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Die Glocken läuteten, die Menschen jubelten und jauchzten, und die Mädchen von Windisch-Matrey und der Umgegend stellten sich mit Körben voll Blumen in den Händen zu beiden Seiten der Straße auf. Denn die Sieger nahten sich, man hörte schon in der Ferne ihr frohes Jauchzen und Singen, man sah schon die jubelnden Buben, die ihnen entgegen gezogen waren, und die jetzt mit lustigen Bocksprüngen dem Zuge voraus hopsten. Ja, sie kamen, sie kamen! Da, die Berghöhe hernieder, bewegte sich, einer prächtigen schillernden Schlange gleich, der bunte Zug der Tyroler daher. Wie die Stutzen in der Sonne glitzerten, wie die Blumensträuße an den spitzen grünen Hüten leuchteten! Und jetzt konnte man auch schon die Gesichter erkennen und deutlich die einzelnen Gestalten unterscheiden. Da vorn, gleich hinter den Buben, da kam der Anton Aichberger Wallner. Wie prächtig er anzuschauen war, der Herr Ober-Commandant, und wie schön das Liesel, die so geputzt, einen wundervollen Blumenstrauß im Mieder, ihm zur Seite ging. Der sorgsame Vater hatte ja eigens einen Boten zu seiner Hausfrau geschickt, und Liesel's schönste Sonntagskleider, und all ihr Geschmeide hatte er holen lassen, damit seine Liesel, seines Herzens Freude, recht in Herrlichkeit und Pracht ihren Einzug halten sollt' in Windisch-Matrey.
Prächtig aber in der That war die Liesel anzuschauen in ihrem Staatskleid. Das glänzend schwarze Haar, das in dicken Zöpfen über ihren Nacken niederhing, war mit dunkelrothen Bändern durchflochten, und große Schleifen davon waren mit silbernen Nadeln am Haupt befestigt. Das weitausgeschnittene, mit Silberlitzen besetzte Mieder war über dem Busen mit silbernen Ketten zusammengeschnürt, und aus demselben kam ein faltiges Untergewand hervor, das, mit Spitzen verbrämt, züchtig die schöne Büste und die vollen Schultern verhüllte. Weite weiße Aermel fielen in mächtigen Puffen unter den Achseln des Mieders hervor, und schlossen sich am Handgelenk mit dunkelrothen Schleifen. Ein faltenreicher rother Rock von feinem Wollenzeug, mit schwarzen Sammetstreifen unterwärts besetzt, ging von ihrer schlanken Taille bis zu den Knöcheln nieder, ihre kleinen zierlichen Füße waren mit Zwickelstrümpfen und Schuhen bedeckt, welche mit großen silbernen Schnallen geziert waren. Das prächtige Bouquet, das sie am Mieder trug, hatten ihr die Buben entgegen gebracht, und lachend und jodelnd hatten sie gesagt, den Strauß sende ihr der Herr Bräutigam zum Hochzeitsgeschenk.
Aber diese Worte hatten das Liesel stumm gemacht, und traurig. Das Lächeln war von ihren Lippen, die Farbe von ihren Wangen gewichen, sie schaute ängstlich zu ihrem Vater hin, aber der nickte ihr zu und sagte lachend: frag' nur heut nichts, Liesel, denn ich sag' Dir doch nichts. Erwart' ruhig Alles, was da kommt, und denk' dran, daß Dein Vater Dich gar lieb hat, und gewiß sein Töchterlein glücklich machen will.
Nun quälte sich Elise mit der Frage, was diese Worte ihres Vaters bedeuten möchten, welchen Sinn er mit denselben verbinde, und eine ihr selber unerklärliche Angst, ein ahnungsvoller Schrecken erfaßte ihre Seele.
Sie hörte nicht mehr auf das Freudenjauchzen der Buben, sie sang nicht mehr mit Panzl die schönen Lieder ihrer Berge, bleich und still, gesenkten Hauptes ging sie dahin.
