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VI.
Die Capitulation von Wiltau.

Die Tyroler schliefen immer noch, und tiefe Stille herrschte noch auf den Straßen von Innsbruck, obwohl der Tag schon heraufdämmerte, und die Spitzen der Berge aufleuchten machte in purpurrother Gluth. Auf einmal aber ward diese Stille unterbrochen von einem seltsam lauten, wimmernden Ton, der wie aus der Luft, aus der Höhe und Weite erschallte, ein zweiter, ein dritter Ton folgte, und nun, als gäbe sie Antwort auf diesen Mahnungsruf aus der Ferne, schmetterte die große Glocke des Doms von Innsbruck mit drohender Stimme ihren Weckeruf den müden Schläfern zu.

Sie richteten sich auf, sie horchten noch halb verschlafen auf dieses seltsame Tönen und Klingen in der Luft; da sprengten zwei Reiter durch die Straßen daher, und wie eine Schlachttrompete hallten ihre Stimmen an die Ohren der Tyroler.

Auf, Ihr Schläfer, rief Joseph Speckbacher, hört Ihr die Sturmglocken nicht? Auf, auf, den Stutzen zur Hand, die Franzosen und Baiern sind vor den Thoren, und es gilt heut einen neuen Tanz mit ihnen zu machen.

Auf, Ihr Tyroler, rief Major Teimer, die Franzosen und Baiern kommen. Wir wollen sie nicht herein lassen nach Innsbruck. Wir müssen die Thore absperren und verschlagen. Wir müssen Barricaden bauen in den Straßen.

Die Tyroler sprangen empor, frisch, lebendig und kampfbereit. Der Schlaf hatte sie gestärkt, der gestrige Sieg hatte ihren Muth gestählt. Der Feind war da, zum zweiten Mal galt es, ihn zu besiegen.

Jetzt wimmerten und heulten die Sturmglocken von allen Thürmen Innsbrucks, von allen Dörfern der Umgegend, und riefen die Streitbaren auf zum Kampf gegen den verhaßten Feind, dessen Avantgarde man schon da oben, auf den Höhen der Berge erkennen konnte. Ja, kein Zweifel mehr, das waren Baiern und Franzosen, die jetzt darnieder stiegen von der Höhe, und sie nahten in starken Colonnen, in überlegener Zahl.

Ein Tyroler kam jetzt in die Stadt gerannt. Die Franzosen kommen, rief er keuchend, athemlos. Ich bin über's Gebirg' daher gerannt, es Euch zu sagen. Es ist der General Bisson mit ein paar tausend Franzosen, und der Obristlieutenant Wreden mit ein paar hundert Baiern. Wir haben ihnen vorgestern hart zugesetzt an der Laditscher Brück' und an der Mühlbacher Klause, aber ihre Zahl war zu groß, denn gestern stieß noch eine andre Colonne Franzosen zu ihnen, und so haben wir sie nit aufhalten können, und mußten sie ziehen lassen. Es sind ihrer Hunderte von uns erschossen und getödtet, aber ihrer Tausende sind am Leben geblieben, und kommen jetzt nach Innsbruck.

Sie kommen nicht nach Innsbruck, denn wir sind noch viel mehr Tausende, und wir lassen sie nit herein, rief Speckbacher mit frohem Muth.

Nein, wir lassen sie nit herein, es müßt' denn sein, daß wir sie hereinbrächten, wie Ihr gestern die Cavalleristen herein brachtet, um sie in die Kaserne zu sperren, sagte Major Teimer.

Ja, ja, das wollen wir, schrieen die Tyroler, wir wollen die Franzosen nach Innsbruck hereinlassen, aber nur als unsere Gefangene.

Nun denn, an's Werk, Ihr lieben Männer, rief Speckbacher. Wir müssen uns festmachen gegen den Feind. Sind wir gestern einmal so weit gegangen, so können wir heut' nit wieder zurück, und nit wahr, wir wollen's auch nit?

Nein, wir wollen's auch nit! schrieen die Tyroler.

Wir haben den österreichischen Adler wieder aufgerichtet, sagte Major Teimer, und die Bilder des Kaisers und unsers lieben Erzherzogs schauen uns von der Triumphpforte an. Sie sollen halt sehen, daß wir gute Soldaten und getreue Landeskinder sind. Auf, auf, an's Werk! Verbarricadirt die Stadt, die Straßen, die Häuser, gießt Kugeln, bringt die Waffen in Ordnung. Die Franzosen kommen! Hurrah! Es lebe der Kaiser Franz und der Erzherzog Hannes!

Ein unermeßliches Jubelgeschrei gab Antwort, und dann stürzten die Tyroler durch alle Straßen, um, der Ordre Teimer's gemäß, die Stadt zu verbarricadiren.

Man rollte Lastwagen, Fässer und Ballen herbei, und verrammelte damit die Triumphpforte, das Thor, durch welches der Feind einziehen mußte, man hob die Steine des Straßenpflasters aus und errichtete damit an den Straßenecken große Barricaden, man verrammelte die Thüren der Häuser, in denen fanatische Frauen Oel und Wasser siedend machten, um, wenn der Feind wirklich in die Stadt einziehen sollte, es auf die Köpfe der vorüberziehenden Soldaten auszuschütten; man goß Kugeln, und trug Steine auf die Dächer, um die Feinde zu zerschmettern, und dazu heulten und wimmerten die Sturmglocken fortwährend, als wollten sie noch anfeuern zu rascherer Arbeit, zu muthvollerer Wachsamkeit.

Diese Sturmglocken aber, sie hatten nicht blos die Tyroler erweckt, sondern auch die gefangenen Baiern, welche in den Kasernen eingeschlossen waren, und sie verstanden, was die Sturmglocken sagten und verkündeten. Den Tyrolern sagten sie: »der Feind, Euer Feind naht! Er wird Euch angreifen! Seid auf Eurer Huth!« Ihnen, den Gefangenen, verkündeten: »Euer Freund naht! Er wird Euch befreien! Haltet Euch bereit!« Und nun begannen die Baiern unruhig zu werden, nun belebten sich ihre Blicke, nun, schwanden die Wolken von ihren gedemüthigten Stirnen, und mit höhnendem Jubel, mit drohend erhobenen Fäusten traten sie vor die sie bewachenden Tyroler hin, und schrieen: unsere Freunde kommen! Sie werden uns befreien, sie werden uns erlösen, und dann wird das Strafgericht über Euch Alle herein brechen, dann werden wir blutige Rache nehmen für die Schmach, die Ihr uns angethan! Hurrah! unsere Freunde nahen! Bald werden wir frei sein!

