter, sondern auch ihre Pferde stutzen machten. Gräßlicher und schmachvoller schienen den Soldaten die Wunden der Heugabeln als selbst eine Niederlage, als selbst der Tod. Fast besinnungslos, kaum wissend, was ihnen geschah, nicht mehr im Stande, sich zur Wehre zu setzen, ließen sie sich von den sie umringenden Bauern von ihren Pferden herunterreißen und reichten stumm ihre Waffen dar. Und auf die Pferde schwangen sich jetzt die Tyroler, und im feierlichen Triumphzug, voran Joseph Speckbacher, führten die mit den Pferden der bairischen Cavalleristen berittenen Tyroler die zu Fuß gehenden Baiern als ihre Gefangenen nach Innsbruck zurück. Ebendaselbst S. 250.
Dort auch hatten sich die Feinde jetzt ergeben und die Kasernen, welche bis gestern noch den Unterdrückern der Tyroler, den bairischen Soldaten, als Wohnung gedient, sie wurden jetzt den Besiegten zum Gefängniß. Von den Tyrolern bewacht, wehr- und waffenlos, wurden die Baiern in die Kasernen getrieben, deren Thore sich dröhnend hinter den Besiegten schlossen.
Innsbruck war nun frei, kein bewaffneter bairischer Soldat weilte noch in der Stadt, nur die Schaaren der Tyroler, deren Zahl jetzt zu mehr denn fünfzehntausend angeschwollen war, ergossen sich jubelnd durch alle Straßen von Innsbruck und jauchzend einten sich mit ihnen die Bürger und dankten den muthigen Bauern für ihre Befreiung von der Fremdherrschaft. Die Stadt, welche drei Stunden lang eine einzige wilde Scene des Schreckens, der Verwüstung, des Todes und Blutes dargeboten, sie war jetzt um die Mittagsstunde durchrauscht von Jubel und Lust; man hörte nichts mehr als frohes Jauchzen, als Jodeln und Singen, nichts als Liebesgrüße für den Kaiser Franz, für's geliebte Tyrolerland.
Und jede Minute brachte neue Lust, neues Jauchzen. Da kamen die siegreichen Tyroler mit den gefangenen Cavalleristen daher, ihnen voran ritt der stolze, siegflammende Speckbacher, und dann folgte, den Tyrolern voraufschreitend, die Musikbande der Bauern. Zwei verstimmte Geigen, zwei gellende Pfeifen, zwei eiserne Hafendeckeln und mehrere Maultrommeln, das waren die sämmtlichen musikalischen Instrumente der Tyroler. Aber die Musici pfiffen und geigten und schlugen doch mächtig und lustig drauf los, und den Städtern dünkte die Bauernmusik weit schöner und lieblicher, als die stolze und schöne Musik, welche die bairischen Soldaten ihnen bis dahin aufgespielt.
Wieder schallte jetzt lauter Jubel durch die Straßen. Ein anderer Trupp Tyroler kam daher und einen kostbaren Schatz brachte man, einen aus Holz geschnitzten österreichischen Doppeladler, den man so eben aus der Innsbrucker Hofkirche geholt. Dort hatte er, unbeachtet und unbemerkt von den Baiern, hoch oben über dem Mausoleum des Kaisers Maximilian gestanden. Jetzt ward er den Tyrolern ein Zeichen des Sieges, ein Gruß der Liebe vom wiedergewonnenen Oesterreich. Im Triumph trugen sie den Adler durch die Straßen und hefteten ihn endlich an ein Haus auf dem großen Marktplatz an.