Aber jetzt kamen sie nach Windisch-Matrey, jetzt standen sie schon am Eingange der Straße, wo die Geistlichkeit und die Ortsbehörden, und die schön geputzten Mädchen sie bewillkommten. Oh, das war ein schöner, ein gesegneter Moment, ein heiliges Fest des Wiedersehens. Ausgezogen waren die Tapfern, um zu kämpfen für die heimathliche Erde, für den angestammten Fürsten und die Freiheiten ihres Landes. Und Gott hatte ihnen den Sieg gegeben, er hatte ihnen beigestanden in allen Kämpfen, das Land war frei, der Kaiser war wieder Herr über Tyrol, und als Sieger kehrten die Männer von Windisch-Matrey heim. Alles schien sie zu grüßen mit einem strahlenden Liebesblick, die ganze Erde schien ihnen den Willkommen entgegen zu jauchzen! Selbst die silberglänzenden Schneespitzen des Groß-Glockners schienen neugierig und feierlich freundlich über die andern Berge herüber zu schauen, als wollten sie die Sieger sehen, und auf den grünen Matten, auf den Berghöhen standen die rothen Kühe so stolz und prächtig, als hätten sie sich eigens dahingestellt, um die Gegend zu schmücken für die heimkehrenden Sieger. Und mit wie lustigem Murmeln der wilde Iselbach zur Seite des Weges seine silbernen Schaumperlen aufspritzt, und wie die Buben lachen und jodeln, mit der Zunge schnalzen, mit den Fingern schnippen, wie die Glocken so mächtig und feierlich läuten, und von den Ortschaften weiter unten im Thal ihre tönende Antwort erhalten, und mit wie feierlichen frommen Gesichtern die Geistlichen da stehen am Eingang des Orts, mit aufgehobenen Armen, mit gen Himmel gewandten Blicken den heimkehrenden Siegern den Segen verleihen, und wie strahlenden Angesichts die Mädchen und Frauen, die blumenstreuend auf beiden Seiten der Straße stehen, die Heimkehrenden grüßen!
Oh, dieser schöne, beseligende Moment ließ alle Sorge, allen Zweifel verstummen. Das Lächeln kehrte auf die Lippen Elisen's zurück, ihre Wangen färbten sich und ihre Augen strahlten wieder im Glanz der reinsten Freude. Mit lautem Freudenschrei sank sie ihrer Mutter, die ihr die Arme entgegenstreckte, an die Brust und küßte sie viel tausend Mal, und hörte kaum auf die feierliche Anrede des Herrn Pfarrers, der ihr im Namen der Gemeinde öffentlichen, frohen Dank aussprach für ihren Muth, und für die Hülfe und Pflege, die sie den in den Gefechten verwundeten Landsleuten dargebracht.
Aber jetzt schlug eine liebe bekannte Stimme an Elisen's Ohr, und machte, daß sie sich aufrichtete aus den Armen ihrer Mutter, und emporschaute.
Ja, der alte liebe Herr von Hohenberg war es, der vor ihr stand, und ihr mit seinem schönsten und sonnigsten Lächeln die Hand entgegenstreckte. Braves Tyroler Kind, sagte er froh, gieb mir die Hand. Weißt ja, daß ich Dich lieb habe, wie mein eigen Kind, und jetzt bin ich stolz auf Dich, denn Du bist eine Heldin geworden, und wirst unserm Tyrolerland Ruhm bringen. Die Elza hat also doch recht gehabt, wenn sie Dich immer die zweite Jungfrau von Orleans nannte, und meint', Du wärst eine geborne Heldin.
Aber wo ist Elza? fragte Liesel angstvoll den alten Schloßherrn.
Hier bin ich, meine Elise, sagte das Schloßfräulein, hinter ihrem Vater und den Geistlichen hervortretend.
Oh, meine Elza, meine herzliebe Elza, jubelte Elise, und sie schlang ihre beiden Arme fest um der Freundin Nacken, und drückte einen glühenden Kuß auf ihre Lippen.
Aber sie fühlte, wie Elza's Lippen zuckten, wie sie den Kuß nicht erwiderte, die Freundin nicht an sich drückte, und es war Elisen, als wenn auf einmal eine kalte Hand über ihr Herz hinführe, und es hart und grausam zusammenpreßte. Sie richtete ihr Haupt von Elza's Schulter empor und blickte sie an. Jetzt erst sah sie, wie bleich das Fräulein war, wie trüb und verweint ihre Augen, wie matt ihr Lächeln.
Du bist krank, Elza, sagte sie angstvoll.
Nein, flüsterte Elza, ich bin nicht krank.
Dann hast Du Dein Liesel nicht mehr lieb? fragte Elise dringend.