Nein, das werdet Ihr nicht sein, rief eine laute donnernde Stimme, und in der Mitte des großen Schlafsaals, in welchem die Baiern sich befanden, erschien plötzlich die hohe herculische Gestalt Joseph Speckbacher's. Er hatte im Vorübergehen vor der Kaserne das Jubelgeschrei der Gefangenen gehört, und war eingetreten, um zu hören, was es gebe.

Nein, sagte er jetzt zum zweiten Mal, Ihr werdet nicht frei werden, und Ihr sollt nicht denken, daß wir so dumm sind, Euch wieder loszulassen. Freut Euch also nit, daß die Franzosen und Eure Landsleut' kommen, denn ich sag's Euch und ich schwör's Euch bei der heiligen Mutter Gottes, sobald die Franzosen in die Stadt als Sieger einziehen, wird's unsere letzte That sein, daß wir Euch allesammt ermorden, und nit einen Einzigen von Euch Allen übrig lassen. Hört's, Ihr Tyroler, die Ihr die Wach' habt über unsere Gefangenen, wenn sie sich nit fein ruhig halten, wenn sie Lärmen machen, und Euch gar drohen, so schießt die Rädelsführer nieder. Wenn aber der Feind in die Stadt kommt, so schießt Ihr sie Alle nieder, und lasset mir keinen Einzigen von ihnen übrig. v. Hormayr: Geschichte Andreas Hofer's. I. S. 253. Wir wollen nit die Schand' haben, daß wir dem Feind ein paar tausend Soldaten wieder zuführen. Es müssen also hier an allen Thüren die Wachen vervierfacht werden, und bei dem ersten Anlaß schießt Ihr los! Jetzt wißt Ihr, was geschieht, und wonach Ihr Euch zu richten habt, Ihr Baiernvolk!

Und mit einem stolzen Kopfnicken verließ Joseph Speckbacher den Saal; die horchenden Baiern hörten aber gar wohl, wie er draußen den Schildwachen an allen Thüren seine strengen Befehle wiederholte, und wie alle Tyroler sie mit zustimmendem Geschrei beantworteten.

Nun ward es still in den Sälen, die Gefangenen verstummten und drängten ihre Hoffnungen, ihre Wünsche in die Tiefe ihrer Herzen zurück, und beteten nur leise für ihre nahenden Freunde, verwünschten nur leise ihre drohenden Feinde, das Bauerngesindel!

Die Sturmglocken läuteten fort und fort, und ihre unheilsvollen Töne drangen auch hinein in die große Hauptwache, und sprachen auch zu den Gefangenen, die dort sich befanden. Der eine dieser Gefangenen war ein düsterer, in sich gebrochener Greis, der General von Kinkel, der andere war ein todeskranker, im Fieberwahnsinn wüthender Jüngling, der Obrist von Dittfurt.

Die Kugeln der Tyroler hatten ihn nicht getödtet, er lebte noch, er lebte als der Gefangene der Bauern, und er hatte inmitten seiner Fieberphantasieen, seiner Todesqualen, doch das Bewußtsein davon. Dieses Bewußtsein aber machte ihn rasend vor Wuth, es trieb Worte wilder Verwünschung auf seine blutlosen kalten Lippen, es fuhr wie sengende Blitze noch mitten durch die dunkeln Todesqualen hindurch, die sich allmälig über die zerschmetterte blutige Gestalt niedersenkten. Er schrie vor Schmerz, er brüllte vor Zorn, er rief die Rache des Himmels hernieder auf das »Bauerngesindel«, welches es gewagt, ihn, den stolzen Obristen, ihn, den vornehmen Mann, anzutasten, und ihm nicht blos das Leben, sondern auch die Ehre anzugreifen.

Die ganze Nacht schon hatte er so getobt und gewüthet, und furchtbar war es, diese Worte voll Verachtung, Haß und Ingrimm von den Lippen eines Sterbenden zu vernehmen, furchtbar, diese von Wunden bedeckte blutige Gestalt auf dem blutigen Lager zu sehen, die sich wand in den Zuckungen des Todes, und doch nicht sterben konnte, weil der zornige Haß ihn immer aufs Neue belebte. Jetzt, beim Beginn des Morgens, war der Major Teimer mit einer Schaar Tyroler in die Hauptwache gekommen, und während er sich mit einigen derselben zum gefangenen General Kinkel begeben, waren die andern Tyroler in das Gemach des Obersten von Dittfurt gegangen, um das Wunder zu schauen, daß ein Mann, dem eine Kugel mitten durch den Kopf gegangen, doch noch Lebenskraft genug in sich habe, um vierundzwanzig Stunden lang zu toben, zu verwünschen und zu fluchen.

Allgemach also hatte sich das ganze Zimmer angefüllt mit Tyrolern, die gestern noch die erbitterten Feinde des Obristen gewesen, die heute aber mit tiefem Mitleid, mit versöhntem Herzen auf die arme, zerfetzte Menschengestalt hinblickten, die am Rande des Grabes selber noch es verschmähte, den Bauer als den gleichberechtigten Menschen, als den Bruder des Edelmanns zu betrachten.

Mit weit aufgerissenen Augen lag der Obrist von Dittfurt auf seinem Lager und starrte die Tyroler an, die in dichten Schaaren ihn umstanden. Seit einigen Minuten waren die Scheltworte und Flüche auf seinen Lippen verstummt, und er schien mit aufmerkendem Ohr auf das dumpfe Getöse der Glocken zu hören, die fort und fort die Kämpfer riefen.

Sind das meine Sterbeglocken? fragte er müde. Bin ich denn schon gestorben, und ist es der Tod, der mir so schwer auf der Brust liegt?

Nein Herr, Ihr lebt noch, sagte einer der Tyroler mit leiser, sanfter Stimme. Ihr lebt, und das da draußen sind nur die Sturmglocken, die uns aufgeweckt haben, weil die Franzosen und die Baiern im Anmarsch sind.

Die Baiern sind im Anmarsch! Die Unsern kommen! rief Dittfurt jubelnd, und er richtete sein Haupt empor, als wolle er sich erheben von seinem Lager. Aber die eiserne Hand des Todes hatte sich schon ausgebreitet über ihn und hielt ihn gefesselt. Sein Haupt sank schwer auf das Kissen zurück, und der Blick seiner' Augen ward starrer, glanzloser.

Sie haben mich besiegt, sagte er nach einer Pause, ich weiß es, ich bin der Gefangene der Bauern, und sie sind es, die mich hier auf dem Lager festhalten, daß ich nicht hinaus, nicht mehr kämpfen kann. Oh, oh, wie weh das thut! Ein Gefangener der Bauern! Aber sie haben gekämpft wie Männer, und ihr Anführer muß doch ein tüchtiger und tapferer Kriegsheld gewesen sein! Wer war der Anführer der Bauern?