Ein wunderbares, rührendes Liebesgedränge entstand jetzt. Alle diese Tausende schoben sich jetzt dem Platz zu, auf welchem der Adler Oesterreichs sich erhob. Jeder wollte ihn sehen, Jeder wollte ihn küssen und seine Arme um ihn legen zum freudigen Willkommengruß. Die Tyroler, die kurz zuvor noch gekämpft hatten, wild und kühn wie die Löwen, sie waren jetzt weich und sanft wie Lämmer; ihre Augen, die eben noch Flammen der Wuth und Begeisterung gesprüht, sie erglänzten jetzt im sanften Strahl der Liebe oder waren von Thränen umflort, von Thränen, welche die Freude, die Rührung über den Anblick des geliebten Adlers in ihre Augen getrieben. Wie zum Gottesdienst, zum Kuß einer heiligen Reliquie, nahte man sich dem Adler. Keiner durfte zu lange dabei verweilen, denn die sehnsüchtige Ungeduld seines Nachfolgers drängte ihn weiter. Nur ein Greis mit silberweißem Haar, aber immer noch von kräftiger, ungebeugter Gestalt, ließ sich nicht so schnell weiter drängen. Vor einer Stunde noch hatte er in den Schaaren der Tyroler gekämpft wie ein Löwe, und Zorn und Wuth hatten aus seinem Antlitz geflammt; jetzt, bei dem Anblick des österreichischen Adlers, war er sanft und weich wie ein Lamm, und aus seinem Antlitz sprach nur noch Liebe und Rührung und glückselige Freude. Mit seinen beiden Armen umschlang er den Adler und küßte ihm seine beiden Häupter und seine vergoldeten Kronen und rief, ihm die geschnitzten Federn zärtlich streichelnd; gelt, Du Saggra-Schwanz, sein Dir doch halt die Federn wieder gewachsen? Bist wieder hergeflogen in's getreue Tyrol und willst halt bei uns bleiben? Willst –
Laut schallender Jubel, der die Straße herauf tönte, unterbrach ihn, eine neue Schaar Tyroler kam daher, und ihnen vorauf, tanzend und jubelnd, und umdrängt von jodelnden, mit der Zunge schnalzenden, mit den Fingern schnippenden Tyrolern, gingen vier Bauern, je zwei und zwei, ein paar, in schöne Goldrahmen gefaßte Portraits daher tragend.
Unermeßlicher Jubel erfüllte die Luft beim Anblick dieser beiden Portraits. Jedermann hatte sie erkannt, diese Portraits des Kaisers Franz und des Erzherzogs Johann, welche die Bauern soeben in dem vormaligen kaiserlichen Residenzschloß aufgefunden hatten.
Vivat Kaiser Franzl! Vivat unser Hannes! tönte es von allen Straßen, aus allen Häusern, an denen der Zug vorüber kam. Selbst der so zärtlich begrüßte österreichische Adler ward vergessen über den Anblick der beiden Bilder, und Alles strömte ihnen nach in feierlicher Prozession der Liebe, der Treue.
Durch die ganze Stadt bewegte sich diese Prozession dahin, bis man endlich zu der Triumphpforte gelangte, welche einst Maria Theresia zur Vermählungsfeier ihres Sohnes Leopold hier hatte errichten lassen. Jetzt hefteten die Tyroler an diese Triumphpforte die Bilder der beiden Söhne Leopold's, und um sie her zündete man Lichter an, wie um die Bilder verehrter Heiliger, und vor ihnen, mit Thränen, mit Grüßen der Liebe, des Entzückens, beugten sich die siegreichen Tyroler in den Staub und nannten sie ehrfurchtsvoll ihre geliebten Herren. – Wehe Dem, der es hätte wagen wollen, mit bedecktem Haupte vorüber zu gehen. Die Tyroler rissen ihm dem Hut vom Kopf, und zwangen ihn niederzuknieen.
Da schaust her, riefen sie, gelt, der Franzl, das ist doch ein Anderer! Na, kennst unsern Hannes nit mehr, unsern guten Hannes? Schaut nur, ist's nit halt, als wenn der Hannes uns zulacht, als wär' er froh, daß er wieder da ist, und uns wieder anschauen kann? Vivat unser lieber Erzherzog Hannes!
Und ein Jubelgeschrei, ein Jauchzen und Jodeln erhob sich, das, wenn der Erzherzog Johann es hätte hören können, ihm das Herz mit Entzücken, die Augen mit Thränen würde gefüllt haben.
Dies Jubeln, dies Jauchzen, dies Begrüßen des Adlers und der Portraits dauerte den ganzen Tag. Die ganze Stadt hatte jetzt ein festliches Aussehen gewonnen, und die freudetrunkenen Tyroler dachten heut kaum an Speise und Trank, noch weniger an irgend eine Gefahr. Sie sangen und jubelten, und tranken und lachten, und dann als die Nacht hereinbrach, sanken sie erschöpft von den Kämpfen, mehr noch von den Freuden des Tages, da, wo sie standen, auf den Straßen, in den Gärten, auf den Feldern, zur Erde, und schliefen ein.
Tiefe Stille herrschte jetzt auf den Straßen von Innsbruck. Dunkel war es überall, nur von den Bildern des Kaisers und des Erzherzogs Johann flimmerte noch heller Lichterglanz, und vom Himmel hernieder schauten die Sterne auf die sorglosen, glücklichen Schläfer, auf die Sieger des heutigen Tages.
Sie schliefen und träumten von Sieg und Glück, – wehe ihnen, wenn sie zu lange schlafen, wenn sie zu spät erwachen, denn der Feind schläft nicht! Er wacht und naht, indeß die Sieger schlafen!