Ja, ich habe Dich lieb, sagte Elza tonlos und mit einem wunderbar schmerzlichen Lächeln. Ich hab' Dich lieb, und zum Beweis davon schenke ich Dir diesen Kranz. Gott segne Dich, mein Liesel, und mache Dich glücklich!
Sie drückte einen vollen blühenden Myrthenkranz auf Elisen's Haupt, schaute sie noch einmal an mit einem Blick voll Wehmuth und Liebe, und trat dann rasch wieder hinter ihren Vater zurück.
Elza, rief Elise ängstlich, Elza, ich bitte Dich, komm her zu mir, sag' mir, was das bedeutet, was –
Still, mein Liesel, still, sagte ihr Vater, ihre Hand fassend und sie vorwärts ziehend. Siehst denn nit, daß der Zug vorwärts marschirt, und daß wir also auch weiter müssen? Sieh, der Herr Pfarrer, der Schloßherr und die Elza sind schon weit voraus, wir müssen also auch weiter.
Aber wohin denn, Vater, wohin?
In die Kirche, Du liebes närrisches Ding.
In die Kirche! Was wollen wir denn in der Kirche, Vater? Warum gehen wir nit nach Hause?
Bist denn so gottlos worden auf Deinem Feldzug, Liesel, daß Du nit weißt, daß man allzeit zuerst dem lieben Gott muß die Ehr' geben? Wir gehen also nach der Kirch' zum Dankgebet, komm jetzt zur Kirch', und frag' nit mehr.
Aber den Myrthenkranz will ich doch abnehmen! rief Liesel, und angstvoll hob sie die Hand zu dem Kranz empor. Aber ihr Vater zog ihre Hand zurück.
Nein, Liesel, sagte er, behalt' Du den Kranz nur auf, er steht Dir gut.
Aber ich bin ja doch keine Braut, Vater, die zur Trauung in die Kirch' geht.
Nicht, Liesel, bist Du's nicht? fragte ihr Vater lachend. Aber still jetzt, Kind, wir sind ja schon an der Kirchthür, und hörst nit, wie die Orgel so herrlich schmettert und jubilirt? Laß uns eintreten in die Kirch', mein Liesel!
Er zog sie vorwärts, und Elise folgte ihm, aber eine unermeßliche Angst bedrückte ihre Seele, sie wußte selbst nicht, weshalb, und doch war's ihr, als sollte hier etwas Entsetzliches geschehen, als müsse sie fliehen, fliehen weit hinaus in die Berge, in die Einsamkeit.
Doch ihr Vater hielt sie an der Hand fest, und ging mit ihr den breiten Mittelweg der Kirche hinauf bis zum großen Hauptaltar. Da waren Reihen blumengeschmückter Stühle aufgestellt, und auf einem dieser Stühle mußte Elise Platz nehmen, ihr zur Seite saß ihr Vater, ihr gegenüber der Schloßherr und ihre Freundin Elza, dann kamen die Behörden, der zweite Commandant der Windisch-Matreyer, der Johann Panzl, und hinter ihm, Kopf an Kopf gedrückt, die Schützen aus dem Pusterthal.
Elise ließ einen fragenden, suchenden Blick über die dicht gedrängte Menge hingleiten, sie schaute in alle Bänke, in alle Chorstühle, und doch wußte sie selber nicht, was sie suchte, was ihr Herz so beunruhigte.
Da auf einmal zuckte sie zusammen, wie in jähem Schreck, und ihre Wange ward todtenbleich. Da drüben hinter den Fenstern der Sacristei, da diese Gestalt in der Uniform, das war Er, Er, den sie gesucht hatte, ohne es selber zu wissen, Er, vor dessen Anblick ihre Seele bang zurückgebebt war. Und doch scheute Elise sich jetzt, ihn zu sehen, denn sie hatte Sorge um ihn gehabt, sie hatte gefürchtet, er möge noch immer krank darnieder liegen an seiner Wunde. Aber sie hatte Niemand nach ihm fragen mögen, darum war sie froh, ihn jetzt gesund zu sehen, und schaute zu ihm hinüber mit freudigen, strahlenden Blicken. Ihre Augen begegneten sich, aber was war das für ein Blick des Hasses, der Verachtung, mit dem er sie anschaute, welch' ein stolzes, geringschätzendes Lächeln trat auf seine zuckenden Lippen, wie übermüthig warf er das Haupt zurück, statt es freundlich ihr zuzuneigen.