Niemand, Herr, Niemand hat uns angeführt, sagte der Tyroler, auf den die Blicke des Sterbenden sich hefteten. Wir hatten gar keinen Anführer. Für Gott, für Kaiser und Vaterland haben wir Alle gekämpft und gestritten nach unserer eigenen Einsicht und nach besten Kräften, Einer für Alle und Alle für Einen.

Nein, nein, sagte Dittfurt mit lallender Zunge, das ist nicht wahr, ich weiß es besser! Ich habe oft genug den Anführer der Bauern gesehen, wie er an mir vorbeisprengte. Er saß auf einem blendend weißen Pferde, sein Antlitz leuchtete wie der Himmel, seine Augen funkelten wie Sterne, und in seiner Hand hielt er ein Schwert, das glänzte wie ein Sonnenstrahl. Ich habe ihn gesehen, den Anführer der Bauern, er ritt immer an ihrer Spitze, er führte sie in den Kampf, ich –

Seine Lippen verstummten, der Blick seines Auges ward starrer, die Schatten des Todes senkten sich tiefer auf seiner von kaltem Schweiß bedeckten Stirn.

Die Tyroler achteten nicht mehr auf ihn. Sie schauten sich unter einander an mit staunenden begeisterten Blicken. Er hat einen Anführer an unserer Spitze gesehen? fragten sie sich. Einen Anführer auf blendend weißem Roß, mit einem Schwert in der Hand, das wie Sonnenstrahlen funkelte? So ist denn der heilige Jacob, der Schutzpatron von Innsbruck, gestern unser Anführer gewesen! Ja, ja, so ist es! Der heilige Jacob hat, ohne daß wir's wußten, uns angeführt, dem Feind hat er sich sichtbar gemacht, und hat ihn in die Flucht geschlagen. Habt Ihr's nicht gehört, Ihr Brüder, was uns die frommen Paters erzählt haben von den Spaniern, die auch aufgestanden sind, um gegen den Bonaparte, den bösen Feind des Papstes und aller guten Christen, zu fechten? In Spanien hat sich auch der heilige Jacob an die Spitze der frommen Landleute gestellt, und hat ihre Schaaren angeführt gegen den Bonaparte und seine Franzosen, und hat ihnen auch den Sieg verliehen über den bösen Feind, der ihnen ihr Vaterland und ihre Freiheit stehlen wollt. Und jetzt, da der heilige Jacob in Spanien mit den Franzosen fertig ist, jetzt kommt er hierher zu uns und will uns beistehen. Der heilige Jacob, unser Schutzpatron, ist unser Anführer! Er steht uns bei, und ficht mit uns!

Und die Tyroler, nicht achtend des Obristen, der sich eben in den letzten Todeszuckungen wand, stürzten aus dem Gemach, um den Brüdern draußen das Wunder zu verkünden, und die Kunde davon lief wie ein Lauffeuer von Haus zu Haus, von Straße zu Straße, und Alles jubelte und rief: Der heilige Jacob, unser Schutzpatron, ist unser Anführer! Er steht uns bei, und ficht mit uns! Gallerie der Helden: Andreas Hofer. S. 41. Und dieser Glaube fachte die Begeisterung der Tyroler noch höher an, und mit todesverachtendem, freudigem Muth blickten sie hin auf den Feind, der jetzt schon ganz nahe an die Stadt herangekommen war, und auf der Ebene bei dem Dorfe Wiltau sich aufzustellen begann. Von den der Triumphpforte zunächst gelegenen Häusern konnten die Tyroler ganz genau die Stellung des Feindes überschauen, sogar die verschiedenen Uniformen der Franzosen und der Baiern unterscheiden. Dort oben auf dem Dach eines Hauses standen Speckbacher und Teimer, und mit ihren Augen, die hell waren und flammend wie die des Adlers, überschauten sie prüfend die Lage des Feindes und ihre eigene. Dort vom Dorfe Wiltau an bis zum Sillfluß hinunter stand der General Bisson mit den Franzosen, hier rechts von Wiltau bis nach dem Inn hin stand der Obrist Wreden mit den Baiern, die Front der Stadt zugekehrt.

Jetzt müssen wir sie einschließen wie in einer Mausefalle, und ihnen gar kein Luftloch zum Fortlaufen übrig lassen, sagte Major Teimer mit listigem Augenzwinkern. Meinst nit auch, Speckbacher?

Ich mein's gewiß, bestätigte Speckbacher. Der Berg Isel da drüben im Rücken der Baiern, den. müssen wir besetzen mit unsern besten Schützen, wohl ein paar tausend Mann stark, und von da aus müssen wir auf die Feind' bombardiren, daß die Angst sie vorwärts treibt gen Innsbruck zu. Hier aber wollen wir sie empfangen, wie's ihnen gebührt, und wollen ein hübsches Treibjagen halten, bis sie entweder allmitsammen todt sind, oder die Waffen strecken. Es kommt nur darauf an, ihnen den Rückzug unmöglich zu machen und sie zwischen zwei Feuern zu haben.

Hast Recht, Speckbacher, bist ein gar geschickter Soldat, und wärst mehr werth, General zu sein, als mancher Andere, als der General von Kinkel zum Beispiel. Ein altes Waschweib ist der, hat geflennt und geflucht in einem Athem, als ich jetzt bei ihm war, schreit immer er möcht' sich's Leben nehmen, und hat doch nit den Muth dazu, und hat doch lieber das gethan, was ich von ihm forderte.

Und was hast von ihm gefordert, Teimer?

Hab' gefordert, daß er mir sollt' ein offenes Schreiben an den französischen Obergeneral Bisson geben, und sollt' den Franzosen darin auffordern, Jemand in die Stadt zu schicken, der sich und ihn von der wahren Lage der Dinge, von der übermäßigen Stärke und Wuth der Tyroler, von der Unmöglichkeit überzeuge, uns zu besiegen, oder sich mit Waffengewalt einen Ausweg zu bahnen.

Und solch' ein Schreiben hat der alte General von Kinkel Dir gegeben?

Er hat's gethan, und jetzt will ich's hinaus schicken in's französische Lager. Nun müssen wir Alles herstellen und ordnen, damit, wenn der französische General Jemanden in die Stadt schickt, er unsere Stärk' und Macht auch recht erkennen und einsehen kann, daß er viel zu schwach ist uns zu besiegen. Vor allen Dingen aber müssen ein paar tausend Schützen hinaus auf den Iselberg, und rings auf die Höhen, damit wir dem Feind den Rückweg abschneiden. –

Das Schreiben, welches Major Teimer dein General von Kinkel abgetrotzt, hatte aber in der That die Wirkung, welche Teimer davon erhoffte. General Vision sandte einen seiner Stabsofficiere nach Innsbruck und diesen begleitete der Obrist von Wreden, der Anführer der Baiern. Einige andere Officiere folgten den beiden und begaben sich mit ihnen zum Major Teimer, der sie auf der Hauptwache, umgeben von den angesehensten Tyrolern, empfing.