Elise fühlte ihr Herz sich zusammenkrampfen, sie wollte aufspringen, sie – da hörte sie auf einmal den Pfarrer, der vor dem Altar stand, und das Dankgebet gesprochen hatte, ihren Namen aussprechen. Was sagte er, weshalb erwähnte er sie? Sie hielt den Athem an, um zu hören. Mein Gott, jetzt fiel ein anderer Name von den Lippen des Predigers. Er nannte den Namen Ulrich von Hohenberg, er proclamirte ihn als den Bräutigam von der hier anwesenden Jungfrau Elise. Wallner, er forderte ihn, den Hauptmann Ulrich von Hohenberg auf, vor dem Altar zu erscheinen, um im Beisein aller dieser Zeugen mit seiner Braut den Segen Gottes zu seiner Ehe zu empfangen.
Mit einem dumpfen Aechzen, ganz zerbrochen, ganz verzweiflungsvoll, sank Elise zurück auf den Stuhl, und ihre bleichen Lippen murmelten: jetzt bin ich verloren, und er ist es auch.
Herr Ulrich von Hohenberg rief der Pfarrer vor dem Altar, kommen Sie hierher, und nehmen Sie die Hand Ihrer Braut.
Drüben öffnete sich jetzt die Thür der Sacristei, und der Gerufene trat hervor. Seine hohe schlanke Gestalt nahm sich prächtig aus in der glänzenden Staatsuniform, ein funkelndes Ordenskreuz schmückte seine Brust, in der Hand hielt er den goldbetreßten Officiershut mit dem wallenden weißen Federbusch, nur das Schwert fehlte an seiner Seite und dies allein bezeichnete seine traurige Lage, machte ihn, inmitten aller dieser Bewaffneten, als den Gefangenen kenntlich. Aber dieses Bewußtsein schien ihn gar nicht zu demüthigen, denn er schritt daher, stolz gehobenen Hauptes, und sein ernster kalter Blick flog höhnend und streng über die Versammlung dahin.
Gerade zu dem Altar, bis dicht zu den Stufen desselben, schritt er hin. Herr Pfarrer, sagte er mit klarer, lauter Stimme, Sie haben mich gerufen. Hier bin ich! Was begehren Sie von mir?
Ich habe Sie gerufen, Herr Ulrich von Hohenberg, um Ihre Ehe mit Ihrer Braut einzusegnen. Elise Wallner, treten Sie hierher, an die Seite Ihres Bräutigams!
Aber Elise Wallner erhob sich nicht von ihrem Sessel, sie lehnte halb ohnmächtig ihr Haupt an den Stuhl zurück, und starrte wie besinnungslos auf den Priester, und auf den jungen Mann hin, der eben jetzt mit verachtungsvoller Kälte den Blick zu ihr hinwandte.
Elise Wallner, rief er laut, kommen Sie nicht hierher, denn ich bin nicht Ihr Bräutigam, und niemals sollen Sie mein Weib werden!
Ein einziger furchtbarer Schrei der Wuth rollte durch die Kirche wie dröhnender Donner dahin, die Augen aller dieser tapfern Männer blitzten vor Zorn, und drohend legten sie die Hand an den Stutzen.
Wie ein gereizter Tiger aber, bleich vor Wuth, mit funkelnden Augen, sprang Anton Wallner von seinem Sitz empor, zu dem Hauptmann hin, und packte seinen Arm.
Was, schrie er wüthend, Du schlechter, wortbrüchiger Mann, Du weigerst Dich, mein Mädel zu heirathen? Hast erst Ihre Lieb' gestohlen, hast Ihr die Ehe versprochen, und jetzt, da ich sie Dir geben will, jetzt weigerst Du Dich?
Ja, ich weigere mich, rief Ulrich von Hohenberg fast freudig. Nie wird Elise Wallner, das Bauermädchen, mein Weib, nie werde ich mich so erniedrigen, blos um mein Leben zu retten, mir ein Weib aufdringen zu lassen, zumal ein Weib, das gegen meine Landsleute und Brüder gekämpft, das die braven Soldaten meines Königs zu Schmach und Hohn als Gefangenwärter escortirt, ein Weib, das geholfen hat bei dem treulosen Verrath, den Ihr Alle an Eurem König und Eurem Herrn geübt habt. Ja, ich sag's Euch, Ihr seid Verräther und Aufrührer, Ihr seid schändliche Rebellen, und Ihr meint, ich, der Hauptmann Ulrich von Hohenberg, der Soldat, der seinem König den Eid der Treue geschworen, ich könnte so ehrvergessen und feig sein, mich den Rebellen anzuschließen? Nein, niemals wird das geschehen, niemals wird die Tochter des Rebellen Anton Wallner mein Weib. Tödtet mich jetzt, wenn Ihr wollt. Ihr könnt mir das Leben nehmen, aber nicht meine Ehre.