Indessen erwartete General Bisson mit glühender Ungeduld die Rückkehr der beiden Abgesandten, und die Augen immerfort gen Innsbruck gerichtet, ging er unruhvoll auf und ab. Aber schon mehr als eine Stunde war vergangen, und immer noch ließen die Abgesandten vergeblich auf sich warten. Sorgenvolle Unruhe erfüllte jetzt die Brust des französischen Generals; er kannte die gefahrvolle Lage, in welcher er sich befand, und er konnte sie seinen Truppen nicht mehr verhehlen. Er hatte es auf dem Wege hierher, an der Eisackbrücke, dem Sterzinger Moos und in der Mühlbacher Klause schmerzlich erfahren, daß die Franzosen es mit einem erbitterten, todesmuthigen Feinde zu thun hatten, daß das ganze Land hinter ihnen im Aufstand war, er sah jetzt, daß auch vor ihnen keine Hülfe mehr, daß auch dort die Bewohner des Landes sich mit drohender Gewalt gegen die Eindringlinge erhoben, und er wußte außerdem, daß General Chasteler mit den Oesterreichern im Anmarsch sei.

Wir werden hier sterben und zu Grunde gehen, denn wir sind rings umstellt, sagte General Bisson düster vor sich hin. Es giebt keinen Ausweg mehr für uns, und am Ende werden wir uns zu der Schmach erniedrigen müssen, mit dem Bauernvolk zu capituliren. Aber wo bleiben nur die Herren Officiere?

Und wieder richtete Bisson seine spähenden Blicke nach Innsbruck hin. Jetzt sah er im eiligen Lauf zwei Männer daher kommen. Er erkannte sie, es waren die Begleiter seines Stabsofficiers und des Obristen von Wreden, und an ihren bleichen entsetzten Mienen sah er, daß sie ihm schlimme Botschaft brachten.

Wo sind die beiden Herren, welche ich nach Innsbruck gesandt? fragte er, ihnen rasch entgegentretend.

Sie sind gefangen in Innsbruck zurückgeblieben, stammelte der Eine.

Der Major Teimer sagte, er habe keine Verpflichtung gegen diese Herren übernommen, und er wolle sie als Geißeln zurück behalten, keuchte der Andere. Uns aber ließ er durch die ganze Stadt führen, damit wir uns von der Stärke und Macht der Tyroler überzeugen, und ihre furchtbaren Rüstungen sehen sollten. Oh, Excellenz, die Bauern sind uns mehr als doppelt überlegen, denn sie sind gegen zwanzigtausend Mann stark, sie sind gut bewaffnet und die berühmtesten Schützen von Tyrol, die verwegensten Anführer sind unter ihnen.

Bah, und wären sie uns zehnfach überlegen, rief General Bisson, zehn Bauern können nicht so viel Courage haben als Ein Soldat von der großen Armee meines glorreichen Kaisers. Wir wollen ihnen beweisen, daß wir sie nicht fürchten! Wir wollen angreifen. Da drüben hat sich ein Trupp Tyroler aus der Stadt herausgewagt. Gebt Feuer auf sie! Schießt, bis Keiner von ihnen mehr übrig ist!

Die Schüsse krachten, die Donner der Kanonen rollten, aber nicht Einer von den Tyrolern war gefallen, sie hatten sich zur Erde niedergeworfen, und die Schüsse über sich hinsausen lassen. Aber jetzt sprangen sie empor, jetzt beantworteten sie die Schüsse des Feindes, und nicht eine von ihren Kugeln ging fehl, sie trugen den Tod in die Glieder der Feinde. Zu gleicher Zeit begannen im Rücken der Franzosen und Baiern die auf dem Berge Isel aufgestellten Tyroler ihr Feuer und schmetterten ganze Reihen der Soldaten nieder.

Entsetzt schaute General Bisson sich um nach diesem neuen Feind, der gedeckt von dem dichten Wald, welcher, fast bis zur Höhe des Berges Isel hinaufsteigend, die Tyroler unsichtbar machte, und gegen den Feind sicheren Schutz gewährte.

Wir stehen jetzt zwischen zwei Feuern, murmelte er entsetzt vor sich hin, wir sind wie in einem Netz gefangen und werden aufgerieben werden bis auf den letzten Mann.

Und dieses Gefühl, diese Ueberzeugung ergriff jeden Einzelnen der Soldaten, malte sich in ihren stieren, bleichen Mienen, sprach aus ihren entsetzten Blicken.

Plötzlich verstummte das Feuer der Tyroler, das schon einige hundert Franzosen niedergestreckt hatte, und aus der Triumphpforte von Innsbruck kamen einige Herren, weiße Tücher in den Händen schwenkend, daher, grade auf die Franzosen zu.

Es war der Major Teimer, begleitet von einigen Beamten und Bürgern von Innsbruck. Er sandte einen derselben zu dem General Bisson und ließ ihn zu einer Unterredung auf dem freien Platze im Dorfe Wiltau einladen.

General Bisson nahm die Einladung an, und begab sich mit der Generalität und einigen bairischen Officieren an den bezeichneten Ort.

Major Teimer mit seinen Begleitern war schon dort, und empfing den General und seine vornehmen Begleiter mit einem stolzen herablassenden Kopfnicken.

Herr General, sagte er, ohne die Anrede des hochgestellten Herrn abzuwarten, Herr General, ich bin hierher gekommen, um Sie aufzufordern, sich zu ergeben, und den Befehl zu ertheilen, daß Ihre Soldaten die Waffen niederlegen.

General Bisson sah mit einem Lächeln des Erstaunens auf den Bauer, der es wagte, mit solcher Ruhe und Gelassenheit ein so unerhörtes Ansinnen an ihn zu stellen.

Mein Lieber, sagte er, ich bin überzeugt, daß Sie durchaus nicht im Ernst so sprechen, und sehr gut wissen, daß wir eine solche Anforderung niemals erfüllen können und werden. Ueberdies sind wir durchaus nicht in der Lage, uns Bedingungen vorschreiben zu lassen. Nichts destoweniger bin ich bereit, einige Zugeständnisse zu machen. Ich gebe Ihnen also mein Ehrenwort, daß ich weder angreifen, noch auch der Stadt Innsbruck nur das mindeste Leid zufügen will. Dafür fordere ich auch friedlichen freien Durchzug durch Innsbruck, um mich, den Befehlen meines Kaisers gemäß, nach Augsburg zu begeben.