Elise saß noch immer erstarrt, bewegungslos da. Wie im Traum hatte sie die Worte des Hauptmanns vernommen, wie im Traum sah sie jetzt, daß Schröpfel hervorstürzte und seinen mächtigen Arm gegen ihn erhob, daß die Männer Alle sich mit wilden Geberden zu ihm heran drängten; wie im Traum hörte sie wildes Geschrei, Drohungen, Verwünschungen.
Aber auf einmal faßten zwei eiskalte, zitternde Hände Elisens Arme, und eine liebe Stimme schlug an ihr Ohr mit aller Gewalt der Angst, des Entsetzens.
Elise, rief diese Stimme, Elise, willst Du ihn tödten lassen?
Elza, murmelte Elise, wie aus Erstarrung emporfahrend, Elza, was giebt's?
Sie werden ihn ermorden, Elise, jammerte Elza. Sie haben ihn gebunden, geknebelt, sie sagen, sie wollen ihn hinausführen auf den Platz, und wollen ihn erschießen. Elise, Du allein kannst ihn retten! Erbarme Dich, vergiß, was er gesprochen hat in seiner Wuth, in seinem Schmerz. Habe Erbarmen mit ihm, mit mir. Denn ich sage Dir, sie wollen ihn ermorden! Oh, sieh' nur, sieh', sie bilden einen Kreis um ihn, sie drängen ihn vorwärts den Gang hinunter. Sie führen ihn hinaus auf den Platz! Sie wollen ihn erschießen! Rette ihn, Elise, rette ihn!
Elise antwortete nicht, sie flog von ihrem Sitz empor, sie sprang vorwärts, den Gang hinunter, den Männern nach, die eben aus der Kirchthür hinausschritten, und in deren Mitte, geführt von Anton Wallner und seinem Knecht, dem lahmen Schröpfel, der Hauptmann Ulrich von Hohenberg, die Hände auf dem Rücken zusammen gebunden, den Mund geknebelt, dahin schritt.
Aber wie eine dicke undurchdringliche Mauer umgaben die Schützen den Gefangenen. Vergebens war es, daß Elise bat, daß sie die Männer beschwor, sie hindurch zu lassen, vergebens, daß sie mit aller Kraft der Verzweiflung sich hindurch drängte durch die Reihen. Die Männer schoben sie ungestüm zurück.
Du sollst nit bitten für den schlechten, ehrlosen Buben, sagten sie, sollst nit den schlechten Baiern, der uns Rebellen und Verräther schimpft, und der selber doch sein Wort nit halten hat, sollst ihn nit vom Tod erretten. Er soll sterben, und er muß sterben, er hat sein Leben verwirkt. – Und die kräftigen Arme stießen sie hinaus aus dem Kreis, den sie jetzt draußen auf dem großen Platz vor der Kirche bildeten. In der Mitte desselben stand der Hauptmann, ihm zur Seite Anton Wallner, und wie ein Kettenhund, der in jedem Moment bereit ist, seinen Feind zu erwürgen, stand Schröpfel hinter ihm.
Mit langsamer, feierlicher Ruhe hob Anton Wallner jetzt seinen Arm empor, und ließ ihn schwer auf die Schulter des Hauptmanns niederfallen.
Ulrich von Hohenberg, sagte er, Du bist ein ehrloser Mensch, denn Du hast meiner Tochter Dein Wort gegeben, daß Du sie zu Deinem Weib nehmen willst, und jetzt verleugnest Du sie. Du bist ein Lügner und Verleumder, denn Du nennst uns treulose Rebellen und Verräther, blos weil wir für unser Land und unsern Kaiser gefochten haben. Du hast also gesündigt gegen Gott, die Menschen und die Ehre. Ulrich von Hohenberg, Du mußt sterben!
Ja, er muß sterben, schrieen die Männer, und sie hoben die Stutzen von ihren Schultern und luden sie.