Und Sie glauben, daß wir so thöricht sein würden, Ihnen das zu bewilligen, Herr General? fragte Teimer achselzuckend. Ich laß mich nit handeln und dingen, sondern es bleibt bei meinem ersten Ausspruch. Sie geben entweder Befehl, daß die ganze Truppe das Gewehr strecke, oder sie müssen Alle, bis auf den letzten Mann, über die Klinge springen.

Nein, so wahr mir Gott gnädig ist, nie werde ich ein so übermüthiges Begehr annehmen, rief der General empört, nie werde ich die Schmach auf mich laden, eine solche schimpfliche Capitulation angenommen zu haben.

Dann, mein Herr General, werden Sie heute noch vor dem Throne Gottes erscheinen, um Rechenschaft zu geben über das Leben dieser Tausende, die Sie heute dem nutzlosen Tode weihen. Denn sie werden und müssen Alle sterben, es giebt kein Entrinnen mehr. Sie wissen das auch, Herr General, sonst wären Sie, der stolze General des Herrn Bonaparte, der Befehlshaber von ein paar tausend so schöner französischer Truppen, gar nicht hierher gekommen, um mit dem Anführer des Bauernvolks, das gar nicht exerciren gelernt hat, und gar keine Uniform trägt, zu unterhandeln. Sie wissen, daß Sie den Feind im Rücken, den Feind vor sich haben. Die Unsrigen haben den Berg Isel besetzt, hinter dem Berg Isel ist das ganze Land aufgestanden. Sie können nicht mehr zurück, Sie können aber auch nicht mehr vorwärts, denn Sie werden nie und nimmer mehr durch Innsbruck gelangen, und einen andern Weg nach Augsburg giebt's nicht. Wir haben die Stadt verbarricadirt, und gegen zwanzigtausend von den Unsern liegen in und um Innsbruck.

Aber ich verspreche ja jeden Kampf, jede Feindseligkeit zu vermeiden. Ich will ja nur friedlichen Durchzug durch die Stadt erlangen, und damit Sie unserer friedfertigen Gesinnung ganz sicher sind, verspreche ich, daß wir mit abgeschraubten Flintensteinen und ohne Munition weiter ziehen wollen.

Ich nehme Ihre Versprechungen nicht an, und sie genügen mir nicht, sagte Teimer vollkommen kalt.

Nun denn, rief General Bisson mit zitternder Stimme, so hören Sie mein letztes Wort! Ich will mit meinen Truppen ohne Waffen weiter ziehen, und die Waffen, wie die Munition sollen uns auf Wagen nachgeführt werden.

Wenn das Ihr letztes Wort ist, Herr General, so haben wir einander nichts mehr zu sagen, entgegnete Teimer mit kaltblütiger Ruhe. Sie haben meine wohlthätige Sorgfalt für Ihre Sicherheit und meine wohlgemeinten Anträge verschmäht; es bleibt mir nun nichts weiter übrig, als Sie und Ihre Truppen der Volkswuth Preis zu geben. Leben Sie wohl, Herr General!

Er wandte ihm den Rücken, und that mit seinen Begleitern einige Schritte rückwärts. Zugleich hob er drei Mal den Arm winkend empor.

Sogleich donnerten, der Verabredung gemäß, Hunderte von sicher gezielten Schüssen vom Berge Isel herab, und von der ganzen, vor Innsbruck ausgestellten Linie daher.

Zu ganzen Schaaren stürzten die Soldaten darnieder, ein lautes Wehgeschrei erhob sich in ihren Reihen, und selbst die sonst so tapfern Grenadiere begannen zu schwanken und in wilder Unordnung sich durcheinander zu drängen.

General Bisson sah es und Todesblässe überzog sein Angesicht. Teimer war stehen geblieben und schaute mit spöttischem Ausdruck auf die verwirrte, verzweifelte Truppe und dann auf ihren General.

Bisson fing diesen Blick auf. Mein Herr, rief er, und sein Ruf glich fast einem Verzweiflungsschrei, mein Herr, ich bitte Sie, kehren Sie zu mir zurück. Lasten Sie uns unterhandeln!

Teimer näherte sich nicht, er blieb nur stehen. Kommen Sie zu mir, wenn Sie mir Etwas zu sagen haben, rief er, kommen Sie und –

Das Knattern der Schüsse, das wüthende Geschrei der jetzt von allen Bergen herabströmenden und sich nähernden Tyroler machte seine Worte unhörbar.

General Bisson mußte also wohl, um sich Teimer verständlich zu machen und zu hören, was dieser ihm sagen mochte, sich ihm nähern, und eiliger, als es vielleicht seine Würde erlaubte, schritt er mit seinen Stabsofficieren zu ihm hin.

Was verlangen, was begehren Sie noch weiter? fragte er mit bebender Stimme.

Das, was ich von Anfang an begehrt habe, sagte Teimer fest, Niederlegung der Waffen. Sie ergeben sich den Tyrolern mit Ihrer ganzen Truppe. Ich habe schon eine Capitulation ausgezeichnet, es ist weiter nichts nöthig, als daß Sie mit Ihren Officieren unterzeichnen. Die Capitulation ist kurz und bündig, Herr General. Sie besteht nur aus vier Paragraphen. Aber hören Sie nur, wie meine lieben Tyroler schreien und jubeln, und sehen Sie nur, wie sie schießen.

In der That, die Kugeln der Tyroler pfiffen eben wieder durch die Reihen der Feinde und trafen mit jedem Schuß ihren Mann.

Ein furchtbares, entsetzliches Geschrei erhob sich unter den Franzosen und Baiern, die jetzt nicht mehr in geordneten Reihen dastanden, sondern sich in einem wirren Knäul durcheinander drängten und nicht einmal wagten, zu fliehen, weil sie wußten, daß es für sie nirgends einen Ausweg gab, daß sie rings von dem Feinde umstellt waren.

General Bisson sah diese Verzweiflung seiner Truppen, und ein Todesächzen kam aus seiner Brust hervor. Lesen Sie nur Ihre Capitulation vor, mein Herr, sagte er, indem er sich den kalten Schweiß von der Stirn trocknete.

Teimer zog ein Papier aus seinem Busen und entfaltete es, dann begann er mit lauter, schmetternder Stimme, die das Geknatter der Gewehre noch übertönte, zu lesen: »Im Namen Sr. Majestät des Kaisers Franz des Ersten von Oesterreich wird in diesem Augenblick mit den heut aus Steinach nach Wiltau vorgerückten französischen und bairischen Truppen eine Capitulation abgeschlossen; es werden nur folgende Bedingungen eingegangen:

»1) Legt das französische und bairische Militair auf jenem Fleck, wo es gegenwärtig steht, alle Waffen nieder.