Anton Wallner und Schröpfel traten jetzt zurück von dem Gefangenen und die Männer, die hinter ihm gestanden, schoben sich zur Seite. Der Kreis, der sich vorher so undurchdringlich um ihn geschlossen, war also jetzt offen. Elise sah's und sprang vorwärts, nicht achtend der Schützen, die eben ihre Gewehre erhoben, unempfindlich gegen die Gefahr, die sie selber bedrohte. Bleich, mit keuchendem Athem, mit zum Himmel emporgestreckten Armen, flog sie durch den Raum, grad' zu dem Hauptmann hin, und sich vor ihn hinstellend, rief sie mit flammenden Blicken, mit jauchzender Stimme: jetzt schießt, Ihr Männer, schießt! Denn ich sag's Euch, er soll nit allein sterben, und wenn Ihr ihn erschießt, sollt Ihr auch mich tödten!
Elise, rief ihr Vater flehend und zornig zugleich, Elise tritt zurück. Er ist ein Verräther, und er muß sterben.
Er ist kein Verräther, und er muß nit sterben, und wenn Ihr ihn ermordet, so sollt Ihr auch mich ermorden, rief Elise.
Aber Liesel, hast denn nit gehört, wie er Dich verleugnet und beschimpft hat, der treulose Baier, der er ist? fragte ihr Vater.
Ich hab's gehört, und verzeih' ihm, sagte sie sanft, denn ich weiß wohl, daß er nit denkt, was er spricht. Seid Ihr denn so dumm, Ihr Männer, daß Ihr nicht begreift, daß er nicht anders handeln kann, das er grad' so und nit anders sprechen muß? Vater, Du hast gesagt, daß ich ein braves Tyroler Kind bin, und daß Du mich lieb hast, und mit mir zufrieden bist. So bitt' ich Dich denn, herzlieber Vater, daß Du mir bis morgen früh das Leben von meinem Bräutigam schenkst, daß Du bis morgen früh ihn wieder zurückführen läßt in unser Haus als unsern Gefangenen. Der Schröpfel kann ihn bewachen, und soll ihn nit aus den Augen, lassen. Oh, Ihr lieben, guten Freund', Ihr tapfern Männer, habt Erbarmen mit mir! Denkt d'ran, daß wir zusammen gekämpft und gestritten haben für's liebe Vaterland, und daß Ihr mir gesagt habt, Ihr wolltet mich allzeit nit vergessen, und mir gern, wo Ihr könnt', was zu Lieb' thun. So thut mir's denn zu Lieb', schenkt mir's Leben von meinem Bräutigam nur bis morgen früh!
Er sagt, er ist nit Dein Bräutigam, Liesel, und wollt' Dich nimmer zu seinem Weib haben, riefen die Männer mit unentschlossenen Mienen, halb schon erweicht von dem flehenden, rührenden Ausdruck Elisen's.
Er sagt wohl so, rief sie mit einem flammenden Blick auf den Hauptmann, der bleich und unbeweglich da stand, jedes Wort hörte und auf keines Antwort geben konnte, er sagt wohl so, aber ich weiß doch, daß er mich liebt, und daß er morgen früh mit Freuden bereit sein wird, zu thun, was ich von ihm fordere.
Vater, fuhr sie leise fort, indem sie den Arm Anton Wallner's ergriff und ihn rasch zur Seite zog, Vater, begreifst denn nicht, daß der Ulrich nicht anders sprechen kann? Würd' ihn sonst sein König, wenn er heimkehrt nach Baiern, nit für einen Hochverräther halten und sagen, er hab's mit uns und den Oesterreichern gehalten, und ein Beweis davon sei, daß er ein Tyroler Mädel gefreit? Sei doch gescheidt, mein herzliebes Vaterle, und merk', wie fein der Ulrich es angefangen hat, just so, wie ich's mit ihm verabredet hab'. Es muß ja so aussehen, als wenn er nit freiwillig, sondern blos gezwungen von Euch mich zum Weib genommen hat, sonst würd's ihm sein König und sein Vater, der ein gar stolzer Mann ist, nimmer vergeben. Aber jetzt, wenn er hört, was hier geschehen ist, und daß Ihr den Ulrich habt erschießen wollen, weil er mich nit nehmen wollt', jetzt werden die Herren in München begreifen, daß der Ulrich mich freien mußt', um sein Leben zu retten.
Und Du bist's zufrieden, daß es so aussehen soll, als wenn er nur gezwungen Dich zum Weib genommen? fragte ihr Vater düster.
Ich bin's zufrieden, Vater, sagte sie, denn ich lieb' meinen Bräutigam, und nit um meinetwillen soll er unglücklich werden und mit seinem König und seinem Vater in Zwistigkeit kommen. Sag' das Alles den Männern, lieb' Vaterle, und sag' ihnen, sie sollten dem Ulrich und mir heute Ruhe gönnen; morgen früh aber, da sollten sie alle vor unser Haus kommen und's Brautpaar zur Kirch' abholen, denn morgen früh um neun Uhr, da wollen der Ulrich und ich als glückliches Brautpaar uns trauen lassen.
Aber, Liesel, warum denn nit gleich heut? fragte ihr Vater, warum nit in dieser Stund'?
Das geht nit, Vater. Hätt'st mir vorher gesagt, was hier geschehen sollt', so würd' ich Dir gleich gesagt haben, was ich Dir jetzt sag': es geht nit, daß ein Mädel so unvorbereitet und so, als ging's nur zum Tanz und zur Lust, vor Gottes Altar hintritt und sich ihrem Liebsten antrauen läßt, so im Leichtsinn und in der Lust. Es ist ein ernst Ding, was ich da vorhab', und ernst will ich's angreifen. Will heut mit dem lieben Gott sprechen, zur Beicht' gehen bei dem Herrn Pfarrer, auch mit dem Ulrich hab' ich noch allerlei zu reden und zu berathen, denn ich weiß, er will haben, daß wir gleich nach der Trauung von hier abreisen, damit's nit aussieht, als wär' er freiwillig noch bei Euch im Thal geblieben. So muß ich denn noch mein' Sachen zusammenpacken und mich fertig machen, damit ich gleich nach der Trauung mit ihm fort kann. D'rum bitt ich Dich, herzliebes Vaterle, schenk' mir den heutigen Tag und lad' die Männer ein, daß sie morgen früh kommen und Zeugen sind bei meiner Trauung mit dem Hauptmann Ulrich von Hohenberg.
Gut denn, Liesel, ich will Dir den Willen thun, sagte Wallner nach kurzem Bedenken. Will Dir und ihm Zeit gönnen bis morgen früh, aber ich sag' Dir's, Mädel, wenn das Spiel morgen früh wieder los geht, und wenn er wieder so spricht wie heut, so nehm' ich den Spaß für Ernst und glaub' kein Wort von Allem, was Du sagst, um ihn zu entschuldigen, und dann hat er's Leben verwirkt und muß sterben. He, Schröpfel, komm' hierher, führ' den Gefangenen wieder in mein Haus zurück und bring' ihn wieder dahin, wo Du ihn die acht Tage hast wohnen lassen. Ich sag' Dir aber, bewach' ihn wohl und laß Niemand zu ihm 'nein, außer die Liesel da, laß ihn mit Niemand sprechen, außer mit seiner Braut!
Ich werd's thun, werd' ihn bewachen, wie ich ihn bewacht hab', sagte Schröpfel finster. Mit Niemandem darf er sprechen, und am liebsten wär's mir, er dürft' auch nit mit der Liesel sprechen, denn nimmer glaub' ich, daß sie seine Braut ist.
Wir werden's ja sehen, morgen früh, wann die Trauung sein soll, sagte Anton Wallner, führ' den Gefangenen fort.
Du läßt ihn gehen? schrieen die Männer. Du schenkst ihm das Leben?
Blos bis morgen früh, weil die Liesel für ihn gebeten hat, sagte Anton Wallner. Morgen früh um neun Uhr ist die Hochzeit, ich lad' Euch Alle zu Zeugen, Ihr Männer, und wir werden ja sehen! Morgen früh ist die Trauung oder die Hinrichtung. Jetzt laßt uns für heut nit mehr davon reden, laßt uns vergessen, was dem Anton Wallner und seinem Mädel geschehen ist und laßt uns nur daran denken, daß wir heimkommen sind als Sieger und daß unser liebes Tyrolerland jetzt frei ist von dem Franzmann und dem Baiern. So kommt denn zu meiner Hausfrau, die uns erwartet mit einem guten Fässel Wein. Kommt, wir wollen's Vaterland hochleben lassen, und den lieben Kaiser Franzl!