2) Ist die ganze Mannschaft des achten Armeecorps kriegsgefangen und wird als solche auf der Stelle den österreichisch-kaiserlichen Truppen gegen Schwaz zugeliefert und übergeben.

3) Sind jene Tyroler Landesvertheidiger, welche von dieser Truppe noch gefangen gehalten werden, auf der Stelle wieder frei zu lassen.

4) Wird den Herren Oberofficieren des französischen sowohl als bairischen Militairs ihre Bagage, Pferde und Seitengewehre frei gelassen und ihr Eigenthum respectirt.«

Sie sehen wohl, mein Herr, daß es unmöglich ist, dies zu unterschreiben, rief General Bisson. Sie können nicht wollen, daß ich mein eigenes Todesurtheil, meine eigene Schande unterschreibe.

Wenn Sie die Capitulation nicht unterschreiben, so fertigen Sie das Todesurtheil aus nicht blos für Sie, sondern für Ihre ganze Truppe, sagte Teimer ruhig. Sehen Sie, General, hier ist zum Glück ein Tisch, denn dieser Platz ist sonst an Sonntagen der Sammelplatz der Wiltauer, und hier tanzen und trinken sie! Der Tisch ist uns vom Schicksal selber hingestellt, damit wir einen Platz haben, wo Sie unterschreiben können. Da liegt die Capitulation, ich habe schon meinen Namen und Titel als kaiserlicher Commissarius darunter gesetzt. Ich habe aber auch Dinte und Feder mitgebracht, damit Sie es mit der Unterschrift bequem haben. Unterzeichnen Sie also mit Ihren Stabsofficieren, Herr General. Schonen Sie das Leben Ihrer armen Soldaten, denn Sie sehen, jede Minute Zögerung kostet neue Menschenleben!

Ich kann nicht unterzeichnen, ich kann nicht, schrie Bisson verzweiflungsvoll. Thränen entstürzten seinen Augen und in der Raserei seines Schmerzes schlug er sich mit der Faust gegen seine Stirn, raufte er mit seinen zitternden Händen sich sein dünnes, graues Haar. v. Hormayr: Andreas Hofer I. 257. Ich kann nicht unterzeichnen, wiederholte er mit lautem Jammerton.

Unterzeichnen Sie, riefen seine Officiere, sich näher an den Tisch drängend, Sie dürfen sich nicht länger weigern, denn das Leben unserer ganzen Truppe steht auf dem Spiel.

Aber auch meine Ehre, mein guter Ruf steht auf dem Spiel, ächzte Bisson, und wenn ich unterzeichne, werde ich beide auf immer verloren haben.

Aber Sie werden dem Kaiser das Leben von mehr als dreitausend seiner Soldaten erhalten haben, riefen die Officiere, die jetzt mit Ungestüm den General und den Tisch umstanden, auf welchem das Papier lag.

Der Kaiser wird es niemals glauben, daß es nicht in meiner Macht gestanden, dies Unglück abzuwenden, jammerte General Bisson. Der Kaiser wird, wenn er auch sieht, daß ich unschuldig bin, dennoch mich den Schimpf entgelten lassen, der seinen Adlern widerfährt. Er wird eben so wenig mit mir Nachsicht haben, wie er es mit Villeneuve und Dupont gehabt hat. Sein Zorn ist unerbittlich und er wird mich zerschmettern.

So lassen Sie sich zerschmettern, General, sagte Reimer unbeweglich. Besser, daß Sie, ein Einzelner, zerschmettert werden, als daß einige tausend Mann hier jetzt von den Tyrolern zerschmettert werden.

Unterzeichnen Sie, schrieen die französischen Officiere und traten an den Tisch, sie nahmen die Feder und reichten sie dem General dar.

Sie sind also Alle entschlossen, gleich mir, zu unterzeichnen? fragte General Bisson immer noch zögernd.

Wir sind bereit, riefen die Officiere.

Wir sind bereit, wiederholte Major Armance, und zum Beweise deß setze ich meinen Namen selbst vor Ihnen unter die Capitulation, Herr General.

Er unterschrieb mit rascher, sicherer Hand. Ein zweiter Stabsofficier drängte sich herzu, nahm die Feder und schrieb seinen Namen »Varin« gleichfalls unter das Papier. Jetzt Sie, General, sagte er, Bisson die Feder darreichend.

Der General nahm die Feder, warf einen letzten, verzweiflungsvollen Blick hinauf zum Himmel, hinüber auf seine Soldaten, neigte sich dann über das Papier und unterzeichnete.

Die Feder entsank seiner Hand, und er mußte sich an den Tisch lehnen, um nicht umzufallen. Major Teimer zog ein weißes Tuch hervor und schwenkte es hoch in der Luft. Sofort verstummte das Feuer der Tyroler, und ein unermeßliches Jubelgeschrei schallte ringsum von allen Bergen und von der Stadt daher.

Sie sehen, General, Sie haben das Leben Ihrer Truppen gerettet, sagte Teimer.

Bisson seufzte nur und wandte sich dann seinen Officieren zu. Jetzt, meine Herren, sagte er mühsam, bringen Sie den Truppen sofort den Befehl, die Waffen auf der Stelle, wo sie stehen, niederzulegen.

Die Officiere eilten von dannen, und auch General Bisson wollte sich entfernen, als Teimer rasch die Hand auf seinen Arm legte und ihn zurückhielt.

Mein Herr General, ich bitte Sie, noch einen andern Befehl zu geben, sagte er.

Was für einen, mein Herr?

Sie haben natürlich Ihre Equipage mit sich geführt; befehlen Sie, daß dieselbe vorfahre und erlauben Sie, daß ich und diese Herren hier dieselbe mit Ihnen besteigen und mit Ihnen nach Innsbruck einfahren.

Das heißt, ich bin Ihr Gefangener, und Sie wollen mich im Triumph als Siegesbeute in die Stadt bringen?

Ich glaube, daß es ungefähr so sein wird. Ich möchte wohl das Vergnügen haben, an Ihrer Seite in die Stadt zurückzukehren, und da die guten Einwohner von Innsbruck sehr neugierig sind, einmal einen französischen General, einen General Bonaparte's, zu sehen, der nicht kommt, um mit seinen Truppen die Stadt zu verwüsten, zu plündern und zu rauben, sondern sich ganz friedlich verhalten will, so bitte ich Sie, daß wir zu unserm Einzug einen offenen, zurückgeschlagenen Wagen nehmen.

Wir werden es thun, sagte Bisson mit einem düstern Blick auf das strahlende, verschmitzte Gesicht Teimer's. Sie sind heute ohne Erbarmen, mein Herr, – wie ist doch Ihr Name?

Ich heiße Martin Teimer, bin kaiserlicher Major, und vom Erzherzog Johann als Commissarius für Tyrol bestimmt.

Ah, einer von den beiden Commissarien, die unter der »Offenen Ordre«, mit denen man das Land aufgewiegelt hat, verzeichnet standen?

Ja, Herr General.

Und der zweite Commissarius, das ist der Andreas Hofer, der Barbone, nicht wahr? Ich werde mir das merken, mein Herr auf den Fall, daß wir uns noch ein Mal anderswo im Leben begegnen sollten!

Sie werden dann Ihre Revanche nehmen, das ist natürlich. Heute aber nehmen wir unsere Revanche für jahrelange Schmach, Bedrückung und Grausamkeit der Herren Franzosen. Kommen Sie, Herr General, lassen Sie uns nach Innsbruck fahren. –

Eine Stunde später bewegte sich ein langer, glänzender Zug durch die Triumphpforte dahin. Voran zog das Musikcorps des gefangenen bairischen Regiments, das heute Triumphmärsche spielen mußte zu seiner eigenen Schande, dann folgte ein offener Wagen, in welchem Martin Teimer mit strahlendem Gesicht, ihm zur Seite, bleich, gesenkten Hauptes, der General Bisson saß. Im andern Wagen folgten die Stabsofficiere, escortirt von den Behörden und der Geistlichkeit von Innsbruck, und dann folgte ein unabsehbarer Zug, die ganze ungeheure Masse der Tyroler, die waffenlosen Gefangenen in ihrer Mitte führend. v. Hormayr: Leben Andreas Hofer's I. S. 259.

Ganz Innsbruck war indeß festlich geschmückt, an allen Fenstern standen geputzte Frauen, jauchzende Mädchen mit Kränzen in den Händen, die sie freudestrahlenden Angesichts den Siegern zuwarfen. Die Glocken aller Thürme läuteten, aber nicht mehr zum Sturm, sondern mit den frohen Klängen allgemeiner Freude.

Denn das Werk war vollbracht, Tyrol war frei! In drei Tagen des Kampfes, der allgemeinen Begeisterung hatten die Tyroler den Feind ohne alle militairische Hülfe überall geschlagen, aus dem Lande hinausgedrängt oder gefangen genommen.

Die Capitulation von Wiltau setzte dem Befreiungswerk die Krone auf, den Tyrolern und dem braven Martin Teimer zu ewigem Ruhm, dem General Bisson, den Baiern und Franzosen zu ewiger Schmach? Der Major Teimer ward zum Dank für diese Capitulation von Wiltau und diese Gefangennehmung von achttausend Franzosen und Baiern vom Kaiser von Oesterreich zum Freiherrn von Wiltau und Ritter des Theresien-Ordens erhoben, erhielt außerdem bedeutende Güterschenkungen in Steiermark.

Jubel und Freude herrschte diesen ganzen Tag in Innsbruck, überall begegnete man frohen Gesichtern, überall hörte man jauchzen: wir sind wieder deutsch, wieder kaiserlich geworden! Es lebe das freie Tyrol! Es lebe Kaiser Franz!

Ueberall auch in den Straßen herrschte eine rege Geschäftigkeit, denn alle Maler und Anstreicher der Stadt waren aufgeboten, um von allen Schildern und Häusern die verhaßten bairischen Farben, blau und weiß, in das österreichische Schwarz und Gold zu verwandeln, und nach dem bairischen Löwen, den man vor vier Jahren, zum Schmerz der Tyroler, an der kaiserlichen Burg angebracht, ward jetzt von den Tyroler Schützen ein förmliches Scheibenschießen angestellt. Preise wurden ausgesetzt für jedes Stück, das heruntergeschossen ward, und den Hauptpreis erhielt Der, welcher die Krone des Löwen durchbohrte.

Ja, Nordtyrol war frei, aber noch schmachtete der Süden, noch schmachtete Welschtyrol in den Banden französischer Knechtschaft, und dahin wollte jetzt Andreas Hofer, wie er es zu Wien mit dem Erzherzog Johann und Hormayr verabredet hatte, mit seinen Schaaren ziehen, um den Welschtyrolern die Freiheit zu bringen, welche die Teutschtyroler sich schon erkämpft und erstritten hatten.

Deshalb hatte Andreas Hofer, so sehr ihn sein Herz auch dazu drängte, sich doch den Einzug in Innsbruck versagt, und war am siebenzehnten April nach Meran gegangen, um dort Revue zu halten über den Landsturm von Meran und der Umgegend, über die tapfern Streiter, die ihn auf dem Zuge nach Welschtyrol begleiten sollten.

In vierfachen Linien waren die Tyroler aufgestellt, an ihrer Spitze sah man Hormayr, umgeben von den Geistlichen und Beamten, welche von den Baiern früher waren vertrieben worden, und die jetzt mit ihm und der österreichischen Armee zurückkehrten.

Nun wirbelte eine Staubwolke auf aus den nahen Schluchten des Passeyrthals, und ein freudiges Gemurmel ging durch die Reihen der Tyroler. Dann aber erfüllte unermeßliches Jubelgeschrei die Luft, denn dort auf stattlichem Roß kam Andreas Hofer daher gesprengt, gefolgt von seinen Passeyrn. Sein Antlitz strahlte wie in einer Verklärung, seine Augen leuchteten vor Wonne, und ein Ausdruck seliger Befriedigung war über sein ganzes Wesen ausgegossen.

Mit einem glücklichen Lachen reichte er Hormayr'n die Hand. Nit wahr, rief er, wir haben gehalten, was wir zu Wien einander versprochen haben, und der liebe Erzherzog Hannes wird mit uns zufrieden sein?

Er sendet seinem lieben Andreas Hofer seine besten Liebesgrüße, sagte Hormayr, und er dankt ihm für Alles, was er hier gethan.

Er dankt mir? fragte Hofer erstaunt. Wir haben doch nur gethan, was unser Herz begehrt hat, uns selber zu Lieb', zu Nutzen und Frommen. Wir wollten halt wieder österreichisch werden, denn österreichisch, das heißt deutsch; wir wollten nit mehr bairisch sein, denn bairisch, das hieß französisch, und darum wollten wir die Schmach abschütteln von unsern Bergen, und wollten unser liebes Laudel wieder frei, wieder deutsch machen. Jetzt ist's geschehen, denn der liebe Herrgott hat seinen Segen dazu gegeben, und hat uns geholfen aus aller Noth! Jetzt sind wir wieder unsers lieben Kaisers liebe, getreue Kinder, und der liebe Erzherzog Johann wird zu uns kommen, und bei uns bleiben als unser Gouverneur von Tyrol.

Das wird er gewiß, und ich weiß, daß er sich darauf freut, wieder in der Mitte seiner braven Tyroler zu leben. Aber darum müssen wir ihm auch helfen, Anderl, daß er bald hierher kommen kann, müssen ihm beistehen, Südtyrol frei zu machen. Ich hab' Dir eine große Nachricht vom Erzherzog Johann zu bringen, mein Anderl, und Dir zuerst wollte ich sie mittheilen, kein Mensch vor Dir soll sie erfahren.

Es ist doch nichts Schlimmes, Herr Hormayr? fragte Andreas Hofer ängstlich. Dem lieben Erzherzog ist doch kein Leid's widerfahren? Sagt's schnell, denn mein Herz klopft so laut vor Augst, als war' mir ein herzliebes Kind in Gefahr.

Du selber bist ein Kind, Anderl. Würd' ich wohl so heiter d'rein schauen, wenn unserm lieben Erzherzog ein Unglück zugestoßen wär'? Und wenn's wär', würd ich dann wohl so dumm sein, es Dir jetzt zu sagen,. jetzt in dieser Freudenstund', wo Alles darauf ankommt, daß wir frohen Muthes sind? Nein, Anderl, gute und prächtige Nachricht bringe ich. Der Erzherzog Johann hat gestern bei Sacile einen großen Sieg über den Vicekönig von Italien, den Herrn Eugen Beauharnais, erkämpft, einen vollständigen, glänzenden Sieg, achttausend Gefangene hat er gemacht, und viele Kanonen gewonnen. Mitten in der Siegesfreud' hat er aber an seine lieben Tyroler gedacht, und gleich vom Schlachtfeld aus hat er einen Courier an mich abgefertigt, der mir die Nachricht und den Befehl bringen sollt', seinen lieben Tyrolern zu sagen, daß er gestern die Franzosen besiegt habe!

Andreas Hofer's Antlitz strahlte vor Verklärung, und mit diesem Angesicht voll Sonnenschein und Glück sprengte er die lange Linie seiner Schützen hinunter.

Hurrah, lieben Freund' und Brüder, rief er, der Erzherzog Hannes läßt Euch schön grüßen, und läßt vermelden, daß er gestern bei Sacile die Franzosen ganz und gar besiegt, und ihnen achttausend Gefangene und viele Kanonen abgenommen hat. Hurrah, der Erzherzog Hannes, der zukünftige Gouverneur von Tyrol, soll leben!

Und die ganze Masse der Tyroler wiederholte mit lautem Jauchzen: Hurrah, der Erzherzog Hannes soll leben, der zukünftige Gouverneur von Tyrol!

Und noch einen andern Gruß habe ich Euch zu bringen vom Erzherzog Johann, rief Herr von Hormayr. Aber nicht hier unten in der Ebene sollt Ihr ihn hören, sondern droben auf der alten Burg Tyrol. Die Baiern und der böse Feind aus Frankreich haben uns freilich die schöne Burg zerstört, aber die Ruinen sind uns doch geblieben von dem Stammschloß unserer Fürsten. Zu den alten Burgruinen wollen wir jetzt hinauf ziehen, und dort oben sollt Ihr vernehmen, was der Erzherzog Johann Euch sagen läßt.

Im langen, unermeßlichen Zug bewegte sich diese ganze Masse der Tyroler Streiter den Bergpfand hinauf nach der Burg Tyrol empor. Ihnen voran ritten Andreas Hofer und der Freiherr von Hormayr.

Auf der Höhe angelangt, hielt Hofer sein Pferd an, und stieg ab. Mit feierlichen, tiefbewegten Mienen kniete er nieder auf den Trümmern der Burg, und das Crucifix zwischen seinen beiden Händen auf der Brust haltend, die leuchtenden Augen zum Himmel gewandt, rief er mit frommer Inbrunst: Dank, mein Herr und Gott, Dank, daß Du uns bis hierher geholfen hast! Dank, daß Du's Land'l wieder frei gemacht und uns wieder erlaubt hast, österreichisch zu sein. Oh, gieb' nun auch, lieber Herrgott, daß unser Werk besteht, und nit wieder in Staub zerfalle! Wenn Du aber mit mir zufrieden gewesen bist, so gieb, daß ich auch ferner noch dem Land'l dienen und ihm nützlich sein kann! Bin nur ein schwaches Werkzeug in Deiner Hand, mein Gott, aber Du hast's doch benutzt, und ich bitt' Dich, wirf's auch jetzt nit bei Seit', sondern gieb ihm Dauerhaftigkeit und Kraft, daß es aushält bis der Feind für immer zum Land 'naus ist, und Tyrol für immer wieder frei ist! Ich küss' die liebe Erde, wo unsere Fürsten einst gewandelt sind, und wo sie ihren Tyrolern geschworen haben, daß sie freie Männer sein und bleiben sollen und ihnen ihre freie Verfassung heilig gehalten werden und ihnen verbleiben soll für alle Zeiten.

Er neigte sich nieder und küßte das moosbewachsene Gestein und umschlang es zärtlich mit seinen Armen, als wär's ein Altar, vordem er fromme Gelübde und Gebete spräche. – Die Tyroler, welche nach und nach auf der Höhe angelangt waren, hatten sich schweigend hinter Andreas Hofer auf die Kniee niedergeworfen, und beteten gleich ihm.

Ein Gefühl beseelte sie Alle, ein Bewußtsein überstrahlte mit leuchtendem Freudenschimmer ihr Angesicht: Tyrol war befreit von der Fremdherrschaft, und sie, die Söhne des Landes, sie allein waren es, welche ihre geliebte Muttererde frei gemacht!

Jetzt, Ihr Männer von Tyrol, jetzt vernehmt, was Euch der Erzherzog Johann zu sagen hat, rief Hormayr.

Unter dem feierlichen Schweigen der Tyroler, dem von Meran heraufdringenden Glockengeläute, verlas Hormayr ein vom Erzherzog Johann ausgefertigtes Document, durch welches derselbe im Namen des Kaisers wieder Besitz nahm von Tyrol, es den kaiserlichen Staaten wieder einverleibt erklärte, und feierlich gelobte, daß es fortan für ewig und alle Zeiten, zum Lohn seiner Treue, bei Oesterreich verbleiben solle. Zugleich wurde den Tyrolern ihre uralte freie Verfassung in allen ihren Gerechtsamen wiederhergestellt, und der Freiherr von Hormayr zum Intendanten von Tyrol ernannt.


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